Unter dem Titel „Es ist nicht nur das Geld, das fehlt.....“ wurden auf einer nifbe-Fachtagung in Osnabrück die gravierenden Auswirkungen der Armut auf die soziale, emotionale, kognitive oder gesundheitliche Entwicklung der Kinder beleuchtet sowie konkrete pädagogische Handlungsoptionen vorgestellt, um die (aktive) Teilhabe von Kindern mit sozialer Benachteiligung zu gewährleisten und mögliche Entwicklungsrisiken zu kompensieren.

erhornZur Begrüßung unterstrich nifbe-Vorstandsvorsitzender Prof. Dr. Jan Erhorn im Sinne des Tagungstitels, dass die monetäre Benachteiligung nur eine Facette des Themas sei und dass Armut sich auf einem breiten Spektrum der Bildung und Entwicklung von Kindern auswirken könne. Verschärft würde dieses Problem häufig durch mangelnde Information der Betroffenen und das Fehlen niedrigschwelliger Zugänge. Hier gelte es für die KiTa-Fachkräfte sich zu sensibilisieren, zu unterstützen und (Bildungs-) Angebote zu machen. „Unser Ziel muss es sein, möglichst alle Kinder zu beteiligen und Bildungsungerechtigkeit abzubauen“ resümierte er.

weinbachIn ihrem Auftaktvortrag spannte Prof. Dr. Heike Weinbach von der Hochschule Rhein-Waal einen weiten Bogen, um das Thema Armut zu kontextualisieren und auf verschiedenen Ebenen zu betrachten. Statistisch seien in Deutschland rund 15 bis 20 Prozent der Kinder von Armut betroffen und Risikofaktoren seien hier insbesondere langfristige Erkrankungen, Migrationshintergrund, niedriges Bildungsniveau und alleinerziehende Mütter oder Väter. Neben diesen individuellen kämen aber auch ganz entscheidende strukturelle Faktoren hinzu wie zum Beispiel:
  • Macht von Gatekeepern im Bildungssystem
  • Zu niedriger Bildungsetat / Mangel an niedrigschwelligen Zugängen zur Bildung
  • Steuersystem
  • Wohnungspolitik etc.

Das Wohl des Kindes im Fokus

In der Folge betrachtete Prof. Dr. Heike Weinbach die Kinderarmut insbesondere unter dem Aspekt des Kindeswohl und dieses sei auf vielfachen Ebenen gefährdet. Obwohl die auch von Deutschland ratifizierte Kinderrechtskonvention verlange das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen, werde in Deutschland zu wenig dafür getan und es fehle eine Rechtsverbindlichkeit dafür. Daher sollten die Kinderrechte in das Grundgesetz aufgenommen werden. Mit Janusz Korczak plädierte sie für „Das Recht des Kindes auf den heutigen Tag“ und entsprechend müsse die Perspektive des Kindes und das Kindeswohl ernst genommen werden. Kriterien für die Kindeswohlgefärdung durch Armut seien 2014 beispielsweise mit den „EU-Messkriterien für Deprivation von Kindern“ aufgestellt worden.

Vorurteile und Diskriminierung

Wie Prof. Dr. Heike Weinbach weiter ausführte, sind arme Menschen auch in einem erschreckenden Ausmaß von Vorurteilen betroffen. „Armut wird in einem sehr hohen Maße als ganz anders wahrgenommen“ sagte sie. Entsprechend hoch sei die Tendenz zu Abgrenzung und Distanzierung und zu pauschalen Zuschreibungen und Abwertungen nach dem Motto „selber Schuld“. Kinder in Armutslagen seien von solchen Vorurteilen in doppelter Weise betroffen, weil sie erleben müssten, wie ihre Eltern und sie selber abgewertet würden.

KiTas könnten Kindern aus Armutslagen nun idealerweise einen „Schutz- und Entwicklungsraum“ bieten, in dem sie alternative Erfahrungen machen und Solidarität erfahren könnten. Voraussetzung dafür seien vorurteilsbewusste Fachkräfte sowie eine gute Qualität der KiTa im Hinblick auf Raum, Essen, sozialräumliche Vernetzung und entsprechende Präventionsketten. „Die KiTa sollte ein Ort des mitfühlenden Handelns und Verstehens sein und kein Kind aufgeben“ resümierte Weinbach.

KiTa als Schutz- und Entwicklungsraum

podium kopie
v.l.n.r.: Gisela Wiesner, Karin Hooper, Michaela Kruse-Heine, Martina Vogel
In einem von Michaela Kruse-Heine moderierten Praxistalk mit KiTa-Leiter*innen wurde im Anschluss deutlich, dass es im Umgang mit dem Thema Armut einer sehr sensiblen und differenzierten Beobachtung bedarf. So unterstrich Martina Vogel von der Städtischen KiTa Schölerberg, dass viele materiell arme Familien ihren Kindern durchaus eine gute Lebens- und Beziehungsqualität bieten würden und dass andererseits Kinder aus begüterten Familien „wohlstandsverwahrlost“ seien. Auch Gisela Wiesner von der Städtischen KiTa Heiligenweg hob hervor, dass in armen Familien „viele Ressourcen und Fähigkeiten“ steckten und dass häufig eine große Bereitschaft vorhanden sei, diese in der KiTa einzubringen. Als tolles Beispiel der Unterstützung von (häufig von Armut betroffenen) Familien mit Migrationshintergrund stellte Karin Hooper das Projekt der Familienbegleiter*innen vor.

Grundsätzlich musste Martina Vogel aber auch feststellen, das Pädagogische Fachkräfte aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen häufig nicht die Möglichkeit hätten über den KiTa-Alltag hinaus zu helfen und ständig in Gefahr seien, sich zu zerreiben. „Wir versuchen aber zumindest allen Kindern in der KiTa eine gute Zeit zu bieten“ sagte sie.

In einem Workshoppanel konnten die Teilnehmer*innen der Tagung sich dann mit verschiedenen Aspekten der Kinderarmut in der KiTa befassen. Zentrale Fragen waren dabei, wie Pädagogische Fachkräfte eine vorurteilsbewusste bzw. armutssensible Haltung entwickeln können und wie die Teilhabe aller Kinder in der KiTa gewährleistet werden kann. Im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Eltern plädierte Workshop-Leiterin Anne Kuhnert vehement dafür, nicht zu bewerten und nicht zu belehren, sondern alle Eltern als Expert*innen ihrer Kinder ernst zunehmen und die konkreten Lebenskontexte zu berücksichtigen.

Impro panorama

Für Begeisterung sorgten auf der Tagung die beiden Auftritte des Improtheaters „Ratz Fatz“, die Inhalte aus den Vorträgen und Workshops sowie Stichworte aus dem Plenum in ebenso witzige wie geistreiche Szenen und Songs ummünzten. Sie boten noch einmal eine ganz anderen Zugang zum Thema Armut und provozierten überraschende Perspektivwechsel.



Download Präsentation Sabine Poppe

Karsten Herrmann

Tipp zum Weiterlesen:

nifbe-Themenheft Nr. 32