
Positiv vermerkte Maria Korte, dass die Fachberatung sich in den Ländern und auf Bundesebene zunehmend vernetze und selbst organisiere. In Niedersachsen übernehme die AG Pädagogische Fachberatung in Kitas diese Funktion. Ein Meilenstein auf Bundesebene sei das im Rahmen der BAG-BEK erarbeitete Positionspapier zum Selbstverständnis der Fachberatung.
Generalabrechnung mit (Bildungs-) Politik

Kritisch zeigte Cornelia Heintze auf, dass die Bildungsausgaben in Deutschland im internationalen Vergleich hinterherhinken und in den letzten Jahren gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) sogar zurück gegangen seien. Die viel beschworene „demographische Rendite“ sei der Politik auf die Füße gefallen und seit 2013 seien die Geburtenzahlen und die Anzahl der Kinder in Deutschland nicht zuletzt durch KiTa-Ausbau und Elterngeld wieder deutlich gestiegen. „Mit Blick auf die skandinavischen Nachbarn hätte die Politik dies wissen können und müssen“ tadelte sie. Für den frühkindlichen Bereich forderte sie statt der aktuell 0,6 Prozent vom BIP (ohne den U3-Bereich) 1,2 Prozent für die anstehenden Zukunftsaufgaben.
Ein „Totalversagen der Politik“ sah sie im Hinblick auf eine sich trotz eines langen konjunkturellen Aufschwungs verfestigte und sogar noch auf über 20 Prozent leicht gestiegene Kinderarmutsquote in Deutschland. Bei Alleinerziehenden sei die Quote der Armutsgefährdung zuletzt sogar auf 42,8 Prozent gestiegen.
Im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf konstatierte die ehemalige Stadtkämmerin eine „Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit“. So sei die gewünschte egalitäre Betreuung von Kindern durch Väter und Mütter weit von der Realität entfernt und die Geschlechtergleichstellung weiter nicht erreicht. Desweitere entspreche die KiTa-Infrastruktur sowohl im Hinblick auf Quantität wie Flexibilität noch längst den Bedarfen der Eltern.
Enormer Ausbau- und Fachkräftebedarf
Im Vergleich zu anderen und insbesondere den skandinavischen Ländern zeigt sich die Krippenbetreuung Cornelia Heintze zufolge in Deutschland noch auf bescheidenem Niveau. Nur 22 Prozent der unter Dreijährigen werde hier mehr als 30 Stunden pro Woche betreut und hier zeige sich zudem eine „extrem Spannweite“ zwischen den Landkreisen und Gemeinden auf Bundesebene.Neben dem weiteren quantitativen Ausbaubedarf fehlten heute in Deutschland nach Berechnungen der Bertelsmann Stiftung schon 130.000 pädagogische Vollzeitstellen für eine Qualitätsentwicklung nach wissenschaftlichen Standards. Weitere 300.000 Fachkräfte fehlten bis 2025 und eine Aufwertung des Erzieher*innenberufs sei dringend notwendig.
Abschließend holte Cornelia Heintze zu einer Generalkritik aus und beklagte eine „komplett absurde Finanzpolitik“ und „eine Bildungspolitik nach neoliberalem Muster“. Wie zuletzt beim Gute KiTa Gesetz herrsche eine „kurzatmige Förderpolitik“, die keine systematische Entwicklung und Planungssicherheit erlaube. „Der Staat tut zu wenig für seine Bürger*innen“ resümierte sie.
Was nun?

Willkommen in der VUKA-Welt!
Johanna Nolte konstatierte, dass die Zukunft sei in den KiTas schon Gegenwart sei und gestaltet werden müsse. Fragen wie „Wie viel Digitalisierung wollen wir in den KiTas, wie entwickeln wir multiprofessionelle Teams oder auch wie lange Betreuungszeiten sind für U3-Kinder aus entwicklungspsychologischer Sicht sinnvoll“ warteten darauf, beantwortet zu werden.Sie zeichnete das Bild einer VUKA-Welt, die insbesondere durch vier Merkmale gekennzeichnet sei:
- Volatilität (Unbeständigkeit)
- Unsicherheit
- Komplexität
- Ambiguität (Mehrdeutigkeit)
Im Hinblick auf die krisenhafte Darstellung der Gesellschafts- und Bildungspolitik durch Cornelia Heintze sagte sie: „Wir reden nicht über eine Krise, sondern über die Normalität.“ Die Idee von sicheren, eindeutigen Verhältnissen gebe es nicht mehr und mit mehr Geld alleine werde es auch nicht besser. In der heutigen Welt seien „Wendigkeit“, „Mut“, „Systemdenken“ und „Perspektivwechsel“ vonnöten – Eigenschaften, die pädagogische Fachkräfte in der Praxis mit den Kindern schon längst unter Beweis stellten und die nun auch im Hinblick auf die Struktur und Entwicklung der Organisationen angewandt werden müssten. „Warum“, so fragte Johanna Nolte etwas provokativ, „erstellen KiTas immer wieder aufwändige Dienstpläne, wenn am nächsten Morgen doch wieder alles anders kommt?“ Sie forderte daher eine „Agile KiTa“, die sich definiert durch:
- Änderbare und flexible Lösungen
- eine schnelle Reaktion auf Veränderung sowie eine schnelle Implementierung von Ideen
- Personalflexibilität im Sinne gut ausgebildeter und vielfältig einsetzbarer Mitarbeiter
- Ständige Rückkopplung mit allen, die teilhaben
- Schaffung einer Beweglichkeit aus einem eigenen Antrieb heraus in der Regel sogar bevor eine Situation oder ein Geschehen diese Beweglichkeit notwendig bzw. erforderlich macht
„Agile KiTa“
Entscheidend sei heute für pädagogische Fachkräfte zunächst einmal den Boden unter den Füßen zu sichern, die Sinnhaftigkeit der Arbeit zu formulieren, lösungsorientiert zu kommunizieren sowie mündig zu sein und Verantwortung zu übernehmen. Notwendig sei im Alltag eine Entschlackung und das kritische Hinterfragen von alten Routinen und Logiken. Gefragt sei eine Fokussierung und das Vermeiden von Umwegen: „Alles, was nicht wirklich wichtig ist, ist überflüssig“.Abschließend unterstrich Johanna Nolte für das Leben und Arbeiten in der VUKA-Welt: „Es gibt ebenso wenig die einfache Lösung wie das genau zu definierende Problem.“

Im zweiten Teil des Tages diskutierten die rund 70 Fachberater*innen unter der Moderation von Johanna Nolte in Open Space-Foren ihre aktuellen Themen. Bearbeitet wurden Fragen wie „Wie kann ich die Veränderungsbereitschaft in KiTas fördern?“. „Kann eine systematische Organisationsentwicklung aus dem Hamsterrad führen?“, „Wie sortiere und filtere ich meine Aufgaben und Anforderungen?“ oder „Wie frei muss Fachberatung sein?“. Die Ergebnisse werden jetzt vom nifbe ausgewertet und in den weiteren Professionalisierungsprozess der Fachberatung eingespeist.
Karsten Herrmann