Ist eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft realistisch?


Was bedeutet die allerorten beschworene Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften in der KiTa eigentlich bei genauerem Hinblicken? Ist eine Kooperation und Zusammenarbeit auf Augenhöhe überhaupt realistisch bei der großen individuellen, sozialen und kulturellen Vielfalt von Familien und ihren jeweiligen Erziehungsvorstellungen? Diese Frage stand im Fokus der Jahrestagung der Deutschen Liga für das Kind und fand einige doch überraschende Antworten.

Zur Einführung wies Prof. Dr. Susanne Walper, Präsidentin der Deutschen Liga für das Kind, auf die Bedeutung einer engen Zusammenarbeit zwischen Eltern und ErzieherInnen hin: „Je früher und je länger Kinder in Krippe und Kindergarten kommen, desto wichtiger ist eine Erziehungs- und Bildungspartnerschaft“. Eltern und ErzieherInnen seien dabei aber keine gleichen PartnerInnen, sondern PartnerInnen mit unterschiedlichen Kompetenzen, die sich gegenseitig ergänzen könnten. Auch im Hinblick auf die Integration von Kindern mit Migrations- oder Fluchthintergrund sei der Austausch über möglicherweise unterschiedliche Erziehungsstile und Erziehungsziele wichtig und nutze allen Beteiligten. Für eine solche Erziehungs- und Bildungspartnerschaft müssten jedoch auch die entsprechenden Rahmenbedingungen zum Beispiel im Hinblick auf verbesserte Personalressourcen geschaffen werden. So forderte die Präsidentin der Deutschen Liga für das Kind:
  • die Erweiterung des Stundenkontingents der Pädagoginnen und Pädagogen für sogenannte mittelbare pädagogische Tätigkeiten wie Elterngespräche und Vernetzung im Sozialraum,
  • die Einrichtung von für Eltern leicht erreichbaren Ombuds- und Beschwerdestellen,
  • die Etablierung des Kinderrechtsansatzes in Kitas und KindertagespflegeKindertagespflege|||||Kindertagespflege oder Tagespflege umfasst eine zeitweilige Betreuung von Jungen und Mädchen bei Tagesmüttern oder Tagesvätern. Nach dem Tagesbetreuungsausbaugesetz von 2004 ist die Tagespflege neben der Tagesbetreuung in Kindertageseinrichtungen eine gleichwertige Form der Kindertagesbetreuung. stellen,
  • die Vermittlung kultursensibler Beratungs- und Elternbildungskompetenzen in den Aus- und Fortbildungen sowie
  • den Ausbau der Forschung im Bereich Erziehungs- und Bildungspartnerschaft.

Widersprüche und Dilemmata

Gegen den Strich bürstete Prof. Dr. Tanja Betz den DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput.  rund um die mittlerweile weithin als Selbstverständlichkeit wahrgenommene Erziehungs- und Bildungspartnerschaft. „Was bedeutet eine solche Erziehungs- und Bildungspartnerschaft genau, wie sieht die Zusammenarbeit aus und was passiert im Zusammenspiel?“ fragte sie kritisch. Aus einer Dokumentenanalyse von Fachbeiträgen in KiTa-Zeitschriften und den Bildungsplänen der Länder gehe die Botschaft hervor, dass das Konzept der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft „für alle Beteiligten sehr gut und sehr sinnvoll ist“ und dass hier in ein „Dialog auf Augenhöhe“ sowie „eine Ressourcen- statt Defizitorientierung“ stattfinde. Nicht klar werde in diesen Beiträgen allerdings, „ob das jetzt so ist oder ob das nur so sein soll“. Wissenschaftlich gebe es noch keine eindeutigen Ergebnisse im Hinblick auf den Vorteil einer Erziehungs- und Bildungspartnerschaft und das Partnerschaftskonzept sei schon „theoretisch nicht ganz einfach zu denken“. So hätten Fachkräfte und Eltern in der Regel „ganz unterschiedliche Perspektiven auf die Zusammenarbeit und Vorstellungen davon, was dem Wohl des Kindes dient“.

Die allseits geforderte Augenhöhe und Symmetrie der Beziehung zeige sich bei näherer Betrachtung als schwierig umzusetzen – so gerate schon bei einem von der Fachkraft vorbereiteten und geleiteten Elterngespräch die Symmetrie ins Wanken. Noch größer werde die Schieflage, wenn allerorten eine „mangelnde Erziehungskompetenz der Eltern beklagt und der KiTa eine kompensatorische Funktion zugesprochen wird“. Damit werde die Familie „zum Gegenstand pädagogischer Intervention“ und die Fachkraft in der KiTa gerate im Hinblick auf die Augenhöhe in ein unauflösbares Dilemma.

Letztlich, so Prof. Dr. Tanja Betz, sei die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft auch eine „politische Strategie“, die insbesondere von der OECDOECD||||| OECD beinhaltet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und besteht aus 34 Mitgliedsstaaten, die sich der Demokratie und Marktwirtschaft verpflichtet fühlen. Die Organisation wurde 1961 gegründet und hatte den Wiederaufbau Europas als Ziel.  forciert werde. So werde sie in „Starting Strong“ als „unerlässlich“ bezeichnet und umfasse hier im Sinne einer strategischen Partnerschaft die „Beratung und Anleitung“ wie auch eine Prüfung und Messung des entsprechenden „Outcomes“ bei den Eltern - zum Beispiel durch Hausbesuche (!).

Und wo ist das Kind?

Aus der juristischen Perspektive fügte Dr. Thomas Meysen den Stolperfallen und Widersprüchen der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft noch folgende kritische Frage hinzu: „Wo kommt das Kind in der Erziehungspartnerschaft vor?“ Er unterstrich aus kinderrechtlicher Perspektive, dass das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen und dessen Beteiligung und aktive Mitgestaltung unabdingbar seien.

Mit den Vorträgen von Prof. Dr. Tanja Betz und Dr. Thomas Meysen wurde deutlich, dass sich in dem oftmals unhinterfragten Konzept der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft doch einige ungeklärte Fragen und dilemmmatische Anforderungen an die pädagogischen Fachkräfte in der KiTa verbergen. Von niemandem in Zweifel gezogen wurde allerdings die grundsätzliche Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften. Wie das gelingen kann, zeigten auf der Tagung der Deutschen Liga für das Kind Daniela Kobelt-Neuhaus und Prof. Dr. Birgit Leyendecker.

Fragen, zuhören, Perspektiven wechseln

Mit einem Augenzwinkern fragte Daniela Kobelt-Neuhaus zunächst einmal, welche Rolle denn Eltern in einer KiTa spielen. Seien sie willkommene Gäste oder Zulieferer für Kuchenbuffets und den Materialfundus der KiTa oder gar zu Erziehende? Sie plädierte dafür, dass Eltern und Fachkräfte sich als „gemeinsam im Dialog Lernende“ verstehen und in der konkreten Zusammenarbeit versuchen sollten „persönliche Hürden“ und auch „Fremdheit“ zu überwinden. Zentral für Fachkräfte sei es „nicht wertende Fragen zu stellen“, „wirklich zuzuhören“ und „auch einmal die Perspektiven zu wechseln“.

Daniela Kobelt-Neuhaus unterstrich allerdings auch, dass der großen Elternvielfalt in der KiTa mit eigenen Orientierungen und Wertvorstellungen begegnet werden müsse. Diese sollten in einem - idealerweise gemeinsam mit den Eltern entwickelten – Konzept hinterlegt sein, in dem das Bild vom Kind sowie die Erziehungs- und Bildungsziele in der KiTa erläutert werden. Um dies selbstbewusst zu vertreten, müssten pädagogische Fachkräfte auch „wissen, wer man ist und wie man so geworden ist“ und sowohl die eigenen Vorurteile in den Blick nehmen wie auch generell vorurteilsbewusst agieren. Dazu seien Biographiearbeit, kollegiale Beratung und stetige Selbstreflexion notwendig.

Mit einem systemischen Blick sollten Fachkräfte des Weiteren „unterschiedliche Lebenswirklichkeiten wie die der KiTa und der Familie wahrnehmen und verbinden“ sowie sich sozialräumlich vernetzen. Im Sinne einer Begleitung komme es, so Daniela Kobelt-Neuhaus, darauf an „feinfühlig neben den Eltern herzugehen“ und sie bei Bedarf durch die „Vermittlung von Wissen und Können“ zu stärken.

Niedrigschwellige Angebote

Für eine „niedrigschwellige Bildungspartnerschaft“ plädierte Prof. Dr. Birgit Leyendecker im Hinblick auf die Zusammenarbeit von KiTa und zugewanderten Familien. Pädagogische Fachkräfte müssten dazu zunächst einmal ihre Einstellungen zu Sprache und Kultur der jeweiligen Herkunftsländer überprüfen und eigene Vorurteile und Stereotypen reflektieren. Im Hinblick auf zugewanderte Eltern sei zu berücksichtigen, dass diese oft sehr hohe (und damit oft auch unrealistische) Bildungserwartungen im Hinblick auf ihre Kinder hätten und zum Teil das System KiTa noch gar nicht kennen würden. Hinzu kämen z.B. Misstrauen darauf, ob das Essen in der KiTa den jeweiligen religiösen Vorschriften entspreche.

Ebenso wie Erziehungs- und Sozialisationsvorstellungen würden zwischen Fachkräften und zugewanderten Eltern auch die Erwartungen zum Beispiel im Hinblick auf regelmäßiges Erscheinen oder Pünktlichkeit differieren. In vielen Kulturen hätten Eltern auch eine andere Rolle als hierzulande und so sei zum Beispiel das Reden und Spielen mit den Kindern nicht überall selbstverständlich.
As Ursachen für das Scheitern einer niedrigschwelligen Bildungspartnerschaft markierte Birgit Leyendecker „eine oft hohe Belastung von zugewanderten Familien durch Stress, geringe Ressourcen und fehlende soziale Unterstützung“.
Dazu kämen oftmals geringe Kenntnisse der deutschen Sprache und des deutschen Bildungssystems und über die hier selbstverständliche Elternbeteiligung. Wichtig sei daher eine „Willkommenskultur der KiTa“ sowie die Vernetzung der Eltern untereinander (z.B. über Elterncafés) wie auch mit dem Sozialraum. Neben kreativen Ideen für die Beteiligung von zugewanderten Eltern (z.B. Nähmaschinen in der KiTa) komme es auch darauf an, die richtigen engagierten Personen auf Seiten der KiTa wie auch wichtige tonangebende Personen auf Seiten der Elternschaft zu identifizieren und zu überzeugen.

„Im Idealfall“, so Birgit Leyendecker, „findet die Förderung der Kinder als Transfer zwischen KiTa und Familie statt“ - so z.B. durch das Austauschen von Büchern, durch den Sprachentransfer, gemeinsame Unternehmungen und das Vernetzen der Eltern untereinander. Grundsätzlich gelte es „die Selbstwirksamkeit der Eltern zu unterstützen“.

Als Grundsätze für die erfolgreiche Kooperation führte sie abschließend folgende Punkte auf:
  • Kontext / Lebenslage schwer erreichbarer Familien reflektieren
  • Aktive und geplante Ansprache durch graduelle Einstiegsangebote
  • Geduld, leichte Sprache, persönliche Haltung reflektieren
  • Haltung und Kenntnisstand zu früher Bildung ansprechen / Informationsvermittlung
  • Bedürfnisse der Eltern erfragen und berücksichtigen

Was wollen Eltern und Fachkräfte eigentlich?

Daten aus der empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden.en Forschung hatte Prof. Dr. Bernhard Kalicki vom DJI mit zur Tagung gebracht. Sie unterstrichen noch einmal, dass die Anzahl der Bildungsanregungen in der Familie stark vom sozio-ökonomischen Status der Eltern abhängen und das Kinder von erwerbslosen Eltern besonders wenige bekommen. In diesem Sinne, so Kalicki, komme der KiTa eine „kompensatorische Förderung“ zu. In Erweiterung der traditionellen Elternarbeit (mit Anmeldegespräch, Info-Veranstaltungen, Elternbriefen, Entwicklungsgesprächen, Festen usw.) sollten sich Fachkräfte und Eltern in der Bildungs- Und Erziehungspartnerschaft „im Sinne des Wohles der Kinder füreinander öffnen, sich austauschen und gegenseitig bereichern“.

Doch wie sehen die gegenseitigen Erwartungen von Fachkräften und Eltern in einer solchen Partnerschaft aus? Die empirischen Daten zeigten auf, dass es im Hinblick auf die Bereiche „Wohlbefinden“, „Soziales Lernen“, „Förderung“ oder „Regelbefolgung“ der Kinder eine hohe Übereinstimmung gibt, dass aber „die Standards und Ansprüche der Fachkräfte immer noch ein bisschen höher sind“. Auseinander gehen die Erwartungen aber im Hinblick auf eine konkrete Kooperation, wie zum Beispiel „Übereinstimmung der Erziehungsziele“, „Kindbezogener Austausch“, „Beteiligung und Kritik“ oder „Interesse an der Familie“. Hier hatten die Eltern wesentlich weniger Erwartungen bzw. Bereitschaft zum Austausch und zur Zusammenarbeit wie die Fachkräfte und es wurde eine deutliche Abgrenzung vom familiären Alltag zum KiTa-Alltag deutlich. Einblicke in das Familienleben und die Familienerziehung gehören für Eltern so eher nicht zu einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit der Kita. Kaum vorstellbar waren allerdings auch auf der Seite der Fachkräfte die ja beispielsweise von der OECD angeregten „Hausbesuche“ bei Eltern.

Bernhard Kalicki resümierte: „KiTa kann und soll Eltern unterstützen, aber die Versuche der Einflussnahme müssen sehr vorsichtig und sensibel sein, denn ungebetener Rat ist schnell eine Grenzüberschreitung.“ Kritik am Kind gehe den Eltern unter die Haut und stelle nicht nur ihre Erziehungskompetenz infrage, sondern unterminiere auch das für eine Kooperation unabdingbare Vertrauen. Grundsätzliche müsse eine Rollenvermischung zwischen Pädagogischer Fachkraft und Erziehungsberechtigten vermieden werden.

In diesem Sinne lautete die Botschaft der Tagung auch, die Ansprüche an eine „Bildungs- und Erziehungspartnerschaft“ nicht zu überfrachten und sich als Fachkraft ihrer inhärenten Widersprüche bewusst zu sein - zum Beispiel im Hinblick auf einen „Dialog auf Augenhöhe“.  Viel erreicht ist schon, wenn Fachkräfte und Eltern in einen offenen und ressourcenorientierten Austausch über die gegenseitigen Erwartungen und die (möglicherweise unterschiedlichen) Bildungs- und Erziehungsziele kommen und voneinander lernen können.

Karsten Herrmann