6. Osnabrücker Kongress "Bewegte Kindheit" eröffnet

Einradfahren, Kosakentanz und Fahnenturnen – mit farbenprächtiger und ausdrucksstarker Artistik rissen die Kinder des Zirkus Luftikus bei der Eröffnung des 6. Osnabrücker Kongresses „Bewegte Kindheit“ die über 2500 TeilnehmerInnen fast von ihren Sitzen. Unmittelbar führten sie den aus ganz Deutschland, weiten Teilen Europas und sogar aus Asien angereisten Erzieherinnen, Pädagogen und Wissenschaftlern vor Augen, wie sich durch körperliche Bewegung die Kreativität, Begeisterung und das Selbstvertrauen von Kindern entfalten und ihre Persönlichkeit positiv entwickeln kann.

Und so verdeutlichte schon das Rahmenprogramm das Ziel des in Kooperation von Universität Osnabrück und dem Niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung veranstalteten Kongresses: Mit rund 180 zwischen Theorie und Praxis angesiedelten Einzelveranstaltungen soll hier über drei Tage aufgezeigt werden, welche Bildungs- und Entwicklungsprozesse in der frühen Kindheit durch Bewegung ermöglicht werden. „Denn Bewegung“, so die Kongressleiterin Prof. Dr. Renate Zimmer, „ist der Bildungsmotor und das Tor zum Lernen.“ Über Bewegung könne nicht nur Gesundheit gefördert werden, sondern auch musische Talente, mathematische Grundlagen und vor allen Dingen auch die Sprache. Wie die Sportwissenschaftlerin hierzu ausführte, bietet Bewegung im Kindergartenalltag den idealen Ausgangspunkt für die unterschiedlichsten Sprachanlässe. Die Wirksamkeit einer solchen im wahrsten Sinne des Wortes beiläufigen Sprachförderung sei durch ein Pilotprojekt wissenschaftlich unter Beweis gestellt. Da zugleich der Erfolg isolierter und kostspieliger Sprachfördermaßnahmen durch jüngste wissenschaftliche Untersuchungen in Frage gestellt sei, konstatierte sie in der Sprachförderung „ein grundsätzliches Umdenken“.

Präventive Kraft einer bewegten Kindheit


In Bezug auf den Amoklauf von Winnenden stellte Prof. Dr. Renate Zimmer auch die präventive Kraft einer „bewegten Kindheit“ in Zeiten von Fernsehen, Computer und Play Station heraus: Durch Bewegung würden Kinder ihre Grenzen kennen lernen, Selbstwirksamkeit und Selbstvertrauen entwickeln und zugleich auch lernen mit Misserfolgen umzugehen. „Vielleicht“, so schloss sie, „können wir mit diesem Kongress ein kleines Stück dazu beitragen, solche Taten in Zukunft zu verhindern.“
Mit dem gleichen Tenor sprach auch Niedersachsens Sozial- und Familienministerin Mechthild Ross-Luttmann dem Bildungsbereich Bewegung eine „zentralen Stellenwert“ zu und forderte „Impulse für mehr Bewegung“. Sie kündigte einen in Kürze startenden Wettbewerb ihres Ministeriums unter dem Titel „Familien in Bewegung“ an. Als modellhaft hob sie auch das von Renate Zimmer in dem vom Land geförderten Projekt „Vom Greifen zum Begreifen“ heraus, in dem eine bewegungsorientierte Fortbildung für Tagespflegekräfte entwickelt worden ist.
In einer engagierten Rede räumte der Staatssekretär im Bundes-Familienministerium, Gerd Hoofe, einen weiterhin großen Handlungsbedarf in Bezug auf den sowohl quantitativen wie qualitativen Ausbau der Kitas und der KindertagespflegeKindertagespflege|||||Kindertagespflege oder Tagespflege umfasst eine zeitweilige Betreuung von Jungen und Mädchen bei Tagesmüttern oder Tagesvätern. Nach dem Tagesbetreuungsausbaugesetz von 2004 ist die Tagespflege neben der Tagesbetreuung in Kindertageseinrichtungen eine gleichwertige Form der Kindertagesbetreuung.  ein: „Wir stehen in Europa nicht vorne und auch nicht in der Mitte, sondern eher am Ende.“ Zugleich zeigte er sich aber überzeugt, die hoch gesteckten Ziele bis 2013 zu erreichen. Er plädierte dabei für „die bestmögliche Förderung der Gesundheit und Bewegung der Kinder“ – dies umso mehr, als rund 1/5 der Kinder gesundheitliche Auffälligkeiten zeigten. Kinder bräuchten eine bewegte Kindheit mit Freiräumen, um sich optimal entwickeln zu können. „Hier geht es“, so Hoofe, „ ganz elementar um eine gelingende Zukunft mit starken Kindern und starken Eltern.“

Auf die ersten Jahre kommt es an


Die Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit aus neurobiologischer Sicht zeigte Prof. Dr. Gerhard Roth in seinem Festvortrag auf. Die frühkindliche Bindungserfahrung“, so der Bremer Hirnforscher, „ist dabei die wichtigste in unserem Leben, denn durch sie wird unser späteres individuelles und gesellschaftliches Verhalten bestimmt – vom Selbstwertgefühl über Empathie bis hin zur Verantwortlichkeit.“ Eindringlich zeigte er auf, dass pränatale und frühe postnatale negative Einflüsse und Misshandlungen insbesondere zur starken Beeinträchtigung des neuronalen Stress-Regulierungssystems wie auch des Beruhigungs- und Belohnungssystems führten. Dies könne später ebenso zu autoaggressiven Tendenzen wie zu einer ausgeprägten Gewaltbereitschaft anderen Menschen gegenüber bis hin zum Amoklauf führen. Da die in früher Kindheit verursachten Defizite später nur schwer behoben werden können, lautete Roths zwingende Schlussfolgerung: „Auf die ersten Jahre kommt es an!“