Die angeborene, genetisch bedingte Lese-/Rechtschreibstörung (Legasthenie) und die Rechenschwäche (Dyskalkulie) sind Beeinträchtigungen, die Kinder in ihrer persönlichen, sozialen und emotionalen Entwicklung wesentlich beeinflussen können. Viele Betroffene erfahren oftmals schon zu Beginn ihrer Schulzeit Diskriminierungen, obwohl sie, wissenschaftlich belegt, vielfach einen normalen bis überdurchschnittlichen Intelligenzquotienten haben. Petra Wontorra, Niedersächsische Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, warnt: „Vorhandene Talente können aber verkümmern, wenn die individuelle Leistung kaum Wertschätzung erfährt. So können auch für den Arbeitsmarkt wertvolle Potentiale verloren gehen."

Am 30. September 2016 wird erstmalig und bundesweit der Tag der Legasthenie und der Dyskalkulie begangen, um mit vielen Aktionen auf die Bedürfnisse der betroffenen Kinder aufmerksam zu machen. Wontorra fordert: „Das Bildungssystem muss den individuellen Stärken und Schwächen aller Schülerinnen und Schüler genügend Raum geben, um erfolgreich und selbstbewusst die Schule und daran anschließend eine gute Ausbildung oder ein Studium absolvieren zu können." Die Landesbeauftragte erfährt häufiger, dass die vorgesehenen Nachteilsausgleiche noch nicht immer ausreichend greifen und weist darauf hin, dass deshalb manche Potentiale im System quasi „verloren" gehen. Manche Betroffene, selbst mit überdurchschnittlicher Intelligenz, erreichen nur einen niedrigen Bildungsabschluss. Ziel muss aber sein, dass alle Schülerinnen und Schüler flächendeckend frühzeitig und begabungsgerecht gefördert werden. Alle Kinder müssen die Chance erhalten, gesund, erfolgreich und selbstbewusst aufzuwachsen. Wontorra erläutert weiter: „Von Förderansätzen für Kinder mit einer Teilleistungsstörung profitieren letztlich alle Kinder mit Schwierigkeiten im Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen. Eine reine Stoffwiederholung hilft diesen Kindern meist wenig." Sie betont, dass Bildung sich nicht allein auf Wissen reduzieren lassen sollte und führt aus: „Wer sich bildet, der bildet auch seine Persönlichkeit." Es geht um Urteilsvermögen und darum, Probleme zu erkennen und zu lösen.

Die möglichst frühzeitige Diagnose sowie schulische und außerschulische Unterstützung hingegen schaffen die Voraussetzung, um weitere Lernschritte und eine begabungsgerechte Schul- und Ausbildungslaufbahn zu ermöglichen. Auch die hohe psychische Belastung sowie eine oft ausgeprägte Matheangst der Betroffenen können abgebaut oder verhindert werden. Kinder, bei denen Legasthenie festgestellt wurde, können mit passender Förderung ihre Fähigkeiten so entwickeln, dass ein Teil der Kinder irgendwann unauffällig lesen und schreiben kann. „Hilfsmittel wie Rechtschreibprogramme auf Laptops und Smartphones helfen den Betroffenen später, Defizite zu kompensieren", fügt Wontorra hinzu und appelliert: „Legasthenie und Dyskalkulie wachsen sich nicht aus. Gerade deshalb ist es wichtig, Kinder nicht auf Ihre Schwächen zu reduzieren." Sie hofft, dass sich das Bildungssystem noch besser auf die speziellen Bedürfnisse einstellt und dass Potentiale nicht nur erkannt, sondern auch individuell gefördert werden.

Quelle: Presse-Info Nds. Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung