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Sexuelle Bildung von Anfang an

Oder warum Sexualität ein elementar-pädagogisch bedeutsames Lernmoment ist

Inhaltsverzeichnis

  1. 1.1 Sexualpädagogik- ein Teilgebiet der Sozialpädagogik
  2. 1.2 Sexualerziehung als Sozialerziehung
  3. 1.3 Von der Sexualaufklärung über die Sexualpädagogik hin zur sexuellen Bildung
  4. 2. Sexuelle Bildungskompetenzen
  5. 2.1 Sexuelle Bildungskompetenzen in einzelnen Handlungsfeldern
  6. 2.2 Sexuelle Bildung & sexuelle Entwicklung in der Kindheit
  7. Sexuelle Entwicklung im Jugendalter
  8. 3. Sexuelle Bildung & Arbeit mit Sorgeberechtigten
  9. 3.1 Der Elternabend
  10. Literatur

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Sexuelle Entwicklung im Jugendalter

Die Jugendphase ist ein gleitender Übergang zwischen Kindheit und Erwachsenenphase. Dabei ist grundsätzlich auch innerhalb der Literatur die Herausforderung, das Sozialkonstrukt Alter überhaupt definierbar zu machen. Grundsätzlich lässt sich Alter in verschiedene Perspektiven aufteilen, wie folgende Abbildung zeigt:

Altersbegriff copy
Abbildung 3: Mögliche Altersbegriffe nach Schneider/Eikelbeck 1995, Hierholzer 2021



































Sowohl bei Jugendlichen als auch in der Gesellschaft allgemein findet eine Veränderung der Wahrnehmung der jungen Menschen statt, wie zum Beispiel neue Privilegien, welche Jugendliche als neue Freiheiten erleben. Zum Beispiel den Besuch von Diskotheken und längere Ausgangszeiten. Dabei unterliegt die Phase der Jugend historischen, kulturellen sowie gesellschaftspolitischen Wandlungen. Für das folgende Kapitel wird Jugend als eine Art Übergang zwischen Kindheit und Erwachsensein verstanden (vgl. Hierholzer 2016:40f.).

Havighurst war einer der ersten, der sich mit möglichen zu bewältigenden Aufgaben in der Jugendphase beschäftigte. Demnach ist das Jugendalter von verschiedenen Entwicklungsaufgaben geprägt. Dreher und Dreher haben diese Entwicklungsaufgaben zusammengefasst (vgl. Hierholzer 2016: 41). Dabei ist zu beachten, dass diese Aufgaben wie auch bei der sexuellen Entwicklung von Kindern, nicht statisch zu sehen sind, sondern Jugendliche und Umwelt sich gegenseitig bedingen:

  • Peer: Aufbau eines Freund*innenkreises mit reiferen Beziehungen zu Peers aller Geschlechter
  • Rolle: Übernahme der weiblichen oder männlichen Geschlechtsrolle
  • Körper: Akzeptieren des eigenen körperlichen Erscheinungsbildes und der Veränderungen
  • Intimität: Beginn intimer Beziehungen zur*zum Partner*in
  • Ablösung: Gewinnen emotionaler Unabhängigkeit von Bezugspersonen
  • Beruf: Vorbereitung einer beruflichen Karriere
  • Selbst: Über sich selbst im Bild sein
  • Werte: Erstreben und Erreichen eines sozial verantwortungsvollen Verhaltens
  • Zukunft: Entwicklung einer Zukunftsperspektive
  • Partner*innenschaft/Familie: Vorbereitung auf eine andauernde Partner*innenschaft und Familie (vgl. Dreher und Dreher 1985: 61).

Aus den Erkenntnissen von Havighurst und Dreher/Dreher entwickelte Fend (2003) einen erweiterten handlungsorientierten Ansatz. Fend geht davon aus, dass Jugendliche in eine Gesellschaft eingebunden sind, diese aber auch beeinflussen können. Somit ist die sexuelle Entwicklung des Jugendalters durch eine Wechselwirkung zwischen ihm und der Gesellschaft gekennzeichnet. Fend macht dafür zwei Aspekte bzw. Entwicklungsaufgaben fest:

1. Den Körper bewohnen lernen
2. Umgang mit Sexualität lernen

Unter der Überschrift „Den Körper bewohnen lernen“, versteht Fend vor allem ein durch die Gesellschaft vorgegebenes Körperideal. Durch Werbung, Kosmetik- und Textilindustrie wird Jugendlichen suggeriert, wie ein idealer Mann/eine ideale Frau auszusehen, sich zu kleiden und zu schminken hat. Die wenigsten Jugendlichen und auch Erwachsenen können diesem (häufig durch Bildbearbeitung nachgeholfenem) Schönheitsideal standhalten. Die einsetzenden körperlichen Veränderungen erschweren es den Jugendlichen zusätzlich, sich komplett anzunehmen. Gerade Mädchen zwischen dem neunten und zwölften Lebensjahr, deren Brüste anfangen zu wachsen, können darauf verunsichert reagieren, wenn ihre Brüste anscheinend zu klein oder zu groß sind. Auch das Einsetzen der Menarche (erste Regelblutung) zwischen dem elften und dreizehnten Lebensjahr kann zu Verunsicherung bei Mädchen führen. Die körperliche Entwicklung der Jungen setzt in der Regel später ein, zwischen dem zwölften und sechzehnten Lebensjahr. Die Ejakularche (erste Ejakulation), findet zwischen dem zwölften und siebzehnten Lebensjahr statt (vgl. Kluge 1998). Neuere Forschungen konnten zeigen, dass nicht nur Hormone Gefühlsschwankungen bei den Jugendlichen hervorrufen, sondern dass auch die Jugendlichen Einfluss auf das Hormonsystem haben (Fend 2003).

Abb3

Fend befragte Jugendliche zu ihrem pubertären Prozess und konnte feststellen, dass grundsätzlich Fragen der „Normalität“ entscheidende Fragestellungen für Jugendliche sind. Es dreht sich fast alles darum, ob der Junge/das Mädchen normal im Sinne von angemessen für die Peers und das Alter ist. Das Dazuzugehören in die Gruppe ist von größter Wichtigkeit. Das Tragen gleicher Klamotten, das Hören der gleichen Musik sind Ausdruck von Zugehörigkeit und damit ein Indikator für Normalität. Fend befragte Mädchen in der Schweiz und fand heraus, dass für sie vor allem das industriell geprägte Schlankheitsideal maßgebend für Normalität war. Die wenigsten Mädchen können jedoch auf Grund der hormonellen und körperlichen Veränderung in diesem Zeitabschnitt diesem Ideal überhaupt entsprechen. Daraus folgt auch, dass Mädchen ihr Aussehen grundsätzlich negativer bewerten als Jungen. Auch das Körpergewicht ist ein entscheidender Indikator für Normalität. Zu dick oder zu dünn zu sein ist eine große Sorge beider Geschlechter. Jungen haben darüber hinaus häufig Probleme mit Akne und ihrem Stimmbruch. Problematisch ist in diesem Zusammenhang besonders, dass Jugendliche, die nicht glauben, dass sie attraktiv sind, auch glauben nicht beliebt zu sein. Dies führt mitunter zu schweren pubertären Krisen. „Mädchen scheinen insgesamt eher Depressionsphänomene zu erleben, Jungen bringen ihre Unausgeglichenheit durch Verhaltensauffälligkeiten zum Ausdruck“ (Fend 2003: 251).

Umgang mit Sexualität lernen
Durch das Einsetzten der Geschlechtsreife sind Jugendliche gezwungen, ihre genitale Sexualität mit in ihre Gesamtpersönlichkeit zu integrieren (vgl. Kluge 1998). Fend beschreibt in diesem Zusammenhang vor allem zwei Entwicklungsanforderungen:

  • Entwicklungsanforderung: sexuelle Authentizität: „Sexualität muss in das eingebettet sein, was eine Person für sich als gut und ihr gemäß empfinden kann“ (Fend 2003:257).
  •  Entwicklungsanforderung: Verknüpfung von Sexualität und sozialer Bindung
In Frühformen haben schon kleine Kinder erste „Liebesbeziehungen“, in denen verschiedene Gefühlsregungen erlernt werden. Während der Pubertät werden diese Beziehungen intensiviert und um den Geschlechtsakt bzw. Vorstufen wie Petting erweitert. „Zu lernen, Liebesbeziehungen einzugehen und zu lösen, könnte deshalb mit Fug und Recht als die übergeordnete Aufgabe angesehen werden. Die Bewältigung der Sexualität, wird damit ein Kernaspekt der sozialen Entwicklungsaufgabe im Jugendalter“ (Fend 2003:258). Für die meisten Jugendlichen stellt die zweite Entwicklungsanforderung eine hohe Herausforderung dar. Das Eingehen dauerhafter Beziehungen ist schwierig, da noch keine Vorerfahrungen bestehen, wie in einer Beziehung kommuniziert werden kann. So haben die meisten Jugendlichen Fragen in Bezug auf das Ansprechen von Problemsituationen innerhalb der Partner*innenschaft. Häufig zerbrechen erste Beziehungen schnell, da in ihnen erste Schritte zur gemeinsamen Paarbeziehung erlernt werden (vgl. Plies/Nickel/Schmidt 1999).



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