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Kulturelle Unterschiede in der Erziehung - Vertiefung

Inhaltsverzeichnis

  1. Was verstehen wir unter Kultur?
  2. Soziodemographische Kontexte und kulturelle Modelle
  3. Konsequenzen für die Erziehung
  4. Gefahren des normativen Blicks
  5. Wohin geht die Reise?
  6. Weiterführende Literaturhinweise

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1. Was verstehen wir unter Kultur?

Wir definieren soziokulturelle Kontexte als Lebenswelten mit bestimmten soziodemographischsoziodemographisch|||||Soziodemographische Daten werden häufig in Sozialforschungen erhoben. Der Begriff, der Bevölkerungsmerkmale beschreibt, umfasst häufig Kategorien wie: Geschlecht, Alter, Familienstand, Religion, Schulabschluss, Nationalität, Haushaltsgröße etc.en Charakteristika, in denen Menschen leben, die Werte, Normen und Einstellungen teilen und die sich ähnlich verhalten. Zwei grundlegende Themen, die in allen soziokulturellen Kontexten für das soziale Miteinander und insbesondere auch für die Erziehungsvorstellungen von Eltern eine große Rolle spielen sind dabei Autonomie und Verbundenheit.

Verhalten und Erleben, das durch Autonomie gekennzeichnet ist, zeichnet sich durch das Primat des Individuellen aus. Allgemein ist damit die Selbständigkeit des Individuums in Bezug auf zentrale psychische Prozesse wie Emotion, Willensbildung, Motivation und Kognition gemeint. Dem unabhängigen und eigenständigen Funktionieren wird zentrale Bedeutung zugeschrieben: es ist zentral, sich selbst und seine Gedanken und Gefühle zu erleben, sich selbständig seine Meinung zu bilden, Urteile zu fällen und Entscheidungen zu treffen. Verhalten und Erleben, das sich an dem kulturellen Modell der Verbundenheit orientiert, ist stark an normativnormativ|||||Normativ  bedeutet normgebend, somit wird etwas vorgeschrieben, dass Normen, Regeln oder ein „Sollen“ beinhaltet.en Rollenmodellen und den daran geknüpften Erwartungen, Verantwortlichkeiten und Rechten orientiert. Die Entwicklung und Pflege von Beziehungen stehen im Vordergrund und das Verfolgen gemeinsamer Ziele ist handlungsleitend.

Aber wie entscheidet sich nun, ob in einem spezifischen soziostrukturellen Kontext eher autonomautonom|||||Autonomes Handeln beinhaltet den Zustand der Selbstständigkeit, Unabhängigkeit Selbstbestimmung, Selbstverwaltung oder Entscheidungsfreiheit.e oder relationale Organisationsprinzipien greifen? Mit ihrem Konzept der Entwicklungspfade beschreibt Keller (2007), wie die normative Orientierung innerhalb eines soziokulturellen Kontexts als Anpassungsleistung an bestehende Umwelt- und Kontextbedingungen erklärt werden kann. Dabei ist der Grundgedanke, dass verschiedene makrostrukturelle Kontextbedingungen wie die Ökologie oder Ökonomie Einfluss auf die Sozialstruktur nehmen. Diese Einflüsse prägen entscheidend die Familienstruktur und damit den Alltag der Familie und der dort aufwachsenden Kinder mit. Von einem evolutionstheoretischen Standpunkt aus argumentiert Keller, dass von den beiden Organisationsprinzipien, die universell angelegt sind, jenes greift, welches es den Menschen erlaubt, sich möglichst kompetent innerhalb des gegebenen Kontexts zu verhalten. Dabei haben das Niveau der formalen Bildung, das Alter bei der Geburt des ersten Kindes und die Anzahl der Nachkommen bzw. die Anzahl der Kinder einen nachweislichen Einfluss darauf, durch welche kulturelle Brille Menschen ihre Welt sehen (Keller, 2007).

Für dieses Kapitel haben wir das Mittel des Kontrasts gewählt und wollen in einem ersten Schritt Prototypen einander gegenüberstellen, und zwar den Prototyp der psychischen Autonomie und den der relationalen Anpassung.Wir beschreiben die jeweiligen Lebenswelten und die dazugehörigen Vorstellungen über das Wesen des Kindes, die Aufgaben der Eltern und Ideen über den optimalen Entwicklungsverlauf. In einem zweiten Schritt wollen wir diese Gegenüberstellung, die nicht als Dichotomisierung missverstanden werden darf, relativieren - denn neben diesen beiden Prototypen gibt es eine Vielzahl von kulturellen Modellen, die Aspekte von beiden Prototypen vereinen.

Eine zentrale Annahme in unserem Modell ist, dass es wenig Sinn macht oder sogar irreführend ist, Kultur mit Herkunftsland, Religion oder ethnischer Gruppe gleichzusetzen. Viel eher wird das soziokulturelle Modell von Menschen und insbesondere die Bedeutung von Autonomie und Relationalität durch spezifische Kontextbedingungen, insbesondere dem sozioökonomischen Status, dem Bildungsgrad und der Familienform geprägt. Es ist zudem wichtig, im Auge zu behalten, dass kulturelle Modelle nicht statisch sind, sondern sich unter bestimmten Bedingungen mit sich ändernden Kontextbedingungen – beispielsweise bei Migration oder in bikulturellen Familien – auch verändern.



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