Beiträge chronologisch

Die Entwicklung von Mehrsprachigkeit und mögliche Einflussfaktoren

Inhaltsverzeichnis

  1. Spracherwerb bei Mehrsprachigkeit
  2. Erwerbsaufgabe – was das Kind lernen muss
  3. Simultaner bzw. bilingualer Erstspracherwerb
  4. Früher Zweitspracherwerb
  5. LITERATUR

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Erwerbsaufgabe – was das Kind lernen muss

Will man verstehen, was ein Kind lernen und leisten muss, wenn es die spezifischen formalen und bedeutungsbezogenen Strukturen mehrerer Sprachen sowie die Regeln ihrer kommunikativen Nutzung erwirbt, muss man sich diese Aufgabe genauer ansehen. Weinert und Grimm (2018) schreiben dazu, dass es „den schnell vorbeiziehenden Lautstrom“ der umgebenden Sprachen wie auch „relevante Merkmale der Situationen, in denen Sprache geäußert wird, verarbeiten, in Einheiten (z.B. Satze, Teilsatze, Wörter) untergliedern und die zugrunde liegenden komplizierten Sprachregeln ableiten“ (S. 446) muss. Verschiedene Wissenssysteme bzw. Komponenten von Sprache sind im Verlauf des Erwerbs aufzubauen und miteinander zu verschränken. Wenn ein Kind z. B. ein Wort erwirbt, also in sein mentales Lexikon aufnimmt, lernt es:

  • wie Sprachlaute des Wortes organisiert und ausgesprochen werden Lautstruktur – Phonologie – bedeutungsunterscheidende Lautkategorien, z.B. >Grau< - >Frau<) und die Sprachmelodie eingesetzt wird (ProsodieProsodie|||||Sammelbegriff für die Merkmale Betonung, Dauer, Lautstärke, Intonation, Rhythmus und Tempo. – Intonation, Betonung, rhythmische Gliederung);
  • wie es grammatisch eingesetzt werden kann (z.B. als Nomen oder Verb);
  • wie es morphologisch verandert werden kann (z.B. ge-hüpf-t versus ge-sprung-en) (Morphologie – Wortbildung);
  • was es bedeutet (Wortsemantik);
  • wie es kombiniert und mit anderen Wörtern zu Sätzen verknüpft werden kann (Syntax, Satzbildung) und was diese bedeuten (Satzsemantik);
  • wie es verwendet werden kann oder darf (z.B. neutrale Wörter wie Haus, Baum, Blume versus Wörter wie Kuh, Schwein oder Ochse, die neutral oder als Schimpfwort benutzt werden können) (Sprechhandlungen – Pragmatik, Anwendung).

In Bezug auf die zu erwerbenden Konzepte ist hinsichtlich Mehrsprachigkeit ergänzend anzumerken, dass Bedeutungskonzept und pragmatisches oder Anwendungswissen erfahrungs- und damit auch kulturabhängig sind. Mehrsprachig aufwachsende Kinder erleben und erwerben die verschiedenen Sprachen häufig in unterschiedlichen sozialen Kontexten (z.B. Familie und Kindertageseinrichtung) und Situationen.

Von diesen Kontexten wie Situationen sind sowohl ihre Konzepte wie auch ihr Handlungswissen geprägt. Rotweiler und Ruberg (2011) sprechen in diesem Zusammenhang von mehreren sozialen Erfahrungswelten, in denen sich mehrsprachige Kinder bewegen und mit denen auch unterschiedliche sprachliche Welten (Lexika) in Verbindung stehen. Dies führt nicht selten zu einem geringeren sozialen Erfahrungshintergrund in Bezug auf kulturell geprägte Kenntnisse und Umgangsformen bezogen auf den bildungssprachlichen Kontext, die in Kindertageseinrichtungen bei einsprachig deutschen Kindern (nach Rotweiler und Ruberg nicht immer zu Recht) vorausgesetzt werden.

Für mehrsprachige Kinder besteht hier nicht selten Nachholbedarf, der nicht allein lexikalisches Wissen betrifft, sondern auch dahinter liegende Konzepte. Zudem sollte bedacht werden, dass die Wortschätze mehrsprachiger Kinder nicht deckungsgleich sind. Die Kinder kennen und nutzen viele Wörter für bestimmte Konzepte in einer Sprache, nicht aber gleichzeitig in der anderen. Daraus resultiert auch, dass der Wortschatz mehrsprachig aufwachsender Kinder zumindest in den ersten Jahren geringer ist als derjenige von gleichaltrigen einsprachigen Kindern und folglich auch nicht mit diesen verglichen werden sollte. Der Aufbau eines neuen Wortschatzes braucht Zeit.



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