Beiträge chronologisch

Bildung durch Spielen?

Über alte und neue Bilder vom Kind

Unsere Vorstellung von der Bildung des kleinen Kindes hat sich radikal von früheren Vorstellungen verabschiedet. In der Grundschule, erst recht aber in der Kita gilt nicht mehr das Prinzip der Erarbeitung von Lerninhalten durch das Trichterprinzip (hier das Kind, dort der Lehrer, der ihm die Inhalte einfüttert), also eine einseitige Wissensvermittlung. Vielmehr haben Bildungstheoretiker, gestützt auf Forschungsergebnisse, begriffen, dass Kinder nur das wirklich lernen, was sie interessiert, was sie begreifen, wo sie selbst aktiv sind und wo sie auch Erfolgserlebnisse haben.

Die spielbasierte Frühpädagogik hat in Kitas längst Einzug gehalten, Spielen gilt als unabdingbar für die Entwicklung des Kindes und damit für seine Bildung (vgl. vgl. Pack 2017; Weltzien 2016; Weltzien u.a. 2011; Wygotsky 1980 ).

Das alte Bild vom Kind

Diese Auffassung hat sich in weiten Teilen der westlichen Welt durchgesetzt. Sie basiert auf einem neuen Bild vom Kind als eigenständigem Akteur, der ko-konstruktiv das eigene Bildungserleben mit gestaltet. Es sind jedoch kleinere Teile der Welt, in denen sich dieses Bild durchsetzt, der größere Teil orientiert sich nach wie vor an einem linearen, einseitigen Bildungsprozess, z.B. Indien, China und in afrikanischen Ländern. Dort wird instruktives, Lehrer-basiertes Lernen als überlegen angesehen, um akademische Ziele zu erreichen (Yahya 2016:341).

Einführung kindzentrierter CurriculaCurricula|||||Ein Curriculum ist ein Lehrplan, Modulplan oder Lehrprogramm, das Aussagen über Lehrziele und Ablauf des Lehr- Lern – Arrangement gibt und auf einer Didaktik aufbaut.

Wenn staatliche Stellen kindzentrierte Curricula einführen, scheitert dies oft nicht nur an den kargen Mitteln (Mligo 2016:354), sondern auch an der unzureichenden Vorbereitung der Fachkräfte. Dafür liefern Studien aus einem afrikanischen Land wie Tansania (Mligo 2016) wie auch aus einem europäischen Land wie Estland (Kimer et al. 2016) Belege. Die Einführung neuer Curricula in Vor- und Grundschule wurde in beiden Ländern erschwert bzw. scheiterte aufgrund der mangelnden Vorbereitung und Ausbildung der Fachkräfte. Ein Curriculum, das ein anderes Bild vom Kind vermitteln will als das Bild, das in den Köpfen der Menschen dominiert, hat wenige Erfolgsaussichten in der Praxis. Nötig wären vorab Dialoge zwischen Bildungspolitik und Praxis oder, wie derzeit in Deutschland durch die WiFFWiFF|||||WiFF ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Robert Bosch Stiftung und des Deutschen Jugendinstituts e.V. Die drei Partner setzen sich dafür ein, im frühpädagogischen Weiterbildungssystem in Deutschland mehr Transparenz herzustellen, die Qualität der Angebote zu sichern und anschlussfähige Bildungswege zu fördern., ein intensiver Nachqualifikations- und Weiterbildungsprozess, um sich mit den erwachsenenzentrierten Auffassungen der Fachkräfte auseinanderzusetzen und andere Bildungsmethoden zu insinuieren.

Eine kindzentrierte Pädagogik, die das Spiel als Mittelpunkt der Bildungsarbeit würdigt, ist mit Überzeugungen alleine nicht zu realisieren. Es bedarf darüber hinaus Methoden, die Kinder in ihrem Spiel unterstützen und ihnen damit neue Bildungschancen eröffnen. Eine Studie aus Kanada (Lemay/Bigras/Bouchard 2016) ergab, dass Fachkräfte in Tagespflege und Kita - alle mit maximal zweijährigen Kindern betraut - zwar das kindliche Spiel respektierten, dass sie jedoch relativ hilflos waren im Bemühen, Spielimpulse zu geben und das kindliche Spiel zu unterstützen. Ganz ähnlich ist die Situation in Deutschland (vgl. Pack 2017). Auch hier wissen Fachkräften nicht, wann und wie sie das kindliche Spiel in die Bildungsarbeit integrieren können.

Die unterschiedlichen Bildungsorte Familie-Kita

Vielen Eltern, insbesondere solchen aus anderen Kulturen, sind die Erkenntnisse zur Bildungsfunktion spielorientierter Pädagogik neu. Aber auch die Familie ist ein Bildungsort und sie nimmt für die Kinder die wichtigste Rolle im Bildungsprozess ein. Es können somit für Kinder Bildungsräume mit unterschiedlichen, teilweise widersprüchlichen Erwartungen an Lernen und Kompetenzerwerb entstehen. Raudhah Yahya (2016) hat dazu in Kanada eine qualitative Studie durchgeführt, in der sie den Vorstellungen von Müttern zur Bildungsbiographie ihrer Kinder auf den Grund gegangen ist.

Neunzehn Mütter (aus Pakistan, Libyen, Ghana, Syrien, Saudi Arabien, Algerien, Libanon, Sri Lanka, Kuwait, Jordanien und Ägypten) von fünf- bis siebenjährigen Kindern gaben Auskunft über ihre Vorstellungen von Lernen sowie über die in der Kita bzw. Schule praktizierte spielbasierte Pädagogik. In ihren Herkunftsländern hatten einige Frauen ihre Bildung durch Auswendiglernen ohne Erklärung erworben, andere hatten einen inhaltlichen DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput. , ebenfalls mit Auswendiglernen und Hausarbeiten erlebt. Viele von ihnen haben auch harte Sanktionen in der Schule erlitten.

Spielbasierte Pädagogik kennen sie aus ihrer eigenen Bildungsbiographie nicht. Von daher spielen sie auch nicht mit ihren Kindern. Spielbasierte Pädagogik wird von der überwiegenden Mehrheit der Mütter jedoch positiv gesehen, vermutlich allein schon wegen ihrer eigenen negativen Erlebnisse in der Schulzeit. Einige Mütter jedoch befürchten eine schlechte Vorbereitung auf die Schule.

Folgerungen für die Erziehungspartnerschaft

Die Folgerungen aus der Studie sind vielfältig und geben Hinweise für die Zusammenarbeit mit Eltern aus anderen Kulturen:



Ob die Studie eins zu eins auf Deutschland zu übertragen ist, wäre zu überprüfen. Das Besondere daran ist jedenfalls, dass die Autorin Einzelpersonen in ganz unterschiedlichen Institutionen untersucht und damit einen sehr breiten Querschnitt über MigrantInnen aus unterschiedlichen Ländern erhalten hat. Die Interviews zeigen eine große Offenheit der Teilnehmerinnen, die vermutlich auch durch die gleiche Religionszugehörigkeit von Forscherin und Befragten erreicht wurde.


Quellen


Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung von www.fruehe-bildung-online.de



Drucken


Verwandte Themen und Schlagworte