Beiträge chronologisch

Katholische Kleinkinderziehung von 1800 - 1920

Inhaltsverzeichnis

  1. 2. Anfänge und Entwicklung der katholischen Kleinkindererziehung
  2. 3. Die Stellung der katholischen Kleinkindererziehung gegenüber den Fröbel’schen Kindergärten
  3. 4. Theoretische und praktische Ausrichtung der katholischen Kleinkindererziehung
  4. 4. Zur Ausbildungssituation an katholischen Seminaren
  5. 5. Fazit
  6. Literatur

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Theoretische und praktische Ausrichtung der katholischen Kleinkindererziehung


Mit der langsamen Erstarkung der katholischen Kleinkindererziehung ging eine vorsichtige "theoretische" Standortbestimmung einher, verbunden mit Versuchen eine eigenständige Konzeption für die pädagogische Arbeit in den vorschulischen Anstalten zu entwickeln. Doch lassen sich, im Vergleich zur Fröbelbewegung oder der evangelischen Kleinkinderpflege, nur wenige theoretische Schriften zur katholischen Kleinkinderpädagogik finden. Die ersten katholischen Fach- und Handbücher(!) wurden überwiegend von Geistlichen oder Ordensschwestern verfasst. Ihre VerfasserInnen setzten sich mit genuin pädagogisch/psychologischen Themen so gut wie nicht auseinander. Ihre Publikationen sind eher Anleitungsbroschüren bzw. Beschäftigungsbücher, Ansammlungen von Gedichten, Versen, Märchen, Gebeten usw., gutgemeinte Winke, als unentbehrliche Begleiter für den Berufsalltag. An den katholischen „Fachbüchern“ lässt sich zwar das Engagement katholischer Persönlichkeiten "für die Zwecke der (konfessionell geführten) Bewahranstalten ablesen - aber in der Programmatik fielen diese sowohl hinter die Ausführungen (beispielsweise eines; M. B.) Johann Georg Wirths... als auch hinter die zeitgenössische pädagogische Diskussion im Rahmen der Fröbelbewegung weit zurück" (Erning 1997, S. 729).

Eines der ersten theoretischen Fachbücher auf dem Gebiet der frühkindlichen Pädagogik dürfte das Lehrbuch "Der katholische Kindergarten", herausgegeben von Pater Matthias Siegert, erster Spiritual der "Armen Schulschwestern von Unserer Lieben Frau" in München, gewesen sein. Der Verfasser "wendet sich gänzlich gegen Fröbels Erziehungsweise und bietet keine Adaption vom Kindergarten, sondern ein Handbuch zur Beschäftigung in Kleinkinderschulen, in dem zwar - sehr untergeordnet - Spiele mit dem Ball, der Kugel, dem Würfel und der Walze... zu finden sind, deren Herkunft von Fröbel aber kaum noch erkennbar ist" (Erning/Gebel 1999, S. 86).

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Kleinkinderbewahranstalt in München, Quelle: Ida-Seele-Archiv
Der Geistliche Franz Xaver Gutbrod setzte sich nicht nur publizistisch für Kinderbewahranstalten ein. Schon als junger Kaplan von Augsburg-Oberhausen erkannte er die Not der Arbeiterkinder, deren Mütter aufgrund der notwendigen Erwerbstätigkeit über lange Zeit von zuhause abwesend waren. Er handelte und gründete in eine Kinderbewahranstalt, die 1872 feierlich eingeweiht wurde. Als Stadtpfarrer von Burgau rief er auch dort 1884 eine vorschulische Einrichtung ins Leben. Die Verantwortung für die Einrichtung übergab er zwei Jahre später, bedingt durch seinen Wegzug nach Obergünzburg, an den Orden der „Dillinger Franziskanerinnen“. Mit seinen Anstalten wollte der katholische Geistliche helfen, die zunehmende Verunsittlichung der aufsichtslosen Kleinkinder einzudämmen, denn: "Wer die Jugend hat, dem gehört die Generation" (Gutbord 1884, S. 10). Wegen der prinzipiellen Sündhaftigkeit des menschlichen Wesens war für ihn die Gewöhnung an Gehorsam und Sittlichkeit aus Liebe zu Gott der wichtigste Bestandteil der Erziehung in der Kleinkinderbewahranstalt. In seiner Schrift "Die Kinderbewahr-Anstalt in ihrem Zwecke und in den Mitteln zur Erreichung dieses Zweckes", erschienen 1884, forderte der Geistliche, die "Kleinen sollen erzogen werden zu dem höchsten Ideale, das wir haben: zum Ebenbilde Gottes!" (ebd., S. 57). Neben der Pflege des "religiösen Sinnes" sollten die Kinder sinnvoll beschäftigt werden: Stricken für Mädchen, Flechten-Zupfen, Stäbchenlegen, Strohknüpfen, Zeichnen oder Ringelegen. Was die Gründung, Lokalität und Unterhaltung einer Kinderbewahranstalt sowie die Anforderungen an das Erziehungspersonal und deren Bezahlung betraf, schlug der Geistliche folgende (schon seinerzeit) obsolete Präskription vor:

"Nimm die Kinder deines Ortes in dem Alter von 3-6 Jahren; führe sie in ein Pfründerstübchen oder in ein leerstehendes Benefiziatenhaus oder in was immer für passende Lokalität; setzte ihnen als Wärterin eine ältere Person vor, welche darauf achtet, daß sich die Kinder nicht gegenseitig, wehe thun und welche im Stande ist, religiöse Geschichten zu erzählen und in Geduld auszuharren bei den Kleinen; bezahle aus deiner eigenen Tasche die Ausgaben des ersten Monates und laß die Eltern deiner Pfleglinge die Wärterin mit Eier, Schmalz, Butter, Brod, Mehl etc. bezahlen; sieh selbst alle Tage nach, ob nicht Unordentliches vorkommt und die Anstalt ist gegründet" (ebd., S. 145).


stundenplan Stundenplan der Kleinkinderbewahr-Anstalt in Burgau (Quelle: Ida-Seele-Archiv)Gutbord ging in seiner Publikation mit keinem Wort auf die Bedeutung der Fröbelpädagogik ein, "noch wurde von ihm die Bedeutung des Spiels erkannt und gewürdigt. Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit anderen Problemfeldern zu, beispielsweise der Benutzung der Sanitäranlagen, die unbedingt nach Geschlechtern getrennt stattzufinden habe, um keine sittliche Gefahr entstehen zu lassen (vgl. ebd., S. 107; M.B.). Auch der Gesundheitspflege, der Beschaffenheit der Räume und dem Umgang mit Verletzungen widmete er... einen großen Teil (vgl. ebd., S. 113 ff.; M. B.). Der Auseinandersetzung mit genuin pädagogischen Themen widmete er sich dagegen weniger (Wasmuth 2011, S. 278).


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Kleinkinderbewahranstalt der Dillinger Franziskanerinnen in Dillingen an der Donau, Quelle: Ida-Seele-Archiv
Die Ordensfrauen Athanasia und Eusebia aus der "Genossenschaft der Schwestern von der göttlichen Vorsehung in Mainz" hatten mit ihrem 1890 erstmals erschienen Werk "Nützliche Beschäftigungen für die Kleinen. Vademecum für Kleinkinderschulen und die Familie" die katholische Kleinkindererziehung gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts fundamental beeinflusst. Die letzte (sechste) Auflage, neubearbeitet und zusammengestellt durch die "Schwestern von der göttlichen Vorsehung" in Mainz, erschien noch im Jahre 1927. Da um diese Zeit die Fröbelpädagogik längst schon in der öffentlichen katholischen Kleinkindererziehung angekommen war, hatten die Schwestern in der Neuausgabe den Fröbelschen Beschäftigungen einen eigenen Abschnitt gewidmet. Bei Durchsicht des Werkes fällt auf, dass, wie bei Gutbord, kaum eine pädagogische Auseinandersetzung mit dem Gebiet der Kleinkinderpädagogik stattfindet. Überwiegend besteht die Schrift aus einer Fülle an praktischen Beispielen und Anleitungen für Gebete, Lieder (religiösen und weltlichen Inhalts), Sprüche, Verse, Glückwünschen, Gedichten und Deklamationen, religiöse Zwiegespräche oder biblischen Geschichten, welche die Kinderschwestern umzusetzen hatten. Johanna Huber kritisierte mit scharfen Worten in ihrem Buch "Die religiös-sittliche Erziehung des Kleinkindes im Kindergarten und Familie" das Werk der beiden Schwestern als unschönes Beispiel, "als ein Erweis gänzlichen Mangels an kinderpsychologischer Einsicht" (Huber 1916, S. 10). Der Hauptzweck der Kleinkinderbewahranstalten erschöpfte sich für die Ordensfrauen in der "körperlichen Pflege und Geisteserziehung der kleinen Kinder im Alter von 2 bis zu 6 Jahren" (Schwestern Athanasia und Eusebia 1890, S. 1). Die Zöglinge sollen, laut "Vademecum", "lernen, gern, schnell und pünktlich zu gehorchen" (ebd., S. 5) und vor Nachteilen bewahrt werden, "welche dem kindlichen Alter drohen, wenn sie ohne Aufsicht sind. Sie sollen durch liebevolle Behandlung nach konsequenten Grundsätzen zur Aufrichtigkeit und Offenheit, Schamhaftigkeit und Reinlichkeit, Ordnung und Pünktlichkeit, Dienstfertigkeit und Mäßigung, Dankbarkeit und Liebe, zum Gehorsam und zur Freude an nützlichen Thätigkeit angeleitet werden" (ebd., S. 1). Hinsichtlich der Ordnung dürfen die Kinder beispielweise während des Essens nicht Sprechen, strengstes Stillschweigen ist zu beachten. Und wie begegnet man erzieherisch einem Kind, dass sich an eine einmal eingeführte Ordnung nicht hält? Die Schwestern gaben folgenden Ratschlag:

"Kommt aber so ein Gassenkind, dem, weil es nicht unter Aufsicht stand, zu seinem sittlichen Verkommen alle Freiheiten gestattet waren, jetzt in die Bewahrschule, so fügt sich so ein Kind nicht gern in die Ordnung. Gewöhnlich sucht es durch Weinen und Schreien seinen Willen durchzusetzen und trotzt oft Tage lang. Man gebe sich ja nicht den Schein, als ob man sich rühren lasse von solchen Thränen. Kalt und kurz sei das Benehmen gegen derartige Kinder. Die geduldige Ausdauer wird zuletzt triumphieren über den jungen Trotzkopf, und einmal besiegt, ist ein solches Kerlchen zu vielem Guten fähig" (ebd., S. 9).


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(Quelle: Ida-Seele-Archiv)
Die beiden Ordensfrauen plädierten dafür, "höchst selten" zu strafen. Wenn aber doch eine Strafe fällig ist, sollte man auf „sublimere Strafen“ zurückgreifen, bspw. das Kind "während einer Stunde" negieren, nicht anreden, vom Spiel oder Beschäftigungen ausschließen. Bei größerem Vergehen "thut das zeitweilige Stehen in der Ecke, eine Ermahnung unter vier Augen genügende Dienste. Wo auffällige Bosheit oder Starrsinn gebrochen werden muß, kann einmal eine gelinde Züchtigung vorkommen" (ebd., S. 4). Die gesellschaftlich erwünschten Tugenden wie Fleiß, Disziplin, Gehorsamkeit und Ordnung ist den Kindern (indirekt) durch Verse, Sprüche, Gebete, Zweigespräche, Marschierlieder (teilweise mit militärischen Inhalt) etc. beizubringen. Nachstehende Auswahl „kurzen Verslein und Sprüche, die den Kindern gut vorzusprechen sind“, aber „dem jungen Gedächtnis (nicht; M.B.) eingebläut werden müssen“ verdeutlicht, "wie die Kleinen gute Beispiele nachahmen und auch recht höfliche Kinder werden sollen" (ebd., S. 54):

„Was thut ein gutes Kind beim Erwachen?
‚Wenn am Morgen ich erwach‘,
Dem lieben Gott gleich Dank ich sag‘
Weil er ja die ganze Nacht
So väterlich für mich gewacht.‘
...
Wem grüßt ein gutes Kind am Morgen zuerst?
‚Den lieben guten Eltern mein
Soll der erste Gruß ja sein;
Lieb und teuer sind sie mir,
Ich dank‘ den lieben Gott dafür.‘
Wie verhält sich ein gutes Kind bei Tisch?
‚Ein braves Kind muß artig sein
Und seine Suppe essen fein,
Schön auf seinen Teller seh’n
Und nicht von seinem Platze geh’n‘
...
Wie verhält sich ein gutes Kind in der Kirche?
'Da muß ich fromm und ruhig sein
Und mit den Engelein im Verein
Die Händchen falten zum Gebet;
Mein Herzchen da zum Heiland fleht.'
...
Wie beträgt sich ein artiges Kind in der Kinderschule?
'Sitz' recht still auf meinem Plätzchen,
Sage aber laut mein Sätzchen,
Beten, Singen, Jubilieren
Wird als braves Kind mich zieren.'
...
Wie verläßt ein gutes Kind die Schule?
‚Ist die Kinderschule aus,
Geh‘ ich sittsam nach Haus;
Bleibe auf dem Weg nicht steh’n
Dies und jenes anzuseh’n.‘
...
Vor welchen Fehlern hütet sich ein gutes Kind?
'Bei Scherz und Spiel da lüg ich nicht,
Man glaubt nur den, der Wahrheit spricht;
nicht geizig, neidisch will ich sein,
will andrer Fehler gern verzeih'n.'
...
Für wen betet ein frommes Kind am Abend?
'Ich bete für der Eltern Wohl,
Daß Gott sie mir erhalten soll;
Befehl' mich für die finst're Nacht
In Gottes und der Engel Wacht.'
...
Darf ein Kind auch fröhlich spielen?
'Lustig wie ein Vögelein
Darf ein kleines Kind wohl sein;
Immer fröhlich bei dem Spiel,
Nicht zu lang und nicht zu viel.'" (ebd., S. 55 ff.).

Gerade letzter Vers voranstehenden Gedichts verdeutlicht die Ambivalenz der Klosterfrauen gegenüber dem kindlichen Spiel. Einerseits darf es sich am Spiel erfreuen, anderseits jedoch nicht zu lang und zu viel. Einerseits schreiben sie, dass alles was im "Inneren des spielenden Kindes sich regt und bewegt, kommt beim Spiele selbst zum Vorschein", andererseits soll diese kindliche Tätigkeit überwacht werden, denn in der Regel "dauert doch ein Spiel ohne jede Leitung... nicht lange und gewährt nicht den ganzen Nutzen, den es bringen könnte" (ebd., S. 165). Mit aller Entschlossenheit warnten die Ordensfrauen vor "unsittlichen Spielen". Mit Rückgriff auf "hervorragende Geistesmänner, die auf dem Gebiete der Erziehung Großes Geleistet haben", verurteilten sie den Gebrauch des Schaukelpferdes, "weil dieses Spiel einen eigenen Reiz ausübt zum sittlichen Verderben der Kinder. Viele Leiterinnen der Bewahrschule werden es gestehen müssen, daß sowohl Mädchen als Knaben sehr gern auf dem Schaukelpferd reiten. Warum aber? Es ist die sinnliche Lust, die dabei erregt und gefördert wird und unbemerkt und ungewollt erwacht in der zarten Kinderseele die Leidenschaft, die es total ruinieren könnte... Also weg mit ihnen!" (ebd., S. 165 f). Wie beigefügtes Foto belegt, fanden die Ordensfrauen von der "Genossenschaft der Schwestern von der göttlichen Vorsehung in Mainz" mit ihrer Forderung, die Schaukelpferde aus den Einrichtungen zu verbannen, nicht unbedingt Gehör bei ihren Dillinger „Glaubensgenossinnen“.


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Kleinkinderbewahranstalt in Kleinostheim (Quelle: Klosterarchiv der Dillinger Franziskanerinnen)
Die in dem Buch der beiden Klosterfrauen enthaltenen Marschierlieder und -übungen entsprachen dem damaligen Verständnis katholischer Kleinkinderpädagogik. Emy Gordon of Ellon, geb. Freiin Beulwitz, lobte diese Form der körperlichen Bewegung, die eine Unzahl von Varianten zulässt:
"Die Kleinen gehen einzeln, zu zweien, dreien u.s.f. in geraden oder gebogenen Linien, einige Schritte rechts, einige links, 'Füßchen geschlossen, Füßchen auswärts, das ist schön, so laßt uns im Kreise gehn'. Sie gehen im militärischen Schritt, gewöhnen sich an eine gute Haltung und sind sich ihrer Handlung durch das erklärende (gesprochene oder gesungene) Wort genau bewußt. Statt wild herumzutollen, erlangen die Kinder die Fähigkeit, sich anmutig zu bewegen; statt zu schreien, gewöhnen sie sich an melodischen Gesang" (Gordon 1902, S. 21 f).

Für Schwester Martha war die Bewahranstalt ein "notwendiges Uebel'". Darum sollte es Aufgabe der erzieherisch Verantwortlichen sein, "die 'Uebel' so klein als möglich zu gestalten, weil sie eben notwendig sind" (Martha 1902, S. 3). Um die "böse Kindernatur" im Zaume zu halten, hat die Autorin eine Fülle pädagogische (!) "Winke" bereit, die zweifelsohne der "Schwarzen Pädagogik" zu geordnet werden können. Sie rät zu "ständiger Wachsamkeit", denn jeder kindliche Fehler "muß sofort gerügt" (ebd.) bzw. bestraft werden. Dabei ist die Ordensfrau nicht gerade zimperlich hinsichtlich körperlicher Züchtigung. Peinlichste Aufsicht ist beispielsweise beim Spiel geboten, weil manche Kinder "gerne vom Spielzeug etwas in die Tasche (stecken; M. B.) und nehmen es mit nach Hause: Das muß sofort bestraft werden, auch bei den Kleinsten, die es noch nicht verstehen. Mit den ernsten Worten: 'Das darf man nicht thun' - klopft man sie auch auf die Finger" (ebd., S. 6). Sollte ein Kind dem anderen etwas nehmen oder schlagen, stoßen oder zwicken, "müssen ihm sofort die Hände tüchtig verklopft werden" (ebd., S. 20). Oder sagt ein Kind "aus Rachsucht Unwahres über ein anderes, ohne jede Veranlassung, so muß es eine viel größere Strafe erhalten; erst Schläge, und dann muß es allein sitzen und herausstehen" (ebd., S. 23). Ein weiteres Übel, das Schwester Martha beklagt, ist die Unsittlichkeit. Dazu bedarf es "ein scharfes Auge, um richtig zu beobachten, und große Klugheit, um richtig einzugreifen. Wenn Kinder die Füße übereinander legen oder auf den Bänken hin und her rutschen, oder die Hände in die Taschen und unter die Schürze stecken, so kann das harmlos sein oder auch nicht. Darum darf hier nur die unpassende Stellung gerügt werden, um nicht auf die Dinge aufmerksam zu machen, von welchen sie vielleicht keine Ahnung haben! Hilft die Rüge nicht, so muß das Kind in der Bank stehen, und damit ist vorgebeugt. Ist man aber nicht im Zweifel, sondern hat man sich überzeugt, das etwas Unsittliches vorgefallen, so klopft man das Kind tüchtig auf die Hände, herrscht es strenge an:... 'Das ist abscheulich, das darf man nicht thun.'... Man kann ihnen begreiflich machen, daß sie krank werden - und früh sterben müssen usw. Wenn es möglich ist, soll man sich mit deren Eltern verständigen, damit die Kinder vernünftig abgehärtet werden, nicht auf gar zu weichen Betten schlafen, wenig Fleisch und mehr Gemüse zu essen erhalten, sich viel in freier Luft bewegen usw. (ebd., S. 21 f). Allgemein sollte der Grundsatz einer guten katholischen Bewahranstalt lauten: "Immer beaufsichtigt, immer beschäftigt" (ebd., S. 28), damit "das Böse im Keim erstickt und der gute Samen in gutes Erdreich gesenkt" (ebd.) werde.

Um 1896 erschien "Für die lieben Kleinen! Gedichte, Plaudereien und dramatische Scenen für Kindergärten". Das umfangreiche Werk hatte Schwester M. Paula Münster, die dem Orden der "Franziskanerinnen von der Buße und der christlichen Liebe auf dem Liebfrauen-Eiland Nonnenwerth" angehörte, verfasst. Die in Einrichtungen der katholischen Kleinkindererziehung sehr verbreitete Publikation enthielt Gebete, Gedichte (religiösen und heitern oder ersteren Inhalts), Plaudereien, dramatische Scenen und Spielchen etc. Sie boten den Kinderschwestern anregende Beispiele für die alltägliche Praxis. Dass dem Bewahrschulkind viele schöne Sachen gelehrt werden, nämlich beten, still und fleißig zu sein, war Sr. M. Paula sehr wichtig

"Bewahrschulkind.
Nun schaut mich alle an,
Ihr lieben Leut' und sagt mir dann,
Ob ich nicht bin ein frohes Kind?
Da nickt Ihr alle 'ja' geschwind.
Ich lerne viele schöne Sachen,
Die mich so froh und glücklich machen,
Ich lerne beten und dabei
Auch, auch wie ich still und fleißig sei.
Und wollt ihr gerne wissen Ihr,
Warum man alles lehret mir?
Paßt auf! ich sage es geschwind,
Ei, weil ich bin - 'Bewahrschulkind.'"(Schwester M. Paula o. Ja., S. 79).

In einem weiteren Bändchen von Schwester M. Paula, „mit Gedichten, Plaudereien und dramatischen Scenen, Geschichten und Märchen für Kindergärten“ findet sich zu Vaters Geburtstag folgender Gratulationssprüchlein zum Auswendiglernen “für zwei kleine Knaben in Uniform“:

GedichtAus: Sr. M. Paula, o.J.b, S. 25 fRegine Strobel hatte mit ihrem „Lehrbuch für die katholische Kindergärtnerin“ die katholische Kleinkindererziehung reformiert, zumindest hinsichtlich der Strafpädagogik. Ihre Vorschläge fallen milder aus. Deutlich lehnte die Pädagogin körperliche Züchtigungen ab, da für die Kleinen "ja die leichtesten Strafen (genügen; M. B.) wie: das Ausschließen beim gemeinschaftlichen Spiel, oder das Entziehen eines kleinen Ehrenämtchens" (Strobel 1908, S. 70). Wie alle bisher genannten katholischen Pädagogen und Pädagoginnen war auch sie davon überzeugt, dass in erster Linie der katholische Kindergarten "durch religiöse Eindrücke auf das Seelenleben des Kindes einwirken" (ebd., S. 3) muss. Dazu finden sich, wie in den meisten Werken der katholischen Kleinkinderpädagogik, im praktischen Teil ihres Buches, genügend lehrreiche Gebete, religiöse Besprechungen und biblische Geschichten, u.a. von den Engeln, die im Himmel beim lieben Gott wohnen, die alle der liebe Gott erschaffen hat, "so schön und gut, damit sie bei ihm im Himmel wohnen sollten" (ebd., S. 78).

markheidenfeld 250 Kleinkinderschule in Marktheidenfeld (Quelle: Ida-Seele-Archiv)Ein weiteres wichtiges Erziehungsmittel war die „Bildung der Gemütsseite“, zumal „das Gemüt vieler Kinder von Natur roh ist“ (Dursch 1916, S. 201). Demzufolge sollte alles „Rohe, Harte, Streitsüchtige, Unbescheidene, Ungenügsame usw.“ nieder gedrückt „und die Kinder an gegenseitige Duldung, Verträglichkeit, Friedfertigkeit, Mitteilsamkeit usw.“ (ebd., S. 200 f.) gewöhnt werden. Und da „die Liebe die Sonne des Gemütes ist, welche Licht, Wärme und Fruchtbarkeit über das menschliche Leben verbreitet, so muß man besonders darauf achten, daß die Liebe zu Gott und Jesus Christus, zu den Eltern und allen Menschen erweckt werde... Man erinnere die Kinder bei jedem Genusse an die Liebe und Güte Gottes. Wie sehr wird die Liebe zu Gott belebt, wenn man sie schöne Dankgebete lehrt und sie anhält, dieselben öfters zu verrichten. Das Gebet ist besonders geeignet, das Gemüt mit Liebe zu Gott zu erfüllen. Wie lieb und teuer wird der Erlöser den Kindern, wenn sie von Jugend an hören, was er für die Menschen getan und gelitten hat, daß sie ihm angehören, und er sie aufgenommen habe, um sie in den Himmel zu führen!“ (ebd., S. 2001).

Ein ehemaliges Kleinkinderbewahranstaltskind, das von 1914 bis 1917 die Anstalt in Vohenstrauß besuchte, erinnerte sich mit folgenden Worten an diese Zeit:

„Die regulären Öffnungszeiten waren von 8 Uhr morgens bis 11 Uhr mittags und nachmittags von 12 Uhr bis 16 Uhr. In den Wintermonaten endete die Besuchszeit schon um 15 Uhr. Der Tag begann mit einem Morgengebet. Dann erzählte meistens Schwester Mar. Alora Pickl Märchen. Für die Vormittags- und Nachmittagspause brachten die Kinder in einem Umhängetäschchen oder in einer länglichen Brotbüchse das Pausebrot mit. Nach der Pause stellten sich die Kleinen im Kreis auf zur Spielstunde. Es gab auch viele Holzklötzchen, Puppen u.ä. Die Schwester beschäftigte die Kinder auch mit Papierarbeiten, Stäbchen legen oder einfachen Flechtarbeiten. Kinder, die wegen des weiten Weges mittag nicht nach Hause gehen konnten, bekamen jeden Mittag eine warme Suppe aus der ‚Suppenanstalt‘. Schwester Alora hat während der Kriegszeit selbst ganz kleine vom ersten Jahr an aufgenommen und betreut. Was für die Mütter, die tagsüber in Arbeit waren, eine große Wohltat war“ (Heimatkundlicher Arbeitskreis Vohenstrauß 1998, S. 19).

Für manche Anstalten war die Trennung der Kinderchen nach ihrem Geschlecht eine normale Selbstverständlichkeit. Diesbezüglich schrieb die Oberin der "Armen Schulschwestern von unserer Lieben Frau in München", S. M. Augusta, an den Stadtmagistrat von Haßfurt am Main:

"Bei der großen Kinderzahl der hiesigen Stadt ist es erstens schon an und für sich unmöglich, daß eine einzige Person zum Überwachen aller Kinderchen und ein Lokal für alle hinreichend wäre. Da also doch zwei Zimmer erforderlich sind, ist es ebenso notwendig und zweckmäßig, bezüglich der Normalität der Kinder, wenn dieselben nach Geschlechtern getrennt werden" (zit. n. Becker-Textor 2016, S. 193 f).

Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass in katholischen vorschulischen Anstalten die Erziehung der Kinder im Wesentlichen auf Bewahrung, Überwachung, Disziplinierung und religiöse Beinflussung ausgerichtet war, wie der Vertrag zwischen der Gemeindeverwaltung Pretzfeld (Oberfranken) und den Dillinger Franziskanerinnen vom 3. Dezember 1889 ausdruckvoll bekundet. Dort steht:

"Diese Anstalt bezweckt: a) die Kinder hiesiger Einwohner im Alter von zwei Jahren bis zur beginnenden Schulpflicht in den festgesetzten Stunden zu überwachen, sie vor leiblichen Schaden zu bewahren, dem verderblichen Einfluß des Straßenlebens zu entziehen, dieselben zur Ordnung und Reinlichkeit anzuhalten und an leichte Arbeit zu gewöhnen, ihnen den ersten Unterricht in der Religion zu erteilen und ihre geistigen Fähigkeiten zu wecken" (zit. n. Schreyer 1980, S. 699).

Nach Elsbeth Krieg dienten diese Erziehungsziele der Heranbildung eines unterwürfigen Staatsbürgers, "der weder die kirchliche Macht noch die gesellschaftspolitische Ordnung in Frage stellte" (Krieg 2011, S. 209).