Beiträge chronologisch

Katholische Kleinkinderziehung von 1800 - 1920

Inhaltsverzeichnis

  1. 2. Anfänge und Entwicklung der katholischen Kleinkindererziehung
  2. 3. Die Stellung der katholischen Kleinkindererziehung gegenüber den Fröbel’schen Kindergärten
  3. 4. Theoretische und praktische Ausrichtung der katholischen Kleinkindererziehung
  4. 4. Zur Ausbildungssituation an katholischen Seminaren
  5. 5. Fazit
  6. Literatur

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Die Stellung der katholischen Kleinkindererziehung gegenüber den Fröbel’schen Kindergärten


IMG 20160905 0001 Kinderbewahranstalt in Pfenried Wassertrüdingen (Quelle: Ida-Seele-Archiv)Mit der langsamen Erstarkung der katholischen Kleinkindererziehung kam es bald zur kritischen Auseinandersetzung mit den "modernen Kindergärten", die mehr auf ideologischer als pädagogischer Basis verlief. Dabei verlief die Diskussion äußerst ambivalent. Man warf den Kindergärten vor, sie würden nichts taugen, wie so viele "moderne Einrichtungen... Sie leiden an den großen Fehler, daß man in diesen Kindergärten ein viel zu großes Gewicht auf die frühzeitige Entwicklung des Verstandes und wenig Werth auf die religiöse Erziehung gelegt hat, was den Kindern nur nachtheilig sein kann. Aus diesem Grunde haben sich auch alle unchristlichen Männer, Freimauer, Katholikenfeinde, Schön- und Freigeister für diese sogenannten Fröbel'schen Kindergärten interessiert und einzuführen versucht, um den nach christlichen Grundsätzen geleiteten Kleinkinderschulen ein Gegengewicht zu geben. Natürlich soll dann das Kind in diesen Anstalten nichts von Gott und Religion hören, und schon frühzeitig dem lieben Gott weggenommen werden. Christliche Eltern dürfen schon deswegen, weil sie mit unchristlichen Menschen nichts gemein haben wollen, ihre Kinder solchen Anstalten nicht übergeben, abgesehen davon, daß auch sonst den Kindern große Nachtheile aus dem Besuche solcher Anstalten entwachsen können" (Sickinger o. J., S. 140 f). Und anderen Orts fällte man folgendes Urteil über den unchristlichen Fröbel'schen Kindergarten:

"Die Kinder schon im vorschulischen Alter während einer bestimmten Zeit zu sammeln, und ihnen die ersten Elemente der Bildung auf eine ihrem Alter entsprechende Weise, nämlich durch Spiel und Beschäftigung beizubringen, ohne hierbei die Absicht des Unterrichts durchblicken zu lassen, das ist ein Gedanke, der an sich zu billigen ist. Aber freilich muß von solchen Kindergärten verlangt werden, daß sie vor Allem und Jedem das christlich-religiöse Gefühl und Bewußtsein in den Kindern wecken, nähren und pflegen; widrigenfalls mögen die Kindergärten allerdings züchtend auf den Verstand einwirken, aber die Erziehung würde fehlen, wenn diese fehlt, fehlt eben Alles. Dafür haben Fröbel und seine Anhänger kein Verständnis gehabt; von christlichen, und zwar von positiv christlichen Anklängen findet sich in ihren Kindergärten Nichts. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet sind daher die Fröbel'schen Kindergärten nur als eine Frucht der 'modernen' unchristlichen Pädagogik zu betrachten" (Stöckl 1876, S. 582).

Insbesondere wurde auf katholischer Seite Fröbels „Irreligiösität“ kritisiert und seine „phanteistischen Anschauungen“ (Rolfus/Pfister 1867b, S. 580) verworfen. Aber man erkannte auch, dass in seinen „Spielgaben und Beschäftigungsmaterial“ „viel ächt Kindliches und Naturwüchsiges in dem dargebotenen Stoff“ (ebd., S. 585) enthalten ist, das nur einer Sonderung bedarf, „um das allzusehr Tändelnde, wie das zu viel Reflektirende auszuscheiden“ (ebd., S. 585 f). Und dem Mangel an fehlende religiöse Pflege kann abgeholfen werden, „es kann das positiv-christliche Moment gar wohl im Kindergarten, ohne mit dem Wesen desselben in Widerspruch zu treten, den realen Unterricht durchdringen. Es mag da und dort auch Lehrer geben, welche Kindergärten zur Vorbereitung demokratischer und irreligiöser Ideen benützen wollten oder möchten. Allein wie (Kardinal; M. B.) Hergenröther berichtete... wurden die asili d’infanzia (Kleinkinderbewahranstalten) in Toskana auch dazu benutzt, das Volk für revolutionäre Ideen zu gewinnen und die zarte Jugend zu corrumpiren. Dieselben wurden deßhalb im übrigen Italien mit Mißtrauen betrachtet. Dies hielt Pius IX. nicht ab, sie im Kirchenstaate einzuführen; nur legte er sie in die Hände von Personen, deren religiöser Charakter Garantie für ihr Wirken gab. In Wahrheit haben auch in Frankreich und Belgien Bischöfe um die Kindergärten sich angenommen und dieses Institut auf den Boden der Kirche verpflanzt. So stehen wir denn nicht an..., daß trotz allen Mängeln die Idee Fröbels eine an sich wahre und fruchtbare ist und, von gottesfürchtigen Gärtnerinnen gepflegt, werden auch Blumen und Blüthen für den Himmelsgarten entsprießen“ (ebd., S. 586 f).

Ein anderer Mann der Kirche vertrat die Ansicht, dass Mütter aus dem Arbeiterstande, die „ihre Kinder nicht selbst hüten, pflegen und erziehen können, weil sie mit der Noth des Lebens zu kämpfen haben und dem Verdienste nachgehen müssen“ (Knecht 1891, S. 471), ihre Kinder keinesfalls in einen Fröbel’schen Kindergarten geben sollten, da dort „eine confessionslose oder aufgeklärte ‚Tante‘ des Geldes wegen die Kleinen abrichtet“ (ebd.). Darum ist die geeignete Anstalt einzig und allein die „christliche Bewahranstalt, „wo die Ordensschwester um der Liebe Christi willen mit himmlischer Geduld die Kinder behütet, pflegt, zum Spielen und zu leichten Fertigkeiten anleitet, im Gebete und in den Anfangsgründen der Religion unterweist, mit Einem Worte, christlich erzieht. Der Fröbel’sche Kindergarten aber ist aus pädagogischen, religiösen und socialen Gründen zu verwerfen und zu bekämpfen“ (ebd.).

Die der englischen Hocharistokratie angehörende Emy Gordon of Ellon führte in einem ihrer Aufsätze aus, dass Fröbel die Kindergärten in die „Erziehungslehre eingebürgert hat" (Gordon 1898, S. 149). Mit Recht „wurden und werden gegen diese Schöpfung Fröbels Schöpfung mannigfache Bedenken" erhoben; denn der irreligiöse Standpunkt ihres Urhebers, die verschiedenen pädagogischen Mißgriffe in der Methode verdienen Widerspruch" (ebd.). Doch wenige Jahre später vertrat Gordon an anderer Stelle die Ansicht, dass Fröbels „klug erdachtes, segensreiches System sich mühelos zur Verpflanzung auf rein katholischen Boden eignet" (Gordon 1902, S. 5).

Regine Strobel, Kindergärtnerin und Dozentin an der in Köln ansässigen "Schule für Kommunale Wohlfahrtspflegerinnen", bemängelte in ihrer Publikation, dass bisher auf katholischer Seite, im Gegensatz zur evangelischen Kleinkinderpädagogik, kaum eine Auseinandersetzung mit Friedrich Fröbel, seiner Pädagogik und seinem Kindergarten erfolgte. Für sie war es gerade die Religion, "worauf Fröbel alle und jede Erziehung gegründet wissen wollte" und es darum "nicht zu schwer sein kann, das segensreiche System Fröbels auf katholischen Boden zu verpflanzen" (Strobel 1908, S. 6). Bewusst verwendete sie auch die Titulierungen Kindergarten und Kindergärtnerin. In ihrem 1908 und 1914 in zweiter und erweiterter Auflage erschienen "Lehrbuch für die katholische Kindergärtnerin" verwies Strobel ausführlich auf die Fröbelschen Spiel- und Beschäftigungsmitteln: Ball, Kugel, Walze, Würfel, geteilte Würfel, Legetäfelchen, Stäbchen- und Ringelegen, Ausnähen, Verschränken, Falten, Flechten etc. Zudem hob sie den pädagogischen Wert der Bewegungsspiele hervor, die sie in "Kreis-, Maschier-, Arm-, Hand- und Fingerspiele" (ebd., S. 14) einteilte. Diese Spiele sind sehr geeignet, "die körperliche Entwicklung und Kräftigung der Kinder zu fördern und ihnen zugleich Gelegenheit geben, das innerlich Erkannte und Empfundene äußerlich darzustellen" (ebd., S. 13). Allgemein betrachtete Strobel das Spiel des Kindes, ganz im Sinne des Kindergartenstifters, als "das reinste geistige Erzeugnis des Menschen auf dieser Stufe, denn es ist die freie Darstellung des Inneren aus Notwendigkeit und Bedürfnis" (ebd., S. 15). Und so wird ein Kind, dem genügend Raum und Zeit zum Spielen eingeräumt wird, "gewiß auch ein tüchtiger, tätiger, Fremd- und Eigenwohl befördernder Mensch" (ebd.). Ihre Äußerungen zum Spiel stehen im Widerspruch zu ihren rigiden Anleitungsvorschlägen im Umgang mit den Fröbl'schen Spiel- und Beschäftigungsmitteln. Nachdem die Kinder mit der 3. Gabe, den in acht Würfel geteilten Würfel, bereits einen Dom mit zwei Türmen gebaut haben, gibt die Kindergärtnerin folgende Anweisungen, die ein Beispiel für subtile Manipulation sind:

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Kleinkinderbewahranstalt in Monheim (Quelle: Ida-Seele-Archiv)
„Wir rücken unsere Domtürme wieder zusammen, nehmen rechts die zwei oberen Würfel herunter und stellen sie rechts daneben. Dann nehmen wir links den obersten Würfel und setzen ihn rechts auf die beiden. Da haben wir ein Schloß, vielleicht gar das Schloß des Kaisers... Ihr habt den Kaiser und seine Familie sehr gern; der Kaiser ist unser Landesvater, er sorgt für das ganze Land. Wenn Kaisers Geburtstag ist, schmücken wir unser Zimmer mit Fähnchen und das Bild des Kaisers mit Blumen und wir singen dabei gar fröhlich. Auch jetzt wollen wir unser Liedchen recht schön singen, daß es der Kaiser in seinem Schlosse hört! (Das Lied: 'Der Kaiser ist ein lieber Mann' usw.)“ (ebd., S. 121).