Beiträge chronologisch

Durchgängige Leseförderung von der Kita bis zur Sekundarstufe

Ausgewählte Konzepte und Instrumente

Inhaltsverzeichnis

  1. FÖRDERUNG VON VORLÄUFERFÄHIGKEITEN DES LESENS IM ELEMENTARBEREICH
  2. FÖRDERUNG VON LESEFLÜSSIGKEIT IN DER GRUNDSCHULE
  3. ERFOLGREICHE STRATEGIEN FÜR KINDER UND JUGENDLICHE
  4. Fazit
  5. Literatur
  6. Weitere Informationen

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FÖRDERUNG VON LESEFLÜSSIGKEIT IN DER GRUNDSCHULE


In den ersten Grundschuljahren liegt der Fokus in Bezug auf die Förderung von Lesekompetenz auf basalen Lesefertigkeiten, insbesondere der Leseflüssigkeit. Leseflüssigkeit wird definiert als die Fähigkeit, genau, automatisiert, angemessen schnell und sinngestaltend zu lesen. Entsprechend werden vier Dimensionen der Leseflüssigkeit unterschieden: Lesegeschwindigkeit, Lesegenauigkeit, Automatisierung sowie die prosodische Segmentierungsfähigkeit.


Lesegeschwindigkeit

Eine angemessen hohe Lesegeschwindigkeit ergibt sich aus einer genauen Worterfassung und einem hohen Grad an Automatisierung. Es geht dabei jedoch nicht um das Erreichen der Höchstgeschwindigkeit, da zu schnelles Lesen — ebenso wie zu langsames — das Leseverständnis beeinträchtigt. Vielmehr geht es um eine Mindestgeschwindigkeit, die bei ca. 100 gelesenen Wörtern pro Minute liegt.


Lesegenauigkeit

Gute Leserinnen und Leser können Wörter zudem genau und korrekt lesen. Wenn sie Fehler machen, bemerken sie dies und korrigieren sich selbst. Fehlerhaftes Vorlesen ohne Selbstkorrektur weist auf mangelnde Dekodiergenauigkeit hin sowie auf eine fehlende metakognitive Überwachung des Leseprozesses. Oft können schwache Leserinnen und Leser in der Folge den Satz- und Textzusammenhang nicht verstehen, da durch Lesefehler die Kohärenzbildung erschwert wird. Erst wenn mehr als 95% der Wörter eines Textes korrekt gelesen werden, kann er ohne Hilfe verstanden werden.


Automatisierung

Bei guten Leserinnen und Lesern benötigen die Dekodierprozesse kaum noch mentale Aufmerksamkeit. Der Zugriff auf die Wortbedeutungen erfolgt bei ihnen automatisiert. Zögerliches bzw. stockendes Lesen deutet dementsprechend darauf hin, dass Schülerinnen und Schüler noch unzureichend automatisiert lesen.


Prosodische Segmentierungsfähigkeit

Gute Leserinnen und Leser können nicht nur angemessen schnell und korrekt dekodieren, sondern auf Satz- und lokaler Textebene auch betont und sinngestaltend (laut) lesen. Die Fähigkeit zum betonten und sinngestaltenden lauten Lesen ist bedeutsam, da dadurch innerhalb eines Satzes zusammengehörende Einheiten gekennzeichnet werden können. Wird ein Text Wort für Wort erlesen und nicht sinnbezogen betont, deutet dies darauf hin, dass die Leserinnen und Leser die Bedeutung der aufeinanderfolgenden Wörter und Satzteile nicht miteinander in Beziehung setzen können. Erst wenn es Kindern gelingt, schnell und automatisiert zu lesen, stehen genügend kognitive Ressourcen für angemessenes Leseverständnis zur Verfügung. Aufgrund dieser Brückenfunktion der Leseflüssigkeit ist es äußerst wichtig, durch ihre Förderung einer Verfestigung von Schwierigkeiten beim Lesen rechtzeitig entgegenzuwirken. Eine Studie hat beispielsweise gezeigt, dass Kinder, die am Ende der ersten Klasse Schwierigkeiten in der Lesegeschwindigkeit aufweisen, meist auch noch am Ende der Grundschulzeit über geringere Kompetenzen im Lesen verfügen.


Laut lesen und viel lesen

Für die unterrichtsintegrierte Förderung der Leseflüssigkeit lassen sich derzeit zwei methodische Zugänge unterscheiden: Lautleseverfahren, die durch angeleitete Trainings unmittelbar auf die Verbesserung der Teilfertigkeiten der Leseflüssigkeit abzielen, und Vielleseverfahren, bei denen es allgemein um die Steigerung des Lesepensums sowie die Förderung der Lesemotivation durch freie Lesezeiten im Unterricht geht.


Lesen lernen im Team

Der Kern von Lautleseverfahren ist das wiederholte Trainieren des (halb-)lauten Vorlesens von kurzen Texten in kooperativen Lernsettings. Wesentlich bei der Durchführung von Lautleseverfahren ist, dass alle Schülerinnen und Schüler im Unterricht (halb-)laut lesen. So werden die kognitiven Teilprozesse des Lesens und die damit verbundenen Schwierigkeiten wahrnehmbar, die beim stillen Lesen nicht sichtbar sind. Idealerweise bilden bei Lautleseverfahren ein leseschwaches und ein lesekompetenteres Kind ein Lese-Team. So kann das lesestärkere Kind als Lesemodell dienen und nach vorher besprochenen Regeln Lesefehler korrigieren, unbekannte Wörter erklären, gemeinsam mit dem Lesepartner Wörter nachschlagen und Textpassagen gemeinsam chorisch mitlesen. Das Verfahren sollte so lange mit dem gleichen Text durchgeführt werden, bis die Schülerinnen und Schüler ca. 100 Wörter pro Minute flüssig lesen können und nicht mehr als zwei sinnentstellende Fehler je 100 Wörter machen. Die Wirksamkeit der Lautleseverfahren konnte bereits mehrfach nachgewiesen werden.


Hauptsache: Viel lesen

Im Gegensatz zu den Lautleseverfahren basieren die Vielleseverfahren auf der Idee, dass allein das Lesen — unabhängig von der Qualität der Texte — einen positiven Einfluss auf das Lesen hat. Bei diesem Ansatz wird ein bestimmtes Zeitkontingent im Unterricht festgelegt (z. B. ca. 20 Minuten, ca. drei bis vier mal pro Woche), das für die Lektüre von selbst gewählten Texten und Büchern zur Verfügung steht. Es gibt keine Vorstrukturierung durch Aufgabenstellungen, und es werden keine Vorgaben zu Art und Qualität der Texte gemacht. Im Gegensatz zu den positiv evaluierten Lautleseverfahren kommen Studien zur Wirksamkeit von Vielleseverfahren zu weniger eindeutigen Ergebnissen. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass Vielleseverfahren dann besonders effektiv sind, wenn die Lehrkräfte die Schülerinnen und Schüler bei der Auswahl der Texte, beim Lesen selbst und nach der Lektüre durch die Reflexion des Gelesenen begleiten und sie unterstützen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Integration regelmäßiger Leseübungen in den Deutsch- und auch Fachunterricht ein zentrales Element der Förderung von Leseflüssigkeit im Primarbereich ist. Die beiden methodischen Ansätze — Lautlese- und Vielleseverfahren — sollten dabei nicht als konkurrierende Maßnahmen betrachtet werden. Beide haben Vorzüge, die im Rahmen des Unterrichts gut kombinierbar sind. Deutlicher Vorteil der Lautleseverfahren ist die Sicherstellung der Durchführung des Leseprozesses. Vielleseverfahren hingegen können durch freie Lesezeiten und die selbstständige Auswahl der Lektüre die Lesemotivation der Schülerinnen und Schüler bisweilen besser steigern. Der Fokus der Leseförderung sollte erst dann auf komplexere Lese- und Verstehensprozesse gerichtet werden, wenn die Schülerinnen und Schüler hinreichend flüssig lesen können.


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