Beiträge chronologisch

Durchgängige Leseförderung von der Kita bis zur Sekundarstufe

Ausgewählte Konzepte und Instrumente

Inhaltsverzeichnis

  1. FÖRDERUNG VON VORLÄUFERFÄHIGKEITEN DES LESENS IM ELEMENTARBEREICH
  2. FÖRDERUNG VON LESEFLÜSSIGKEIT IN DER GRUNDSCHULE
  3. ERFOLGREICHE STRATEGIEN FÜR KINDER UND JUGENDLICHE
  4. Fazit
  5. Literatur
  6. Weitere Informationen

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FÖRDERUNG VON VORLÄUFERFÄHIGKEITEN DES LESENS IM ELEMENTARBEREICH


Bevor Kinder lesen lernen, müssen sie zunächst einige Vorläuferfertigkeiten der Schriftsprache erwerben. Diese werden deshalb als Vorläuferfertigkeiten bezeichnet, weil ihre Ausprägung im frühen Kindesalter Einfluss auf die Entwicklung der späteren Lese- und Schreibfähigkeiten hat. Bis vor Kurzem stand im deutschen Sprachraum vor allem eine bestimmte Vorläuferfertigkeit, die sogenannte phonologische Bewusstheit, als zu fördernder Bereich im Vordergrund. Zur phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinne gehört das Erkennen größerer sprachlicher Einheiten, z. B. die Fähigkeit, Wörter in Silben zu zerlegen oder Reime zu erkennen. Phonologische Bewusstheit im engeren Sinne meint das Erfassen einzelner Laute des Sprachstroms, z. B. zu erkennen, mit welchem Laut ein Wort beginnt oder endet. Die phonologischen Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs umfassen jedoch noch mehr Teilbereiche. So zählt neben der phonologischen Bewusstheit auch die Geschwindigkeit des Zugriffs auf das sogenannte mentale Lexikon im Langzeitgedächtnis dazu, also wie schnell ein Kind etwas benennen kann. Zum anderen gehört die Kapazität des sprachlichen (phonologischen) Arbeitsgedächtnisses dazu, die bedingt, wie gut eine klangliche Information im Sekunden- oder Minutenbereich im Kurzzeitgedächtnis aufrechterhalten werden kann. Dies ist noch vor dem eigentlichen Lesenlernen relevant, wenn unbekannte mehrsilbige Wörter erstmalig gehört und nachgesprochen werden sollen, und später, wenn beim Lesen ein unbekanntes Wort Silbe für Silbe erlesen wird: Die ersten klanglichen Laute müssen dann noch präsent sein, um alle Silben zu einem Ganzen zusammenfügen zu können. Darüber hinaus zählen neben den phonologischen Kompetenzen weitere sprachliche Kompetenzen zu den zentralen Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs. Zu ihnen gehören ein ausreichender Wortschatz ebenso wie grammatische Fähigkeiten.


Verschiedene Fördermöglichkeiten ergänzen einander

Spezifische Vorläuferfertigkeiten hängen mit verschiedenen Aspekten der späteren Lesefähigkeit zusammen. So sprechen Langzeitstudien aus dem deutschen Sprachraum dafür, dass die vorschulische phonologische Bewusstheit die Lesegenauigkeit (und übrigens auch die Rechtschreibleistung) beeinflusst. Die vorschulisch erreichte Geschwindigkeit beim Zugriff auf das mentale Lexikon im Langzeitgedächtnis beeinflusst dagegen vor allem die spätere Lesegeschwindigkeit. Im ersten Jahr des Schriftspracherwerbs scheinen vor allem die phonologische Bewusstheit und das phonologische Arbeitsgedächtnis relevant zu sein, während für die Langzeitentwicklung der Lesefähigkeit die Benennungsgeschwindigkeit bedeutsamer ist. Vorschulische Kompetenzen im Bereich der phonologischen Informationsverarbeitung beeinflussen vor allem die Lesegenauigkeit und -geschwindigkeit im Grundschulalter, während das Leseverstehen stärker durch Kompetenzen in der mündlichen Sprache (Wortschatz, Grammatik) bedingt wird.

Die im Kita-Alltag spielerisch angelegte Vermittlung solcher Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs wird in der Frühpädagogik unter dem noch relativ jungen Begriff der Förderung von Early LiteracyLiteracy|||||Literacy in der frühen Kindheit und im Übergang zur Schule ist ein
Sammelbegriff für kindliche Erfahrungen und Kompetenzen rund um Buch-,
Erzähl-, Reim-und Schriftkultur
oder Emergent Literacy zusammengefasst. Hier sind drei einander ergänzende wesentliche Fördermöglichkeiten zu nennen: die spezifische Förderung der phonologischen Bewusstheit, sogenannte Literacy Center und Dialogisches Lesen.


Förderung der phonologischen Bewusstheit

Im Kita-Alltag findet die Förderung der phonologischen Bewusstheit oftmals alltagsintegriert in Form von Reim-, Rhythmus-, Silben-, Anlaut- und Phonemspielen statt. In spezifischen Förderprogrammen zur phonologischen Bewusstheit werden dagegen bestimmte Spieleinheiten nach einem festen Plan durchgeführt, was von pädagogischen Fachkräften teilweise als zu starr kritisiert wird. Unter Umständen erleben sie es als schwierig, die Programme spielerisch in den Alltag einzubauen und dabei alle Vorgaben genau einzuhalten. Dies ist jedoch wichtig, da die Wirksamkeit der Programme nur für ihre instruktionsgemäße Durchführung belegt ist. Die im deutschen Sprachraum bekanntesten Programme sind die sogenannten Würzburger Trainingsprogramme Hören, Lauschen und Lernen I und II und das Programm Lobo vom Globo. Das Programm Hören, Lauschen, Lernen I wird im letzten Kindergartenhalbjahr etwa zehn Minuten täglich durchgeführt und enthält Lauschspiele, Reime, Spiele zum Zerlegen von Sätzen und Wörtern sowie Einheiten zu Silben (Klatschen und rhythmisches Sprechen). Ein Schwerpunkt von Hören, Lauschen, Lernen II liegt zusätzlich auf der Buchstaben-Laut-Verknüpfung. Beim Programm Lobo vom Globo werden zweimal wöchentlich zwölf Wochen lang 24 Einheiten durchgeführt, die neben Reim- und Lautspielen auch Einheiten zu Textverständnis, Wortschatz und Sprachproduktion enthalten. Eine aktuelle Überblicksarbeit zur Wirksamkeit phonologischer Bewusstheitstrainings im deutschen Sprachraum, in welche die Ergebnisse vieler Einzelstudien eingingen, zeigte, dass die genannten Programme gleichermaßen wirksam sind. Die Wirksamkeit war jedoch geringer als bislang für den englischen Sprachraum berichtet. Untersucht wurden kurzfristige (bis zu einem Jahr nach Programmende) und langfristige Wirkungen (länger als ein Jahr nach Programmende) auf die phonologische Bewusstheit, die Buchstabenkenntnis sowie auf das Lesen und Schreiben. Überraschend war, dass im deutschsprachigen Raum die ergänzende Vermittlung von Buchstaben-Laut-Verknüpfungen in Programmen der phonologischen Bewusstheit keine zusätzliche positive Wirkung hatte. Die Anzahl der in die Überblicksarbeit einbezogenen Studien ist jedoch noch relativ gering, da viele Studien nicht einbezogen werden konnten, weil ihnen beispielsweise eine adäquate Vergleichsgruppe fehlte, in denen Kinder eine andere Art der Förderung erhielten.


Literacy Center

Beim Literacy Center handelt es sich im Vergleich zu den strukturierten Programmen der phonologischen Bewusstheit um eine stärker alltagsintegrierte und breiter angelegte Form der Sprachbildung, die 2002 in den USA entwickelt wurde. Im Prinzip lässt sich das Literacy Center als eine Spielumgebung beschreiben, die einen bestimmten Kontext simuliert (z. B. Post, Tierarztpraxis, Restaurant) und in der schriftsprachliches Material für Rollenspiele zur Verfügung gestellt wird, damit die Kinder eine Neugier auf das Lesen und Schreiben entwickeln. Es geht nicht darum, den Kindern verfrüht Lesen oder Schreiben beizubringen. Bei der Durchführung des Literacy Center lassen sich drei Phasen unterscheiden. Die erste Phase dient der Vorbereitung. Hier wird ein Thema festgelegt, das für die Kinder spannend ist und aus ihrem Umfeld, den Medien, eigenen Beobachtungen o. Ä. stammen kann. Dieses Thema wird mit den Kindern erkundet, es werden Informationen dazu eingeholt und beispielsweise Exkursionen unternommen. In der zweiten Phase, der Durchführung, spielen die Kinder in Rollenspielen u. a. schriftsprachliche Aktivitäten nach, die sie in dem erkundeten Themenbereich beobachtet haben. Dazu wird eine Umgebung geschaffen, in der Schreibmaterialien zur Verfügung gestellt und die Kinder zu ihrer Nutzung angeregt werden, z. B. eine Tierarztpraxis mit Rezeptblock und Karteikarten für die „Patienten“ und beschrifteten Schildern, z. B. mit dem Aufdruck „Wartezimmer“. Die dritte Phase dient der Reflexion und kann beispielsweise die Kinder dazu anregen, über das Erlebte nachzudenken und die gesammelten Schrifterzeugnisse gemeinsam zu sichten.
Literacy Center fördern nicht nur den Gebrauch dekontextualisierter Sprache, d. h. einer Sprache, die über das „Hier und Jetzt“ hinausgeht und dazu dient, einer anderen Person beispielsweise ein früheres Erlebnis zu berichten, sondern erhöhen auch den Anteil schriftbezogener Aktivitäten im Alltag der Kinder. Einige Studien weisen nach, dass die themenspezifischen, strukturierten Literacy-Handlungen einem allgemeinen Angebot von Lese- und Schreibmaterialien überlegen sind. Auch in Deutschland wurden positive Effekte des Literacy Centers nachgewiesen. Eine Studie hat zudem die Effekte eines Programms der phonologischen Bewusstheit mit den Wirkungen des Literacy Centers verglichen. Ein Literacy Center, das mit Spieleinheiten zur phonologischen Bewusstheit angereichert war, hatte offenbar stärkere Wirkungen auf die phonologische Bewusstheit von Kindern als ein Training zur phonologischen Bewusstheit allein.


Dialogisches Lesen

Das dialogische Lesen dient der Förderung von Sprachverständnis, Wortschatz und Sprachflüssigkeit. Im Gegensatz zum einfachen Vorlesen wendet die durchführende Person bestimmte Fragetechniken an, wie etwa offene und ergänzende Fragen. Zudem reagiert sie auf kindliche Aussagen in Form von Wiederholungen oder Erweiterungen und fordert die Kinder auf, Sätze zu vervollständigen oder Geschichten in eigenen Worten zu erzählen. Die Fragetechniken richten sich nach dem Alter der Kinder, wobei sich hauptsächlich die Art der gestellten Fragen unterscheidet. Während zwei- bis dreijährigen Kindern einfache „W-Fragen“ gestellt werden (Wer, Was, Wo, Wie), kommen bei vier- bis sechsjährigen Kindern „Weshalb“- und „Warum“-Fragen dazu, um den Kindern Impulse zum Weitererzählen einer Geschichte oder zum Vervollständigen von Sätzen zu geben. Zahlreiche Untersuchungen belegen die Wirksamkeit des dialogischen Lesens, beziehen sich jedoch in den meisten Fällen auf den englischen Sprachraum. Diese Studien weisen positive Effekte im Hinblick auf eine Erweiterung des Wortschatzes und des Verständnisses grammatischer Strukturen nach. Solche positiven Wirkungen entfalteten sich dann, wenn regelmäßig – idealerweise täglich – gelesen und die Kinder für ihre Beiträge gelobt wurden. Die Fördererfolge fallen bei jüngeren Kindern (zwei bis vier Jahre) größer aus als bei älteren und bei Individualförderung größer als bei Kleingruppenförderung.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im Elementarbereich sowohl wirksame alltagsintegrierte Ansätze zur Verfügung stehen, um breitere sprachliche Vorläuferfertigkeiten des Lesens wie Grammatik und Wortschatz zu fördern, nämlich das dialogische Lesen und die Literacy Center, als auch spezifische Programme zur Förderung der phonologischen Bewusstheit. Diese Ansätze sollten einander ergänzend eingesetzt werden, da gezeigt werden konnte, dass verschiedene Vorläuferfertigkeiten jeweils mit unterschiedlichen Aspekten späterer Lesefähigkeit zusammenhängen.



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