Beiträge chronologisch

Kinderschutz in der KiTa

Zwischen gesetzlichem Auftrag und der Praxis

Inhaltsverzeichnis

  1. Vom Bauchgefühl zur Sicherheit
  2. Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung
  3. Elterngespräche und Thematisierung im Team
  4. Kinderschutz im Kita-Alltag

Gesamten Beitrag zeigen

 

Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung

Was mache ich wie und wann im Kinderschutzfall? Mit wem berate ich mich? Was darf ich wem erzählen? Wie helfe ich dem Kind und den Eltern und was mache ich, wenn die Hilfe nicht ausreicht bzw. die Eltern diese nicht annehmen wollen oder wenn die Eltern nicht in der Lage sind, angebotene Hilfen umzusetzen? Das sind Fragen, die sich Fachkräfte stellen, wenn ein Kind gefährdet sein könnte.

 

Kindeswohlgefährdung

Als Kindeswohlgefährdung gilt gemäß Bundesgerichtshof »eine gegenwärtige in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt«. Gemäß dieser Definition müssen drei Kriterien gleichzeitig erfüllt sein, damit von einer Kindeswohlgefährdung auszugehen ist:

  1. Die Gefährdung des Kindes muss gegenwärtig gegeben sein.
  2. Die gegenwärtige oder zukünftige Schädigung muss erheblich sein.
  3. Die Schädigung muss sich mit ziemlicher Sicherheit vorhersehen lassen, sofern sie noch nicht eingetreten ist.

 

 Gesetzliche Grundlage für das Handeln von Fachkräften der Jugendhilfe im Kinderschutzfall oder bei entsprechenden Verdachtsfällen ist der § 8a Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII). Fachkräfte aus Einrichtungen und von Trägern der Kinder- und Jugendhilfe haben gemäß Abs. 4 einen aus dem Grundgesetz abgeleiteten Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung. Entsprechend dieses Auftrages haben auch Mitarbeiterinnen in Kindertageseinrichtungen eine Gefährdungseinschätzung unter Hinzuziehung »einer insoweit erfahrenen beratenden Fachkraft« und unter Einbeziehung der Erziehungsberechtigten und des Kindes vorzunehmen.

Sie bieten den Eltern notwendige und geeignete Hilfe an und wirken darauf hin, diese zu nutzen. Dabei geht es nicht um Hilfen über ihre Aufgabe als Erzieherinnen hinaus, vielmehr darum, den Eltern das Wissen einer Fachkraft zur Verfügung zu stellen, etwa auf die Notwendigkeit von Klarheit und Ritualen zu verweisen oder auf Freizeit- oder Unterstützungsangebote in der Kommune zu verweisen. Sollte die Gefährdung für das Kind so nicht abgewendet werden können, weil die Eltern nicht bereit oder in der Lage sind oder die Möglichkeiten der Kita nicht ausreichen, um die Gefahr für das betreffende Kind abzuwenden, sind die Fachkräfte der Kita verpflichtet, das Jugendamt zu informieren.


Damit die Mitarbeiterinnen in Kindertagesstätte im Kinderschutzfall kompetent und sicher handeln können, besteht zwischen den örtlich zuständigen Jugendämtern und den Trägern der Kindertageseinrichtungen eine gesetzlich vorgeschriebene schriftliche Vereinbarung über die Regelungen zum Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung. Ein qualifiziertes Kinderschutzverfahren der Kindertageseinrichtungen sollte Anlage einer solchen Vereinbarung sein.

 


§ 8a SGB VIII – Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung
(4) In Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten, die Leistungen nach diesem Buch erbringen, ist sicherzustellen, dass ...
4. deren Fachkräfte bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für die Gefährdung eines von ihnen betreuten Kindes oder Jugendlichen eine Gefährdungseinschätzung vornehmen,
5. bei der Gefährdungseinschätzung eine insoweit erfahrene Fachkraft beratend hinzugezogen wird sowie
6. die Erziehungsberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche in die Gefährdungseinschätzung einbezogen werden, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder Jugendlichen nicht infrage gestellt wird.
In die Vereinbarung ist neben den Kriterien für die Qualifikation der beratend hinzuzuziehenden insoweit erfahrenen Fachkraft insbesondere die Verpflichtung aufzunehmen, dass die Fachkräfte der Träger bei den Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, wenn sie diese für erforderlich halten, und das Jugendamt informieren, falls die Gefährdung nicht anders abgewendet werden kann.

 

 

 Träger von Einrichtungen u.a. haben gemäß § 8b Abs. 2 SGB VIII gegenüber dem überörtlichen Träger der Jugendhilfe, also dem Landesjugendamt, Anspruch auf Beratung bei der Entwicklung und Anwendung fachlicher Handlungsleitlinien zur Sicherung des Kindeswohls und zum Schutz vor Gewalt. Träger bzw. Einrichtungen müssen bei der Erarbeitung solcher Verfahren nachfolgende gesetzlich bestimmten Schritte, aber auch einrichtungs- und trägerspezifische Besonderheiten (Größe, Leitungsstruktur, Aufgabenverteilung) beachten:

  • Erhält eine Mitarbeiterin einer Kindertagesstätte Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung, informiert diese in der Regel umgehend die Kitaleitung. Die Hinweise sind zu dokumentieren.
  • Die Kita-Leitung beruft zur Abschätzung des Gefährdungsrisikos unverzüglich eine Fallberatung ein und sorgt ggf. und eigenverantwortlich für die Information und Einbeziehung »einer insoweit erfahrenen Fachkraft«.
  • An der Fallberatung sollten in der Regel teilnehmen: die Kita-Leitung, ggf. die Ansprechpartnerin für den Kinderschutz, die Bezugserzieherin des Kindes sowie die Erzieherinnen, die Kenntnis von der Gefährdung haben. Auch eine insoweit erfahrene Fachkraft ist gem. § 8a Abs. 4 SGB VIII hinzuziehen. Im Ergebnis wird ein Protokoll der Fallberatung (Dokumentationsbogen Kinderschutz) niedergeschrieben, in dem u.a. dokumentiert wird, welche Anzeichen einer Kindeswohlgefährdung mit welcher Häufigkeit aufgetreten sind und welche weiteren Maßnahmen nach dem Prinzip »Wer macht was bis wann?« vereinbart wurden.
  • Liegt eine Gefährdung des Kindes vor, wird festgelegt, wer in welchem Zeitraum was tut, so z.B. Gespräche mit Eltern führt bzw. notwendige Hilfsangebote unterbreitet. Hierzu wird ein verbindlicher Schutzplan erstellt, der konkrete Maßnahmen nach dem Muster »Wer macht was bis wann?« enthält. Diese Maßnahmen werden innerhalb der festgelegten Frist durch die Leitung oder eine andere verantwortliche Mitarbeiterin der Einrichtung kontrolliert. Werden die Hilfsangebote durch Kinder bzw. Eltern nicht angenommen oder sind diese dazu nicht in der Lage oder stellt sich heraus, dass diese nur bedingt wirksam werden, meldet die Kita-Leitung ihren Verdacht dem Jugendamt.
  • Bei akuter Gefährdung ist das Jugendamt bzw. der Kindernotdienst sofort zu informieren oder die Polizei zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr im Zuge von Amtshilfe um Unterstützung zu bitten. Bei gravierender und andauernder Kindeswohlgefährdung kann die Kitaleitung das Familiengericht auch direkt anrufen. Das Jugendamt sollte davon aber unmittelbar in Kenntnis gesetzt werden.

 

Die meisten Träger haben zusammen mit den Jugendämtern Verfahren für den Fall entwickelt, dass ein Kind geschützt werden muss. Diese werden formal durch die Träger an die Kindertageseinrichtungen weitergegeben. Dennoch sind sie oft den Fachkräften in der Kita nicht bekannt. Die Umsetzung solcher Verfahren im Praxisalltag gelingt bisher nur unzureichend.


Viele Fachkräfte würden ein qualifiziertes Kinderschutzverfahren unterstützen. Sie können sich dadurch rückversichern und Entscheidungen legitimieren. Außerdem können sie so ihr Handeln transparent dokumentieren und es für Außenstehende (Eltern, Ämter, Gerichte) nachvollziehbar machen. Ein solches Verfahren würde auch die Kooperation und den fachlichen Austausch mit anderen Fachkräften unterstützen und den Erzieherinnen mehr Sicherheit für das eigene Handeln geben.


In unserem Musterfall mit dem Säugling mit dem wunden Po hätte ein internes Verfahren die Erzieherin unterstützt und ihr ein Handeln entlang eines klar strukturierten Ablaufes ermöglicht. Der erste Schritt wäre hier ein Gespräch mit der Kitaleitung unter Hinzuziehung der Ansprechpartnerin für Kinderschutz gewesen. Die Anzeichen für eine Gefährdung hätten im kollegialen Austausch oder unter Einbeziehung einer insoweit erfahrenen Fachkraft besprochen werden und erst dann über weiterführende Maßnahmen entschieden werden können. Hier muss immer geprüft werden, ob die internen Maßnahmen der Kita für die Abwendung der Gefährdung ausreichen und ob die Eltern bereit oder in der Lage sind, angebotene Hilfe anzunehmen. Erst wenn einer der drei genannten Faktoren nicht erfüllt ist, muss das Jugendamt eingeschaltet werden.

 



Verwandte Themen und Schlagworte