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Angelika Hartmann (1829-1917)


Helge Wasmuth bedauert, dass die Fröbelpädagogin Angelika Hartmann "in der Regel" kaum eine Würdigung findet, trotz ihrer umfangreichen pädagogischen Tätigkeiten. Einen Grund für dieses historische DesideratDesiderat|||||Ein Desiderat wird auch als ein Wunschgegenstand bezeichnet. Oftmals ist es ein Objekt oder abstraktes Ding, das mehr oder weniger dringend gewünscht wird und in der Umgebung fehlt. sieht er in der Tatsache, dass ihr "veröffentlichtes schriftstellerisches Werk nicht sehr umfassend ist“ (Wasmuth 2011, S. 237). Und in der Tat, noch immer gehört die fehlende Wertschätzung Angelika Hartmanns für den Kindergarten sowie für die Fröbelbewegung zum vergessenen pädagogischen Erbe in der Historiographie. Und dies, obwohl sie schon zu Lebzeiten als eine der Frauen und Männer gerühmt wurde, die sich um die Verbreitung der Fröbelschen Ideen und ihrer Fortentwicklung verdient gemacht hat (vgl. Loss 1906, S. 489; Heller u. a. 1911, S. 324) und heute noch einige soziale Einrichtungen nach ihr benannt worden sind.

Leben und Wirken
 

Angelika Hartmann 200Angelika Hartmann (Quelle: Ida Seele-Archiv)Henriette Angelika Hartmann erblickte am 12. Juli 1829 als zweites von vier Kindern des Carl Eduard Hartmann, Konsistorialrat und Inspektors der Töchterschule  sowie Hilfspredigers der ev.-luth.  St. Agnus Kirche und dessen Ehefrau Henriette Wilhelmine, geb. Gärtner, in Köthen  das Licht der Welt. Die Mutter verlor sie bereits im fünften Lebensjahr. Ein weiterer schwerer Schicksalsschlag ereilte sie im Alter von 16 Jahren, als der über alles geliebte und treusorgende Vater starb. Großen Beistand erhielt die Waise durch den Fröbelpädagogen und Gymnasialprofessor Kar Schmidt, der sie in die Pädagogik und Philosophie des "Kindergartenstifters" einführte:

"Über meinen verehrten Lehrer Karl Schmidt lernte ich ein von einem großen Erziehungsgedanken getragenes geistiges Werk kennen. Immer mehr vertiefte ich mich in Fröbels Weltanschauung und fühlte mich mit meinem eigenen Erleben und Denken aufgenommen und bestätigt in der Weite und Tiefe seiner Gedankenwelt. Friedrich Fröbel wurde mir in jeder Hinsicht zum Vorbilde" (zit. n. Berger 1995, S. 70).

Das junge Mädchen wäre gerne Kindergärtnerin geworden und hatte sich schon brieflich an Friedrich Fröbel gewandt, da es bei ihm die Ausbildung absolvieren wollte. Der Kindergartenstifter schrieb im ersten Brief:

"Hauptbedingung für eine Kindergärtnerin ist klarer Geist und ein ruhiges liebendes Gemüth" (zit. n. Hartmann 1874, S. 105).

Doch durch den Tod des Vaters musste Angelika Hartmann ihren Berufswunsch zurückstellen, da sie die Verantwortung für sich und teilweise auch für ihre jüngeren Geschwister übernahmen musste.

Auf Anraten von Karl Schmid absolvierte Angelika Hartmann in Dresden am dortigen Privatseminar von Bruno Marquart die Ausbildung zur Kindergärtnerin. Anschließend eröffnete sie in der Stadt an der Elbe einen privaten Kindergarten, den sie Anfang 1864 in andere Hände übergab. In die Heimatstadt zurückgekehrt, gründete die Kindergärtnerin sogleich einen Fröbelkindergarten, der Ende 1865 schon von 30 bis 40 Kindern besucht wurde. Ihrer Einrichtung fügte sie eine dreiklassige Elementarschule sowie eine höhere Töchterschule hinzu, später noch ein Kindergärtnerinnen- und Lehrerinnenseminar. Diese allumfassende "Versuchs- und Musteranstalt" nannte die Begründerin in Würdigung ihres verehrten Lehrers "Dr. Karl-Schmidt-Institut":

"Die Kinder wurden hier im Sinne der anthropologischen Pädagogik ihres Lehrers Karl Schmidt nicht als Objekt der Erziehung durch die Erwachsenen betrachtet, sondern als empfindende, erkennende und handelnde Persönlichkeiten. Anstelle des pädagogisch-belehrenden Zeigestockes trat bei Hartmann die erzieherische Kraft der spielerischen Tätigkeit, die eine umfassende Unterstützung zu einer allseitigen Entwicklung ermöglichte. Und dieses Erziehungskonzept - so war es von Hartmann gewollt - sollte allen pädagogisch interessierte Köthenern zugänglich sein" (Egerland 1997, S. 27).

Da man Angelika Hartmanns Engagement in Köthen nicht gerade mit Wohlwollen begegnete verlagerte sie 1875 ihre pädagogische Wirksamkeit in die für die Kindergarten- und Fröbelbewegung offenere Stadt Leipzig. Dort gründete sie den "Leipziger Fröbelverein", einen Volkskindergarten mit einem Seminar zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen an Bürgerschulen, den Kindergartenverein "Hartmania'" sowie den Verein "Deutsche Mütter". Zusätzlich engagierte sich die aktive Fröbelanhängerin im "Deutschen Fröbelverein". Im Jahre 1895 übereignete sie ihre Einrichtungen dem "Leipziger Fröbelverein", der 1904 ein eigenes Gebäude kaufte und es "Angelika-Hartmann-Haus" nannte.

Die Pädagogin, die weit über 5.000 junge Frauen zu Kindergärtnerinnen ausgebildet hatte, starb hochbetagt im Alter von 87 Jahren, alleinstehend und kinderlos, am 22. März 1917 in Leipzig. Dort wurde sie auf dem Südfriedhof beigesetzt.

Zweck und Sinn des Kindergartens und seine Verbindung zur Schule

Angelika Hartmann befasste sich insbesondere mit der organischen Verbindung von Kindergarten und Schule - ohne dabei zu versäumen auf die grundsätzliche Bedeutung des Kindergartens für die Familie sowie für die allseitige kindliche Entwicklung hinzuweisen. Demzufolge ist Zweck der "Erziehungsstätte" Kindergarten, den Kindern eine "ihrem Wesen entsprechende Erziehung angedeihen" (Hartmann 1893, S. 5) zu lassen. Neben der Pflege des Körpers hat der Kindergarten - so Hartmann - auch die "allseitige Geistesbildung auf Grund der Entwickelung der Sinnesorgane immer das höchste Ziel der harmonischen Gestaltung des jungen Menschenkindes im Auge behaltend (ebd.). Schon im Jahre 1877 formulierte die Pädagogin in der populären Zeitschrift "Die Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt " über Zweck und Sinn des Kindergartens, als ergänzende Einrichtung der Familienerziehung sowie Basis für die Schule:

A  HartmannPublikation von Angelika Hartmann (Quelle: Ida Seele-Archiv)"Und wie die Familie ein Tempel der Liebe, der Ehrbarkeit und Heiligkeit sein, wie hier das Kind von Liebe umgeben und mit Verständnis für seine individuelle Beanlagung behandelt und beeinflußt werden soll, so muß der Kindergarten, der die Familie nicht ersetzt, wohl aber ergänzt, von dem Geiste pädagogischer Überzeugung getragen sein, muß eine allseitige Entwicklung der Menschennatur anstreben... Er soll die Mutter nicht der Pflichten gegen ihr Kind entheben, nein - er soll sich anschließen an eine solide, von der Mutterliebe und verständiger väterlicher Einwirkung getragene Familienerziehung und das dem Kinde reichen, was keine Familie bieten kann: eine regelmäßige Arbeit in Gemeinschaft gleichaltriger Genossen... Ein guter Kindergarten muß  daher immerhin Ansprüche, wenn auch maßvolle, an die Kindeskraft machen, nicht zu viel und zu vielerlei den Kindern bieten, aber alle Erziehungsmittel auf ein einheitliches Ziel - auf die Selbsttat lenken... Zudem soll er jedoch durch seine Einwirkung auf die Charakteranlagen der Zöglinge diese tüchtig machen, sich schon in früher Jugend in einer sittlichen Gemeinschaft einen Platz, ein Feld nützlicher Tätigkeit zu erobern. Mit solchen Prinzipien ist er dann gewiß wert, als eine Basis der Schule angesehen zu werden" (Hartmann 1877, S. 314 f).

Angelika Hartmann war davon überzeugt, dass die isolierte Stellung des Kindergartens seinem vorschulpädagogischen Auftrag hinderlich im Weg stehe. Demzufolge plädierte sie für eine institutionell-organische Verbindung von Kindergarten und Schule, die für beide Einrichtungen nur von veritablem Nutzen sein würde. Dies hätte den Vorteil, dass der Kindergarten unter staatliche Überwachung käme, "wodurch eine einheitliche Vorgehensweise gewährleistet wäre" (Franke-Meyer 2001, S. 172). Die Pädagogin konstatierte folgerichtig  :

"Diese Verbindung würde auch entschieden für beide Anstalten von förderlichen Einflusse sein, denn wenn die Schule einesteils durch eine solche Vereinigung eine beschwerliche Arbeit abgenommen wird, indem der Kindergarten die vorschulpflichtigen Kinder durch Spiel und Beschäftigung in anschaulicher Weise auf einen systematischen Unterricht vorbereitet, und die Schule fernerhin durch Benutzung der Beschäftigungsmittel mannigfache Stoffe erhält zur Pflege und Entwickelung des Handgeschicks und Darstellungsvermögens bei Kindern, - so gereicht dem Kindergarten andererseits diese Verbindung noch zu weit größerem Vorteil, weil er dadurch aus seiner isolierten Stellung heraustritt, unter eine behördliche Aufsicht gestellt wird, so daß nicht, wie heute in Deutschland, bei der Leitung der Kindergärten die Privatinteressen, sondern gesetzliche Bestimmungen maßgebend sind" (Hartmann 1893, S. 9 ff).

Folgende drei Punkte wären hinsichtlich einer organischen Verbindung beider Institutionen zu bedenken:

"1. Kindergarten und Schule lassen eine organische Verbindung mit einander zu, weil beide Anstalten eine gleiche  wissenschaftliche Basis haben und gleichen Erziehungszwecken dienen.

2. Die organische Verbindung wird durch die vom Kindergarten in die Schule überführenden  Erziehungsstoffe vollzogen, mit der Forderung, daß dieselben in der Schule eine der Befähigung des schulpflichtigen Kindes angemessene unterrichtliche Behandlung erfahren, also in den Dienst des Unterrichts treten.

3. Kindergarten und Schule erfüllen erst in dieser organischen Verbindung  ihre ihnen von der heutigen Zeit gestellten Aufgaben" (ebd., S. 29 f).

 
Förderung der Aufnahme und Konzentrationsfähigkeit

1904 erschien Angelika Hartmanns Lehrbuch "Fröbels Erziehungsmittel nach der Konzentrationsidee bearbeitet für Kindergarten und Familie". In genannter Schrift "gab sie Hinweise zur Verbesserung der Aufnahme- und Konzentrationsfähigkeit des Kindergartenkindes als eine wesentliche Grundvoraussetzung für den späteren Schulunterricht" (Wasmuth 2001, S. 237). Von Henriette Schrader-Breymann übernahm sie das didaktisch-methodische Verfahren des sogenannten "Monatsgegenstandes", das sie allerdings auf ein jeweils ein- bis zweiwöchiges Thema begrenzte. Mit dieser konzeptionellen Neuerung suchte Angelika Hartmann den Jungen und Mädchen, eingeteilt in Gruppen zu 12 bis 25 Kindern, eine Sachbegegnung zu ermöglichen. Dabei wurde ein bestimmtes Thema (wie beispielsweise Tier, Pflanzen) in das Interesse der Kinder gerückt:

"Durch die Darreichung von Anschauungsobjekten soll nun dem Kinde Gelegenheit geboten werden, eingehendere Beobachtungen an einem Gegenstande seiner Umgebung zu machen, seine Sinne damit zu schärfen und, mehr als dies bisher im Kindergarten geschehen ist, die Tätigkeit derselben auf einen Gegenstand zu richten - also seine Aufnahmefähigkeit zu konzentrieren. Diese Konzentration muß im Kindergarten durch eine enge Verbindung der Spiele und Beschäftigungen, sowie dessen, was mit ihnen zusammenhängt - also Unterredungen im Zimmer und auf Spaziergängen, Erlernen von kleinen Liedchen, auch Nachahmungen der Arbeiten, die z. B. die Handwerker usw. vollziehen, bewerkstelligt werden... Ich suche dies im Kindergarten dadurch zu ermöglichen, daß ich... für eine oder zwei Wochen ein Anschauungsobjekt wähle und um dasselbe alle vorzunehmenden Spiele und Beschäftigungen gruppiere" (Hartmann 1904, S. 1).

 

Literatur

  • Berger, M.: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt 1995
  • Egerland, H.: Angelika Hartmann 1829 - 1917. Pädagogin im Geiste Fröbels, Köthen 1997
  • Franke-Meyer, D.: Kleinkindererziehung und Kindergarten im historischen Prozess. Ihre Rolle im Spannungsfeld zwischen Bildungspolitik, Familie und Schule, Bad Heilbrunn 2011
  • Hartmann, A.: Wie Fröbel Kindergärtner wurde, in. Cornelia. Illustrierte Monatsschrift für Erziehung und unterricht, Leipzig 1874, S. 105-107
  • Dies.:  Kindergarten und Charakterbildung, in: Die Gartenlaube. Illustrirtes Familienblatt 1877, S. 314-315
  • Dies.: Wie kann die organische Verbindung des Kindergartens mit der Elementarschule hergestellt werden? Abhandlung, als Beantwortung der von der Abteilung für Unterrichts- und Erziehungswesen des Kongresses in Chicago gestellten Frage, Leipzig 1893
  • Dies.: Fröbels Erziehungsmittel nach der Konzentrationsidee bearbeitet für Kindergarten und Familie, Leipzig 1904
  • Heller, Th./Schiller, F./Taube, M.: Enzyklopädisches Handbuch des Kinderschutzes und der Jugendfürsorge, I. Band: Abhärtung - Kunsterziehung, Leipzig 1911
  • Loos, J. Hrsg.): Enzyklopädisches Handbuch der Erziehungskunde, I. Band [A-L], Wien/Leipzig 1906
  • Wasmuth, H.: Kindertageseinrichtungen als Bildungsinstitutionen. Zur Bedeutung von Bildung und Erziehung in der Geschichte der öffentlichen Kleinkindererziehung in Deutschland bis 1945, Bad Heilbrunn 2011


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