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Inklusion in der Krippe

Mittendrin von Anfang an

Inhaltsverzeichnis

  1. Von der Integration zur Inklusion
  2. Inklusion braucht professionelle Fachkräfte
  3. Forschungsergebnisse
  4. Inklusive Krippen als Motor der Qualität
  5. Literaturverzeichnis

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Von der Integration zur Inklusion

Die Realisierung von sozialer Teilhabe und Inklusion erhält mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention eine neue Dynamik. Während die deutschsprachige Fassung der völkerrechtlichen Vereinbarung von der Gewährleistung eines integrativen Bildungssystems spricht, verweist der für Deutschland rechtsgültige englische Originaltext der Vereinbarung den Begriff der „inclusive education“, der weit mehr anstößt, als in der Praxis der Integration erkennbar wird. Auf der anderen Seite kann zunehmend beobachtet werden, dass in bildungspolitischen und fachlichen DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput. en der Begriff Inklusion den Begriff Integration ablöst, weil er der vermeintlich modernere ist, ohne dabei aber die Veränderungsbedarfe zu thematisieren, die damit einhergehen. Inklusion setzt jedoch ein verändertes Verständnis von Normalität und Vielfalt in einer Gesellschaft voraus und unterscheidet sich in zentralen Punkten von der Integration von Menschen mit Behinderung, oder der Integration von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte (vgl. Weltzien & Albers, 2014).

 

  • Integration will den Menschen mit Behinderung oder den Menschen mit Migrationshintergrund in ein bestehendes System einpassen, Inklusion hingegen betrachtet den Menschen von Anfang als Teil der Gesellschaft

  • Inklusion nimmt keine Unterteilung in Gruppen (Menschen mit Behinderung, Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund etc.) vor, sie will das System (z.B. Krippe, Kindergarten, Schule, Arbeit, Wohnen) an die Bedürfnisse der Menschen anpassen

     

  • Inklusion basiert auf dem Ansatz einer Pädagogik der Vielfalt – die Unterschiedlichkeit aller Menschen ist kein zu lösendes Problem, sondern eine Normalität - an diese Normalität wird das System angepasst und nicht umgekehrt

  •  Inklusion ist nicht auf Bildungsinstitutionen beschränkt, sondern bezieht sich auf die Teilhabe in allen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens


Inklusion setzt insofern ein Verständnis von Normalität und Vielfalt in einer Gesellschaft voraus, das von einer grundsätzlich heterogenen Gesellschaftsstruktur ausgeht, in der sich Menschen in vielfacher Hinsicht in ihren Voraussetzungen voneinander unterscheiden: seien sie geschlechtlich, sozial, ethnisch, vom Alter, der Nationalität oder körperlicher Verfassung und Intelligenz.

Für Kindertageseinrichtungen verbindet sich mit dem Begriff der Inklusion der Gedanke, allen Kindern ein gemeinsames Aufwachsen zu ermöglichen. Inklusion kann dabei als konsequente Weiterentwicklung der Integrationsbestrebungen der 1970er Jahre verstanden werden, die sich zum Ziel gesetzt hatten, die gemeinsame Bildung von Kindern mit und ohne Behinderung in Kindergarten und Schule voranzutreiben. Vor allem der Initiative von Eltern ist es dabei zu verdanken, dass die Integration von Kindern mit Behinderung in Kindertageseinrichtungen mittlerweile die Regel ist und die Unterstützung in Sondereinrichtungen dagegen die Ausnahme bleibt. In diesem Kontext versteht sich Inklusion auch als umfassendes Konzept zur Überwindung von Benachteiligung und Diskriminierung im Bildungssystem aufgrund individueller Zuschreibungen oder Merkmale zugunsten einer Orientierung an den Ressourcen eines jeden Kindes.

Kindertageseinrichtungen gehen im Vergleich zu Schulen grundsätzlich offener mit der Vielfalt um, da sie traditionell nicht auf Segregation und Homogenisierung von Lerngruppen ausgerichtet sind. Sie ermöglichen ein Zusammenleben von Kindern, die sich aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihrer körperlichen, kognitiven, sprachlichen, kulturellen und sozial-emotionalen Voraussetzungen voneinander unterscheiden. Dies impliziert nicht, dass alle Kinder in einer Einrichtung gleich sind, sondern vielmehr, dass alle Kinder trotz ihrer Unterschiedlichkeit über die gleichen Rechte verfügen.

Im gemeinsamen Aufwachsen von Anfang an besteht dabei eine große Chance. So geht man in der Einstellungsforschung, die sich mit Bewertungen, Vorurteilen und Zuschreibungen von Personen und Personengruppen beschäftigt, davon aus, dass Kinder sich mit zunehmenden Alter immer negativer gegenüber Vielfalt äußern, Vorurteile und Zuschreibungen von Erwachsenen übernehmen und schon ab dem achten Lebensjahr eine recht stabile Einstellung gebildet haben (Nickel 1999). Erleben Kinder jedoch schon früh Vielfalt als Normalität, ergeben sich daraus Chancen für die Entwicklung und Sozialisation: In heterogenen Krippen und Kindergärten lernen sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede kennen und erleben dies als selbstverständlich. Kinder begegnen anderen Kulturen und Sprachen mit Interesse, vergleichen unterschiedliche körperliche Voraussetzungen mit ihren eigenen Möglichkeiten und zeigen sich offener gegenüber Vielfalt. Die Kategorie „Behinderung“ spielt dabei zunächst noch keine Rolle, die Vorstellung dieser Zuschreibung kann sich aber im Verlauf der Entwicklung verändern.

Kinder erleben im gemeinsamen Aufwachsen mit Kindern verschiedener Fähigkeiten und anderer Herkunft Unterschiede und Gemeinsamkeiten in einer Gruppe. Sie stellen dabei immer auch Fragen („Warum kann die noch nicht laufen?“) und benötigen Unterstützung von Erwachsenen, die diese einfühlsam und kompetent beantworten können. Der bloße Kontakt zu Kindern mit Behinderung führt also nicht zwangsläufig zur sozialen Integration und zum Abbau von Vorurteilen, vielmehr sind mit der Interaktion in der Peergruppe hohe Anforderungen an frühpädagogische Fachkräfte geknüpft.

Eine inklusive Frühpädagogik lenkt die Blickrichtung nicht auf die Beeinträchtigung oder das Merkmal eines Kindes, sondern auf die Prozesse zwischen dem Kind und seiner Umwelt. Die professionelle Perspektive richtet sich damit weg von den Defiziten des Kindes hin zu den Gestaltungsmöglichkeiten in der Umgebung und den individuellen Ressourcen und Teilhabechancen eines Kindes. Eine wichtige Aufgabe der frühpädagogischen Fachkräfte besteht neben der individuellen Bildung, Betreuung und Erziehung entsprechend auch in der Unterstützung bei der Lebensbewältigung und der sozialen Eingliederung der Kinder und ihrer Familien. Ziele einer solchen Pädagogik der Vielfalt sind Chancengleichheit, Antidiskriminierung, soziale Gerechtigkeit und Teilhabe.

 



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