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Fachkräftemangel und Qualifikationsfrage

Der Personalmangel in der Kindertagesbetreuung als Chance, die Qualifikationsfrage radikaler zu stellen

Inhaltsverzeichnis

  1. Ausbildungsmodell muss verändert werden
  2. Seiteneinsteiger sind mehr als ein Notbehelf
  3. Die Frage nach der Sicherung der erforderlichen Qualität
  4. Literatur
  5. Fußnoten
  6. Veröffentlichungsnachweis

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2. Seiteneinsteiger sind weit mehr als nur ein Notbehelf!


Die Suche nach Personalressourcen richtet zwangsläufig den Blick auch auf Menschen, die bisher für eine ErzieherInnenausbildung nicht in Frage kamen oder für die eine solche Ausbildung nicht in Frage kam. Will man z. B. den Männeranteil am Fachpersonal erhöhen, dann scheint es wenig erfolgversprechend, auf die Berufswahlen von 16- bis 18jährigen jungen Männern zu hoffen. Berufe, die in diesem Alter völlig uncool sind, entwickeln aber nach zehn Jahren Berufspraxis in einer Schlosserwerkstatt womöglich eine hohe Attraktivität; insbesondere wenn Erfahrungen mit eigenen Kindern dazu gekommen sind. Das gilt auch für Bankangestellte, Stewards und Stewardessen usw. Dass lebens- und berufserfahrene Menschen i.d.R. eine große Bereicherung für die Kinder wie für das PädagogInnenteam sind, bedarf keiner Belege. Schwieriger wird die Beantwortung der Frage, WIE und vor allem ALS WAS solche Seiteneinsteiger in die Kindertagesbetreuung einmünden können. Der Klarheit in einer sowieso aufgeladenen Debatte hilft es, wenn die m.E. drei Ziele auseinander gehalten werden, auch wenn Mischformen und Übergänge möglich und sinnvoll sind:

  1. Sie absolvieren eine Ausbildung und werden pädagogische Fachkräfte
  2. Sie machen eine Kurzqualifizierung oder werden angelernt und werden Hilfskräfte in den Einrichtungen.
  3. Sie bleiben pädagogische Laien und ergänzen aufgrund ihrer speziellen Kompetenzen die fachliche Arbeit der Kita

Zu 1. )

Lebens- und Berufserfahrene können in gemeinsamen Fachschulklassen/Seminargruppen mit 16- bis 20-jährigen jungen Menschen in der Erstausbildung i. d. R. ihre Potenziale nicht entfalten. Für sie waren immer schon die oben grundsätzlich befürworteten tätigkeitsbegleitenden Ausbildungsgänge der angemessene Weg. Dass dieser Weg noch so wenig begangen wurde und wird, hat auch mit der für Lebensältere meist unbedingt erforderlichen Finanzierung von Lebensunterhalt und Ausbildung zu tun. Die eigenwilligen Kriterien der Arbeitsförderung (Zertifizierungserfordernis von Bildungsträgern, auch wenn sie der staatlichen Schulaufsicht unterstehen; die Förderdauer nur zu einem Anteil von 2/3 des Ausbildungszeitraums) ließen diesen Weg für Berufswechsler nur in wenigen Fällen, unter Schwierigkeiten oder mit Tricks zu. Immerhin hat die 2/3-Regel zur Entwicklung eines zweijährigen Ausbildungsmodells zur Fachkraft für den Kitabereich (unter Verzicht auf die weiteren Tätigkeitsfelder HzE, Jugendarbeit…) geführt, das in Brandenburg zuerst unter dem Begriff „Männerqualifizierung“ und jetzt nach der Öffnung auch für Frauen „Profis für die Praxis“ bekannt geworden ist. (Diskowski 2007)

In einem nennenswerten Umfang werden aber Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger den Weg über eine tätigkeitsbegleitende Ausbildung erst in Anspruch nehmen können, wenn ihnen eine anteilige Berücksichtigung im Personalschlüssel während des Ausbildungszeitraums wenigstens auf einem niedrigen Niveau den Lebensunterhalt sichert.[9]

Nun gibt es eine Reihe möglicher Seiteneinsteiger, die einschlägige und relevante Vorerfahrungen und Vorkenntnisse mitbringen. Von ihnen zu erwarten, dass sie noch eine Fach(hoch)schulausbildung absolvieren, ist häufig nicht nur unangemessen, sondern auch wenig sinnvoll, weil Lernstoff und Lernrahmen häufig wenig mit ihren Vorerfahrungen zu tun haben. Selbst wenn solche Möglichkeiten wie Einstufungsprüfungen in die Fach-(Hoch-)Schule möglich wären, bleibt die Frage, ob ihr noch bestehender Qualifizierungsbedarf durch den Einstieg in die reguläre Ausbildung sinnvoll gedeckt werden könnte.

Nun kennen und fördern wir bei Kindern deren individuelle Bildungsprozesse. Das Anknüpfen am Vorhandenen, die Unterstützung der Kinder beim Entwickeln ihrer eigenen Themen und Lösungsstrategien ist einheitlich Forderung aller Kita-Bildungspläne. Die Feststellung der individuellen Lernausgangslagen und die Ausrichtung des Unterrichts auf diese individuellen Ausgangslagen ist sogar in der Grundschule inzwischen State of the art. Nur für die berufliche Qualifizierung von Erwachsenen ist uns eine solche Vorstellung fremd!

Aber es gibt inzwischen mehr als zwei Jahre Erfahrung mit der individuellen Bildungsplanung auf dem Weg zur Fachkraft für Kitas. An die 200 Kräfte haben in Brandenburg ihre vorhandenen Kenntnisse und Erfahrungen durch speziell auf sie und ihr zukünftiges Aufgabengebiet abgestimmte Qualifikationsmaßnahmen durchlaufen (von Seminaren bis zu angeleiteter, reflektierter und ausgewerteter Praxis) und sind heute durch das staatliche Landesjugendamt anerkannte Fachkräfte der Kindertagesbetreuung in Brandenburg.


Zu 2.)

Obwohl regional sehr unterschiedlich die Beschäftigung von Hilfskräften neben den (leitenden) ErzieherInnen durchaus üblich ist, und obwohl negative Auswirkungen auf die Betreuungsqualität nicht bekannt und m. W. nicht einmal diskutiert sind, gilt doch eine Minderung des Personalproblems auf diesem Weg als absolut nicht p.c. („pädagogisch correct“). Will man sie aber mittelfristig aus der Kita heraus haben, werden die Berufsfachschulabschlüsse („SozialassistentIn“, „KinderpflegerIn“ …) entweder zur Sackgasse oder zur reinen Durchgangsstufe zur Fachschule, um die Fiktion einer echten Fachschule als Weiterbildungseinrichtung aufrecht zu erhalten.

In diesem Arbeitsfeld Kindertagesbetreuung, in dem auf Harmonie und Egalität Wert gelegt wird, ist eine Hierarchisierung durch leitende und helfende Fachkraft sicherlich störend. Allerdings sind Hierarchie und Aufstiegsmöglichkeiten zwei Seiten derselben Medaille; wer das eine will, muss das andere mögen; und das Fehlen von Aufstiegsperspektiven gilt doch gemeinhin als ein schwerer Mangel des Berufs.

Statt in grundsätzlicher Abwehr zu verharren, wäre es m.E. doch vielmehr angebracht zu klären, welche Funktionen leitende und helfende Kräfte übernehmen könnten. Allerdings wäre dies zu klären auf der Grundlage eines modernen Bildungsverständnisses, das die traditionelle Unterscheidung von pädagogischen und pflegerischen Tätigkeiten überwunden haben sollte. Wenn durch Reden, Hören und Antworten begleitetes  feinfühliges Wickeln die beste Sprachförderung ist, dann wäre gerade dies nicht als Hilfstätigkeit abzuwerten.

Aber wie könnte eine Arbeitsteilung dann aussehen? Es ist m.E. vorrangig die hier fehlende konzeptionelle Klarheit, die den Widerstand gegen die Trennung von leitenden und helfenden Kräften bedingt; und das sollte doch zu beheben sein.
 

Zu 3.)

Wenn über das Verhältnis von Profis und Laien in der pädagogischen Arbeit gesprochen wird, dann wird meist stillschweigend davon ausgegangen, dass die Laien laienhaft auf allen Gebieten sind. Sie sind es aber nur auf dem Gebiet der konkreten pädagogischen Arbeit. Sie sind vielleicht Profis als Tischlerin, als Musiker, als Schneiderin oder sie beherrschen perfekt eine andere Sprache….. und könnten dadurch wertvolle Ergänzungen zum pädagogischen Personal bieten, das i.d.R. außer pädagogischen Einrichtungen andere Lebens- und Arbeitsbereiche nur von der Anschauung kennt. Als früher die Reisegruppen aus Reggio/Emilia zurückkamen und von den Ateliers und den dort beschäftigten Künstlerinnen und Handwerkern schwärmten, dann wurde zumeist vergessen, dass die so verehrten Kräfte in deutschen Kitas keinen Fuß auf den Boden brächten; Laien, die sie sind!

Wenn die Fachwelt doch einmal bereit ist anzuerkennen, dass auch Nicht-Pädagogen für Kinder gut und wichtig sein können, dann natürlich immer nur zusätzlich! Ein Blick auf die höchst unterschiedlichen Personalschlüssel in den deutschen Kindertagesstätten[10] offenbart aber, dass „zusätzlich“ ein höchst relatives Maß ist. Ab welcher Grundausstattung mit Pädagogen wäre dann die Beschäftigung eines pädagogischen Laien möglich? Ich vermute, ein absolutes Maß lässt sich kaum finden; es geht um etwas Relatives, es hängt von anderen Faktoren ab.

Es wird viel geredet über multiprofessionelle Teams; wobei sich bei näherem Besehen ein solches Team eher als Multistufen-Team in der Mischung von Kinderpflegerinnen, Erzieherinnen und Kindheitspädagoginnen darstellt. Haben wir Pädagogen vielleicht doch im Stillen die Annahme, dass nur Pädagogen Kindern gut tun? Wozu, in welchem Rahmen und unter welchen Voraussetzungen könnten pädagogische Laien Leben, Erfahrungen, Anregungen und Unterstützung in die Einrichtung bringen, die pädagogische Profis kaum bieten können? Das ist die Frage und sie könnte auf der Basis des pädagogischen Konzepts der Einrichtung beantwortet werden!

Seit über zwei Jahren können im Einzelfall und auf begründeten Antrag der Träger in Brandenburg auch Nicht-Pädagoginnen und -Pädagogen, die der „Ergänzung des fachlichen Profils der Einrichtung dienen“ (§ 10 Abs.4 KitaPersV Brandenburg) beschäftigt und anteilig auf den Personalschlüssel angerechnet werden. Bei funktionierender Qualitätssicherung (s.u.) bietet diese Regelung inzwischen einen höchst wertvollen Gestaltungsspielraum und in Maßen eine Entlastung beim Personalbedarf.