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Fachkräftemangel und Qualifikationsfrage

Der Personalmangel in der Kindertagesbetreuung als Chance, die Qualifikationsfrage radikaler zu stellen

Inhaltsverzeichnis

  1. Ausbildungsmodell muss verändert werden
  2. Seiteneinsteiger sind mehr als ein Notbehelf
  3. Die Frage nach der Sicherung der erforderlichen Qualität
  4. Literatur
  5. Fußnoten
  6. Veröffentlichungsnachweis

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1. Das Ausbildungsmodell einer vorausgeschalteten AUS-Bildung und der dagegen relativ mageren Ressourcen für die begleitende Fortbildung und Supervision müsste gründlich verändert werden.


„Das fachschulische Lernsetting ist bis in die Gegenwart hinein anscheinend nicht darauf ausgerichtet, die erfahrungsgesättigten, alltäglichen Deutungen der angehenden ErzieherInnen über wissenschaftliches Wissen in einer Art und Weise zu irritieren, dass sie als entscheidende Ressource für die Gestaltung beruflicher Praxis an Bedeutung verlieren.“ (Thole, S. 212) Stattdessen „stellen bei den sozialpädagogischen Professionellen die in der Kindheit und Jugend gesammelten Erfahrungen einen vorberuflichen Ressourcen-Pool bereit, auf den bei der Ausgestaltung des späteren beruflichen Alltags zurückgegriffen wird“ (Ebd., S. 211f.) Zu diesem pessimistischen Resümee kommt Werner Thole in der Auswertung empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden.er Studien zur Qualifizierung pädagogischer Fachkräfte; und ich kann nicht erkennen, dass ein nachdenklicher Blick auf die Fachhochschulausbildung hier zu anderen Ergebnissen käme. Die gegenwärtig die Ausbildungsdebatte immer noch beherrschende Frage Fachschule vs. Fachhochschule scheint mir vorrangig eine Status- und Abgrenzungsdebatte der Ausbildungsstätten zu sein. Damit will ich keinesfalls die Bedeutung von Status- und Vergütungserhöhung für Erzieherinnen und Erzieher kleinreden; aber um sie geht es bei den Debatten zwischen den Ausbildungsinstitutionen nach meinem Eindruck eher nebenbei.

Auch ohne diese empirischen Befunde liegen die Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer schulischen Vorbereitung auf eine nachfolgende sozialpädagogische Praxis auf der Hand. Die Zweifel bleiben bestehen, trotz der Bemühungen vieler engagierter Hoch-/Fachschullehrkräfte, innerhalb der gegebenen Strukturen gute Ausbildung zu machen. Es sind aber m. E. die Ausbildungsstrukturen, die auf den Prüfstand gehören. Nur ein paar Stichworte zum prägenden Rahmen, die auszuführen, den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde[4]:

  • Es gibt eine offensichtliche Unterbewertung der biografischen Prägungen und der zu entwickelnden personalen Kompetenzen als Gegenstand der Qualifizierung.[5] Obwohl so offensichtlich wie unbestritten ist, dass ERziehungstätigkeit vor allem BEziehungstätigkeit ist und dass die eigene Person das Hauptwerkzeug ist, kümmert sich die Berufsausbildung hauptsächlich um den Teil des Werkzeugs, der die als relevant erachteten Wissensbestände beherbergt. Hier sucht und findet der Hoch-/Schulunterricht sein vorrangiges Betätigungsfeld.

  • Das moderne Bildungsverständnis ist nicht nur als Inhalt, sondern auch als strukturgebendes Merkmal in der Qualifizierung zu berücksichtigen. Es fiele mit Sicherheit Erzieherinnen und Erziehern leichter, die Themen der Kinder aufzugreifen, Zutrauen zu eigensinnigen Lernstrategien der Kinder zu entwickeln und einem Lernen mit allen Sinnen und Kräften Raum zu geben, wenn sie dies (wenn schon nicht in ihrer Schulzeit so doch wenigstens) in ihrer beruflichen Qualifizierung selbst erfahren hätten. Ob sich ein solches Lernen aus den gegebenen Stoff- und Rahmenplänen ergibt – selbst wenn sie nach vielen (Reform-)Jahren nicht mehr dem Fächer, sondern dem Lernfeldprinzip folgen – scheint mir eher unwahrscheinlich.

  • Zu einem modernen Bildungsverständnis gehört auch die Berücksichtigung der Erkenntnis, dass große wie kleine Menschen am besten lernen, wenn sie eine Frage, ein Problem haben… und es gehört hierzu die Einsicht, dass die Möglichkeiten auf Vorrat klug zu werden, relativ begrenzt sind.

Die Berufsausbildung erfolgt aber, bevor man eigene relevante Erfahrungen gemacht hat, gleichsam als Trockenschwimmen. Zudem erfolgt das Trockenschwimmen in einem schulisch geprägten Lernsetting, angeleitet von Lehrkräften, die das Arbeitsfeld, für das sie ausbilden sollen, selbst zumeist nur aus Hospitationen kennen.

Zugespitzt ausgedrückt, um die wirkenden Strukturen deutlicher werden zu lassen, ist die Ausbildung ein Vorratslernen von Wissensbeständen in einem schulisch geprägten Lernsetting unter Vernachlässigung der Aufarbeitung biografischer Prägungen und praktisch-pädagogischer Erfahrungen!

Ist man bereit zu akzeptieren, dass diese Zuspitzungen einen Kern des Ausbildungssystems zutreffend beschreiben, und dass sie die Herausbildung beruflicher Kompetenz von Erzieherinnen nicht gerade erleichtern, dann wären Konsequenzen zu ziehen.

Die m.E. wichtigste strukturelle Konsequenz wäre die Gestaltung der Ausbildung als grundsätzlich tätigkeitsbegleitend. Obwohl m.W. in allen Ausbildungsordnungen der Fachschulen für Sozialpädagogik (und wohl auch der Fachhochschulen) vorgesehen, gilt diese Ausbildungsform immer noch als Notbehelf. Erst neuerdings wird ihre Ausweitung gefordert als Weg, zusätzliche Fachkräfte zu gewinnen.[6] Hierzu sind aber keine Modellversuche dualer Ausbildungsgänge erforderlich, sondern es reicht die schlichte Nutzung der vorhandenen rechtlich-strukturellen Voraussetzungen und die anteilige Anrechnung der Auszubildenden auf den Personalschlüssel.[7]

Die möglichen positiven Effekte auf den Fachkräftebedarf sind offensichtlich: Sofort entlastet die anteilige Anrechnung auf den Personalschlüssel und bereits auf mittlere Sicht werden durch die Vergütung während der Ausbildungszeit andere Interessenten für die Ausbildung angesprochen.

Warum die Einführung der sog. Teilzeitausbildung (wie die tätigkeitsbegleitende Ausbildung aus Schulsicht genannt wird) so schleppend erfolgt, kann nur gemutmaßt werden. Ebenso wenig verständlich sind die häufig einfallslos gestalteten Wechsel von Schul- und Praxiszeiten in den wenigen Teilzeitausbildungen, die zusammenhängende Lernprozesse am Lernort Schule, wie auch kontinuierliche Verantwortungsübernahme und Beziehungsgestaltung in der Praxis erschweren. Zugegeben erfordert eine konzeptionell gestaltete tätigkeitsbegleitende Ausbildung schulorganisatorische Umstellungen, und auch die Arbeitszeiten der Lehrkräfte werden sich verändern. Vermutlich auch sind die Bündelschulen oder Oberstufenzentren[8] mit ihren unterschiedlichen Ausbildungsgängen, zerfasernden Kollegien und schulorganisatorischen Unübersichtlichkeiten kein guter Rahmen, um Ausbildungen fach- und sachgerecht zu gestalten.

Für die Qualität der Ausbildung aber liegen die Chancen der tätigkeitsbegleitenden Form auf der Hand – vor allem durch die veränderte Rhythmisierung vom Lernen am Lernort Praxis und am Lernort Schule. Es böte sich die Gelegenheit, mit der veränderten zeitlichen Rhythmisierung auch die inhaltliche Bezugnahme der beiden Lernorte aufeinander aus ihrer Verballhornung als „Theorie-Praxis-Verhältnis“ zu befreien. Denn solange jedes „Darüber-Reden“, jede Befassung mit pädagogischen Konzepten als „Theorie“ bezeichnet wird, nur weil sie an der Hoch-Schule stattfindet, können die Lernchancen an diesem Ausbildungsort ebenso wenig begriffen werden, wie die Systematisierung von Erfahrungen, die Hypothesenbildung und daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen am Lernort Praxis als Theoriebildung begriffen werden können. (Diskowski, 2011)

Die Fachdiskussion hätte also schon längst die Begriffe „Theorie“ und „Praxis“ begreifen und ihr Verhältnis zueinander ebenso klären können, wie das Verhältnis der Lernorte; und sie hätte daraus ein Konzept zur Entwicklung von erzieherischer Kompetenz schaffen können. Die Notwendigkeit, die entsprechenden Fragen zu stellen und die Realisierungschance, Antworten auch umzusetzen, bringt uns nun der Fachkräftemangel.