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Begabungen und Selbstkompetenzen

Wer sich angenommen fühlt, lernt besser

Inhaltsverzeichnis

  1. Qualität der Beziehung
  2. Erwerb von Selbstkompetenzen
  3. Selbstkompetenzen und schulisches Lernen
  4. Diagnostik von Selbstkompetenzen
  5. Literatur

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Erwerb von Selbstkompetenzen


Wie funktioniert nun der Erwerb von Selbstkompetenzen wie Selbstmotivierung und Selbstberuhigung in einer geglückten Interaktion? Man geht heute davon aus, dass diese Internalisierung der zunächst durch die Bezugsperson ausgelösten Emotionsregulation durch einen elementaren Lernprozess zustande kommt, den wir Systemkonditionierung nennen (Kuhl/Völker 1998). Grundsätzlich werden im Gehirn zwei Prozesse dann miteinander verknüpft, wenn sie gleichzeitig oder ganz kurz hintereinander aktiviert werden (mit weniger als einer Sekunde Abstand). Beim klassischen Konditionieren werden zwei bislang noch nicht verknüpfte Reize (z.B. die Glocke und das Fleischstück in Pawlows Experimenten an Hunden) dadurch verknüpft, dass sie ein paar Mal gleichzeitig oder kurz hinter einander auftauchen (z.B. wenn die Glocke kurz vor Zeigen des Futters ertönt, wird sie vom Hund direkt mit dem Fleischstück verknüpft und später als Ankündigung des Fleisches gewertet, mit den entsprechenden Reaktionen wie Speichelfluss).

In ähnlicher Weise stellen wir uns den Lernprozess vor, bei dem das Selbstsystem die Kontrolle über die eigenen Gefühle erlangt. Das Selbst wird mit der emotionsregulierenden Wirkung verknüpft, die zunächst die Bezugsperson auslöst, wenn die beiden beteiligten Systeme (das Selbst und die Emotionsregulation) gleichzeitig oder sehr kurz hintereinander aktiviert werden. Das Selbst wird dadurch aktiviert, dass sich das Kind persönlich angesprochen fühlt (ob durch Blickkontakt, durch die Unmittelbarkeit des Emotionsausdrucks der Bezugsperson oder ihres zugewandten Verhaltens) und das an der Emotionsregulation beteiligte System wird z.B. dadurch aktiv, dass die Bezugsperson das Kind ermutigt oder beruhigt. Wenn auf diese Weise die Ermutigung oder die Beruhigung, die von einer Bezugsperson ausgehen, mit dem Selbst des Kindes verknüpft werden, dann braucht es später bei einer auftretenden Belastung oder Beunruhigung nur sein Selbst zu aktivieren (z.B. seine Beunruhigung spüren), um das emotionsregulierende System in Gang zu setzen. Die Selbstberuhigung (oder Selbstmotivierung) geschieht dann so schnell, dass sie meist gar nicht bewusst wird. Diese »Mikroregulation « der Emotionen ist deshalb so wichtig, weil sich Emotionen bewusst meist nicht gut regulieren lassen. Wenn man einem z.B. Kind sagt: »Du brauchst keine Angst zu haben« oder »Freu dich doch«, lässt der Erfolg einer solchen Aufforderung oft zu wünschen übrig.

Emotionsregulierende Selbstkompetenzen werden zwar in der Kindheit sehr nachhaltig geprägt. Eine Systemkonditionierung kann aber auch in späteren Jahren »nachgeholt« werden, und zwar in allen persönlichen Beziehungen, in denen der Lernende sich als Person soweit wahrgenommen und angenommen fühlt, wie es dem jeweiligen Kontext entspricht (bei der Lehrer-Schüler-Beziehung braucht dieses Gefühl des Sich-persönlich-angesprochen-Fühlens« natürlich nicht so tief und umfassend zu sein wie in den Beziehungen zu den Eltern, zu engen Freunden oder in der Partnerschaft). Persönlich werden Beziehungen immer dann, wenn die Bezugsperson ab und zu prompt und angemessen auf die Bedürfnisse des Lernenden eingeht. Ist das nicht der Fall, wird das Selbst abgeschaltet, wie es für alle biologischen Systeme der Fall ist, wenn sie nicht gebraucht werden (man denke z.B. daran, wie schnell ein Muskel an Volumen und Kraft verliert, wenn er längere Zeit in Gips liegt). Ist das Selbst abgeschaltet, können noch so ermutigende oder beruhigende Erfahrungen nicht mit dem Selbst verknüpft werden, also auch später nicht von »selbst« aktiviert werden. Ein Kind, das sehr häufig fröhliche, ermutigende oder beruhigende Reaktionen erlebt (z.B. von Eltern oder LehrerInnen) wird zwar entsprechend leicht und häufig in eine fröhliche, motivierte bzw. entspannte Stimmung kommen. Damit ist aber noch keineswegs garantiert, dass es aus einer unguten Stimmung, wenn sie tatsächlich einmal auftritt, selbst ständig (d.h. ohne Hilfe) herauskommt. Um die Integration der Beruhigungserfahrung ins Selbst zu ermöglichen, muss die Beziehung zumindest gelegentlich so positiv erlebt werden, dass das Selbst aktiv ist: Noch so gute Beziehungserfahrungen können nicht mit dem Selbst verknüpft werden, wenn dieses gar nicht aktiviert ist.



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