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Vielfalt als Chance - Teilhabe in der KiTa

Reflexionen und Anregungen aus der Praxis

Inhaltsverzeichnis

  1. Methoden zur Förderung von Teilhabe
  2. Alltagsintegrierte Bildungs- und Erziehungsarbeit
  3. Material zur Förderung von Teilhabe
  4. Räume zur Förderung von Teilhabe

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60 Kinder, sieben verschiedene Nationalitäten, 18 Kinder aus zweisprachigen Familien, vier Kinder mit Behinderung oder von Behinderung bedroht – fröhlich unter einem Dach. Das zeichnet unser Haus aus und steht für die Toleranz und Gleichbehandlung aller Kinder und Eltern, die wir in der Krippe und im Kindergarten SONNENLAND begrüßen dürfen. Unser Ziel ist es, Lebenswelten zu schaffen, in denen jedes Kind mit seiner Herkunft und seiner Einzigartigkeit das Zusammenleben bereichert.


Doch wie gelingt das? Die Antwort ist einfach: durch Einbindung der Vielfalt in den konzeptionellen Rahmen der Kindertagesstätte. Das bedeutet konkret, dass wir uns Vielfalt zum »Markenzeichen« machen. Dazu gehört zunächst die Sensibilisierung im Team. Die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Lebenswelten, Herkünften und/oder Handicaps der Kinder und ihrer Familien und die eigene Bereitschaft, anderen Lebenssituationen und Familienkonstrukten aufgeschlossen zu begegnen – auch über das eigene Werteverständnis hinaus. Eine intensive Selbst- und Teamreflexion ist hierbei unerlässlich.

Die pädagogische Arbeit richtet sich nach dieser Phase der Teamentwicklung fast automatisch am neu gewonnenen Leitbild aus. Teilhabe, Barrierefreiheit und interkulturelle Arbeit bilden nun die Grundpfeiler der pädagogischen Arbeit – mit Kindern und Eltern.


 

Aus der Praxis für die Praxis – Methoden zur Förderung von Teilhabe


Während die theoretischen Prozesse überwiegend das Kita-Team betreffen, richten sich die praktischen Impulse und Ideen sowie deren Umsetzung direkt an die Kinder und ihre Eltern und/oder können durch eine gute Öffentlichkeitsarbeit das gesellschaftliche, (lokal-)politische Bewusstsein erreichen. Die folgenden Anregungen sind gut in den pädagogischen Alltag integrierbar und alle praxiserprobt:

 

  • Beziehungsgestaltung mit den Eltern

Erziehungspartnerschaft nach dem Motto »Gemeinsam fürs Kind« sollte das Ziel der Zusammenarbeit zwischen den Eltern und MitarbeiterInnen einer Kita sein. Durch Elternabende, Elterngespräche, den Elternbeirat und viele zwischenmenschliche Kontakte kann dieses Ziel erreicht werden.

 

  • Kulinarischer Elternabend

Einmal im Jahr die Informationen der Kita mit den (gerne landestypischen) Kochkünsten der Eltern zu verknüpfen, bildet eine sehr ergiebige Form der Zusammenarbeit. Das vielfältige Angebot an abwechslungsreichen Speisen schafft Begegnung und über die zwanglose, gesellschaftliche Essenssituation Verbindung, Kontakt, Anerkennung und Kommunikation, die – anders als in den alltäglichen Bring- und Abholsituationen – für die Eltern nur wenig Überwindung kostet. Die Ressourcen der Eltern können noch stärker genutzt werden, indem man sie mit in den Kita-Alltag einbindet: Statt eines »Gesunden Frühstücks« kann ein englisches, türkisches, polnisches Frühstück angeboten werden – natürlich zusammen mit den entsprechenden Eltern und unter Berücksichtigung kultureller und/oder religiöser Gegebenheiten (z.B. Ramadan). Integration geschieht immer unter Einbindung der eigenen Kultur und Herkunft. Wertschätzung und kulturelle Akzeptanz werden erlebbar.
 

  • Elternbeirat

Der Elternbeirat ist das Bindeglied zwischen der Elternschaft und der Kindertagesstätte. Eltern aus stark vertretenen Kulturkreisen für die Arbeit in diesem Gremium zu gewinnen, kommt der »internen Völkerverständigung« zugute. Der kleinere Rahmen ermöglicht Fragen und Antworten mit Informationen aus »erster Hand«, die Verständnis wecken, kulturelle Grenzen aufzeigen und/oder abbauen.

 

  • Lesepaten

Lesepaten sind Menschen, die Kinder und Bücher mögen und gerne vorlesen. Lesepatenschaften eignen sich hervorragend zur generationenübergreifenden Projektarbeit. Hier findet Begegnung zwischen »Alt & Jung« statt, aber es ergeben sich auch vielfältige Sprachanlässe und die Stärkung der Sprachkompetenz. Bilinguale Eltern können eingebunden werden und zweisprachig vorlesen.

 

  • Mehr-Sprachen-Bibliothek

Eine Mehr-Sprachen-Bibliothek spricht besonders Eltern und Kinder an, die zweisprachig leben. Mit zweisprachigen Büchern, die unbürokratisch an alle interessierten Familien ausgeliehen werden, können sprachliche Barrieren abgebaut und die Lust an einer gemeinsamen Sprache und am Zusammenleben im Ort geweckt werden.

 

  • Musik-Impuls

Das Land Niedersachsen unterstützt durch die Initiative »Wir machen die Musik« die Kooperation von Musikschulen und Kindertagesstätten, um Kindern unabhängig vom sozialen Status ihrer Eltern erste musikalische Impulse zu geben. Durch gemeinsames Musizieren, mehrsprachiges Singen unter Einbindung der Herkunftssprachen und das Übertragen von Rhythmus in Bewegung können die Kinder Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit kindlicher Neugier und Toleranz erleben. Sie gewinnen eine zusätzliche Ausdrucksform und/oder entdecken Neigungen und Begabungen. Werden dann noch die Eltern eingeladen, um mitzumachen oder einfach »nur« die Fähigkeiten ihrer Kinder zu bestaunen, werden Wertschätzung, Bestätigung und Selbstvertrauen erfahrbar.

 

Alltagsintegrierte Bildungs- und Erziehungsarbeit


Situationsorientierte aber auch pädagogisch initiierte Anlässe schaffen Möglichkeiten

zur soziokulturellen Erziehung. Einige Praxisbeispiele geben einen Eindruck davon:

 

  • Ethische und religiöse Erziehung

Verschiedene Religionen kennen eine Zeit des Fastens. Diese Gemeinsamkeit kann in konfessionellen Kitas während der christlichen Fastenzeit vor Ostern für verschiedene anregende Angebote im religiösen und kulturellen Kontext genutzt werden:

 

  • Das Fastentuch


Unter dem Motto »Erzähl mir von Gott« lässt sich durch Einbindung der Eltern ein konfessionsübergreifendes Fastentuch gestalten. Ein großes, weißes Laken wandert mit einem bei Bedarf mehrsprachigen Brief, Geschichten aus der Bibel und einer Packung Filzstifte durch die Familien und lädt dazu ein, sich für Gott, Jesus, Allah, Mohammed und ihre Botschaften zu interessieren – gerne auch unter Berücksichtigung der Erzählungen aus dem Koran, der Thora etc. – und ein Bild dazu auf dem Fastentuch zu gestalten. Daraus ergeben sich Kunstwerke, die zeigen, dass Gott und der Glaube seinen Platz im Leben, im Alltag haben: eine Gemeinsamkeit, die emotional verbindet, auch wenn man unterschiedlichen Religionen und Kulturen angehört. Öffentlichkeitswirksam wird diese Arbeit, wenn man ihr Raum zur Aufbereitung und Ausstellung gibt: zum Beispiel in der Kita, den Kirchen und Glaubenshäusern vor Ort, sodass sich ein »konfessionsübergreifender Rundgang« ergibt.

 

  • Die Fasten-Stafette


Eine Fasten-Stafette unter dem Motto »Gemeinsam stark sein!« lädt ebenfalls zur Beschäftigung mit den unterschiedlichen Religionen ein. Nicht »Einer allein« fastet 40 Tage lang, sondern 40 Tage lang fastet täglich »Einer«! In einem Ringbuch wird für jede Familie eine Seite vorbereitet. Darin kann sie eintragen oder einkleben, worauf das Kind/die Familie einen Tag lang verzichtet (z.B Fernsehen, Konsolenspiele, Streiten, Naschen) oder was es/sie Gutes tun möchte (z.B. helfen, trösten, jemanden besuchen, aufräumen) und wie dieses »kleine Fasten« erlebt und empfunden wird. Viele verschiedene Fasten-Eindrücke – katholischer, muslimischer, orthodoxer, lutherischer, freikirchlicher, konfessionsloser Art, Teilhabe, Verständnis und Verständigung sind die Ziele einer solchen Aktion.



  • Mutter- und Vatertag


Kindliches Vertrauen bildet sich gerade durch eine wertschätzende und  akzeptierende Haltung zu den Eltern. Wenn Kindern Unterschiede oder besondere Merkmale auffallen (z.B. das Kopftuch einer muslimischen Frau) gilt es, die Gelegenheit wahrzunehmen, um andere Brauchtümer kennenzulernen. Fotos der Eltern, die einen Platz im Gruppenraum finden, geben Anlass zu beeindruckenden Gesprächen über die individuellen Aussagen der Bilder, wie Haarfarben, Frisuren, Kopftücher, Namen, Oberlippenbärte etc. Schnell wird als gemeinsame Grundlage klar, dass alle Kinder ihre Eltern lieb haben und umgekehrt. Natürlich sollten die Fotos später ihren Platz im »ICH-Ordner« des Kindes finden.

 

  • Welt-Kinder-Tag


Aktionen zum jährlichen Welt-Kinder-Tag am 20. September sind stets eine gute Gelegenheit, um gemeinsam mit der regionalen und/oder überregionalen Presse Verantwortliche aus Kirche und Kommune auf die Bedürfnisse von Kindern vor Ort und/oder global aufmerksam zu machen. Parallel können die Kinder und ihre Eltern in die Gestaltung des Welt-Kinder-Tages eingebunden werden: Jedes Kind gestaltet seinen Wimpel mit dem persönlichen Handabdruck, und die Eltern formulieren (in ihrer Muttersprache) ihre Wünsche und Hoffnungen für ihre Kinder. So entsteht eine sehr ausdrucksvolle Wimpelkette, die berührt und auch noch über den Welt-Kinder-Tag hinaus nachwirkt. Sehr deutlich wird, dass sich die Wünsche und Hoffnungen von Eltern – die der behinderten, nicht-behinderten, fremdsprachlichen oder einheimischen Kinder – sehr stark ähneln. Dieses Bewusstsein schafft Verbindung, senkt Hemmschwellen und macht stark. Die Wimpelkette dann unter Pressebegleitung dem Bürgermeister oder Pfarrer zu überreichen oder die Träger in die Kita einzuladen, um die Eindrücke wirken zu lassen, richtet den Blick der Öffentlichkeit auf den Stellenwert der elementarpädagogischen Arbeit.

 

  • Teilnahme an kulturellen Festen


Viele Kirchen und konfessionelle Vereine feiern ihre religiösen Feste oder Wohltätigkeitsbasare. Besuche der Kita-MitarbeiterInnen drücken Interesse und Wertschätzung an den Familien, ihren Festen und kulturellen Riten aus und festigen das gegenseitige Verhältnis von Vertrauen und Akzeptanz.


 

Aus der Praxis für die Praxis – Material zur Förderung von Teilhabe


Kindern durch frei zugängliches Material Selbstbildungsprozesse zur Ausprägung einer wertschätzenden Weltanschauung zu ermöglichen, sollte Aufgabe aller Erziehenden einer Kita sein und durch senso-motorische Angebote, die alle Sinnes- und Wahrnehmungsbereiche ansprechen, ergänzt werden.



Kinder-Bibliothek

Das bereits erwähnte zweisprachige Bücherangebot wird selbstverständlich auch im pädagogischen Alltag genutzt. Besonders die Wörterbücher können als »Übersetzungshilfe« gerne und oft im Einsatz sein und durch weiteres integrationsförderndes Buchmaterial ergänzt werden.



Puppenhaus »Spielscheune« & die Puppenkinder dieser Welt

Die Spielscheune ist »möbliert«. Die »Bewohner«, einer davon im Rollstuhl, sind sechs Freunde – allesamt Sympathieträger, haptisch und optisch sehr ansprechend gestaltet und wunderbar für Rollenspiele geeignet. Ergänzend dazu zahlt sich die Anschaffung von Puppen unterschiedlichen ethnischen Aussehens aus. Asiatische, afrikanische und europäische Puppenkinder erweitern die kulturelle Akzeptanz der »Puppeneltern«.



Rollstuhl

Fahrzeuge im Innen- und Außenbereich sind bei Kindern jeden Alters beliebt. Eine besondere Faszination übt ein Rollstuhl aus, der wie andere Fahrzeuge im Einsatz ist und beeindruckende Reaktionen auslöst: So ergibt sich fast automatisch ein Spiel zu zweit (oder mehreren), die Wahrnehmung verändert sich (der Rolli-Nutzer nimmt Unebenheiten oder Bremsungen anders wahr, muss unerwartete Erschütterungen mit dem Körper abfangen und ausgleichen etc.), und auch die Perspektiven ändern sich (aus der Sitzposition erscheint alles höher, sind Dinge schwieriger zu erreichen etc.). Der Rollstuhl sensibilisiert im Spiel für die Lebenssituation behinderter Menschen.



Aus der Praxis für die Praxis – Räume zur Förderung von Teilhabe


Vorhandene Räume nach den Kriterien Teilhabe, Barrierefreiheit und Interkulturelle Arbeit zu nutzen, ist dann nur noch ein Kinderspiel für die Profis in den Kitas. Malen mit den Füßen, der Nase oder mit dem Mund im Atelier, Wahrnehmungsspiele in der Turnhalle, Geruchs- und Geschmacksimpulse im Cafe etc. sind gut umsetzbar und nachhaltig in ihrer Wirkung. Wer ein Bällebecken in der Einrichtung hat, weiß um den hohen Aufforderungscharakter der bunten Bälle und ihren senso-motorischen Nutzen für Kinder mit Empfindungsstörungen. Bällebecken können von allen Kindern mit und ohne Behinderung genutzt werden.

Ein Snoezelen-Raum, weiß und reizarm mit Wasserbett, Soundanlage und diversen Licht- und Musikeffekten, die zur Entspannung einladen oder zur Stimulation durch multisensorische Reizeinwirkung genutzt werden, rundet ein ganzheitliches Förderangebot ab. Besonders Kinder mit Behinderungen und/oder Wahrnehmungsstörungen erhalten einen Ort, der Sicherheit, Ruhe und Rückzug und/oder Anregung, Förderung und Unterstützung bietet.

Diese Anregungen zur barrierefreien und interkulturellen Arbeit sind nur ein Bruchteil dessen, was im pädagogischen Alltag auf niedrigschwelliger Ebene umsetzbar und nahezu endlos erweiterbar ist, und bildet die natürliche Konsequenz aus einem lebensbejahenden und gleichberechtigten Menschenbild ab. Ist diese Haltung erst im Kita-Team verankert, überträgt sie sich automatisch auf die Kinder und wirkt sich nachhaltig auf deren Entwicklungsprozesse aus. Sie schafft eine für alle spürbare, von Respekt und Toleranz geprägte Atmosphäre und entlässt, trotz der mitunter suboptimalen Rahmenbedingungen in den Kitas, Kinder in unsere Gesellschaft, die ihre positiven Erfahrung im Umgang mit Vielfalt und Einzigartigkeit in ihr Lebensumfeld hinaustragen und an andere weitergeben. Schon deshalb ist es unsere Aufgabe, von Beginn an Lebensräume zu schaffen, die sich den Kindern anpassen und nicht umgekehrt – ganz gleich, welches Tempo sie gehen und welchen Weg sie für sich wählen (können).



Infos zur KiTa

In der von der Katholischen Kirche getragenen KiTa Sonnenland leben, spielen und bilden sich 57 Kinder in einer Regelgruppe, einer Integrationsgruppe und einer integrativen Krippengruppe. Das pädagogische Team verfügt über ganz unterschiedliche Professionen und Zusatzqualifikationen, wie Dipl. Sozialarbeiterin/ Sozialpädagogin, Staatlich Anerkannte(r) ErzieherIn/KinderpflegerIn und Staatl. Anerk. heilpädagogische Fachkraft (HEP, Heilpädagogin). Schwerpunktthema ist die inklusive Arbeit mit dem Fokus auf Vielfalt & Teilhabe. Seit April 2011 ist die KiTa Sonnenland auch Schwerpunkt-KiTa Sprache & Integration, gefördert durch die Bundesinitiative »Frühe Chancen« des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Im landesweiten nifbe-KiTa-Wettbewerb „Vielfalt als Chance“ wurde das Konzept der KiTa Sonnenland mit dem ersten Preis ausgezeichnet.



Hinweis:

Der Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung des Herder-Verlags dem in der nifbe-Schriftenreihe erschienenen Buch "Vielfalt von Anfang an.Inklusionin Krippe und Kita. Freiburg: Herder (2011) entnommen.




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