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MINT in der KiTa: Forschendes Lernen lernen

Prof. Dr. Stefan Bree im Interview

Inhaltsverzeichnis

  1. Professionalität und Kompetenzen - Interview Teil 2

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Welche Professionalität und Kompetenzen müssen Erzieherinnen im Bereich MINT und Ästhetik erwerben und zeigen?

Bei allen Labor-Versuchen mit Kindern, sei es zur ästhetischen oder naturwissenschaftlichen Bildung, ist eine gute Didaktik gefragt: Die Interaktionsqualität, das dialogisches Verhalten zeichnet die Professionalität der Fachkraft aus. Die Wertschätzung, das gemeinsame intensive Erleben der Bildungsprozesse und das Interaktionsniveau führen zum Bildungserfolg bei den Kindern. Das erreicht man vor allem durch Beobachtung und durch wertschätzende Dialoge mit Kindern und Eltern. Die Pädagogen begleiten etwa mit anhaltendem Interesse an der Sicht von Kindern  und geben zur richtigen Zeit Impulse (scaffolding). ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.   im Erzieher-Beruf heißt ein Umgang mit der Ungewissheit, das man eben nicht vorher weiss, was am Ende steht, da geht man gemeinsam auf die Reise. Dafür gibt es kein Rezept. Stattdessen gibt es Möglichkeitsräume mit gewissen Materialien und  einen Lernanlass – die Fachkraft passt sich dann an, je nachdem, was passiert. Oder sie setzt stumme Impulse, nutzt gewissermaßen den geplanten Zufall. Aber auch hier gilt: Aushalten statt gleich eingreifen und vorgreifend Antworten geben. Das ist eine riesige Herausforderung für viele Fachkräfte, die eine derartig offene und auf Reflexivität ausgerichtete Pädagogik bislang wenig oder gar nicht praktiziert haben.


Bleiben wir beim Thema Perspektiven: Sie überlassen ihren Studenten gerne Hilfsmittel wie eine am Kopf befestigte Spiegelapparatur. Was passiert dabei und was bewirken diese?

Seit 12, 13 Jahren verwende ich Kunstobjekte und Praktiken, die ich Wahrnehmungsorthopädie genannt habe. Sie sollen - und das ist ja die Aufgabe von Kunst - die Menschen zum Nachdenken bringen. Über sich selbst, über alltägliche Routinen. Man trägt sie als Spiegelapparatur entweder auf dem Kopf oder hält sie in der Hand. Das Experiment erzeugt einen Sog oder Flow-Effekt. Die Nutzer schalten die gewohnte Kontrolle aus, die sie zu glauben haben. Was sie damit lernen, ist das Scheitern, die permanente Verunsicherung. Das wiederum ist die elementare Voraussetzung für das Lernen. Damit rekonstruiere ich elementare kindliche Zugänge. Erst über die Irritation kommen die Erwachsenen dahin, sich mit Themen und Fragen so intensiv zu beschäftigen wie Kinder, sich darin zu verwickeln und die Lösung selbst herauszufinden. In den sprachlichen Kommentaren, die ich bei den Experimenten analysiere, stecken häufig zehn bis zwölf unterschiedliche Bildungsbereiche. Und das wird dann auch viel konkreter verstanden als ein Seminar, in dem wir lediglich theoretische Texte dazu diskutieren.

Was empfinden Ihre Studenten oder gestandene ErzieherInnen bei derartigen Experimenten?

Meistens finden sie das toll. Vor allem technisch-physikalische Versuche macht die Mehrheit sehr gerne. Das erlebe ich zum Beispiel beim Versuch, eine 15 Meter lange, elastische Murmelbahn im Raum so einzustellen und anzuordnen, dass die Murmel von oben nach unten rollt. Aber natürlich gibt es auch andere Reaktionen: Manchmal haben einige der überwiegend weiblichen Teilnehmer Berührungsängste und sind unsicher, wenn ich beispielsweise die Knochenwerkstatt anbiete. Aber wenn man die Themen gut einführt, reißt jemand aus der Gruppe sie dann mit. Es ist einfach notwendig, Themen auch theoretisch, biografisch und praktisch zu bearbeiten und Versuche selbst zu machen, bevor man sie mit den Kindern unternimmt. Das verbessert das tiefe Verstehen der kindlichen Neugier, ihrer Begeisterung, die mit Blick auf die eigene Lernbiografie hier wiederentdeckt und reflektiert wird.

Welche Unterschiede beobachten Sie bei den Geschlechtern? Wie verhalten sich Frauen, wie Männer?

Für männliche Studierende sind Experimentier-Situationen selbstverständlicher. Studentinnen scheuen sich oft, sind selten mit diesen Themen in Berührung gekommen. Das liegt an der Biografie und stereotypen Genderpraktiken: Im Extremfall haben sie seit der Schule gelernt, technische Verantwortung an Jungs und später zu Hause an ihre Söhne abzugeben. Damit ist unser wichtiger Auftrag, weibliche Fachkräfte an solche Themen heranführen. Dann wird es selbstverständlich, dass sie sich damit beschäftigen. In der Aus- und Weiterbildung zeigen sich beispielsweise erste Erfolge, wenn das genannte Murmelbahn-Experiment funktioniert. Dann sagen die weiblichen Studierenden etwa stolz und überrascht: „Jetzt haben wir hier als Mädchengruppe so eine große Murmelbahn in Gang bekommen“ – und sie haben damit nicht nur das „technische“ Problem gelöst, sondern denken auch über ihre unbewussten Routinen nach.