Beiträge chronologisch

Von der Kindheit zur „veränderten Kindheit“

Unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen und Risiken Kinder heute aufwachsen

Inhaltsverzeichnis

  1. Von der Aufklärung bis zur Reformpädagogik
  2. Veränderte Kindheit heute

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Kindsein heute: Die „veränderte Kindheit“

Wie die geschichtliche Entstehung zeigt, ist das Thema einer „veränderten Kindheit“ nicht erst seit den letzten Jahren aktuell. Veränderungen und soziale Entwicklungen gab es immer. Jedoch scheinen sie sich in der heutigen Zeit, auch durch die Medialisierung und die Pluralisilierung von Lebenslagen, schneller zu entwickeln. Während das Telefon über Jahrzehnte seine Berechtigung hatte, boomt das Handy seit wenigen Jahren und mit ihm iPods, Chartlisten für Klingeltöne, Videostream, et cetera. Die "Handy-Generation" erfährt Annerkennung durch Größe und Kapazität von Handy-Modellen. Es ist nicht zu bestreiten, dass die heutige Gesellschaft  von technologischem Fortschritt, Wandelungsprozessen und einer zunehmenden Komplexität geprägt ist.

Zudem bestimmen soziostrukturelle Veränderungen die heutige Kindheit, denn der demografische Wandel verändert auch zunehmend die Familienstruktur. In der heutigen Zeit wird Nachwuchs nicht mehr hauptsächlich zur späteren Versorgung der Eltern gezeugt, sondern aus emotionalen Beweggründen. Durch gestiegene Erwartungen an eine angemessene Elternrolle, existenzielle Unsicherheit und das Bedürfnis nach unabhängiger Lebensplanung schwinden kinderreiche Familien. Auch andere Familienformen wie Ein-Eltern-Familien, nichteheliche Lebensgemeinschaften, Patchwork-Familien oder Stieffamilien sind gängige Lebensmodelle und bilden somit eine vielfältige Erweiterung zum herkömmlichen traditionellen Familienbild. Zusätzlich arbeiten häufiger beide Elternteile oder Erziehungsberechtige, so dass die Familienzeit, wie sie früher üblich war, abnimmt. 

Auch die Erziehungsvorstellungen haben sich mit der Zeit geändert. Dadurch, dass Kinder nicht mehr nur mit materieller Versorgung assoziiert werden, sondern mit emotionalen Werten, setzen Eltern sie häufig in Bezug zu Glück, Sinngebung und Lebenserfüllung. Üblich ist eine zunehmende Kind-Zentrierung bei den Elternteilen. Zusätzlich hegen sie einen Leistungsgedanken, der bei Jungen und Mädchen zu Leistungsüberforderung führen kann.

Veränderte räumliche und zeitliche Bedingungen

Nicht zu unterschätzen sind auch die veränderten räumlichen und zeitlichen Lebensbedingungen von Kindern: Ein steigendes Verkehrsaufkommen in Städten und Dörfern schränkt sie in ihren Bewegungsfreiräumen ein und erhöht das Risiko an Verkehrsunfällen. Die heutige Stadtplanung führt häufig zu einer Verinselung, die Eltern und damit auch Kinder zu mehr Mobilität auffordert. Ohne öffentliche Verkehrsmittel oder ein eigenes Auto kommt man häufig nicht mehr zu Freunden, zum Einkaufen oder in den Kindergarten. Die Abhängigkeit der Kinder von der Fahrbereitschaft der Eltern hat damit Konsequenzen auf die Herausbildung von Freundschaften und sozialen Kontakten der Kinder. Die Häufigkeit von Wohnungs- oder Ortswechsel trägt weiterhin dazu bei, dass soziale Kontakte nicht mehr feste Bindungen beinhalten, sondern oft auch funktional sind. Das „Einfach-mal-spielen-gehen“ von früher hat sich in vielen Fällen zu einer terminlichen Vereinbarung der Eltern entwickelt. Damit haben sich auch die Spielräume von Jungen und Mädchen verändert.

Auch die zeitliche Komponente erfährt zunehmend eine Veränderung. Dadurch, dass Spielen häufig als Termin vereinbart wird und Jungen und Mädchen zudem eventuell feste Termine zum Reiten, Schwimmen oder Fußball haben, erleben sie bereits in früher Kindheit das Gefühl von Zeitdruck und die Erfahrung, „keine Zeit zu haben“. Auch Kinderspielzeug und -spiele haben sich verändert: Hersteller haben Kinder als Konsumenten entdeckt. Im Vergleich zur Spielbiografie eines heute 30-Jährigen ist zum einen die größere Auswahl an Spielsachen auffällig. Zum anderen hat auch die tatsächliche Anzahl von Spielen oder Kuscheltieren zugenommen, die Jungen und Mädchen heutzutage besitzen - eingeleitet durch eine kommerzielle Kinderkultur. Dabei kann nicht nur eine Veränderung der Spielumwelt von Jungen und Mädchen ausgemacht werden, sondern auch eine Veränderung des Spielverhaltens. Traditionelle Spiele werden ausgetauscht durch Spiele, bei denen es um Leistung oder Konkurrenz geht. Für neuartige Spielkonstruktionen müssen die Mitspieler die Anleitung häufig erst genau studieren, bevor das Spiel starten kann. Häufig werden auch Geschichten aus Fernseh-Serien adaptiert, wie zum Beispiel beim „König-der-Löwen-Spiel“. Dabei wird deutlich, dass Spielen und Spiele bestimmten Mode-Erscheinungen nacheifert, wie beispielsweise Tamagotchi, Power Ranger oder Diddl. Die Rolle der Medien ist dabei immens: Dadurch, dass Kinder weniger draußen sind und Elternteile weniger häufig die traditionelle Familienzeit miteinander verbringen, sind Fernseher, DVDs oder Videos als Ersatz in die Kinderzimmer getreten.

Die Zeit, die Kinder für soziale Kontakte und Spielen verwenden, sinkt damit; die Reizüberflutung durch Comics oder Zeichentrickfilmen, durch Computer-, Internet- oder Konsolen-Spiele steigt. Auch dort geht es um Leistung und Konkurrenz, was zu einer Überstimulierung von Sinneseindrücken führen kann.

Diese vorher erwähnten Veränderungen beeinflussen besonders die Funktion der Sozialisation in folgender Art und Weise:

  • Jungen und Mädchen sind weniger selbsttätig, sondern konsumieren zunehmend. Spiele geben ihnen vor, wie gespielt werden soll
  • Medien prägen die Kinder. Erfahrungen aus zweiter Hand, wie  Filme über Tiere, verdrängen eigene Erlebnisse
  • Kindheit wird öfter standardisiert. Generelle Erziehungsratgeber versprechen passende Antworten, die vermeintlich für alle Kinder gelten.

Konsequenzen für die Kinder: Begrenzung und Abhängigkeit

Die „veränderte Kindheit“ reduziert die Selbstbestimmungsmöglichkeiten von Jungen und Mädchen. Oft haben sie nur noch die Möglichkeit, „Programme“ zu wählen, die in den Tagesablauf eingefügt werden. Ihre Zeit und Aktivität wird häufig begrenzt, geteilt oder unterbrochen. Statt eines flüssigen Ablaufs dominieren eingegrenzte Zeiten, die für etwas Bestimmtes vorgesehen sind. Ebenso sind die Kinderräume begrenzt, vor allem durch Gefahren in der Stadt oder Verbotschilder jeglicher Art. Außerdem können die Bedingungen es zum Verlust einer kontinuierlichen, emotional-stabilen Basis führen, vor allem dadurch, dass Jungen und Mädchen  bereits unter einer konsumausgerichteten und erwachsenenorientierten Erwartung stehen.