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Kinder (1) im Kontext von häuslicher Gewalt

Inhaltsverzeichnis

  1. Gewalt in Geschlechter- und Generationenverhältnissen
  2. Häusliche Gewalt und Kindeswohl (8)
  3. Häusliche Gewalt und die Entwicklungsrisiken für Kinder und Jugendliche
  4. Frauenhäuser als vorübergehende Schutz- und Unterstützungsorte
  5. Häusliche Gewalt und die Bedeutung von Kindertagesstätten
  6. Ressourcen stärken und Resilienz durch Partizipation befördern
  7. Fazit und Ausblick
  8. Anmerkungen
  9. Literatur

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Ressourcen stärken und ResilienzResilienz|||||Resilienz kann als "seelische Widerstandsfähigkeit" verstanden werden mit der Fähigkeit Krisen zu meistern und diese als Anlass für Selbstentwicklungen zu nutzen. In der Resilienzförderung geht es speziell darum die Widerstandsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen in belasteten und risikobehafteten Lebenssituationen durch schützende Faktoren zu entwicklen, zu ermutigen und zu stärken. Ein verwandter Begriff ist der der Salutogenese.  durch Partizipation befördern

Resilienz bzw. die psychische Widerstandskraft, die Kinder und Jugendliche auch im Kontext von häuslicher Gewalt zeigen können, „[…] wird heute als ein multidimensionales, kontextabhängiges und prozessorientiertes Phänomen betrachtet, das auf einer Vielzahl interagierender Faktoren beruht und somit nur im Sinne eines multikausalen Entwicklungsmodells zu begreifen ist“ (Wustmann 2007, S. 131). Sie stellt einen lebenslangen Lernprozess dar, in dem Anpassungsleistungen an schwierige, belastende Lebensumstände erbracht werden, die positive soziale Interaktionen und psychisches Wohlbefinden ermöglichen (vgl. ebd., S. 122 ff.) und bezeichnet die Fähigkeit einer Person, mit belastenden Lebensumständen und negativem Stresserleben erfolgreich umzugehen (vgl. ebd.). Kindern und Jugendlichen kann es im Sinne von Resilienz gelingen, sich an die neue und veränderte Situation anzupassen, wenn ihnen ein Ausgleich zu den familialen Gewalterfahrungen durch Spiel, eine anregende Lernumgebung, Gemeinschaftserfahrungen und vor allem durch wertschätzende und vertrauensvolle Beziehungen zu anderen Menschen (z. B. Fachkräften in Kitas, Schule, Frauenhäusern) ermöglicht wird (äußere Schutzfaktoren). So kann das persönliche Schicksal vorübergehend ausgeblendet und durch die Gewährung von Schutz, z. B. im Rahmen eines vorübergehenden Frauenhausaufenthaltes, das Gefühl von Sicherheit ermöglicht werden (vgl. Henschel 2019, S. 125 ff.).
Kinder und Jugendliche können sich an einem solchen Schutzort angenommen fühlen, sich als selbstsicher und selbstwirksam erleben, was wiederum zu veränderten Selbstkonzepten führen kann und zur Selbständigkeit beizutragen vermag. So lernen Mädchen und Jungen, sich nicht nur als Opfer der häuslichen Gewalt zu verstehen, sondern sich auch neu zu orientieren, bisherige Einstellungen zu überdenken, andere Werte und Kulturen in Frauenhäusern kennenzulernen und neue Verhaltensweisen zu erproben, die ihnen u. a. auch ermöglichen, Konflikte gewaltfrei zu bewältigen. Resilienzfaktoren können sich aus persönlichen Eigenschaften speisen (innere Schutzfaktoren), die individuell unterstützt und gefördert werden können, weshalb die Kategorie Resilienz im Zusammenhang mit einem Frauenhausaufenthalt, aber auch in Kitas sowie in der Schule durch die pädagogische Arbeit bedeutsam wird.

Deutlich wird damit, dass die besonderen Herausforderungen, vor denen Kinder und Jugendliche stehen, die in ihren Familien Partnerschaftsgewalt als Zeug*innen oder aber zusätzlich in Form von Kindesmisshandlung oder Kindesvernachlässigung erleben müssen, den Sozialisationsverlauf und die Identitätsausbildung erschweren können. Um diese besonderen Belastungserfahrungen produktiv verarbeiten zu können, benötigen sie besondere Unterstützung und Anregungen durch ihre Umwelt, damit ihre Resilienzbildung durch äußere Schutzfaktoren unterstützt wird. Frauenhäuser als vorübergehende Sozialisationsinstanz können hier eine hilfreiche Aufgabe übernehmen, wenn sie sich ihrer Verantwortung als vorübergehende Sozialisationsinstanz bewusst sind und die Mittel und Möglichkeiten haben, dieser Aufgabe gerecht zu werden (vgl. SafeShelter 2021). Aber auch andere pädagogische Institutionen wie z. B. die Kitas könnten hier einen wichtigen Beitrag zur Gewaltprävention und zur Verarbeitung von Gewalterfahrungen innerhalb der Familie leisten, wenn die Fachkräfte um die Gewaltdynamiken von Partnerschaftsgewalt und ihre Auswirkungen auf Kinder wissen.

In diesem Zusammenhang nehmen auch Partizipationserfahrungen eine bedeutsame Rolle ein, denn gerade Kinder (und Jugendliche), die Gewalt in Partnerschaften (mit)erleben und dabei vor allem das Gefühl der Angst und Ohnmacht erfahren müssen, benötigen Räume, in denen sie Selbstwirksamkeitserfahrungen machen können, die das Vertrauen in die eigenen Kompetenzen und in sich selbst fördern und stärken. Deshalb muss es in der pädagogischen Arbeit auch darum gehen, Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten zur Mitgestaltung zu ermöglichen, ihnen Entscheidungsmacht bezüglich ihrer Lebens- und Erfahrungsräume zu geben, um zu lernen, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen. Hierfür müssen Kinder und Jugendliche als Expert*innen ihrer eigenen Lebenswelt verstanden werden. Auf reine Machtausübung im Generationen- und Geschlechterverhältnis sollte verzichtet werden, wenn Kinder und Jugendliche in ihren Problemlösungskompetenzen gestärkt und angemessen unterstützt werden sollen. Dies schließt auch ein, dass sie das Recht erhalten, das, was sie beeinträchtigt, was sie an der Umsetzung ihrer Interessen hindert bzw. sie in ihrer Entwicklung einschränkt, zur Sprache bringen dürfen. „Wenn Kinder in Frauenhäusern (und sei es auch nur für kurze Zeit) erfahren, dass ihre Interessen wichtig sind und dass sie ein Recht darauf haben, sich zu beschweren (auch über Erwachsene), erleben sie Selbstwirksamkeit und erweitern so ihre Handlungsmöglichkeiten. Sie erfahren einen sicheren Raum, in dem sie als Personen Rechte haben und diese auch einfordern und umsetzen können“ (Knauer 2021, S. 16 f.).

Durch die Möglichkeit zur Mitbestimmung, zur Teilhabe und Entscheidungsmacht werden Selbstbestimmungs- und Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglicht. Kinder und Jugendliche können hierdurch lernen, Herausforderungen zu bewältigen, sich in Kooperation und Konfliktbewältigung einzuüben, AmbiguitätAmbiguität|||||Wird auch als  Mehrdeutigkeit oder Doppeldeutigkeit verwendet, z.B. wenn ein  Bild oder Satz auf verschiedene Arten und Weisen verstanden werden kann. Dazu gehören unter anderem auch Anspielungen.stoleranz auszubilden und sich als zugehörig und widerstandsfähig zu erleben. Diese Sozialisationserfahrungen können die Identitätsentwicklung begünstigen und im Sinne einer produktiven Realitätsverarbeitung (vgl. Hurrelmann/Bauer 2015) wirksam werden, oder, wie es Herriger 2022 in Bezug auf den Prozess des Empowerments beschreibt: „Dort, wo die Adressatinnen und Adressaten die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, Autonomie und Gestaltungskraft machen können, erweitern sich ihre psychischen Kräfte – sie stärken ihre personalen Ressourcen, sie schöpfen Selbstwert und gewinnen ein neues Vertrauen in die eigenen Bewältigungsfähigkeiten“.



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