Pädagogik der Vielfalt im Kindergarten

Ein Überblick

Inhaltsverzeichnis

  1. Menschenrechtliche Grundlagen
  2. Sozial- und bildungsphilosophische Grundlagen
  3. Historische Voraussetzungen
  4. Praxisbezogene Handlungsperspektiven
  5. Literatur

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Menschenrechtliche Grundlagen

Pädagogik der Vielfalt beruht in allen Arbeitsfeldern der Bildung und Erziehung, einschließlich der Frühpädagogik, auf gemeinsamen Grundlagen, die menschenrechtlich verbindlich, theoretisch fundiert, empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden. erforscht und alltäglich erprobt sind. Die Prinzipien der Menschenrechte Freiheit, Gleichheit und Solidarität bieten angesichts der in den verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen vorzufindenden Ungleichheiten, Unfreiheiten und Feindseligkeiten eine Orientierung für die Ausrichtung von Bildungspolitik, pädagogischer Forschung und Kindergartenpraxis (4). Die menschenrechtlichen Prinzipien wurden mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zur Grundlage demokratischer Verfassungen. Die Philosophie der Menschenrechte klärt darüber auf, dass diese drei Prinzipien eng miteinander zusammenhängen und für alle Bereiche demokratischer Gesellschaften wegweisend sind (Bielefeldt 2006). In der Kinderrechtskonvention und in der Behindertenrechtskonvention werden die Menschenrechte im Hinblick auf Kinder und Menschen mit Behinderungen ausbuchstabiert; sie sind wegweisend für die inklusive Frühpädagogik, in dere Lerngruppen die heterogen sich entwickelnden und aufwachsenden, sehr jungen Menschen anzutreffen sind.

Kindergartenpädagogik dient demokratischen Entwicklungen, indem Annäherungen an die menschenrechtlichen Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Solidarität angestrebt werden. Wegweisend ist zunächst die Orientierung an Gleichheit, und auch wenn Formulierungen wie »jedes Kind« oder »alle Kinder« genutzt werden, wird alle Kinder einbeziehendes Gleiches angesprochen. Dabei geht es nicht um vollständige Gleichheit im Sinne von Identität und nicht um inhaltliche Gleichheit im Sinne von Angleichung oder Gleichschaltung, sondern um präzise benannte Hinsichten. Gleichheit soll u. a. in folgenden frühpädagogischen Hinsichten angestrebt werden:
  • Gleichheit der Zugangsmöglichkeit zu frühpädagogischen Institutionen,
  • Gleichheit hinsichtlich der in der Kinderrechtskonvention verbrieften Rechte auf Schutz, Förderung und Beteiligung,
  • Gleichheit der Zugangsmöglichkeit zu für gesellschaftliche Teilhabe zentralen Bildungsbereichen einschließlich der elementaren Kulturtechniken,
  • Gleichheit hinsichtlich der Erfahrung jedes Kindes, von den erwachsenen Erziehenden als wertvolles Mitglied der Kita-Gemeinschaft anerkannt zu werden und einen wertvollen Beitrag dazu zu leisten zu dürfen,
  • Erziehung zu Selbstachtung und wechselseitiger Anerkennung aller Kinder untereinander als gleichberechtigte Mitglieder der Kindergruppe,
  • Gleichheit jedes Kindes, seine Freiheit nutzen zu dürfen.
Darin, dass menschenrechtliche Freiheit jedem Kind zukommt, zeigt sich der Zusammenhang von Gleichheit und Freiheit, der im grundlegenden Prinzip der gleichen Freiheit gefasst wird. Gleiche Freiheit soll frühpädagogisch u. a. in folgenden Hinsichten angestrebt werden:
  • Freiheit jedes Kindes, in seiner Einzigartigkeit anerkannt zu werden; aus der die Freiheit für eine Vielfalt der Lebensformen und Lernwege in der als heterogen anerkannten Kindergruppe folgt,
  • Freiheit jedes Kindes, seinen ureigensten Beitrag zur Gemeinschaft leisten zu dürfen und darin anerkannt zu werden,
  • Freiheit jedes Kindes, nach eigenen Wünschen zu spielen und sich beim Lernen eigenen Themen und Interessen zu widmen,
  • Erziehung zu freiheitlicher Anerkennung aller Kinder untereinander, so dass sie lernen, sich wechselseitig als freie Menschen zu respektieren.

Wenn in intergenerationalen und intragenerationalen Verhältnissen gleiche Freiheit intersubjektiv angestrebt wird, kommt das menschenrechtliche Prinzip der Solidarität zum Tragen. Erwachsene können sich in der Frühpädagogik als solidarisch den Kindern gegenüber u. a. in folgenden Hinsichten erweisen:
  • Solidarität als Verantwortung der Erwachsenen für gesundheits- und entwicklungsförderliche psychische und physische Grundversorgung aller Kinder im Kindergarten,
  • Solidarität der Erwachsenen als verantwortliche Klärung der Hinsichten, in denen Kinder das Recht haben, gleiche Freiheit zu genießen,
  • Solidarität der Erwachsenen als verantwortliche Klärung jener für Teilhabe als wesentlich erachteten kulturellen Errungenschaften, deren Aneignung Kindern (individuell angemessen differenziert) autoritativpartizipativ zugemutet und deren Transformation ihnen freiheitlich zugestanden wird,
  • Erziehung zu wechselseitiger Solidarität der Kinder untereinander.
Die Orientierung an den Menschenrechten bezieht sich im Bildungswesen immer auf zwei relationale Perspektiven: Hier geht es sowohl »intergenerational« um die solidarisch angestrebte gleiche Freiheit im Generationenverhältnis als auch »intragenerational« um die solidarisch angestrebte gleiche Freiheit der Heranwachsenden untereinander. Die Gestaltung des Generationenverhältnisses wird von der »Entwicklungstatsache« mit bestimmt, aus der folgt, dass Erwachsene – entwicklungsentsprechend in abnehmender Tendenz – Träger von Verantwortung und Macht den Aufwachsenden gegenüber sind.