Kinderläden und antiautoritäre Erziehung

Modelle einer Gegengesellschaft und veränderten Erziehungskultur

Inhaltsverzeichnis

  1. Vom Gleichschritt zum aufrechten Gang
  2. Keine eigene wissenschaftsmethodisch überzeugende Theorie
  3. Anfänge und Entwicklung in Westdeutschland
  4. Anfänge und Entwicklung in Ostdeutschland
  5. Antiautoritäre Sexualerziehung/-aufklärung
  6. Selbsterziehung der Erwachsenen - Vom Kinderladen zum Elternladen
  7. Anpassung an den Mainstream?
  8. Wegweisende Impulse gesetzt
  9. Neueste wissenschaftliche Studien
  10. Anmerkungen
  11. Literatur

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"Die Hose muss runter"
- Antiautoritäre Sexualerziehung/-aufklärung

Neben der Regelhaftigkeit des Tagesablaufs, den autoritären und festgefahrenen Strukturen sowie der mangelnden Einbeziehung der Eltern in die Kindergartenarbeit, kritisierten die Kinderladentheoretiker /-praktiker insbesondere die Unterdrückung der kindlichen Sexualität, entsprechend der Freud’schen / Reich‘schen Theorie, dass in der „Sexualunterdrückung des Kindes die Voraussetzung für dessen Domestikation und Manipulierbarkeit“ (Paffrath 1972, S. 37) besteht. Um spätere „Seelen-Verklemmungen“ zu verhindern bedarf es einer frühzeitigen Erziehung zur freien Sexualität. Die „repressionsfreie Sexualerziehung“ war Garant „für eine nicht-autoritäre Persönlichkeitsentwicklung und in der Folge für eine gewalt- und aggressionsfrei Gesellschaft“ (Eder 2015, S. 48). Das Kind ist ein von Anfang an sexuell aktives, triebhaftes Wesen, das peu à peu in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt den komplexen psychischen Apparat des Erwachsenen aufbaut:

„Die ‚sexuelle Lust‘ avancierte zum entscheidenden Moment des Sexualitätsdispositivs und wurde nicht länger nur den Erwachsenen, sondern auch explizit dem Kind zugesprochen. Eine Erziehung zur Lustfähigkeit sollte der Unterdrückung der infantilen Sexualität entgegensteuern, um so die Ausbildung autoritärer Charakterstrukturen zu unterbinden... Das Kind wurde als sexuelles Subjekt mit gleichen Rechten wahrgenommen, nicht aber als Sexualobjekt der Erwachsenen, auch wenn aus heutiger Perspektive teilweise sexuelle Grenzüberschreitungen aufgetreten sind“ (Sager 2015, S. 179).

Diesem Verständnis der kindlichen sexuellen Lust zufolge durften die Kinder nackt spielen und herumtoben, bekamen die Möglichkeit, sich absondern zu können, um ihre Körper zu erkunden. Sie konnten jederzeit Doktorspiele durchführen, wobei eine Grenzziehung erfolgte, wenn Verletzungsgefahr bestand. Eine umfassende sexuelle Aufklärung war eine Selbstverständlichkeit. Bezugnehmend auf Wilhelm Reichs „freudomarxistischen Ansatz“ (Zellmer 2011, S. 84) sollten die sexuellen Spiele / Äußerungsformen der Kinder über das „bloße Dulden oder Gestatten“ seitens der Erwachsenen hinausgehen, denn diese Reaktionen bieten „kein Gegengewicht gegen den übermächtigen Druck der gesellschaftlichen Atmosphäre“ (o. V. 1970, S. 103). Vielmehr bedarf es einer unmissverständlichen Bejahung des kindlichen Geschlechtslebens, wobei die eigene Sexualverdrängung der Erwachsenen (Eltern, Erziehungs-/Betreuungspersonal), ihre eigenen längst im Unbewussten verankerten Schuldgefühle, das größte Hindernis darstellen und sich negativ auf die Kinder auswirkten, in dem diese ihre sexuellen Bedürfnisse verdrängen oder nur noch unterschwellig äußern:

„Es kann sich also völlig negativ auswirken, wenn der Erwachsene die sexuellen Spiele eines Kindes, seine Lust und Befriedigung verbal hervorhebt und bejaht, sein Gesicht aber gleichzeitig Ekel, Angst oder Skepsis ausdrückt (z. B. wenn sich die Kinder irgendwelche Gegenstände in Vagina oder After stecken oder mit dem Finger darin rumbohren o. ä. – die Eltern werden in solchen Situationen häufig auf Grund ihrer eigenen Problematik Abwehr oder Ekel empfinden, die mit der Angst, die Kinder könnten sich verletzen rationalisiert wird)“ (ebd., S. 104).

Natürlich kann, wie die die antiautoritären TheoretikerInnen und PraktikerInnen einräumten, die Angst vor Verletzungsgefahren bei aufkommenden Sexspielen „u. U. gerechtfertigt sein; in solchen Fällen müssen wir die Kinder sehr behutsam darauf hinweisen, daß sie sich auch wehtun können; möglicherweise in der Form, daß man sie darauf hinweist, mit dem Genital des anderen behutsam umzugehen. Wenn sie behutsam sind, können sie das Genital des anderen auch besitzen, daran beteiligt sein; die Verarbeitung des Geschlechtsunterschieds (Penisneid) kann dadurch erleichtert werden. Eine bereits erfolgte Verdrängung der sexuellen Bedürfnisse führt häufig dazu, daß die Kinder diese Bedürfnisse nur noch unterschwellig äußern“ (ebd.).

Die Biografin von Frau Seifert gibt an, dass in der Frankfurter Kinderschule sexuelle Aktivitäten seitens der Erwachsenen mit Kindern kategorisch abgelehnt wurden:

„Monika Seifert hob hervor, dass hierdurch der Erwachsene Macht über das Kind ausübe und die Wahrung der Generationsschranke für eine freie Entwicklung des Kindes eine unabdingbare und notwendige Voraussetzung sei. Damit war die Position klar und unmissverständlich formuliert: Jede Form erotisch-sexueller Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern - der Begriff Pädophilie wurde zur damaligen Zeit noch nicht verwendet - wurde entschieden abgelehnt" (Aden-Grossmann 2015, S. 83).

Jedoch: Bei genauerer Betrachtung relativiert sich diese kategorische Ablehnung. So fragte Seifert selbstkritisch ob das Ausbleiben „von versuchter, direkter, zielgerichteter sexueller Aktivität eines Kindes mit einem Erwachsenen“ (Seifert 1971, S. 172) in ihrem Projekt als Manko oder als Erfolg zu bewerten sei. Schließlich hatte sie zuvor zu verstehen gegeben, dass sich die „sexuelle Wißbegier der Kinder, ... wenn sie sich durch keine Verbote gehemmt wird, auch auf den Erwachsenen erstreckt“ (ebd.). In typisch tiefenpsychologisch orientierter Weise führte Seifert dazu aus:

„Es mag daran liegen, daß diese Kinder an keine der erwachsenen Bezugspersonen einseitig fixiert sind und sie deshalb die Möglichkeit haben, sich mit Gleichaltrigen zu identifizieren (die für Familien typischen Fixierungskonstellationen bestehen hier nicht). Es ist also möglich, daß die Kinder deshalb keinen Versuch machen, die Erwachsenen direkt als Sexualobjekt einzubeziehen, weil sie ihre sexuellen bzw. genitalen Bedürfnisse im Kinderkollektiv realitätsgerecht mit Gleichaltrigen befriedigen können. Andererseits - da wir von den Schwierigkeiten der Erwachsenen wissen - muß als mögliche Ursache dessen auch berücksichtigt werden, daß es die eigenen Hemmungen und Unsicherheiten der Erwachsenen sein können, die solchen Bedürfnissen der Kinder von vornherein Grenzen setzen. Dies würde bedeuten, daß die Kinder durch das unbewußte reagieren der Erwachsenen ihre sexuelle Neugierde an diesem Punkt unterdrücken und sie aus diesem Grunde über gewisse Ansätze zur Einbeziehung der Erwachsenen nicht hinausgehen“ (ebd.).

Dass Kinderladen-BetreuerInnen sich aktiv an sexuellen Spielen mit Kindern beteiligten, sexuelle Grenzen überschritten, belegen folgende zwei exemplarisch ausgewählte Beispiele:

„Ein Teil der Kinder sitzt am Tisch beim Mittagessen. Ich stehe daneben, da kommt Ida zu mir und streichelt mein Knie, dann geht sie höher und krabbelt mit den Händen unter meinem Rock. Ich lächle sie an und sage: 'Das kitzelt ja so. Ist es denn da so schön warm? Macht das denn so Spaß?' Sie sagt: 'Ja, ich will dich mal kitzeln' - und sie streichelt meine Schenkel rauf und runter. Nina hat uns von Anfang an genau beobachtet; als sie meine Reaktion sah, legte sie en Löffel aus der Hand und kommt zu uns. Sie will auch unter meinem Rock kitzeln. Der Rock rutscht immer höher, ich stehe praktisch in der Unterhose da, da kommt auch Annette Z., und wir vier haben einen Mordsspaß daran, wie sie unter meinem Rock herumfummeln. Sie krabbeln mit den Fingern über den Bauch, sehen ein Stück nackte Haut und freuen sich darüber, dann schieben sie meinen Pullover hoch, und streicheln meine Brust, bis die Hände am Halsausschnitt herauskommen. Ich rate immer, welche Finger nun wohl zu wem gehören. Bero will sich an den Spaß auch beteiligen und tätschelt sanft meinen Popo. Das zieht sich so ungefähr 20 Minuten hin... Das Ganze geht sehr gelöst vor sich, und jeder ist der Meinung, daß es jedem Spaß macht. Utku kommt dazu und fängt an, an meinem Rock herumzureißen. Er ist ganz aufgeregt und ruft: 'Die Hose muß runter, ich ziehe die Hose runter.' Er reißt wild an meinen Kleidern herum, leckt an meinem Bauch und beißt in die Haut. Ich sage, daß es mir zu kalt sei, und ich keine Lust hätte, mich ausziehen zu lassen. Das wird nicht akzeptiert, und er reißt weiter an meinen Schamhaaren. Da nehme ich seine Hand heraus und sage, daß es mir wehtut, und ich das nicht gut fände... Martin ist hinzugekommen und interessiert sich sehr dafür, was hier passiert... Utuku ruft ständig: ‚Die Hose runter, ich zieh die Hose runter.‘ Als er wieder an meinen Schamhaaren herumreißt, ziehe ich seine Hand weg. Martin steh steht jetzt abseits und spricht mit Tili (Pädagogin). Er sagt zu ihr: ‚Du, helf mir doch mal, ich kriege meine Hose nicht mehr zu. Manchmal, da habe ich einen ganz steifen Pimmel, und das tut dann auch oft weh.‘ Da sagt Tiki: ‚Da mußt du ihn streicheln.‘ Er: ‚Ja, das habe ich schon oft gemacht‘“ (Bott 1970, S. 43 f).
kinderladen6 Doktorspiel im Matratzenzimmer; Quelle: Ida-Seele-Archiv, 89407 Dillingen18)Ein weiteres fragwürdiges Beispiel, das inzwischen hunderte Male zitiert wurde, ist der Fall der noch nicht ganz vierjährigen Grischa aus dem Kinderladen der West-Berliner „Kommune 2“, deren Mitglieder die Lehren von Wilhelm Reich und Vera Schmidt hundertprozentig zu praktizieren versuchten (vgl. Kätzel 2002, S. 259 ff.). Im August 1967 waren drei Frauen und vier Männer in eine 7 1/2 Zimmer große Altbauwohnung in die Giesebrechtstraße 20, Berlin-Charlottenburg, gezogen. Zur „Kommune 2“, die bereits ein Jahr später wieder aufgelöst wurde, gehörten noch zwei Kleinkinder, das schon genannte Mädchen Grischa und der vierjährige Nessim. Die BewohnerInnen der Kommune protokollierten akribisch ihre „Ansätze sexualfreundlicher Kindererziehung“. Beispielsweise veröffentlichten Christel Bookhagen, Eike Hemmer, Jan Raspe, der spätere RAF-Terrorist, und Eberhard Schultz einen Beitrag über „Kindererziehung in der Kommune“ im Kursbuch 17, erschienen1969. Darin findet sich folgendes „soziales Experiment“, das als Beispiel für eine nicht bloße Duldung, sondern für uneingeschränkte Bejahung der kindlichen Sexualität ausgewiesen wurde. Kommunarde Eberhard Schultz (19), heute Menschenrechtsanwalt, protokollierte am 4. April 1968:

„Nach dem Ausziehen kommt Grischa zu mir: ‚Will bei dir schlafen.‘ Da ich müde und frustriert bin, lege ich mich angezogen zu ihr aufs Bett, will sie möglichst schnell einschläfern. Grischa hält mich mit Zeitungsblättern und Warum-Fragen wach. Ich darf die Augen nicht zumachen. Auf Fragen nach dem Grund, was ich denn sehen soll, antwortet sie nicht mit Worten. Sie ist nur sehr unruhig, reibt die Beine aneinander, steckt sich die Decke dazwischen, zieht wiederholt an Pullover und Strumpfhose. Ich finde keine Möglichkeit, auf ihr sexuelles Interesse einzugehen, und nach zwanzig Minuten zieht sie frustriert mit ihrem Kopfkissen wieder in ihr Zimmer ab. Als ich ihr folge, schickt sie mich zuerst raus, dann soll ich Geschichten erzählen, dann mich zu ihr legen. Nasser ist schon beim Einschlafen, deshalb flüstert sie mir irgendwelche Fragen zu, die ich nicht verstehe. Es gelingt mir nicht, ein Schlafbedürfnis bei ihr zu wecken. Als ich sie frage, ob sie in ihrem Zimmer oder bei mir schlafen will, geht sie freudig in mein Zimmer. Ich lege mich in Unterhose und Unterhemd zu ihr aufs Bett. Grischa sagt, sie braucht keine Decke zum Einschlafen. Außerdem soll ich nicht die Augen zumachen. Dann will sie mich streicheln, Hände und Gesicht. Ich darf sie erst streicheln, wenn sie gestreichelt hat, dann auch nur kurz. Zum Bauchstreicheln muß ich mein Hemd hochziehen. Ich liege auf dem Rücken. Grischa streichelt meinen Bauch, wobei sie meine rausstehenden Rippen als Brüste versteht. Ich erkläre ihr, daß das Rippen sind, ich nur eine flache Brust und Brustwarzen habe. Sie streichelt meine und zeigt mir ihre Brustwarzen. Wir unterhalten uns über die Brust von Mädchen. wenn sie älter sind. Dann will sie meinen ‚Popo‘ streicheln. Ich muß mich umdrehen. Sie zieht mir die Unterhose runter und streichelt meinen Popo. Als ich mich wieder umdrehe, um den ihren wie gewünscht zu streicheln, konzentriert sich ihr Interesse sofort auf ‚Penis‘. Sie streichelt ihn und will ihn ‚zumachen‘ (Vorhaut über die Eichel ziehen), bis ich ganz erregt bin und mein Pimmel steif wird. Sie strahlt und streichelt ein paar Minuten lang mit Kommentaren wie ‚Streicheln! Guck ma Penis! Groß! Ma ssumachen! Mach ma klein!‘ Dabei kniet sie neben mir, lacht und bewegt vom ganzen Körper nur die Hände. Ich versuche ein paarmal, sie zaghaft auf ihre Vagina anzusprechen, sage, daß ich sie auch gern streicheln würde, wodurch sie sich aber nicht unterbrechen läßt. Dann kommt doch eine ‚Reaktion‘: Sie packt meinen Pimmel mit der ganzen linken Hand, will sich die Strumpfhose runterziehen und sagt: ‚Ma reinstecken.‘ Ich hatte zwar sowas erwartet (Marion hatte von Badewannenspielen erzählt, wo Nasser seinen Pimmel vor Grischas Bauch hielt und sie sich so zurückbeugte, daß man ‚Penis in Vagina reinstecken‘ konnte, was aber mangels Erektion nicht gelang), war dann aber doch so gehemmt, daß ich schnell sagte, er sei doch wohl zu groß. Darauf gibt Grischa sofort ihre Idee auf, läßt sich aber die Vagina sehr zurückhaltend streicheln. Dann holt sie einen Spiegel, in dem sie sich meinen Pimmel und ihre Vagina immer wieder besieht. Nach erneutem Streicheln und Zumach-Versuchen kommt wieder der Wunsch ‚Reinstecken‘, diesmal energischer als vorher. Ich: ‚Versuch’s mal!‘ Sie hält meinen Pimmel an ihre Vagina und stellt dann resigniert fest: ‚Zu groß‘“ (Kommune 2 1969, S. 169).

Der Kommentar zu voranstehenden Protokoll versucht zu belegen, dass „die Kinder selbst die Unmöglichkeit, ihrer genitalen Wünsche mit Erwachsenen zu befriedigen“ (ebd., S. 169) realisieren:

„Bei einer bejahenden Einstellung zur Sexualität der Kinder wird sich früher oder später das sexuelle Interesse der Kinder auch auf die Genitalien der Erwachsenen richten... Das sexuelle Interesse der Kinder, wenn es nicht durch Einschüchterungen und Verbote gehemmt wird, geht bis zu koitusähnlichen Nachahmungen der Erwachsenensexualität“ (ebd., S. 168 f).

Voranstehendes Beispiel aus der „Kommune 2“ zeigt, dass hier der Unterschied zwischen Erwachsenen und Kind völlig verschwimmt. Eberhard Schultz und seinen MitbewohnerInnen haben anscheinend übersehen /-lesen, dass z. B. ihr theoretisches Vorbild Vera Schmidt, ihren Erzieherinnen „alles untersagte, was das Kind‚ erregen und sein Selbstgefühl erniedrigen‘ könnte“ (Heider 2014, S. 108).

Die Doktorspiele wurden anscheinend selbst dann nicht unterbunden, wenn die ErzieherInnen kindliche Formen von Geschlechtsverkehr registrierten, wie folgendes Protokoll aus dem autonomen Kinderhaus Neuenheim in Heidelberg belegt:

„Im Schwimmbad mit der großen Gruppe: Yohan und Sean setzen sich auf den Boden, anstatt sich anzuziehen, und spielen, jeder mit seinem Pimmel. Sie machen sich einen ‚Steifen‘... Bei Yohan ist mir schon oft aufgefallen, daß er beim Anziehen, nach dem Schwimmen sexuelle Gefühle kriegt. Er hat schon öfter versucht, seinen Pimmel in die Scheide von einem Mädchen oder in Sean’s Arsch zu stecken, oder den Pimmel an einer Scheide zu reiben, was die Mädchen je nach Yohanns Behutsamkeit und ihrer eigenen Laune verschieden - lustvoll bzw. ablehnend – aufnahmen“ (Billau/Jansen/Jutzi 1980, S. 86).

Die geschilderten sexuellen Grenzüberschreitungen waren zur damaligen Zeit keine Randerscheinung, sondern ein Segment des linken Mainstreams (20) Zum Beispiel ging es den Protagonisten der „Kommune 2“ nicht darum, wie sie glaubhaft zu versichern suchten, Sex mit Kindern anzupreisen, vielmehr wollten sie damit den notwendigen Zwischenschritt in der psychischen Entwicklung der Kinder und der freien Entfaltung ihrer sexuellen Bedürfnisse darzustellen. Folgend wenden die Kinder ihre genitale Sexualität Gleichaltrigen zu:

„Daß die Kinder diese Erfahrung wirklich ausleben konnten, hatte zur Voraussetzung, daß die Erwachsenen nicht nur keine Verbote aussprachen, sondern ihre eigenen Hemmungen überwinden konnten. Die bewußt gemachte eigene Erfahrung wirkt für die Kinder als Antrieb, ihre genitale Sexualität realitätsgerechter mit gleichaltrigen statt mit Erwachsenen zu befriedigen“ (Kommune2 1979, S. 93).

Die Frage nach einer Grenzüberschreitung, nach dem wie nah ist zu nah, nach einem eventuellen Synkretismus von kindlicher und erwachsener Sexualität wurde von den KommundarInnen nicht gestellt. Dass selbstregulierende Kinder auch NEIN sagen könnten, kam ihnen nicht in den Sinn.

Die antiautoritären Sex-Vorkommnisse sorgten im „Kreise des nicht nur pädagogischen Establishments“ für Entsetzen, obwohl die Öffentlichkeit noch nicht gegen Kindesmissbrauch so sensibilisiert war wie heute. Die geschilderten Szenen widersprachen allem, was gemeinhin als moralisch und pädagogisch vertretbar galt. Die Psychagogin Christa Meves kritisierte die Praxis des sexuellen Umgangs in den KinderlädenKinderläden||||| Die Kinderladenbewegung entstand in den 1986 in Frankfurt mit ersten selbstverwalteten Kindergärten, oftmals Elterninitiativen, in denen Kinder verschiedenster Alter  betreuut wurden. Es wurde die Maxime eines antiautoritären Erziehungsstil vertreten, um neue Erfahrungen für Kinder zu ermöglichen, sowie die Ansicht, dass Regeln von "Autoritäten" nicht blind verinnerlicht werden dürften. Dies führte und führt noch heute zu Diskussionen und fälschlichen Verwechslungen mit dem Laissez-Faire Erziehungsstil.   , als "frühe Kindesverführung", die "psychosomatische Erkrankungen, schwere Hysterie oder sexueller Verwahrlosung" (Meves 1970, S. 95) hervorrufe. In ihrer Schrift „Mut zum Erziehen“ wandte sich die Psychagogin gegen die antiautoritäre Bewegung, Kinderläden, Studentenbewegung etc., gegen die Dominanz „des Themas Sexualität in Filmen und Illustrierten, in zahllosen wissenschaftlichen oder pseudowissenschaftlichen Publikationen, die man unter das Motto stellen könnte: So herrsche den Sexus – wobei es vor allem um die Auflösung von sogenannten Tabus und ihrem tausendjährigen Muff geht“ (ebd., S. 98). Und der Psychotherapeut Günther Bittner missbilligte diese Art der Sexualpädagogik als "Verstoß... im Namen einer aufklärerischen, das andere Mal im Namen einer curricularen Anforderung; das dritte Mal im Namen dessen, was man für Triebbedürfnisse des Kindes hielt" (zit. n. Berger 2016, S. 161). Auch der "Deutsche Ärztinnenbund" verwahrte sich auf dem Vorschulkongress 1970 vehement gegen diese „Form der Kindesverführung“ (vgl. o. V. 1970a, S. 63).


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