Spiel als Motor der Entwicklung

Zum Verhältnis zwischen Spielen und Lernen

Inhaltsverzeichnis

  1. Entwicklung des kindlichen Spiels
  2. Spielend lernen: Zum Verhältnis zwischen Spielen und Lernen
  3. Die Kita als Spielort?
  4. Literatur

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Die Kita als Spielort?

Wie kann das kindliche Spiel angemessen begleitet und unterstützt werden?
Kindertagesstätten sind ein idealer Ort, um das Spielen und Lernen der Kinder zu begleiten und zu fördern. Durch die verlässlichen Beziehungen, Strukturen und Abläufe werden das Gefühl von Wohlbefinden, Sicherheit und Orientierung befördert, also wesentliche Voraussetzungen dafür, dass sich Kinder auf das Spiel überhaupt einlassen können. Durch die Gruppenkontexte (unabhängig von der konkreten pädagogischen Konzeption) werden vielfältige und stabile Kooperations- und Spielbeziehungen zwischen Kindern gefördert. Raum- und Materialangebot werden entsprechend der Bedürfnisse nach Exploration und Selbsttätigkeit gestaltet bzw. zur Verfügung gestellt. Unter diesen Voraussetzungen ist zu erwarten, dass Kinder in der überwiegenden Mehrzahl intensive Spielbeziehungen aufnehmen werden und sich auf Spiele vertieft einlassen können.

Darüber hinaus können auch Formen einer Begleitung und Unterstützung im unmittelbaren Spiel der Kinder sinnvoll sein, dabei ist jeweils zu reflektieren, ob und in welcher Form ein Ein- und wieder Ausfädeln aus dem Spiel sinnvoll erscheint. Einige dieser Möglichkeiten werden im Folgenden vorgestellt (vgl. Weltzien 2014; Weltzien 2013).

Begleitung durch Empathie und Perspektivenübernahme
Eine einfühlsame Begleitung des kindlichen Spiels kann geschehen, indem die Fachkraft Impulse der Kinder aufnimmt und mit ihnen in eine Spiel- bzw. Kooperationsinteraktion eintritt. Das ist unabhängig von der Spielform, kann also in Bau- und Konstruktionsspielen, Explorationsspielen, Regel- und Wettbewerbsspielen ebenso wie in Rollenspielen der Fall sein. Sie erweitert die Aktivitäten und Äußerungen der Kinder durch Fragen, Gedanken, Pläne oder Ideen. Dabei richtet sie sich je nach thematischem Kontext an einzelne Kinder oder an die Gruppe der Kinder. In den Gesprächen und nonverbalen Äußerungen übernimmt die Fachkraft die Perspektive des beteiligten Kindes bzw. der Kinder. Dies signalisiert sie durch körperliche Nähe, gemeinsame gerichtete Aufmerksamkeit ebenso wie durch einen Austausch von Repräsentationen (gemeinsame Erlebnisse oder Erfahrungen, Deutungen, Ideen, Theorien, Pläne). Im szenischen Spiel kann auch eine doppelte Perspektivenübernahme erfolgen, indem die Perspektiven von inszenierten Tieren, Personen oder Phantasiegefährten mit ihren jeweiligen Rollen eingenommen wird.

Kontextangemessenheit und sensibles Antwortverhalten (Responsivität)
Auch ein feinfühliges, kontextangemessenes Antwortverhalten kann zu einer Verlängerung oder Vertiefung von Spielbeziehungen beitragen. Nach Ainsworth (1964/2003) beinhaltet das Feinfühligkeitskonzept eine niedrige Wahrnehmungsschwelle, die Perspektivenübernahme sowie eine prompte und angemessene Reaktion (Responsivität, vgl. auch Remsperger 2011; Gutknecht 2012). Ein förderliches Interaktionsverhalten innerhalb von Spielsituationen zeigt sich in einer hohen Engagiertheit und Aufmerksamkeit für das Geschehen und auch in Gesprächen im oder über das Spiel („Nebengespräche“).

Auch können über Gespräche emotionale Erregungszustände im Spiel (Abenteuer) sprachlich durch die Fachkraft begleitet werden. In dem Antwortverhalten der Fachkraft wird das jeweilige Kompetenzgefälle zu dem Kind bzw. den Kindern bzw. innerhalb der Kindergruppe reflektiert und die Interaktionen entsprechend gestaltet. So werden Impulse und Unterstützungsangebote gemacht, die die Kinder in ihre Aktivitäten und Äußerungen „einbauen“ und die das jeweilige Geschehen erweitern. Oder es werden Spielbeziehungen feinfühlig über die Gespräche mit der Fachkraft angebahnt bzw. Missverständnisse im Spiel durch die Fachkraft moderiert. Dabei versucht die Fachkraft, dem Erlebnisraum der Kinder zu folgen und stülpt ihnen nicht ihre Sicht der Dinge über.

Stärkung der Gruppenkohärenz („Wir-Gefühl“)
Durch die Beteiligung an Spielsituationen und ihre Verhaltensäußerungen macht die Fachkraft ihre Rolle als Teil der Gruppe deutlich. Formulierungen („Wir“) stärken die Gruppenkohärenz. Dabei ist ihr emotionales Ausdrucksverhalten weder dominant noch passiv, sondern orientiert sich an der Gruppenatmosphäre. Auch bei heterogenen Gruppen wird Gruppenkohärenz nonverbal (durch Nähe, Zuwendung, Aufmerksamkeit für das Gruppengeschehen und für das einzelne Kind) und verbal („wir“-Sätze, persönliches Ansprechen, Namen nennen, in wertschätzender Form rückmelden, an gemeinsame Erfahrungen erinnern, gemeinsame Ideen entwickeln) hergestellt. Mit dem Herstellen einer guten Gruppenatmosphäre schafft sie die Basis für vielfältige und selbstläufige Spielbeziehungen innerhalb der Gruppe.

Emotionale Co-Regulation: Begleitung Spannungsaufbau und -abbau
Spielinteraktionen entstehen aus einem gemeinsamen Interesse heraus, ein Ziel erreichen oder ein Spiel gewinnen zu wollen. Die Bereitschaft, sich intensiv auf ein Spiel einzulassen, wird durch das eigene, hohe Engagiertheitsniveau der Fachkraft befördert. Sie gestaltet die Spielinteraktionen in einer Weise, die vielfache Lernerfahrungen ermöglicht. So werden beispielsweise gemeinsame Ziele vereinbart, an denen sich die Aktivitäten ausrichten. Die Engagiertheit der Beteiligten entwickelt sich über den Prozess des gemeinsamen Handelns und der gemeinsam erzeugten Handlungswirklichkeiten im Spiel. Die Fachkraft unterstützt durch ihr Handeln ein Spannungserleben, indem sie das Erreichen eines gemeinsamen Ziels intensiv und ausdauernd begleitet, ohne es vorwegzunehmen. Sie gibt kontextbezogen und den Kompetenzen der Kinder angemessen Hinweise und Denkanstöße, um die Kinder in ihrem Vorhaben zu unterstützen. Dabei lässt sie sich in ihrem emotionalen Ausdrucksverhalten auf die Kinder und ihren Spannungszustand ein. Sie nimmt feinfühlig das Spannungsgefühl der Kinder wahr (z.B. Luft anhalten) und signalisiert, dass auch für sie die Situation spannend ist. Sie selbst befindet sich in einem Zustand hoher Engagiertheit und Aufmerksamkeit und begleitet damit das Flow-Erleben der Kinder.

Eingehen auf die Dynamiken von Interessen und Zielen der Kinder
Eine weitere Form der Unterstützung von Spielbeziehungen ist das Aufnehmen der Dynamik des Spiels. Dabei wird akzeptiert, dass sich die Ziele innerhalb eines Spiels verändern können (vgl. Zielfluktuation als ein wesentliches Merkmal des kindlichen Spiels, Mogel 2008). Innerhalb dieser Dynamik wird den Kindern je nach Bedarf Unterstützung und Anregung, Nähe und Entspannung angeboten. Hierbei wird auch auf individuell unterschiedliche Bedürfnisse und Motive der Kinder jeweils angemessen eingegangen: Während sich das Interesse bei manchen Kinder eher darauf bezieht, ein Teil der Gruppe und in der Nähe der Fachkraft zu sein, sind andere Kinder stärker an den Spielobjekten oder -inhalten interessiert. Auch die unterschiedlichen Interessen und Ziele, die sich aus dem aktiven Handeln der Kinder heraus ergeben, werden in ihrer Dynamik und Vielfalt beobachtet und angemessen beantwortet. Damit wird den Kindern kein Spielverhalten „vorgegeben“, sondern sie werden in ihrem individuellen Verhalten wahrgenommen und wertgeschätzt. Sofern dieses in einem vertretbaren Rahmen bleibt, dürfen dabei auch Regeln hinterfragt bzw. ausgehandelt, Spielobjekte und -materialien verfremdet und „herausfordernde“ Rollen erprobt werden.

Hohe Interaktionsdichte und soziale Bezugnahme
Durch die Initiierung und Gestaltung vielfältiger Möglichkeiten zur Interaktion haben die beteiligten Kinder Gelegenheit, ihr Weltwissen zu explizieren, von dem Wissen und Können der anderen zu profitieren und in einen gedanklichen Austausch zu kommen („sustained shared thinking“, Siraj-Blatchford et al. 2002). Die Fachkraft selbst ist interessierte Zuhörerin, die mit Nachfragen und Kommentaren die Erzählungen der Kinder unterstützt. Das gemeinsame Ziel schafft einen Rahmen für eine intensive Gesprächssituation und gegenseitige Bezugnahme, in denen auch die familiären und kulturellen (sprachlichen) Hintergründe der Kinder und ihrer Familien Platz finden können. Die Fachkräfte unterstützen die Kinder dabei, Schwierigkeiten zu überwinden und bei Herausforderungen (z.B. Misserfolgen im Spiel) standzuhalten. Neben den spielbezogenen Themen werden auch Gespräche über die Aufregung der Kinder, ihre Erwartungen oder Enttäuschungen initiiert bzw. aufgegriffen.

Ausgleich von Kompetenzunterschieden
Durch die wertschätzende Aufmerksamkeit für jedes Kind und die an seinen Interessen und Zielen orientierten Impulse werden die Kinder im Spiel darin unterstützt, sich mit dem eigenen Handeln auseinanderzusetzen und darüber in Austausch zu kommen. Differenzierte, an den Stärken der Kinder ansetzende Rückmeldungen unterstützen die Kinder in ihrem Kompetenzerleben. Auch werden sie darin unterstützt, sich mit den (möglichen) Wirkungen ihres Handelns auseinanderzusetzen. Die interaktionsbezogenen Handlungskompetenzen der Fachkräfte sind durch einen feinfühligen Ausgleich von Kompetenzunterschieden und Interessen zwischen den Kindern gekennzeichnet. Die Beteiligungs- und Bildungsbereitschaft wird durch die Fachkraft befördert, indem Aufgaben ausgehandelt oder Rollen vereinbart werden, die die beteiligten Kinder herausfordern ohne zu überfordern. Dabei stehen Freiwilligkeit und Offenheit des Spiels im Vordergrund. Jedem der beteiligten Kinder wird signalisiert, dass es gebraucht wird, um die gemeinsamen Ziele erreichen zu können. Jüngere bzw. weniger erfahrene Kinder werden darin unterstützt, mit den Zielen und Regeln des Spiels vertraut zu werden. Die Fachkraft begleitet sie feinfühlig und sorgt zugleich dafür, dass Kooperation und Fairness im Zentrum des Geschehens bleiben und niemand ausgegrenzt wird. Durch ihre eigene Spielfreude und die Gelassenheit, nicht immer erfolgreich sein zu müssen, bietet sie den Kindern Orientierung.

Eröffnung der sozialen Teilhabe – Gegen Diskriminierung und Ausgrenzung
Eine besondere Feinfühligkeit ist im Umgang mit Kindern beobachtbar, die neu zu einer Spielgruppe hinzukommen, am Rande stehen oder mit anderen Interessen dazu stoßen (sogenannte „Zaungäste“, vgl. Weltzien 2014). Eine Gruppe übt eine hohe Anziehungskraft auf Kinder aus, die umso größer ist, je größer das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Anerkennung ist. Durch das feinfühliges Angebot zur Teilnahme, die Stärkung der Selbstwahrnehmung der Kinder durch positive Aufmerksamkeit und wertschätzende Rückmeldungen werden diese Kinder zu einem Teil der Gruppe, ohne dass sie hierfür einen aktiven Beitrag „leisten“ müssen.

Starker Konformitätsdruck aber auch Konkurrenzsituationen unter den Kindern können ein gemeinsames „Spielfeld“ verhindern und auf das einzelne Kind bedrohlich wirken. Werden Tendenzen zur Exklusion eines oder mehrerer Kinder beobachtet, die über ein vertretbares Maß der Freundschafts- und Gruppenbildung hinausgehen, ist das professionelle Handeln der Fachkraft notwendig. Es ist ihre Aufgabe, Kinder vor schädlichen und demütigenden Einflüssen zu bewahren (Alsaker 2012; Siraj-Blatchford & Sylva 2004).

Eine professionelle Begleitung des kindlichen Spiels sollte sich daher an den Grundlagen einer Pädagogik der Vielfalt und Inklusion ausrichten (Sulzer 2013; Weltzien & Albers 2014). Die vielfältigen Kulturen in einer Kindergruppe sollten beachtet und geschätzt werden. Sprachdifferenzen sollten soweit überbrückt werden (z.B. durch Moderation, Dolmetschen, bilinguale Angebote, gezielte Sprachförderung), dass den Kindern gleiche Chancen zum Mitspielen ermöglicht werden. Kinder, die aufgrund ihrer sozialen und kulturellen Herkunft benachteiligt oder von sozialer Teilhabe ausgeschlossen sind, sollten feinfühlig in ihrem Spielverhalten begleitet werden und ihnen sollten vielfältige Möglichkeiten auf Teilhabe am Gruppen- und Spielgeschehen angeboten werden (z.B. durch attraktive Rollen, Aufgaben, Funktionen).

Bei Kindern aus Minderheitengruppen besteht die Gefahr eines eher negativ geprägten Selbstkonzepts (z.B. durch frühe Erfahrungen von Stereotypisierung oder Ausgrenzung), was sich auch im Spielverhalten äußern kann. Ihnen muss daher das Gefühl vermittelt werden, dass sie anerkannt und wertgeschätzt werden. Ganz besonders große Aufmerksamkeit muss offenen und verdeckten Diskriminierungen im pädagogischen Alltag gegeben werden. Zu einer feinfühligen Begleitung und Förderung im Spiel gehört auch, Tendenzen von Diskriminierung und Ausgrenzung offenzulegen und ihnen wirksam zu begegnen.


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