M.Ed.Jens Müller

Theorie-Praxis Bezug als sozialdidaktische Aufgabe

Der folgende Beitrag steht im Zusammenhang mit derSozialdidaktikSozialdidaktik|||||Sozialdidaktik  ist eine eigenständige Didaktik zur professionelle Ausgestaltung von Lehr- und Lernzusammenhängen in sozialpädagogischen Ausbildungsberufen,  die auf dem Kontext von sozialem und pädagogischen Denken, Konzipieren und Handeln basieren.-Tagung in Lüneburg vom 17.09.2010. Die Tagung stellte die sozialdidaktischen Grundlagen der Lehr- und Lernprozessgestaltung sowie dieSozialdidaktikals Arbeitsprogramm in Aus-, Fort- und Weiterbildung in den Mittelpunkt und wurde in Zusammenarbeit des Instituts für Sozialpädagogik der Leuphana Universität und der Landesschulbehörde Lüneburg durchgeführt

 Bestandsaufnahme und Perspektiven

Eine Zukunfstversion:

ErzieherInnen in der Ausbildung durchdringen durchgehend, ausgehend von einer prozesshaften biografischen Selbstreflexion in ständiger Verbindung und Orientierung an Praxis, Theorien, die in Kooperation mit und zum Nutzen von Praxis in Forschungsprojekten angewandt, reflektiert und die Projekte evaluiert werden. Die (tlw. drittmittelfinanzierten) Forschungsprojekte werden thematisch gegliedert von verschiedenen Fachschulen in Kooperation mit Hochschulen realisiert, die jeweils mit der Anleitung, Begleitung und Reflexion der Studierenden und der SchülerInnen in den Forschungsprojekte wiederum einen Beitrag zur ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.   leisten und dazu beitragen Wissen für das Feld zu generieren und zu verdichten und so Einfluss auf (Sozial-)Politik ausüben und damit auf die Arbeits-, Lebens- und Berufs-Sozialisationsbedingungen der PädagogInnen und der Jungen und Mädchen inklusive deren Angehörigen positiv einwirken.

Das professionelle, forschende Lehrpersonal an den Fachschulen flankiert die Forschungsprojekte und reflektiert diese mit den SchülerInnen gemeinsam. Unterrichtsfächer, 45 oder 90minütige Schulstunden o.ä. gibt es nicht mehr. Die werdenden ErzieherInnen haben mit ihrem Abschluss direkt die Möglichkeit in ein Studium der Frühkindlichen Bildung, der Sozialpädagogik oder des Berufsschullehramtes Sozialpädagogik einzumünden und dieses durch geregelte Durchlässigkeiten tlw. bis zur Hälfte der Zeit zu verkürzen.

Die MentorInnen in den Einrichtungen sind speziell für Ihre Arbeit qualifiziert und können die werdenden ErzieherInnen inhaltlich und reflexiv in den Forschungen unterstützen. Ihre Qualifikation und die Mitarbeit in den Forschungsprojekten werden auf mögliche evtl. berufsbegleitende BA- und MA Studiengänge angerechnet, so dass sich die Studienzeit verkürzt.

Insgesamt bringt die in Theorie- und Praxis aufeinanderbezogene Ausbildung allen Beteiligten auf allen Ebenen viel.

 


 

1. Einleitung

 Zu dieser möglichen Zukunftsvision gibt es theoretisch- fundierte und in Teilen praktizierte Vorarbeiten. So hat die Sozialdidaktik, die sich der speziellen Herausforderungen der Aus-, Fort- und Weiterbildung in sozialen (Frauen-)Berufen angenommen hat (Karsten 2003/ Krüger& Dittrich 1982/ Habel& Karsten 1986) deutliche, theoretisch fundierte Aussagen bzgl. des Theorie-Praxis-Bezuges, der (offenen) CurriculaCurricula|||||Ein Curriculum ist ein Lehrplan, Modulplan oder Lehrprogramm, das Aussagen über Lehrziele und Ablauf des Lehr- Lern – Arrangement gibt und auf einer Didaktik aufbaut.r und der Bedeutung des projekthaften Unterrichts bzgl. der Persönlichkeitsbildung getroffen. Nur wurden diese im Kontext der ErzieherInnenausbildung bislang nicht in vollem Maße zur Kenntnis genommen.

Mit der Einführung der Lernfelder ist eine fast 30 Jahre alte, sozialdidaktische Forderung nach mehr Berufsfeldbezug realisiert worden. Dass gerade in personenbezogenen sozialen Ausbildungen ein deutlicher Theorie-Praxis-Bezug hergestellt werden muss ist deutlich, wenn u.a. die im Lehrplan politisch-curricular ausformulierten Ziele/ Zielsetzungen der ErzieherInnenausbildung betrachtet werden:

  „Leitende Zielsetzung der Ausbildung zur Erzieherin/zum Erzieher bildet […] der Erwerb einer umfassenden beruflichen Handlungskompetenz.“ (Niedersächsisches Kultusministerium 2002:2)

Nur durch eine sozialdidaktische, Theorie- Praxis gezielt verzahnende Ausbildung, kann das Ziel erreicht werden, die berufliche Handlungskompetenz auszubilden und das Handeln in der Praxis in einem (größeren) theoretischen Rahmen reflektieren zu können.

Ebenso kann die durch die Lernfelder und die Lernsituationen forcierte formale Abschaffung der Fächersystematik als (wenn auch unbewusst vollzogener) Schritt in Richtung der Sozialdidaktik nach Krüger& Dittrich (1982), Habel& Karsten (1986) und Karsten (2003) gesehen werden.

Allerdings weisen die inhaltlichen Dimensionen im niedersächsischen Lernfeldkonzept Unbestimmtheiten auf, die ausgemacht sowie de-, re- und neu konstruiert werden müssen. Allen voran gilt es innerhalb des curricularen Spektrums, die inhaltliche Unbestimmtheit des vertraut erscheinenden Begriffs „Theorie-Praxis-Bezug“ zu thematisieren.

Der Begriff „Praxis“ ist vordergründig geklärt, jedoch bedarf es bzgl. der Praxiseinrichtung einer Reflexion der bisherigen Arbeit und eine Professionalisierung der MentorInnentätigkeit. Beim Begriff der „Theorie“ ist die Frage nicht geklärt, um welche Theorien es sich handeln sollte bzw. wie diese innerhalb der ErzieherInnenausbildung didaktisch erlernbar gemacht werden können. Ein Aufeinanderbeziehen von Theorie und Praxis könnte zu einer mehrfachen Win-Win-Situation durch die konzertierte Theorie-Praxis-Verzahnungen von SchülerInnen in den Praxiseinrichtungen führen, wie es die beschriebene Utopie zeigt.

Im Rahmen eines Master-Forschungsprojektes[1]des Studienganges Lehramt an Berufsbildenden Schulen Fachrichtung Sozialpädagogik an der Leuphana Universität Lüneburg zum Thema Lernfelder in der ErzieherInnenausbildung in Niedersachsen, auf das innerhalb des Textes punktuell zurückgegriffen wird, wurde in den geführten Interviews zur Entstehung und Arbeit mit den Lernfeldern wurde u.a. folgende Kritik geäußert:

„(…) uns fehlt die Theorie. Also wir finden es schwieriger jetzt die ganzen Grundlagen auch zu unterrichten, weil es immer so sehr auf die Lernsituationen ausgerichtet ist, was eben immer wieder die Frage aufwirft ja und was habe ich jetzt davon und was mache ich jetzt? (…) Also ne Auseinandersetzung mit Theorien fällt unsern Schülern deutlich schwerer (…)“ (LK 1, Z. 231-237)

Folgend wird daher diskutiert wie ein sozialdidaktisch-ausgewogenes Theorie-Praxisverhältnis realisiert werden kann um dem Anspruch der beruflichen Handlungsfähigkeit nachzukommen und welche Theorien wie einbezogen werden sollten. Auch die Einbeziehung und Professionalisierung der MentorInnentätigkeit in den Praxiseinrichtungen wird dazu diskutiert und jeweilig Veränderungsvorschläge aufgezeigt.

 


 

 Bestandsaufnahme: Lernfelder als Annäherung an den Theorie-Praxis-Bezug der Sozialdidaktik

Dass der Theorie-Praxis-Bezug in der bald 30 jährigen Diskussion der Sozialdidaktik eine Forderung der ersten Stunde war, zeigen die Ausführungen von Krüger&Dittrich (1982) und Karsten&Habel (1986), sowie die Weiterentwicklung und Konkretisierung von Karsten (2003). Die Notwendigkeit der Forderung der Sozialdidaktik nach der Theorie-Praxis-Verzahnung wird deutlich, wenn die Charakteristika der personenbezogenen sozialen Dienstleistungsarbeit näher betrachtet werden. Diese haben, so Rabe-Kleberg (1996:293) „[…] Prozeßcharakter, sie sind in der Regel nicht stofflich, die Ergebnisse sind überwiegend keine Waren, die gelagert oder transportiert werden könnten. Die Arbeit ist unstetig und wenig standardisierbar, zu einem großen Teil besteht sie aus Interaktionsprozessen.“

Kurzum sind die personenbezogenen sozialen Dienstleistungen ein Handeln unter mehrfachen Ungewissheiten (vgl. Rabe-Kleberg 1996: 293 ff.), die aber eben aus diesen Umständen heraus begründet, in der Aus-, Fort- und Weiterbildung Sozialdidaktik benötigt, um für dieses Berufsfeld kompetent handeln zu können.

„Gerade die Charakteristika personenbezogener sozialer Dienstleistungen […] machen es geradezu unausweichlich sozialdidaktisches Denken und Reflektieren, Konstruieren und Dokumentieren mehrperspektivisch anzulegen.“ (Karsten, 2003: 353)

Um die ErzieherInnenausbildung mehrperspektivisch anzulegen, bedarf es der Verknüpfung von Theorie und Praxis. Wie eingangs beschrieben, sind diese Termini zwar bekannt oder zumindest gefühlt bekannt, jedoch sind sie tlw. unhinterfragt bzw. nicht definiert. Daher wird folgend der Kern des sozialdidaktischen Anspruches des Theorie-Praxis-Bezuges definiert um dann nach bisherigen Realisierungsmöglichkeiten, auch auf Grundlage der Lernfelder, zu blicken.

Als Kern des sozialdidaktischen Theorie-Praxis-Verhältnisses wird folgendes Zitat nach Karsten (2003:352) gesehen:

„Systematische Wissensvermittlung und theoretisch angeleitete Aufarbeitung von Erkenntnissen in Verbindung mit Erfahrungen bzw. praxisbezogener Theorieaneignung darf der Person nicht äußerlich bleiben, nicht in Abstraktion von ihrer Besonderheit geschehen.“

Was bedeutet, dass durch die Reflexion der konkreten Handlung und der (beruflichen) Sozialisation die jeweilige, (tlw. situative) Praxis reflektiert wird und mit Thematiken und Inhalten der Ausbildung und der individuellen prozesshaften Persönlichkeitsentwicklung verbunden werden muss.

Karsten (2003) baut u.a. auf den theoretischen Vorarbeiten von Krüger& Dittrich (1982: 329), die fordern, dass Erfahrungen aus der Praxis mit Theorie reflektiert werden sollen bzw. auf den Forderungen von Habel& Karsten (1986:320) nach langfristig angelegten „Praxis-Theorie-Seminaren“ auf. Pointiert bedeutet das, dass die Praxis zum einen in die Schule/Hochschule geholt und thematisiert werden, zum anderen aber auch die routinehafte und tlw. unbewusst gestaltete Praxis reflektiert werden muss (vgl. ebd.).

Im Folgenden wird auf die Konstruktion und die Inhalte der Lernfelder eingegangen und hinterfragt mit welchen Theorien sozialdidaktisch gearbeitet, d.h. Theorie auf Praxis bezogen werden sollen.

 


 

3. Dekonstruktion der Lernfelder

Wird auf die sozialdidaktischen Forderungen zurückgeblickt, zeigt sich, dass nicht nur die Sozialdidaktik ca. 20 Jahre ihrer Zeit voraus war, sondern auch dass durch die Einführung der Lernfelder (unbewusst) sozialdidaktisch gearbeitet wurde. Durch die gezielt geforderte professionelle Handlungskompetenz (Karsten 2003) sowie die didaktische Ausbuchstabierung in Lernfelder und von den Schulen zu realisierenden Lernsituationen, sowie durch die (formale) Abschaffung der Fächersystematik und der Trennung in fachtheoretische und fachpraktische Fächer (Habe& Karsten 1986) ist die ErzieherInnenausbildung sozialdidaktischer geworden.

Dass dies auch tlw. ein Wunsch innerhalb der Kommission war, die die Lernfelder konstruierte, zeigt folgende exemplarische Aussage:

„Also, mir war es also erstmal wichtig, dass man sag ich mal diese Trennung wie das ursprünglich Psychologie und Sozialpädagogik und sozialpädagogische Medien auflöst, das war mir wichtig. Und das ist ja über die Lernfelder auch passiert. Dass man sozusagen versucht dann Handlungszusammenhänge herzustellen […].“ (KM1, Z.52-56)

 

Zudem wurde, wenn auch nicht theoriebasiert, auf die Charakteristika der personenbezogenen sozialen Dienstleistungen eingegangen:

„[…] das ist ja ein sehr komplexes Arbeitsfeld dieses sozialpädagogische Feld. […] Also wir haben uns in der Kommission geeinigt, die Bereiche, die dann letztlich dabei raus gekommen sind, als Lernfelder voneinander abzugrenzen, wohl wissend, dass ne erzieherische Tätigkeit im sozialpädagogischen Bereich eigentlich ne ganzheitliche Sache ist. Sie arbeiten als Erzieher ja nicht in Lernfeldern sondern als Erzieherin in einer Einrichtung und müssen sowohl pädagogische Arbeit machen, Betreuungsarbeit machen Organisation machen und und und. (KM3, Z.314-322)

Somit kann zumindest für die innerschulische-didaktische Ausrichtung ein deutlicherer Praxisbezug durch die Einführung und Etablierung der Lernfelder festgestellt werden. Jedoch bleibt zum einen offen, welche Aufgaben, Anforderungen etc. damit an die Praxiseinrichtungen gestellt werden bzw. wie diese auf die neue didaktische Ausrichtung der ErzieherInnenausbildung vorbereitet wurden, und zum anderen, wie die vertraut erscheinenden Termini „Theorie“ und „Praxis“ aufeinander zu beziehen sind.

 


 

4.    Theorie-Praxis-Bezug: Welche Theorie? Welche Praxis?

Sowohl der Theorie-Praxis-Bezug der Lernfelder als auch die (sozial-) didaktische Forderung nach einem (Doppelten) Theorie-Praxis-Bezug wirkt vertraut und fast selbstverständlich. Jedoch bleibt offen, um welche Theorie und um welche Praxis es sich handelt.

Wissenschaftstheoretisch bzw. soziologisch kann Theorie – stark verkürzt - mit „Schau“, „Betrachtung“ (Thiel 1996:260) oder als „empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden. überprüfbare Aussage“ (Sahner 2002: 609) beschrieben werden. Eine umfassendere Definition könnte sein:

„[…] in der neuzeitlichen Grundbedeutung Bezeichnung für ein (im allgemeinen hochkomplexes) sprachliches Gebilde, das in propositionaler oder begrifflicher Form die Phänomene eines Sachbereiches ordnet und die wesentlichen Eigenschaften der ihm zugehörigen Gegenstände und deren Beziehungen untereinander zu beschreiben, allgemeine Gesetze für sie herzuleiten sowie Prognosen über das Auftreten bestimmter Phänomene innerhalb des Bereiches aufzustellen ermöglicht.“ (Thiel 1996:260)

Letztere Definition ermöglicht eine sozialdidaktische Handhabung, da sie sowohl Gegenstände und deren Beziehungen zueinander beschreibt, als auch Gesetzmäßigkeiten bzw. Prognosen beinhaltet, die produktiv für die Arbeit nutzbar sind.

Ausgewählte wissenschaftliche Definitionen von Praxis weisen ähnliche Merkmale auf: beschreibt Sahner (2002:413) Praxis als „Gesamtheit der menschlichen Handlungen“, oder Demmerling (1995:336) diese als „tätige Auseinandersetzung des Menschen mit der ihn umgebenden Wirklichkeit“ so ist dies zwar nicht falsch aber relativ abstrakt für die Diskussion um die ErzieherInnenausbildung. Es handelt sich bei der ErzieherInnenausbildung, anders als bei den neueren Kindheitspädagogischen Studiengängen, um eine Breitbandausbildung, die für das gesamte Feld und punktuell auch für andere Bereiche z.B. den „Tourismus“ qualifizieren soll (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2002: 12).

Innerhalb der niedersächsischen Lernfelder, die curricular/didaktisch diese Qualifizierung realisieren helfen sollen, sind verschiedene Theoriefragmente integriert, z.B. der Lebensweltbezug bzw. die -orientierung, Sprachaneignung, Entwicklungspsychologie, etc. Neben der Tatsache, dass die Theoriefragmente auf der Grundlage der Arbeit der Kommissionsmitglieder entstanden, was bedeutet, dass es eine Subjektivität innerhalb der Konstruktionsprozesses der Lernfelder gab, musste zusätzlich auf aktuelle (berufspolitische) Themen eingegangen bzw. diese integriert werden (z.B. Sprachförderung). So ist die Theorienauswahl, die durch die Addition innerhalb der Lernfelder einen Kanon-Charakter aufweist, bewusst für ein breites Feld, getroffen worden.

Die Ergebnisse des oben genannten Projektes zeigen u.a., dass die interviewten LehrerInnen mit dem Arbeiten in und mit den Lernfeldern an sich zufrieden sind:

 „Ja, die eindeutige Stärke ist ja, die Verbindung zwischen Theorie und Praxis, im Lernfeldkonzept, die dadurch stärker eingefordert wird durch die Lernsituationen, die von denen man ausgeht. Das denke ich, ist die für mich stärkste Stärke.“ (LK 1, Z. 126-130)

Jedoch wird auch der Theorieverlust durch den (ständigen) Bezug zu Lernsituationen konstatiert:

„(…) uns fehlt die Theorie. Also wir finden es schwieriger jetzt die ganzen Grundlagen auch zu unterrichten, weil es immer so sehr auf die Lernsituationen ausgerichtet ist, was eben immer wieder die Frage aufwirft ja und was habe ich jetzt davon und was mache ich jetzt? (…) Also ne Auseinandersetzung mit Theorien fällt unsern Schülern deutlich schwerer (…)“ (LK 1, Z. 231-237)

Die Aussage, die zwar nur exemplarische Reichweite aufweist, deutet auf eine Schwierigkeit hin, die das didaktische Handeln, hin auf Lernsituationen, mit sich bringen kann. Die Theorie wird exemplarisch so verkürzt, dass sie im „Schatten“ der praktischen Anwendungssituation steht.

Zwar kann dass Lernen und das Kombinieren und Reflektieren von Theorie auf eine beschriebene Praxissituation hin, eine Hilfe sein, die verlangte Handlungskompetenz zu imaginieren und theoretisch zu reflektieren, jedoch bleibt es ein künstliches Theorien-Anwenden.

Dies vor dem Hintergrund, dass Krüger&Dittrich bereits deutlich machen, dass es nicht die eine Theorie für die Sozialpädagogik gibt/ geben kann und stattdessen die Theorien mit Praxiseindrücken reflektiert werden sollen (vgl. Krüger& Dittrich 1982: 328-329).

Um diese Theorie-Praxis-Verzahnung zu realisieren sind in die ErzieherInnenausbildung Praxiselemente vorgesehen, damit die ErzieherInnen in Ausbildung sich die Praxis aktiv erschließen:

Diese Theorie-Praxis-verbindenden Elemente sind zwar ein bereits konstatierter Fortschritt, jedoch bleibt es größtenteils bei einer theoretischen „Besprechung“ der Praxis.

Was die direkte Ausbildung in den Praxiseinrichtungen angeht, gibt es einige Punkte, die genauer zu berücksichtigen sind, da sie inhaltliche Unbestimmtheiten aufweisen. So ist nicht einheitlich geklärt, wer mit welchen Qualifikationen und Kompetenzen in der Praxis anleitet, welche Aufgaben zu bearbeiten sind, wie die Bewältigung der Praxis reflektiert wird, und was mit dem so erlangten Wissen gemacht wird.

Generell ist in dieser Diskussion wichtig, dass Praxis sich selbst als Ausbildungsort versteht und auch von außen dafür wertgeschätzt wird (vgl. Müller 2011), da sie anleitend, orientierungsgebend und berufssozialisierend wirkt (vgl. Karsten 2003:361) und damit Einfluss auf die weitere persönliche und pädagogische Entwicklung der Fachkräfte nimmt. In diesem Kontext sind die Qualitätsmerkmale der Obersten Landesjugendbehörden zu berücksichtigen, die sowohl die enge Kooperation zwischen den Lernorten Schule und Praxis bzgl. der Ausbildung von SchülerInnen fordern, und auch von den Trägern der Einrichtungen erwarten, dass der Zusammenhang von Qualitätssicherung und der Nachwuchsförderung ausgestaltet wird, sowie darüber hinaus auch u.a. durch Fort- und Weiterbildung und Fachberatung die MentorInnen für Ihre anleitende Tätigkeit qualifiziert (vgl. JMK 2001: 5-6).

Zukunftsweisend und nötig wäre eine Anerkennung der Qualifizierung zur Anleiterin, dadurch dass zum Beispiel Credit Points vergeben werden, die für ein mögliches (evtl. berufsbegleitendes) Studium der Frühkindlichen Bildung oder der Sozialpädagogik o.ä. angerechnet werden können und so zu einer direkteren Durchlässigkeit im Feld führt. Nachdem die zukünftigen Anforderungen an die Praxis beschrieben wurden, wird nun aufgezeigt, wie Theorien auf Praxis bezogen erlernt und reflektiert werden können.

 


5.    Konklusion: Statt Theorie& Praxis =>eine Theorie der Praxis generieren, nutzen und selbstständig (weiter-)entwickeln.

Die bisherigen Beschreibungen zeigen eine Vielfalt an möglichen Theorie-Praxis-Bezügen und Begriffen sowohl imaginär/theoretisch als auch direkt/praktisch. Wie sollte jedoch dieses oft beschriebene Verhältnis zur Förderung der geforderte Handlungskompetenz und der Persönlichkeitsentwicklung realisiert werden? Um Praxis nicht nur zu erkunden oder subjektiv zu erleben, bedarf es eines gezielten Aufeinanderbeziehens der praktischen und theoretischen Inhalte bzw. sollte die Praxis mit Theorie reflektiert und erforscht werden (vgl. Krüger& Dittrich 1982: 329, Karsten& Habel 1986: 321, Karsten 2003: 354).

Durch z.B. die ethnographische, forschende Herangehensweise (vgl. Friebertshäuser 1997) an bzw. in die Praxis und ein Erforschen einer Lebens- oder Organisationswelt unter der Perspektive der „Fremdheit“ kann ein Feld fragend durchdrungen und zu neuen Erkenntnissen gekommen werden, die sowohl für die SchülerInnen, LehrerInnen und die Praxiseinrichtungen Vorteile bringen können. Dazu bedarf es allerdings einer genaueren Beschreibung der Praxiserforschung, weshalb sich folgend an den Beschreibungen der Robert Bosch Stiftung zu „Qualitätsziele für die Ausbildung von Frühpädagogen am Lernort Praxis“ orientiert wird.

In einem z.B. ethnograpfischen Vorgehen wird eine Forschungsfrage in Kooperation mit den Lehrenden und den MentorInnen konstruiert und innerhalb der Praxisphase erforscht. Das Thema kann dabei sowohl von den Studierenden, den Bedarfen der Praxis oder der (Forschungs-)Themen der Lehrenden ausgehen. Die Forschung wird flankierend durch Lehrende und MentorInnen unterstützt und die Ergebnisse werden anschließend mit der Praxis reflektiert (vgl. Robert-Bosch-Stiftung o.J.:7-8). So teilen die Beteiligten ihre Kompetenzen und Ressourcen miteinander und haben einen Gewinn aus der Kooperation. Um dieses Vorgehen noch weiter zu denken, für das Feld nutzbarer zu machen und sich damit der eingangs genannten Utopie zu nähern, wären auch kleinere finanzierte Projekt z.B. von Ministerien an Hochschulen und Fachschulen zu vergeben, die dann jeweils in Kooperation und durch die Studierenden und SchülerInnen in der Praxis unter Begleitung und Kooperation der Lehrenden und der MentorInnen zu neuen und für das Feld nutzbaren Ergebnissen zu kommen, indem neues Wissen generiert wird. .


Exkurs: „Über Bande spielen“ mit Pierre Bourdieu

Das Konklusion von Theorie und Praxis kann gut in Anbindung an Bourdieu gelingen, wenn nämliche eine Theorie der/ über die Praxis konstruiert wird. Praxis wird dabei als historisch konstituiert und konstruiert, mit „eigenen Funktionsgesetzen“ (Bourdieu 1992:111 zit. n. Ebrecht& Hillebrandt 2004:10) und somit nicht als „Epiphänomen[e]“ verstanden, und sollte daher individuell z.B. ethnographisch erforscht werden (vgl. Ebrecht& Hillebrandt 2004:8).

„Die Handlungen sozialer Akteure werden in der Praxistheorie nicht durch Rationalität und Intentionalität angeleitet, sondern durch die Anforderungen der Praxis. Zu diesen Anforderungen entwickeln die sozialen Akteure einen praktischen Sinn, der es ihnen ermöglicht, an Praxisformen zu partizipieren.“ (Ebrecht& Hillebrandt 2004:8)

Diese Anforderungen der Praxis sowie den von den Akteuren entwickelten praktischen Sinn zu erforschen und offen zu legen und für die Beteiligten sicht- und nutzbar zu machen, kann und sollte Ziel der Theorie-Praxis-Bezüge sein. [Exkurs Ende]

Durch eine Forschungsperspektive können nicht nur alle Beteiligten profitieren, sondern auch Forschungsverbünde aus Praxiseinrichtungen, Fachschulen und Hochschulen gegründet werden, die durch die Auswertung Ihrer Daten in (kommunaler) Politik auch Veränderungen bewirken können. Dies ist letztendlich als positives Mitdefinieren zu werten, da die eigenen beruflichen Arbeits- und Sozialisationsbedingungen sowie die Lebensbedingungen der Mädchen und Jungen sowie deren Angehörigen auf diese Weise positiv beeinflusst werden können (vgl. Karsten 2003:361). Die Forschung kann auf verschiedenen Ebenen realisiert werden, wie folgendes Raster zeigt:

Ebene

Forschungsparadigma-, methoden

Ergebnisse nutzen für:

Ebene: des Subjektes, der Interaktion & der Gruppe

Ethnographische Feldforschung, Phänomenologie, Beobachtung, Lerntagebuch, Dokumentenanalyse, etc.

Aufwachsen und Entwicklung von Kindern, Interaktionen der PädagogInnen, Aufdecken von Betriebsblindheiten

Ebene: der Organisations-, Personal- und Qualitätsentwicklung

 

Qualitativ-/ Quantitativ: Interviews, Fragebögen, etc.

Organisation, Qualität und Personal verstehen und weiterentwickeln

Ebene: des Stadtteils, der Stadt

 

Ethnologische Feldforschung, Beobachtung, ExpertInnenngespräche, etc.

Durch z.B. Sozialberichterstattung Leben und Aufwachsen in bestimmten Stadtteilen darstellen und sozialpolitische Konsequenzen fordern

Ebene: Professionsentwicklung

s.o.

Durch eine Datenbasis wird mehr Wissen über die eigene Profession generiert und kann auf dieser Grundlage weiterentwickelt werden.

 

Für diese engere und investierende Theorie-Praxis-Verbindung sind jedoch, Ressourcen wie Raum, Zeit, Geld, Personal (vgl. Müller 2011) sowie Fort- und Weiterbildung, Kooperationsmöglichkeiten (vgl. JMK 2001, Robert Bosch Stiftung o.J.), etc. für alle Beteiligten zu Verfügung zu stellen.

Durch diesen Doppelten-Theorie-Praxis-Bezug, der vor und zurück (Richtung Praxis vor und Richtung Hoch-/Berufsschule zurück) realisiert wird, werden PädagogInnen ausgebildet, die sich durch ihren forschenden Habitus und ihre in der Praxis gewonnenen und reflektierten Erfahrungen auf die sich ständig verändernden Rahmenbedingungen der Praxis einstellen und diese produktiv verändern können. Zudem wird der Lernort Praxis nicht nur durch die netzwerkartigen Kooperationen wertgeschätzt sondern auch inhaltlich aufgewertet.

 


6. Fazit

Die anfangs formulierte Utopie, in der alle Beteiligten neue Erkenntnisse über das Feld an sich, die einzelnen Organisationen, das jeweilige pädagogische Handeln und die Entwicklung und das Aufwachsen der Mädchen und Jungen erlangen, ist durch den theoretischen Grundstock der sozialdidaktischen Diskussion sowie der ersten Schritt in eine sozialdidaktische Richtung durch die Einführung der Lernfelder getan. Was noch offen ist, ist das Ausfüllen der aufgezeigten „Baustellen“. Durch Ressourcen für die MentorInnen und die Lehrenden, sowie zusätzliche Qualifikationen für beide Gruppen; durch eine bewusstere Ausgestaltung der Ausbildung im Lernort Praxis in enger Kooperation mit dem Lernort (Hoch-)Schule durch weiter zu entwickelnde offene Curricula (Karsten 2003: 358), durch eine Nutzung und Wertschätzung der daraus entstehenden Forschungsprojekte und deren Ergebnisse, die der scientific commiunity, dem Sozialraum, dem Träger, den Einrichtungen und der Sozialpolitik zur Verfügung gestellt werden, kann die Qualität des Feldes sichtbar gemacht und nach Außen dargestellt werden. Auch die Ergänzung durch die Studiengänge der Frühkindlichen Bildung/ Elementarpädagogik kann durch eine geordnete Anerkennung der ErzieherInnenausbildung die  Durchlässigkeit realisiert werden.

Insofern ist die formulierte Utopie, also der „[…] Entwurf vollkommener Zustände […].“ (H.R. Ganslandt 1996:463) nicht so utopisch, als dass die Anfänge gemacht sind und der theoretische Fahrplan vorliegt.



[1]Neben dem Autor haben in diesem Projekt mitgearbeitet:  M.Ed. Carolin Grohe, M.Ed. Robert Hoffmann, M.Ed. David Holleschovsky, M.Ed. Susan Hosseini , M.Ed. Astrid Jähne, M.Ed. Isabella Jureczko, Dr. Holger Küls (beratend), Dr. Fabian Lamp, M.Ed. Annika Riechers


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