Kultur ist die Brille, durch die wir die Welt sehen

Inhaltsverzeichnis

  1. Zwei kulturelle Grundmodelle
  2. Kinderzeichnungen als kultureller Gradmesser
  3. Kultursensitive Sprachbildung und -förderung
  4. Fazit und Literaturtipps

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Kultursensitive Sprachbildung und -förderung

Die Sprachförderung nimmt in der bildungspolitischen Debatte um die frühkindliche Bildung und um eine Integration von Anfang an eine zentrale Rolle ein. In allen Bundesländern werden seit vielen Jahren erhebliche Summen für eine oftmals sowohl extern organisierte wie auch extern durchgeführte Sprachförderung aufgewendet – mit zum Teil niederschmetternden Ergebnissen. Die kulturvergleichenden Studien von Heidi Keller haben nun erwiesen, dass Sprachbildung und Sprachstile je nach Kultur stark variieren können - mit gravierenden Konsequenzen für die Sprachförderung in der KiTa.

So wird in Kulturen der psychologischen Autonomie das Kind vom Erwachsenen beispielsweise oftmals ausdrücklich gefragt, wie es ihm geht, was es denkt und was es erlebt hat. Es herrscht ein sogenannter „elaborativer Sprachstil“ mit vielen offenen Fragen, Rückmeldungen, Bestätigungen und ausschmückenden Detailinformationen vor und das Kind wird als „gleichwertiger“ Gesprächspartner behandelt.  In relational orientierten Kulturen wird das Kind dagegen kaum dazu angehalten, seine eigenen Wünsche, Meinungen und Vorstellungen auszudrücken, sondern es herrscht ein wiederholender, „repetitiver“, zuweilen auch rhythmtisierter Sprachstil vor. Die Mutter gibt klar vor, was das Kind erinnern soll und fordert es in erster Linie dazu auf, ihre Perspektive zu bestätigen (z.B. durch geschlossene Fragen). Dies spiegelt ein hierarchisches Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischen Mutter und Kind wider.

Diese unterschiedlichen „Sprachkulturen“ sind zunächst einmal wertfrei zu unterscheiden und machen in der jeweiligen Familienkultur auch Sinn. Im Hinblick auf Kinder mit Migrationshintergrund in unseren KiTas ist allerdings zu beachten, dass manche Sprachkulturen mehr und andere weniger anregend für die Sprachentwicklung der Kinder sind. In einer Gesellschaft und einem formalen Bildungssystem, in dem die Sprache der Schlüssel für Teilhabe und Erfolg ist, müssen jedoch alle Kinder gleichermaßen die Chance erhalten, ihre Sprache zu entwickeln und sich an der Kommunikation zu beteiligen. Eine kultursensitive Sprachbildung und –förderung in der KiTa zeigt sich so als eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe der Integration.

Aufbauend auf dieser Erkenntnis wurde von Heidi Keller und ihren MitarbeiterInnen Lisa Schröder und Anna Dintsiouidi ein Konzept zur alltagsbasierten und kultursensitiven Sprachförderung entwickelt und umgesetzt. Zum einen fußt es auf der methodischen Erkenntnis, dass die Verwendung von offenen Fragen und der Bezug zu ausschmückenden und vertiefenden Details einen sprachlichen Aufforderungscharakter für Kinder aus verschiedenen Kulturen besitzt. Inhaltlich berücksichtigt es zum anderen, dass sich Gespräche in kulturellen Kontexten der psychologische Autonomie häufig auf das individuelle Kind und seine Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen beziehen, während in relational organisierten kulturellen Kontexten Gespräche im Hinblick auf die soziale Einheit, also das „wir“ im Vordergrund stehen. Dementsprechend beteiligen sich diese Kinder eher an Gesprächen über Gruppenzusammenhänge oder andere Familienmitglieder und antworten möglicherweise gar nicht, wenn sie zu sich selbst befragt werden. Im Gegensatz dazu nehmen Kinder aus Familien, die sich an psychologischer Autonomie orientieren, eher an Unterhaltungen teil, wenn über sie selbst gesprochen wird.

Die von Heidi Keller und ihren Mitarbeiterinnen modellhaft erprobten Fortbildungen mit diesem Konzept haben ergeben, dass sich das Sprachverhalten der ErzieherInnen schon in relativ kurzen Fortbildungen nachhaltig verändert und die Kinder hinsichtlich ihrer Sprachentwicklung davon profitieren können. Ein zentraler Aspekt der Fortbildung ist dabei die Selbstreflektion des eigenen Sprachverhaltens und zwar sowohl im Hinblick auf die Struktur (das „wie“) wie auch den Inhalt von Unterhaltungen (das „was“). Vermittelt wird, dass es bei der gemeinsamen Sprach-Bildung mit Kindern grundsätzlich wichtig ist, sprachanregende und -bildende Techniken wie das Stellen offener Fragen, die Verwendung eines breiten Vokabulars, oder die positive Verstärkung kindlicher Aussagen bewusst einzusetzen. Als viel versprechender Bereich für die kindliche Sprachbildung zeigten sich Unterhaltungen über persönliche Erlebnisse, das sogenannte „elaborative Erinnern“. Als wichtige Techniken führen Anna Dintsouidi, Paula Doege und Lisa Schröder folgend auf:

  • Vermehrt offene Fragen stellen, die dem Kind mehr als ein „Ja“ oder „Nein“ als Antwort abverlangen, um es zur aktive Teilnahme am Gespräch anzuregen (sogenannte „W-Fragen“: z.B. „Wer?“, „Was?“, „Wo?“, „Warum?“)

     

  • Darauf eingehen, worüber das Kind sprechen möchte

     

  • Antworten des Kindes loben, positiv verstärken (z.B. auch durch die Wiederholung der kindlichen Aussage; ggf. korrigierend)

     

  • Wenn das Kind auf eine Frage nicht antworten kann, die Frage umformulieren und mit neuer Information ausschmücken (= elaborieren), um dem Kind Hilfestellung zu bieten (z.B.: ErzierherIn: „Was habt ihr gestern gespielt?“ / Kind: „Weiß nicht.“ / ErzieherIn: „Was habt ihr gestern im Garten auf der Wiese gespielt?“)

„Grundsätzlich“, so resümiert Heidi Keller, „ist es wichtig Sprachbildung als alltagsbasierten Prozess zu verstehen, der in jeder Alltagssituation stattfindet oder zumindest stattfinden kann. Unser kultursensitiver Ansatz bedarf daher auch keiner besonderen Situationen und fördert gleichermaßen Kinder mit wie ohne Migrationshintergrund.“