Empathie als Kindheitsmuster

Wie Kinder prosoziales Verhalten lernen

Inhaltsverzeichnis

  1. So entsteht Urvertrauen
  2. Empathie – Grundlage für pro-soziales Verhalten
  3. Die Haltung der Erzieherin zeigt sich in der Beziehungsgestaltung
  4. Emotional-soziale Erfahrungen im Spiel
  5. Kindheitsmuster Empathie sichtbar machen
  6. Werte und Gesellschaft
  7. Zusammenfassung
  8. Literatur

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Kindheitsmuster Empathie sichtbar machen


Im Zusammenhang mit den neuen Bildungs- und Orientierungsplänen wir immer wieder darauf hingewiesen, dass Erzieherinnen die Kinder beobachten und ihre Erkenntnisse notieren sollten. Oft reicht dafür die Zeit nicht und in vielen Fällen werden lediglich besondere Fähigkeiten eines Kindes auf der Handlungsebene beschrieben. Viel schwieriger ist es, Aussagen über das emotional-soziale Verhalten eines Kindes zu machen. Aber es gibt Ausnahmen und darüber soll berichtet werden.  Im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung wurden Aufzeichnungen über das pro-soziales Verhalten einzelner Kinder gesammelt. Es handelt sich um Lerngeschichten, die von den Erzieherinnen angefertigt worden wsaren.

Beispiele: 

 


1. Verzeihen

Liebe Valentina, gestern habe ich für Selina einen Webrahmen bespannt. Du bist dazu gekommen und hast mir gesagt, dass du auch gern weben würdest. Ich habe dir gesagt, dass ich gern bereit bin, auch für dich einen Webrahmen zu bespannen, wenn ich mit Selinas Bespannung fertig bin. Du hast geduldig gewartet und mir bei der Arbeit zugeschaut. Nachdem Selinas Webrahmen fertig war, sagte sie zu dir:  „Meiner ist schon fertig und deiner nicht!“ An deinem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass dich Selinas Aussage gestört hat. Du hast dann auch gleich zu Selina gesagt: „Selina, warum sagst du das jetzt? Das macht mich ganz traurig.“ Selina hat gleich reagiert und sich bei dir entschuldigt. Du konntest Selina verzeihen.

Ich habe gestaunt, wie gut du in diesem Moment sagen konntest, wie es dir geht und was dich gestört hat. Auch Selina hat in diesem Moment verstanden, dass ihr Verhalten dir gegenüber nicht in Ordnung war.

Ich kann mir vorstellen, dass es dir im Umgang mit anderen Menschen sehr hilft, wenn du ihnen so wie hier bei Selina, sagen kannst wie du dich fühlst.

 


2. Einen Fehler korrigieren

Lieber Simon,

obwohl du erst seit März in unserer Gruppe bist, hast du schon viele Freunde gefunden. Du spielst gerne mit Paolo, mit Elias, mit Fynn, mit Jolina und Sophie. Es ist schön zu erleben, wie wohl du dich bei uns fühlst.

Gestern war ich dabei, als du mit Elias gewebt hast. Du entdecktest in deinem Webstück einen Fehler und fragtest Elias, ob er dir helfen könne. Elias konnte dir erklären, wie dein Fehler entstanden war. Du hattest in einigen Reihen nicht bis zum Ende gewebt, sondern mit dem Webschiffchen zu früh gewendet. Sofort hast du verstanden, was Elias dir erklärt hat. In aller Ruhe hast du die letzten Webreihen wieder zurück gewebt. So konntest du mit viel Geduld dein Problem selbst lösen.

Es freut mich für dich, dass du den Mut hattest, ein anderes Kind um Hilfe zu bitten, als du nicht weiter wusstest und dass du nicht die Mühe gescheut hast, den Fehler selbst zu beheben.

Deine S.

 

3. Geduld und  Hilfsbereitschaft

Lieber Julius,

vor einigen Tagen habe ich mit am Tisch gesessen als du die Idee hattest, mit Noah an euerem Webrahmen weiter zu arbeiten. Als Noah bemerkte, dass ein Fehler in seinem Webstück war, sagtest du ihm, dies sei nicht schlimm, da du diesen Fehler auch schon gemacht hättest. Du erklärtest Noah das Problem, so dass er alleine weiter weben konnte.

Als dein Faden zu kurz für das Webschiffchen wurde, hattest du den Einfall, es mit den Fingern zu versuchen, was dir sehr gut gelang. Später zeigtest du Noah noch, wie man eine neue Farbe beginnen muss. Dabei hast du dir Zeit genommen, Noah alles ganz genau zu erklären und zu zeigen. Auch als Noah langsam ungeduldig wurde, ließest du dich von deinem Vorhaben nicht abbringen. Du hast so lange gearbeitet, bist du mit deinem goldenen Faden fertig warst. Dann hast du mir einen Fehler gezeigt, der dir passiert ist, als du vier Jahre alt warst. Damals hast du mit deiner Webarbeit begonnen.

Als du geschafft hast, was du dir zum Ziel gesetzt hattest, bist du mit Noah in die Bauecke gegangen.

Mir hat es gut gefallen, dich beim Weben zu beobachten. Es war schön zu erleben, wie viel Mühe du dir gegeben hast, Noah immer wieder zu helfen. Ich freue mich jetzt schon auf deinen fertigen Teppich und wünsche mir, dass du weiterhin so hilfsbereit und so geduldig bist.

Deine K.

 

4. Das Beste aus einer Situation machen

Liebe Emilia,

an einem sonnigen Tag im Mai hast du mit Sophie im Sandkasten gespielt. Du  hast dabei Sandeimer als Töpfe benutzt, Stöckchen als Rührlöffel und Blumen als Zutaten. Mit der Kelle hast du die Holzbank, die der „Tisch“ war, gesäubert. Mit einem Korb bist du dann zum Einkaufen gegangen und hast in einem Eimer noch mehr Sand zum Spielen geholt.

Es kamen ein paar Kinder vorbeigelaufen und nahmen  blitzschnell die Kelle weg, die du vorher noch im Gebrauch gehabt hattest. Du hast dann nur „eh...“ gerufen und zu Sophie gesagt: „Warte mal, ich hol ne neue.“

Ich fand das prima von dir, dass du sofort gewusst hast, wie du das Beste aus dieser Situation machen kannst ohne dich groß zu ärgern. Du hättest keine Chance gehabt, von den Kindern die Kelle zurück zu holen, weil diese ganz schnell damit weggelaufen sind. Weil du keine neue Kelle gefunden hast, hast du einfach ohne Kelle weiter gespielt und in Ruhe weiter gekocht.

Simon und André hatten plötzlich Lust mit euch zu spielen und fragten nach, ob sie mitspielen dürften. Du hast spontan mit einem „Ja“ geantwortet.

Es ist schön zu erleben, wie phantasievoll du spielen kannst. Auch dass du dir nicht so leicht den Spaß verderben lässt, gefällt mir gut.

Deine K.

 


5. „Mal passieren!“

Dies ist eine Geschichte, wie sie immer einmal wieder im Kindergarten passieren kann. Ein Mädchen erreichte nicht rechtzeitig die Toilette und nässte ein. Es wurde ganz still, dann rutschte es unruhig auf dem Stuhl hin und her. Philip, der neben dem Mädchen saß,  merkte was passiert war. Er legte seinen Arm um dessen Schulter und sagte mitfühlend: „Mal passieren!“ Die Erzieherin, die auch aufmerksam geworden war, begleitete nun das Mädchen zur Toilette.

Die Fähigkeit zu empathischen Verhalten beginnt nach den Untersuchungen von Doris Bischof-Köhler (2011) etwa ab dem 18. Lebensmonat und ist an die Fähigkeit zur Selbstobjektivierung gebunden. Allerdings werden unter Empathie die unterschiedlichsten emotionalen Verhaltensweisen verstanden. Eine Person kann sich in eine andere Person einfühlen, mit dieser mitfühlen und dazu beitragen, dass sich ein positives Miteinander ergibt. Sie kann sie aber auch lächerlich machen. Philip zeigt in der Situation ein zugewandte emotionales Verhalten, das von Mitgefühl geprägt ist

 


6. Der Engel mit den grünen Augen

In der Adventszeit hatten die Kinder aus unterschiedlichsten Materialien Engel gestaltet. Ein Mädchen zeigt auf seinen Engel und sagt zu seiner Erzieherin:

„Den Engel kriegt Papa.“ (Einen Tag später): „Den Engel kriegen Mama und Papa. Die teilen sich nämlich ein Schlafzimmer. Da kann er dann über dem Bett stehen.

Er soll ein türkises Kleid bekommen, das vorne Streifen hat, weil Mama Streifen mag und hinten Punkte, weil Papa Punkte mag. Er soll grüne Augen haben, weil ich grüne Augen habe.“ Das Mädchen zeigt  empathisches Verhalten  gegenüber seinen Eltern und sich selbst gegenüber. Mehr Empathie geht nicht!

 


Abwesenheit von Empathie

 

Leider speichern Kinder bei familiären und schulischen Konflikten auch untaugliche Handlungsmuster.  Viele Eltern sind stark verunsichert. Sie wollen nichts falsch machen. In vielen Fällen führt dies zu sehr hohen Erwartungen gegenüber ihren Kindern. Überhöhte Ansprüche werden aber als Druck wahrgenommen. Ständige Überforderungen führen zu Stress und in der Folge zu psychosomatischen Beschwerden. Hirnforscher gehen sogar davon aus, dass permanenter Stress eine differenzierte Ausbildung des kindlichen Gehirns stark beeinträchtigt. Übermäßiger Druck, daran gibt es keine Zweifel, schränkt das Lernvermögen und  die herbeigesehnten Lernerfolge stark ein. Will man die Kinder optimal fördern und ihre Lernmotivation stützen, dann muss man bestimmte Verhaltensweisen, die sich zu einem Teufelskreis entwickeln können, meiden.
 

Dazu gehören:

  • Missachtung der individuellen Bemühungen
  • Fehlende Wertschätzung
  • Beschämungen
  • Gewalt
  • Überbetonung der Leistung
  • Unzureichendes Beziehungsangebot.


Wenn Kinder aber konkret erleben können, dass die Eltern auch konfliktträchtige Situationen des Alltags konstruktiv lösen, dann wird diese Erfahrung als Handlungsmuster gespeichert und kann in künftigen Situationen für das Lösen von Problemen genutzt werden.

Von einem Fehlen an Empathie im gesellschaftlichen Maßstab kann man auch sprechen, wenn man die aktuelle Studie: „Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung“ liest. Die Kernaussage lautet:    Bei allem Bemühen könnten die Teams in den Kindertagesstätten eine vollständige Umsetzung der in Orientierungs- und Bildungsplänen formulierten Erwartungen nicht leisten. Es bestehe ein massives Umsetzungsdilemma. Die Forscherinnen  geben den warnenden Hinweis: Wenn die Fachkräfte permanent mit der Kluft zwischen Anforderungen und begrenzten Umsetzungsmöglichkeiten konfrontiert würden, könne dies zu hohen körperlichen und psychischen Belastungen führen, eine Ablehnung der Bildungsprogramme könne die Folge sein. Diese Sorgen kann jeder, der sich mit Erzieherinnen unterhält hautnah spüren. Vor allem wird überall dort, wo die Rahmenbedingungen unzureichend sind, eine empathische und fürsorgliche Haltung den Kindern gegenüber erschwert. Ein qualifiziertes Erzieherinnenverhalten, wie es sich in den aufgezeichneten Lerngeschichten zeigt, ist kaum möglich, wenn sich Erzieherinnen aufgrund der äußeren Bedingungen permanent in Stresssituationen befinden.