Empathie als Kindheitsmuster

Wie Kinder prosoziales Verhalten lernen

Inhaltsverzeichnis

  1. So entsteht Urvertrauen
  2. Empathie – Grundlage für pro-soziales Verhalten
  3. Die Haltung der Erzieherin zeigt sich in der Beziehungsgestaltung
  4. Emotional-soziale Erfahrungen im Spiel
  5. Kindheitsmuster Empathie sichtbar machen
  6. Werte und Gesellschaft
  7. Zusammenfassung
  8. Literatur

Gesamten Beitrag zeigen


Emotional-soziale Erfahrungen im Spiel


Lernprozesse sind dann besonders erfolgreich und anhaltend, wenn Kinder immer wieder die Erfahrung machen, dass sie es sind, die etwas bewirken. So bilden sie grundlegende Kompetenzen für die Bewältigung der unterschiedlichsten Lebenssituationen aus. Die für diese Fähigkeiten verantwortlichen Nervenzellverschaltungen in ihrem Hirn stabilisieren sich jedoch nicht von allein. Sie müssen durch eigene Erfahrungen herausgeformt und gefestigt werden. Fördern lässt sich dieser Prozess nur dadurch, dass man Räume und Gelegenheiten schafft, wo Kinder sich selbst erproben können.  Am besten gelingt das im Spiel.

Spielen und Lernen sind in der Kindheit eng aufeinander bezogen. Das Spiel erlaubt dem Kind, neue Fertigkeiten zu erproben, Lösungen und Strategien für immer komplexere Probleme zu erfinden und schließlich auch emotionale Konflikte zu bewältigen.  Die  Freude, die es dabei erlebt, stärkt seine Konzentrationsfähigkeit und sein Selbstwertgefühl. Kindliche Neugier und die damit verbundenen Glückserlebnisse führen im Gehirn zur Aktivierung des Motivations-Systems. Wird der kindlichen Entdeckerfreude eine hohe Bedeutung beigemessen, dann wird die erlebte Begeisterung im Gehirn verankert. Hier werden die grundlegenden Bahnungsprozesse angelegt, die mit darüber entscheiden, ob sich Kinder gerne neuen Aufgaben zuwenden und konzentriert lernen können. Die Spiel-Einfühlfähigkeit der Erwachsenen ist dabei von zentraler Bedeutung. (Gebauer 2011)

Aus biologischer Sicht ist das Spiel ein Grundbedürfnis des Menschen. Im Spiel macht sich das Kind mit seiner sozialen und materiellen Umwelt vertraut, sucht sie zu begreifen und versucht auf sie einzuwirken. Treibende Kräfte sind seine Neugier und Eigenaktivität. Anstrengung verbunden mit Momenten der Frustrationen gehören dazu wie die Freude über das Gelingen. Spiel kann für das Kind zu einer unersetzbaren Quelle von Zufriedenheit, Selbstsicherheit und positivem Selbstwertgefühl werden. Vor allem fördert das lang anhaltende Spiel, das sich aus den Interessen eines Kindes speist, dessen Konzentrationsfähigkeit. Konzentriert sich ein Kind, weil es von seinem Spiel fasziniert ist, dann wird im Gehirn der Botenstoff Noradrenalin ausgeschüttet, der als Grundlage für diese Fähigkeit angesehen wird.

Leider ist das Spiel heute ein bedrohtes Gut, das in ein „Schutzprogramm“ für gesunde Lebensbedingungen aufgenommen werden müsste.

Es gibt entwicklungsgerechtes Spielzeug und ausgefeilte frühpädagogische Programme, aber es fehlt an Zeit, Muße und dem Einfühlungsvermögen mancher Eltern. Die Fähigkeit zu spielen scheint sowohl bei vielen Kindern als auch bei ihren Eltern in beunruhigendem Maße verloren zu gehen. Der damit verbundene Mangel an Erfolgserlebnissen verstärkt bei den Kindern Unzufriedenheit, Langeweile und führt zu  raschem Aufgeben schon bei kleinen Herausforderungen. Die so entstehende innere Unruhe wird im äußeren Verhalten sichtbar.

Die Säuglingsforschung legt die Vermutung nahe, dass eine der Ursachen für spätere Demotivation und Unkonzentriertheit auch im Rückgang der Spiellust bei kleinen Kindern zu suchen sei. In der Schule fallen Kinder, die keine Chance hatten, das ruhige Spielen zu lernen, oft durch Verhaltens- und Lernprobleme auf. Sie können sich nicht auf Unterrichtsinhalte konzentrieren, Lerninhalte nicht behalten und sie daher auch nicht in neuen Zusammenhängen anwenden. Es fehlt die innere Motivation, sich konzentriert und über einen längeren Zeitraum der Lösung eines Problems zu widmen. Ursachen dafür könnten sein, dass sich diese Kinder bei wichtigen Entwicklungsschritten nicht angemessen auf die Lösung des jeweiligen Problems konzentrieren konnten. Hinzu kommt die Erfahrung, dass Erwachsene oft kein Interesse am Spiel der Kinder haben. Es fehlt das Einfühlungsvermögen und damit die geteilte Aufmerksamkeit, die einem Kind signalisiert, dass das, was gerade geschieht, bedeutsam ist.

Die Säuglingsforscherin Mechthild Papoušek stellte schon vor vielen Jahren eine zunehmende „Spiel-Unlust“  sehr kleiner Kinder fest. Typische Äußerungen von Müttern:

„Mein Kind kann sich überhaupt nicht allein beschäftigen. Es ist unruhig und quengelig und fordert, den ganzen Tag unterhalten zu werden. Es mag nicht spielen, das Spielzeug ist ihm längst langweilig geworden. Ich tue alles für mein Kind, aber Spielen liegt mir nun einmal nicht.“(Papoušek 2003)

Die Bedeutung des Spiels für die kindliche Entwicklung scheint mehr und mehr verloren zu gehen. Ja, das Spiel selbst ist ein bedrohtes Gut, so das Fazit der Säuglingsforscherin. Angesichts der offenkundigen Zunahme von Sprachentwicklungsstörungen, Aufmerksamkeitsdefiziten, Lernstörungen und Hyperaktivität ist es daher dringlich, das zunehmende frühkindliche Syndrom der Spiel-Unlust mit seinen möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung von Lernmotivation, Aufmerksamkeitsregulation und Handlungsplanung ernst zu nehmen. Es gilt das Spiel als unersetzbare Ressource der frühkindlichen Entwicklung zu schützen. Manche Eltern wollen nichts von dem versäumen, was ihr Kind fördern könnte. Oft setzen sie damit sich selbst und ihr Kind unter Druck. In einem Klima überhöhter Erwartungen und einem Überangebot von Spielzeugen und Förderinitiativen können Neugier und Eigeninitiative des Kindes jedoch nicht gedeihen.

Eltern, die sich in das Spiel ihrer Kinder einfühlen können, tragen daher nicht nur zu einer stabilen Bindung und der Erfahrung von Geborgenheit bei, sie eröffnen den Kindern die Möglichkeit, ihre Erfahrungen in inneren Bildern, Geschichten und Erzählungen anzulegen und zu speichern. Damit tragen sie entscheidend zur Persönlichkeitsentwicklung ihres Kindes bei. (Gebauer 2007)

„Kinder sollten mehr spielen, als viele es heutzutage tun. Denn wenn man genügend spielt, solange man klein ist – dann trägt man Schätze mit sich herum, aus denen man später ein Leben lang schöpfen kann. Dann weiß man, was es heißt in sich eine warme Welt zu haben, die einem Kraft gibt, wenn das Leben schwer wird.“(Astrid Lindgren 2002)

Wer in seiner Kindheit und Jugend genügend Erfahrungen von Urheberschaft gemacht hat, der trägt den Schatz einer ständigen Motivation durch sein Leben.

In den vielen Spielsituationen des Alltags ist immer wieder empathisches Verhalten in Verbindung mit der Fähigkeit zur Kommunikation gefragt. Wie nun Kinder miteinander agieren, wie sie ein Spiel beginnen, dieses fortsetzen, verändern, abbrechen oder wieder neu beginnen und wie sie mit Konflikten umgehen,  das hängt von der Kultur der Gruppe ab. Für ein gelingendes Spiel ist Kommunikationsfähigkeit äußerst wichtig. Gleichzeitig kann sie sich im Spielverlauf immer weiter ausdifferenzieren. Neben der Fähigkeit eigene Absichten mitzuteilen, ist es auch wichtig, die Absichten der anderen Mitspieler wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Sprachliche und emotional-soziale Fähigkeiten werden für ein gelingendes Spiel benötigt. Für jedes Kind ist es von Bedeutung von den Mitspielern anerkannt und akzeptiert zu werden. Diese Kompetenzen erwerben die Kinder untereinander und miteinander. Gelegentlich benötigen sie dabei die Hilfe ihrer Erzieherin. „Ergebnisse einer Erhebung in Kindertageseinrichtungen weisen darauf hin, dass die Teilhabe am gemeinsamen Spiel in der Kindergruppe bedeutsam für die Entwicklung sprachlich-kommunikativer Fähigkeiten ist.“ Die Gleichaltrigen nehmen hinsichtlich der Entwicklung eine immer größere Bedeutung ein. „Damit wird das Spiel der Kinder zu einem Motor für den Spracherwerb.“ (Albers 2011)

Christopf Huber (2004), Theaterpädagoge, schwärmt: „Hier wird psychosoziale Kompetenz gelernt.“  Er zählt gleich mehrere Spiel-Projekte auf, die er zusammen mit jungen und älteren Menschen realisiert hat und erläutert:

„Da geht es um

gegenseitige Rücksichtnahme,

Zunahme von Kooperationsbereitschaft,

Abbau von Vorurteilen,

Verlegung der Toleranzgrenze,

Verantwortung für sich und andere,

Stärkung des Selbstbewusstseins.

Und:

Denken, Sprechen, Planen, Handeln,

Verwerfen, Krisen meistern –

das findet natürlich auch statt.“


Zukunftsforscher betonen, genau auf diese Fähigkeiten komme es an.

Das Spiel steht am Beginn einer jeden Entwicklung, hat Bedeutung in der Gegenwart und schafft Fähigkeiten für das Leben in der Zukunft. (Göll 2001)

Timm Albers (2012) fasst die neueren Forschungserkenntnisse so zusammen: „Die Kommunikation und das Spiel mit der Gleichaltrigen Gruppe machen einen Großteil des Inputs aus, aus dem Kinder sich Regeln der Sprache erschließen. Der pädagogische Rahmen, der in Kindergarteneinrichtungen zur Verfügung gestellt wird, bietet hier die größten Chancen, ist zugleich aber auch eine Herausforderung für die Fachkräfte.
 

Zum Glück gibt es noch eine große Zahl von Kindern, die gern und ausgiebig spielen. Sie rennen, klettern, schmieren, malen, hämmern. Sie bauen, wollen mit Feuer und Wasser spielen, zählen, messen, schreiben und lesen.

Spielen und Lernen sind in der Anfangsphase der kindlichen Entwicklung untrennbar miteinander verbunden. Eltern und Erzieherinnen sollten sich über die Fülle von emotionalen, sozialen und kognitiven Erfahrungen freuen, die in den Spielen der Kinder liegen.  Dabei geht es darum, wie Kinder zu einem gemeinsamen Spiel finden; wie sie Konflikte klären und Lösungen finden; wie sie Kontakte knüpfen und aufrecht erhalten; wie sie es schaffen, sich gemeinsam auf einen Gegenstand zu konzentrieren; wie sie ihre Spielprozesse koordinieren.

  • Für die Arbeit einer Erzieherin heißt das: 
  • Spiele der Kinder entdecken und mitspielen.
  • Spielideen von Kindern aufgreifen und andere Kinder anregen.
  • Über die Bedeutung des jeweiligen Spiels nachdenken.
  • Eigene Spielideen entwickeln.
  • Eltern motivieren und sie am Spiel ihrer Kinder teilhaben lassen.
  • Mit Kolleginnen und Kollegen über erfreuliche und auch schwierige Spielsituationen reden, um diese besser verstehen zu können.