Feuer in der KiTa?

Betrachtungen zum (Miss-)Verständnis der Begegnung Kind und Feuer in frühkindlicher Pädagogik

Inhaltsverzeichnis

  1. Nutzungsmuster Feuer
  2. Schadensmuster Feuer
  3. Bildungsmangel Feuer
  4. Was ist zu tun?

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Bildungsmangel Feuer

In allen anderen altersentsprechenden Gefahrenfeldern werden Kinder wissentlich in die Selbstständigkeit begleitet. Nicht über Angstmotivik und stupide Gefahrenbeschwörungen, sondern über einfache und spaßmachende Spiele, Übungen und wiederholten Überprüfungen der Fertigkeiten und Regeleinhaltungen. Würde ich mein Kind zum Thema Straßenverkehr oder Schwimmen bedrohliche Bilder ausmalen lassen, z.B. fahrradfahrende Kinder, die von Autos überrollt werden oder Kinder, die sich im Schwimmbecken strampelnd gegen das Ertrinken wehren, würde mein Kind von sich aus niemals Radfahren oder Schwimmen lernen wollen.

Dagegen gilt Bildungsarbeit mit Kindern und Feuer in vielen Familien, Kitas und Schulen als Tabu. Unsicherheiten beim pädagogischen Personal und eindeutige Verbote der Träger erschweren kooperative Auseinandersetzungen über dieses Bildungsthema. Bis heute wird die Lernerfahrung mit Feuer in zahlreichen kinder- und jugendrelevanten Disziplinen und Bildungseinrichtungen ausgeklammert.

  • Warum sind kulturgeschichtliche, entwicklungspsychologische und lernorientierte Verständnisse der Begegnung Kind und Feuer in den pädagogischen Wissenschaften nicht Gegenstand von Forschung und Lehre?
  • Warum existieren in den Fachschulen für Sozialpädagogik sowie anderen Ausbildungsstätten für ErzieherInnen keine Konzepte für eine pädagogische Gestaltung der Begegnung Kind und Feuer?


Weil Kinder nicht Feuer machen können? Auf keinen Fall dürfen? Weil sie sonst in Flammen aufgehen? Oder weil das Lehren des schadenfreien Feuermachens schlicht übersehen worden ist?

Panorama2Kita Mühlenstraße Gelsenkirchen (li.) und Miriam-Makeba Grundschule Berlin (re.)


Viele in der Kinder- und Jugenderziehung tätige AutorInnen haben erkannt, dass ein Feuerverbot weder den Kindern noch den Erwachsenen hilft und diesbezüglich Bücher und Broschüren verfasst, in welchen sie Spiele und Übungen darstellen, mit denen der Bildungs- und Praxismangel Feuer beseitigt werden kann. Doch fällt auch hier auf,

  • dass in den Büchern dominant Malen, Singen, Tanzen, Töpfern, Brot backen und Feuerwehrbesuche als Maßnahme zur Erlangung von Feuerbildung empfohlen werden,
  • dass dominant gezeichnete Darstellungen von kindlichen Streichholz- und Kerzenentzündungen zu finden sind, aber keine Fotos von feuermachenden Kindern,
  • dass die Mehrzahl der AutorInnen den text- und bildlichen Schwerpunkt weiterhin auf die Gefahren des Feuers setzen.


Wie kann ein Kind in Deutschland in folgend ausgeführter Situation überhaupt Begegnungen mit Holz(Lager)feuerereignissen erleben bzw. Feuermachen lernen:

  • in der Zunahme familiärer und pädagogischer Feuerinkompetenz;
  • in der medialen Dominanz von zerstörerischen Feuernutzungsmustern;
  • in der Allgegenwärtigkeit von Kinderbüchern mit Feuerschreckensmotivik;
  • in Besuchen von Feuerwehreinrichtungen, die Kinder gerne mit verbranntem Kinderspielzeug schockieren;
  • in der Übermacht der von Erwachsenen wiederholt ausgesprochenen Feuerverbote samt entsprechenden Strafandrohungen;
  • im Fehlen von Studien, die Feuerverständnisse und Feuermacheninteressen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ermitteln;
  • im Nichtvorhandensein wissenschaftlicher Forschung hinsichtlich der praktischen Gestaltung kindlichen Feuermachens;
  • im Fehlen von Pädagogen, die Feuermachen lehren (können)?


In der Mehrzahl urbaner Familien fundiert das Feuermachenverbot für Kinder als unumstößliche Erziehungsgrundlage. Es verkündet sich sowohl im kindlichen als auch im erwachsenen Verständnis, welches der Autor durch mündliche und schriftliche Befragungen von 1.200 ErzieherInnen und LehrerInnen (in mehr als 60 Weiterbildungsseminaren) und von mehr als 5.000 Kindern/SchülerInnen der Altersgruppe 4 bis 18 Jahre in eigenen Workshops und Projekten ermittelt hat.

Darüber hinaus äußert sich das Feuerverständnis von Kindern in der Erstellung eigener Bilder, Erzählungen und „Statements“, d.h., dass fünfjährige Kinder auf die Frage des Autors in seinen Workshops: „Was ist Feuer?“, die Antwort geben: „Feuer ist, wenn das Haus brennt, dann kann man tot sein,“ und zeichnen sodann auffallend häufig (25%) von Kindern in Brand gesteckte Häuser, artikulieren somit eine durch Feuer, dem generationenlangen Symbol familiärer Identität, verursachte Obdachlosigkeit der ganzen Familie? Liegen hier nicht auch Verständnisschlüssel zu in jüngster Zeit aufgetretenen Massenphänomenen?

Warum zünden hunderte (nicht nur) junger Menschen in Berlin (ab 1987), Paris (2005) und London (2011), Stockholm (2013) nicht die Häuser ihrer „Gegner“, sondern ihre eigene Nachbarschaft an - spontan, unorganisiert und ohne schriftliche Formulierung von Protest oder Forderungen? Derlei flammendes und zugleich sprachloses Zerstörungsverhalten, gerichtet gegen die eigenen Behausungen, hat es in der Geschichte der Menschheit niemals zuvor gegeben.

Warum zünden (junge) Menschen Kinderwägen und Autos an? Bis heute konnte kein Vertreter kinder-/jugendrelevanter Disziplinen eine feuerbildungsspezifische Begründung für Serien von Kinderwagen und Autobränden in deutschen Großstädten verkünden.

  Panorama3Familienzentrum St. Nikolai Limmer Hannover (li.) und Kita Schloßkobolde Berlin (re.)

 

Da das Phänomen zivil verursachter Massenschadenbrandstiftungsereignisse als soziale Unruhe erst seit einigen Jahrzehnten wahrgenommen sowie hauptsächlich von Menschen jüngerer Generationen initiiert und gezündet wird, ist doch die Frage zu stellen: Was hat sich in den letzten Jahrzehnten bezüglich des Aufwachsens und Zusammenlebens in den Städten derart geändert, dass es als Einflussfaktor zur Entstehung eines Massenschadenbrandstiftungsereignisses markiert werden könnte? Soziale Ungerechtigkeit, Armut, Obdachlosigkeit usw. hat und wird es in den Städten immer geben, daher auch Unzufriedenheiten, Kriminalitäten usw., einzelner wie auch von Gruppen, doch in keiner städtischen Familie muss mehr alltäglich ein Feuer verantwortet werden!

Zusammenhänge zwischen der Vieldeutigkeit und damit auch Missverständlichkeit des Wortes Feuer, der entwicklungsgeschichtlichen Beziehung Mensch und Feuer, dem Verschwinden familiärer Feuerbildung und – verantwortung sowie dem Ausbrennen / burn out der eigenen Nachbarschaft und dem Ausbrennen von Menschen, deren körperlicher und geistiger Erschöpfungszustand seit zwei Generationen (plötzlich) mit dem Begriff burn out diagnostiziert wird, sind auch in entsprechenden Fachdisziplinen nicht auffindbar:

  • Was ist Feuer?
  • Welche gesellschaftlichen/familienkulturellen Veränderungen verursacht/e die Löschung des häuslichen/familiären Feuers?
  • Was ist Ausbrennen/burn out aus feuerdefinitionsspezifischer Sicht?
  • Warum inszenieren Massen von Menschen den Ausbrand / burn out ihrer Existenzgrundlage (eigene Nachbarschaften in Berlin, Paris, London, Stockholm usw.)?
  • Warum entwickelt sich der burn out einzelner Menschen zum Phänomen vieler Menschen?

 



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