Neue Medien in der Frühpädagogik

Zur Mythologie der neuen Medien in der Frühpädagogik oder Der dritte Lernort

Inhaltsverzeichnis

  1. Mythos 1: Kindergartenkinder nutzen neue Medien nicht
  2. Mythos 2: Neue Medien sind kein Gegenstand der Frühpädagogik
  3. Mythos 3: Die negativen Aspekte der Medien überwiegen
  4. Mythos 4: Der Erzieherinnenberuf ist ein Bildungsberuf
  5. Mythos 5: Neue Medien sind Gegenstand der Erzieherinnenausbildung
  6. Mythos 6: Lehrkräfte in der Erzieherinnenausbildung vermitteln Medienkompetenz
  7. Mythos 7: Wer Erzieherinnen ausbildet, kann auf neue Medien verzichten
  8. Mythos 8: Die Vermittlung von Medienkompetenz ist gleichmäßig verteilt
  9. Mythos 9: E-Learning gehört zur frühpädagogischen Aus-, Fort- und Weiterbildung
  10. Mythos 10: Fachforum im Netz versus Facebook
  11. Mythos 11: Der Dialog zwischen Lernort Schule und Praxis funktioniert online nicht
  12. Zukunftskonzept „Neue Medien in der Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte“.
  13. Netz-Tipps für AusbildnerInnen, ErzieherInnen und Kinder
  14. Literatur

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Mythos 3: Die negativen Aspekte der Medien überwiegen


„Die negativen Aspekte der Medien überwiegen nach Meinung der Erzieherinnen deutlich.“ (Schneider et. al.: Ergebnis der Studie „Medienpädagogische Kompetenz in Kinderschuhen“, 2010) Diese bewahrpädagogische Haltung ist inzwischen derart tradiert, dass sie unveränderlich zu sein scheint. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Feststellung zweier vergleichender Studien von 1998 und 2007, wonach Erzieherinnen insgesamt nicht als „medien- oder technikfeindlich“ bezeichnet werden können, wenn man ihre private Ausstattung mit Mediengeräten als Maßstab heranzieht (Six/Gimmler, 2007, S. 131) Je jünger die Erzieherinnen sind, desto häufiger nutzen sie das Internet im privaten Bereich. Ihre computerbezogene Medienkompetenz schätzt aber nur etwa jede vierte Erzieherin als gut oder sehr gut ein. Negative Einschätzungen beruhen häufig auf „Berührungsängsten“ (Ebd.)

Für die Enquete-Kommission des Bundestages war Medienkompetenz bereits vor 15 Jahren eine „Basisqualifizierung für nahezu alle Berufsfelder“. (Schlussbericht Medienkompetenz der Enquete-Kommission des Bundestages, 1998 Im Juli des vergangenen Jahres forderte die gleiche Kommission erneut, dass der Umgang mit dem Internet fester Bestandteil der Erzieherinnenausbildung sein soll. Bereits der 11. Kinder- und Jugendbericht aus dem Jahr 2002 empfahl „Erzieherinnen und Erziehern … die eigene Medienkompetenz zu verbessern“. (11. Kinder- und Jugendbericht, 2002). Das BMFSFJ sah 2005 die „Vermittlung und Stärkung der Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen als eine besonders wichtige Erziehungsaufgabe“ (BMFSFJ, 2005) und der aktuelle Konzeptentwurf zur Medienkompetenz in Niedersachsen konstatiert: „Medienkompetenz … ist eine Schlüsselkompetenz wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Sie ist Voraussetzung für die Teilhabe an der Informations- und Wissensgesellschaft.“ (Medienkompetenz in Niedersachsen, Konzeptentwurf 2011)

Seit weit mehr als 15 Jahren ist das Thema „Medienkompetenz“ auf der Agenda vieler politischer und wissenschaftlicher Institutionen zu finden. Die genannte Enquete-Kommission stellt heute die gleichen Forderungen wie vor 15 Jahren. Ist fünf Kindergarten- Kindergenerationen später nichts passiert? Bücher medienpädagogisch einzusetzen, das lernten alle Erzieherinnen in ihrer Ausbildung. Ihre Medienkompetenz zu erweitern, das finden viele Erzieherinnen eher nachrangig oder unwichtig. Die meisten haben keine medienpädagogischen Fortbildungen besucht, obwohl Ergebnisse der Vorgängerstudie belegen, dass Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen angeboten und umfassend beworben wurden. „Der Vergleich mit der Vorläuferstudie zeigt, dass sich die Erzieherinnen im Schnitt für (noch) etwas schlechter qualifiziert zur Medienerziehung halten als die damals Befragten“ und dass ihr Interesse an einer privaten Auseinandersetzung mit dem Thema in den letzten Jahren eher gesunken ist. (Ebd., S. 149).

Es scheint: Je größer die Bedeutung der neuen Medien in der Gesellschaft und im Alltag, desto geringer die Bedeutung und das Interesse, medienerzieherisch in der Frühpädagogik aktiv zu werden. Immerhin macht die Studie von Six und Gimmler auch deutlich, „dass die Kenntnis einschlägiger Materialien und Hilfestellungen und die private Auseinandersetzung mit medienbezogenen Themen in einem eher positiven Zusammenhang zur Medienerziehung im Kindergarten stehen. Die Selbsteinschätzung fällt tendenziell positiver aus bei Erzieherinnen die sich privat mit relativ vielen medienpädagogischen Themen auseinander gesetzt haben, die während ihrer Ausbildung mit vergleichsweise vielen medienpädagogisch relevanten Themen konfrontiert wurden und die bereits an einer medienpädagogischen Fortbildung teilgenommen haben“ (Ebd. S. 150).

„Durch die bislang geringe Verankerung von Medienbildung im Bildungsbereich erklärt sich auch die geringe Thematisierung in der Bildungsforschung. Ein großer Teil der medienpädagogischen Forschung und Ausbildung konzentrierte sich in der Vergangenheit auf die außerschulische Jugendarbeit. Entsprechend dem geringen Umfang, in dem Medienbildungsprozesse Gegenstand wissenschaftlicher Forschung sind, sind auch die Forschungseinrichtungen, welche diese Fragen bearbeiten, bisher noch wenig damit befasst. Dies zeigt sich besonders im Bereich der frühkindlichen Bildung. Medienbildung im Umfeld von Kindertageseinrichtungen und Schulen sollte als Gegenstand von Bildungsforschung gestärkt werden.“ (Enquete, 2012, S. 5)

Wenn die neuen Medien intensiv genutzt werden, wenn Medienkompetenz von Experten mittlerweile auf eine Stufe mit Lesen, Schreiben und Rechnen gestellt wird, wenn Erzieherinnen diesem Bildungsbereich aber eher abnehmende Bedeutung beimessen – was müssen wir zwangsläufig daraus schließen? Wie soll medien- oder internetpädagogische Kompetenz für Erzieherinnen, aber auch als Baustein der beruflichen Handlungskompetenz für andere sozialpädagogische Berufe überhaupt aussehen?