Inklusion in KiTas: Eigentlich ganz normal

Inhaltsverzeichnis

  1. Inklusion als Menschenrecht
  2. Menschenrecht
  3. Bildungs- und Entwicklungsbegleitung
  4. Zusammenarbeit
  5. Ausblick
  6. Literatur

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Inklusion als Menschenrecht

Das Recht auf Bildung ist bereits seit 1948 anerkanntes Menschenrecht (vgl. United Nations 1948). Doch wurde es aktuell in der UN-Behindertenrechtskonvention konkretisiert, um die Pflicht zur Umsetzung für alle Menschen verbindlich zu verankern (vgl. United Nations 2006). Das Recht auf Bildung ist in der Konvention direkt mit dem Recht auf Partizipation verbunden. Dies ist für die Gestaltung inklusiver (Früh-)Pädagogik zentral, denn es macht deutlich, dass Bildung auf soziale Eingebundenheit angewiesen ist und in Sonderinstitutionen nicht angemessen umgesetzt werden kann. Der Artikel 24 der Behindertenrechtskonvention schreibt daher die staatliche Verpflichtung zum Aufbau eines inklusiven Erziehungs- und Bildungssystems auf allen Ebenen fest und ist somit verbindlicher Handlungsrahmen auch für Kindertagesstätten geworden. Es ist nun staatliche Aufgabe, geeignete strukturelle Bedingungen zur Umsetzung des Rechts auf Erziehung und Bildung für alle Kinder in einem inklusiven frühpädagogischen Erziehungs- und Bildungsangebot zu schaffen.

Die Ablehnung eines Kindes durch eine Kindertagesstätte mit der Begründung einer „Behinderung“ stellt eine Diskriminierung und damit einen direkten Verstoß gegen die Konvention dar (Art. 24). In den Einrichtungen sind daher entsprechende Rahmenbedingungen notwendig, um die Konvention im Konkreten wirksam und umsetzbar zu machen. Wenn eine spezifische individuelle Unterstützung für einzelne Kinder notwendig ist (z. B. zusätzliches, spezifisch ausgebildetes Personal), so ist diese der Konvention gemäß in den Kindertagesstätten sicherzustellen und darf nicht an den Besuch eines Sonderkindergartens gebunden werden.

Die Idee inklusiver Erziehung und Bildung ist nicht neu. Die Entwicklungen integrativer bzw. inklusiver Strukturen begannen in Deutschland bereits vor mittlerweile vier Jahrzehnten. Eltern erstritten damals für ihre Kinder das Recht auf gemeinsame Erziehung im Kindergarten. Wissenschaftliche Begleitforschungen und Theoriebildungen integrativer bzw. inklusiver Pädagogik nahmen im Elementarbereich ihren Anfang und wurden späterhin auf die Schule übertragen (vgl. im Überblick Kron 2006; Seitz 2009). Kindertagesstätten können damit heute gleichermaßen auf umfassende Praxiserfahrungen sowie abgesicherte Forschungsergebnisse zurückgreifen, wenn sie sich zu einer inklusiven Einrichtung weiterentwickeln wollen. Die frühen Forschungsarbeiten in diesem Praxisfeld erarbeiteten grundlegende Erkenntnisse zur – in der damaligen Lesart ausgedrückt – gemeinsamen Erziehung von „behinderten“ und „nichtbehinderten“ Kindern. In diesen Arbeiten konnte zunächst gezeigt werden, dass integrative Erziehung erfolgreich funktioniert und vor allem wichtige Impulse zum sozialen Lernen der Kinder bieten kann (vgl. zusammenfassend Kaplan et al. 1993). Späterhin galt es übergreifender nach dem Umgang mit Heterogenität zu fragen. Denn gesellschaftliche und soziale Entwicklungen hatten den pädagogischen Umgang mit der Heterogenität von Lebensformen und Lebenslagen insgesamt in den Fokus rücken lassen. In Überwindung der binären Unterscheidung „behindert – nichtbehindert“ nahm auch die inklusive (Früh-)Pädagogik die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse auf und die Forschung bearbeitete die hiermit verbundenen Fragen. Zuschreibungen von Kulturalität, Geschlechterzugehörigkeit, Befähigung und Beeinträchtigung sowie hieran anknüpfende Bewertungen wurden dabei als Ausdruck von zeitgebundenen und kulturell geprägten DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput. en und Meinungsbildungsprozessen deutlich gemacht und kritisch reflektiert. In der hier ansetzenden Grundlegung einer Pädagogik der Vielfalt wurde auch die enge Verknüpfung von inklusiver und demokratischer Erziehung und Bildung theoretisch und konzeptionell genauer ausgearbeitet (vgl. Prengel 1993).

Im Zuge des quantitativen Ausbaus integrativer Erziehung und Bildung im Elementarbereich zeigten sich neben der erfolgreichen Konzeptentwicklung (vgl. u.a. Fritzsche/ Schastok 2002) auch problematische Auswirkungen der inkonsequenten Umsetzung integrativer Strukturen. Denn so lange integrative Kindertagesstätten lediglich ein „Alternativprogramm“ zu Sonderkindergärten darstellten, führte dies dazu, dass entwicklungsgefährdete Kinder durchsetzungsfähiger und engagierter Eltern auffallend häufig integrative Einrichtungen besuchten, während vergleichbare Kinder aus Familien mit weniger Ressourcen für die Erziehung und Bilder ihrer Kinder tendenziell häufiger eine Sondereinrichtung besuchten und zudem erst in vergleichsweise hohem Alter aufgenommen wurden (vgl. Riedel 2008). Solche Effekte „institutioneller Diskriminierung“ (vgl. Gomolla 2006) sind auch gegenwärtig noch wirksam. Dabei sind heute die Lebens- und Entwicklungsbedingungen einer steigenden Zahl von Kindern durch materielle Armut und/oder soziale Risikolagen geprägt, was erhebliche Auswirkungen auf ihre Entwicklung hat (Weiß 2007, S. 78ff). Eine sozial schwache Ausgangslage korreliert dabei weiterhin mit Diagnosen von „Behinderung“. Entsprechend sind heute unter den Kindern, die den gesetzlichen Regelungen entsprechend die Komplexleistung Frühförderung erhalten, immer mehr Kinder in (psycho-)sozialer Risikolage ohne klare medizinische Diagnose im Sinne einer organischen Beeinträchtigung oder eines Syndroms (Weiß 2000).

Im Gesamtblick ist die Entwicklung in Richtung inklusiver Strukturen in Kindertagesstätten heute wesentlich weiter entwickelt als in Schulen. Aktuell besuchen ca. 60% der Kinder im Vorschulalter, denen Unterstützungsbedarf im Sinne der Eingliederungshilfe attestiert wurde, eine integrative bzw. inklusive Kindertageseinrichtung (vgl. Klemm 2010, 32), während die entsprechende schulbezogene Quote derzeit lediglich bei rund 18% liegt (KultusministerkonferenzKultusministerkonferenz|||||Die KMK  ist die ständige Konferenz der Länder in der BRD, wurde 1948 gegründet und ging aus der "Konferenz der deutschen Erziehungsminister" hervor. Sie basiert auf dem freiwilligen Zusammenschluss der zuständigen Minister/Senatoren der Länder für Bildung, Erziehung und Forschung. Da nach dem Grundgesetzt und sog." Kulturhoheit der Länder" die Zuständigkeiten für das Bildungswesen bei den einzelnen Ländern liegt, behandelt die KMK Angelegenheiten von  überregionaler Bedeutung mit dem Ziel einer "gemeinsamen Meinungs- und Willensbildung, sowie der Vertretung gemeinsamer Anliegen".  2010). Zu bedenken ist jedoch, dass Kinder mit attestiertem Unterstützungsbedarf im Sinne der Eingliederungshilfe weiterhin erst verhältnismäßig spät – oft erst im vierten oder fünften Lebensjahr – in Kindertageseinrichtungen aufgenommen werden (Riedel 2008). Bis dahin partizipieren diese Kinder entweder gar nicht an institutionalisierter Bildung und Erziehung oder sie erhalten – in der Regel wöchentlich – ein Frühförderangebot. Insbesondere Kinder mit Unterstützungsbedarf im Alter bis zu drei Jahren werden nur selten in Kindertagesstätten betreut, was auch für deren Eltern soziale Ausgrenzung bedeuten kann. Hier gibt es enormen Entwicklungs- und Ausbaubedarf (vgl. Seitz et al. im Druck).