Ressourcenorientierte Organisations-Entwicklung in Kindertagesstätten

Wie können KiTas als attraktives Arbeitsfeld gestärkt und weiterentwickelt werden? Wie kann zufriedenes und gesundes Arbeiten sowie eine ausgewogene Work-Life-Balance gefördert werden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Historisch-Ökologische Bildungsstätte Emsland in Papenburg e.V. (HÖB), das Bildungs- und Tagungszentrum Ostheide in Barendorf e.V. (BTO) sowie das nifbe im Rahmen des Projektes „Ressourcenorientierte Organisationsentwicklung in Kindertagesstätten“ (1) . Gefördert wird das Projekt durch den Europäischen Sozialfonds und begleitet durch die Stelle für Soziale Innovation des Landes Niedersachsen.


Zur Initiierung von Organisationsentwicklungsprozessen in insgesamt 21 KiTas der Region Lüneburg und des Emslandes wurde im September 2020 zunächst mit einer Bestandsaufnahme gestartet. Diese setzte sich aus zwei Teilen zusammen: Die Erhebung der „Innensicht“ auf die aktuelle Situation in den Einrichtungen durch Analysewerkstätten (HÖB und BTO) und die Erhebung der „Außensicht“ durch wissenschaftliche Befragungen der KiTa-Leiter*innen, pädagogischen Fachkräften, Eltern und Träger (nifbe). Anschließend wurden diese Ergebnisse in einem Workshop externen Expert*innen aus Wissenschaft, Weiterbildung und Praxis zur Diskussion gestellt.

„Der Zusammenhalt der Kolleginnen und der Leitung“

Vor allem die beiden schriftlichen Fragebogenerhebungen, an denen 266 Fachkräfte einerseits und 21 KiTa-Leiter*innen andererseits teilgenommen haben, stellen die Bedeutung von sozialen Ressourcen heraus. So werden in nahezu allen Projekt-KiTas die Anerkennung und Wertschätzung der Kolleg*innen, der Kinder und der Leiter*innen als die wichtigsten Unterstützungsfaktoren im Berufsalltag genannt. Des Weiteren sind sich die Fachkräfte auch darüber einig, dass sie vor allem in belastenden Situationen von interpersonellen Ressourcen, wie ihrer Persönlichkeitsstärke, Berufs- und Lebenserfahrung und Kreativität, profitieren können. Als weniger unterstützende Faktoren, werden sowohl das gesellschaftliche Ansehen des Berufs als auch die (fehlende) Zeit für Team- bzw. Qualitätsentwicklung genannt. Darüber hinaus können viele der Befragten die Räumlichkeiten ihrer KiTa nicht in Gänze nutzen, ohne ihre Aufsichtspflicht zu verletzen. Bei dem Potenzial „Anerkennung und Wertschätzung des Trägers“ machen die Fachkräfte unterschiedliche Angaben, durchschnittlich wird diese jedoch als teilweise unterstützend bewertet.

Neben den Ressourcen wurden die pädagogisch Tätigen auch nach ihrer Belastung gefragt. Dabei geben 44 Prozent der Teilnehmenden an, sich regelmäßig – das heißt monatlich bis hin zu mehrmals wöchentlich – über ein für sie als gesund empfundenes Maß hinaus zu verausgaben. Als am häufigsten genannte Stressoren können dabei der Personalmangel, der Zeitmangel bzw. Zeitdruck, die Lautstärke, Konflikte und Unmut im Team, fehlende Absprachen bzw. eine schlechte Kommunikationsstruktur unter den Kolleg*innen und die Zusammenarbeit mit den Eltern identifiziert werden. Gleichzeitig geben jedoch 95 Prozent der pädagogischen Fach- und Leitungskräfte an, alles in allem sehr gern in ihrer KiTa zu arbeiten. Dies könnte unter anderem auf die hohe Identifikation mit dem Beruf zurückgeführt werden.

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„Die Erzieherinnen sind immer für uns ‚greifbar‘, ansprechbar und nehmen sich Zeit für die ‚Sorgen‘ der Eltern“

Eine mehrsprachige Online-Befragung der Eltern ergänzt die Ergebnisse um den Ressourcenschatz KiTa. So gibt die Mehrheit der 392 Teilnehmenden, darunter vor allem berufstätige Akademikerinnen im Alter von 31-40 Jahren, an, dass die pädagogischen Fachkräfte über die für sie besonders wichtigen Kompetenzen „freundlich und zugewandt sein“, „Ruhe auch in kritischen Situationen bewahren können“ und „auch unter Corona-Bedingungen eine optimale Betreuung ermöglichen“ (2) verfügen. Daneben schätzen die Eltern vor allem die Entlastung, die ihnen die KiTa für ihren eigenen (Berufs-)Alltag bietet, die Betreuungszeiten und die Vermittlung sozialer Kompetenzen durch die pädagogisch Tätigen.

Bei den elterlichen Partizipationsmöglichkeiten, abgesehen von den Mitbestimmungsmöglichkeiten durch Gremien, sehen die Befragten jedoch noch Erweiterungsbedarf. Gleiches gilt für die Mit- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten ihrer Kinder: Hier geht die Mehrheit der Eltern davon aus, dass ihr Kind zwar zwischen den täglichen Angeboten wählen und in Schlüsselsituationen, wie Essen, Schlafen und Spielen, selbst entscheiden darf, jedoch nur teilweise zum Beispiel Regeln, Rechte und Pflichten mitaushandeln darf. Das folgende Diagramm zeigt, welche Punkte für die Eltern, unabhängig von der tatsächlichen Umsetzung in der KiTa, besonders wichtig sind:

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„Wir sind keine Firma, die unendlich Geld zur Verfügung hat“

Da Träger eine zentrale Rolle bei der Schaffung von Rahmenbedingungen für die Arbeit in den KiTas spielen, wurde auch ihre Perspektive auf die Ressourcen(potenziale) der KiTas erhoben. Dazu wurden insgesamt fünf freie bzw. öffentliche Träger im Rahmen von Interviews (3) befragt. Die inhaltsanalytische Auswertung zeigt zunächst einmal, dass die Interviewten ihre Trägerrolle und damit verbunden auch ihren Aufgabenbereich sehr unterschiedlich definieren. Dabei scheint der jeweilige Typ (Stadt, Kirche, Verein etc.) weniger entscheidend dafür zu sein, wie aktiv der Träger die pädagogische Arbeit mitgestaltet und sich für die Gesundheit und Zufriedenheit seiner Mitarbeiter*innen einsetzt, sondern vielmehr die Nähe seiner (ursprünglichen) beruflichen Profession zur Pädagogik. So zeigen sich die Interviewten mit pädagogischem Hintergrund besonders engagiert in der Schaffung regelmäßiger Austauschmöglichkeiten und systematischer Partizipationsmöglichkeiten für das gesamte KiTa-Team. Ebendiese Träger wurden von den pädagogischen Fach- und Leitungskräften als unterstützend wahrgenommen, da sie von ihnen Anerkennung und Wertschätzung erhalten und die Träger als präsente Ansprechpartner wahrnehmen.

Auf der anderen Seite positionieren sich Träger, die ihre Aufgabe weniger in der (Mit-)Gestaltung des KiTa-Alltags sehen – denn dies falle aus ihrer Sicht alleinig in den Bereich der Leitung – und sich selbst vornehmlich als Personalverwalter und Budgetplaner definieren. Und auch wenn alle Interviewten die finanzielle Ausstattung thematisiert haben, scheinen die finanziellen und gesetzlichen Rahmenbedingungen für ebendiese Träger maßgeblich darüber zu entscheiden, inwiefern sie die pädagogischen Mitarbeiter*innen beispielsweise durch gesundheitsfördernde Maßnahmen stärken und etwa durch einrichtungsübergreifende Austauschtreffen unterstützen können. Diese Haltung wirkt sich negativ auf die Zufriedenheit der pädagogisch Tätigen mit ihrem Träger aus.

Ressourcenorientierte Organisationsentwicklung: Was heißt das nun und wie kann sie gelingen?

Auf Grundlage der Bestandsaufnahme wurden in den Entwicklungswerkstätten (HÖB und BTO) konkrete Maßnahmen entwickelt, die eine Bewältigung der Herausforderungen und positiven Umdeutung der Stressoren in der jeweiligen KiTa, ermöglichen. Diese drehten sich vor allem um die Themen „Gesundheitsmanagement“, „Kommunikation und Feedbackkultur“ sowie „Umgang mit Anforderungen von außen/Elternarbeit“. Zurzeit wird die Implementierung ebendieser Maßnahmen, Tools und neuen Denkweisen in den Projekteinrichtungen erprobt.

Bis hierhin lässt sich jedoch bereits festhalten, dass sich Organisationsentwicklung nur als mehrschrittiger, nicht-chronologischer und ergebnisoffener Prozess mit sich wiederholenden Anteilen umsetzen lässt. Dabei kann sie zugleich als Partizipationsprojekt betrachtet werden, an welchem alle Akteure in (Mitarbeitende, Kinder und Eltern) und um die KiTa (Träger, Sozialraumakteure und gesellschaftspolitische Institutionen) beteiligt sind. So gelingt Organisationsentwicklung vor allem dann, wenn nicht nur die pädagogischen Fach- und Leitungskräfte empowert werden, sondern das Gesamtsystem „KiTa“ als Bottom-Up-Strategie. Dass das Team als zentrale Ressource wahrgenommen wird, impliziert zugleich, dass sich Organisationsentwicklung auch mit der (zunehmenden) Heterogenität von Teams auseinandersetzen muss und deren Chancen aufzeigen kann. Zuletzt führen solche Entwicklungsprozesse auch zu einer Auseinandersetzung mit den bestehenden gesellschaftlichen, bildungspolitischen, elterlichen und trägerspezifischen Anforderungen und können diese kritisch hinterfragen.

Die „learned lessons“ aus dem bisherigen Projektverlauf lassen sich dabei in den folgenden vier Säulen zusammenfassen:

  1. Agil: Methoden aus dem Managementbereich (z.B. Daily Standups) lassen sich auch auf das Arbeitsfeld KiTa adaptieren, um vor allem Aufgaben die das Team und seine Zusammenarbeit betreffen umzusetzen.
  2. Gesund: Insbesondere in Pandemie-Zeiten und aufgrund des Personalmangel bedarf es an ausgeprägten Gesundheitskompetenzen und einer Feedbackkultur, die das KiTa-Team nach außen hin stärken.
  3. Partizipativ: Kommunikation und Mitbestimmungsmöglichkeiten dienen als Schlüssel sowohl für eine gelingende Zusammenarbeit mit den Eltern als auch mit dem Träger.
  4. Vernetzend: Eine transparente und inklusive Arbeit für und mit den Eltern einerseits sowie mit Akteuren aus dem Sozialraum andererseits können das Arbeitsfeld stärken und neue Chancen für die pädagogische Arbeit eröffnen.
Das Projekt läuft noch bis Ende September 2022 und wird durch Gruppendiskussionen mit den Vertreter*innen der HÖB und des BTO als Werkstattbegleiter*innen einerseits sowie mit Vertreter*innen ausgewählter KiTas andererseits evaluiert. Fachtagungen und Workshops sollen zudem eine Verstetigung der Ergebnisse auch über den regionalen Kontext und seine teilnehmenden Einrichtungen hinaus gewährleisten. Letztendlich sind die implementierten Maßnahmenbündel so angelegt, dass sie auch nach Projektende von den pädagogischen Fach- und Leitungskräften weiter erprobt werden können. Die Organisationsentwicklung als Prozess ist damit nicht abgeschlossen.


Fußnoten / Literatur


(1) Für einen Kurzüberblick siehe: Moormann, Kassandra/Huber, Andrea/Südbeck, Thomas (2022): Organisationsentwicklung in Kitas ressourcenorientiert gestalten. KiTa aktuell 1 (31), S. 10-12.

(2) Darüber hinaus wurden die Eltern danach gefragt, was sie während
des Lockdowns besonders an ihrer KiTa vermisst haben. Die zentralen Aussagen sowie sich daraus ergebende Perspektiven können in folgendem Artikel nachgelesen werden: Moormann, Kassandra (2021): Chancen der Corona-Pandemie: Zusammenarbeit mit Eltern neu gestalten. KiTa aktuell 11 (29), S. 262-264.

(3) Weitere Inhalte und Erkenntnisse aus dem Interviews finden Sie im folgenden Artikel: Klumpe, Kassandra (2022): Einer für alle, alle für einen! TPS 6/2022, S. 8-11.

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