Exekutive Funktionen in der Montessori-Pädagogik

Inhaltsverzeichnis

  1. 2. Bedeutung der exekutiven Funktionen für die Entwicklung des Lernens des Kindes
  2. 3. Entwicklung der exekutiven Funktionen in den ersten drei Lebensjahren
  3. 4. Schnittstelle exekutive Funktion und Montessori-Pädagogik
  4. Fazit
  5. Literatur

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Co-Autorin: Melanie Otto

Die Fähigkeit zur Selbstregulation ist eine Fähigkeit, die so weitreichend wie lebenslang bedeutsam ist. Seit einiger Zeit rückt sie unter Heranziehen neurowissenschaftlicher Erkenntnisse verstärkt in den Fokus pädagogischer Bemühungen. In den neurowissenschaftlichen Disziplinen spricht man von den sogenannten exekutiven Funktionen.
Besonders die Montessori Pädagogik ist vielversprechend hinsichtlich der Förderung dieser Funktionen. Viele Prinzipien und Herangehensweisen scheinen geradezu ideal zu sein. In diesem Artikel soll besonders das Altersspektrum der 0-3-Jährigen in den Fokus genommen werden.

1. Exekutive Funktionen – eine Begriffsklärung

Hanni (2,1 Jahre) sitzt am Tisch und ordnet. Sie legt die unterschiedlichen Nüsse und Waldfrüchte in die dafür vorgesehenen Schälchen. Sie ist hoch konzentriert, ihre roten Wängchen zeigen das, ihr Atem geht ruhig und flach. Hanni arbeitet.

Leo (1,9 Jahre) steht am Wasserhahn, er wäscht seine Hände. Sorgsam dreht er den Hebel zunächst nach rechts, zur kalten Seite hin, erst dann bedient er ihn so, dass Wasser kommt. Nicht zu viel und nicht zu wenig, er kann den Hebel des Wasserhahns schon exakt bedienen. Er wiederholt es gleich nochmal. Auf, zu, auf, zu ...

Beide Situationen sind alltäglich und durch viele weitere dieser Art ergänzbar. Für einzelne Kinder jedoch stellen sie eine Herausforderung dar. Wird Leo es schaffen, sein »auf-zu«-Spiel zu beenden und sich auf das eigentliche Ziel zurückbesinnen – nämlich seine Hände zu waschen?
Es ist natürlich klar, dass sein »auf-zu«-Spiel viel mehr als nur ein Spiel ist: Leo erforscht ein Ursache-Wirkungs-Prinzip und zugleich erarbeitet er sich den Umgang mit dem Wasserhahn – sehr praktisch, wenn man das im Alltag beim Helfen in der Küche kann.

Auch Hanni forscht. Sie begreift unterschiedliche Oberflächen, Gewichte, Materialbeschaffenheiten der gesammelten Walnüsse, Kastanien und Eicheln. Sie erforscht Größenverhältnisse und entwirft" darauf basierend Kategorien.

Welche Fähigkeiten müssen Kinder bei diesen Tätigkeiten an den Tag legen?

Leo hat gelernt, wie er mit einem Wasserhahn hantieren muss, die Abläufe beim Hände waschen hat er gelernt, er kann sie ohne Probleme abrufen. Ganz genau kennt er die Reihenfolge vom Hochkrempeln der Ärmel bis hin zum Abtrocknen der Hände an seinem Handtuch.
Auch Hanni weiß, dass die großen glatten Kastanien in eine Gruppe gehören und mit den kleinen hellbraunen Eicheln nicht vermischt werden möchten. Selbst wenn eine Frucht im Schälchen der anderen Art landet, erkennt Hanni schnell, dass hier etwas nicht stimmt. Sie kann Fehler überwachen.

Leo muss seine Handlung dosiert steuern, damit der den Hahn nicht unvermittelt ganz aufdreht und das Wasser alles nass spritzt. Er muss sich alle Abläufe ins Gedächtnis rufen und sich von Kindern, die auch im Bad sind oder dort vorbeilaufen, nicht ablenken lassen.

Auch Hanni muss ihre Motorik gut steuern und zugleich flexibel sein in der Zuordnung der Dinge: Mal ins eine Schüsselchen, mal ins andere usf. Landet eine Nuss falsch, ist sie gefordert, es umzusortieren und trotz des Fehlers weiter zu machen, bis alle Früchte auf die Schälchen verteilt sind.

Aus Sicht der Neurowissenschaften beanspruchen und üben beide Kinder ihre kognitive und emotionale Selbststeuerungsfähigkeit. Sie regulieren ihr Tun mit Hilfe der Funktionen des präfrontalen Kortex (PFC). Hier sitzen die sogenannten exekutiven Funktionen. Sie sind die Steuerzentrale des Menschen. Aus drei Bestandteilen, nämlich dem Arbeitsgedächtnis, der Inhibition (Hemmung) und der kognitiven Flexibilität, setzt sich diese Regulationszentrale zusammen. Sie sorgt dafür, dass wir unser Handeln zielorientiert, planvoll und der Situation angemessen lenken. Besonders in Situationen, die neu für uns sind, werden die exekutiven Funktionen auf den Prüfstand gestellt. Je nach Aufgabe wird der eine oder andere Bereich der exekutiven Funktionen stärker oder nur schwächer beansprucht (z.B. Blair, 2002; Carlson, 2005;).

Im Folgenden sollen die einzelnen Bereiche im Detail vorgestellt und das Zusammenspiel der drei hinsichtlich ihrer lebenslangen Bedeutung erläutert werden.

Das Arbeitsgedächtnis
Die Leistung des Arbeitsgedächtnis (AG) ist es, Informationen aufzunehmen, zeitig zu speichern und weiterzuverarbeiten (z.B. Davidson et al. 2006, Diamond 2014). Oft geschieht diese Weiterverarbeitung unter Heranziehen bereits vertieften Wissens aus dem Langzeitgedächtnis.
Dieses Wissen jedoch wird mit dem neu hinzugekommenen ergänzt und aktualisiert und dann in ein sinnvolles Handeln umgesetzt. Den dafür notwendigen Plan, eine Handlung der Situation angemessen und sinnvoll umzusetzen, erarbeitet ebenfalls das Arbeitsgedächtnis.
Im Alltag beanspruchen wir das Arbeitsgedächtnis gewissermaßen ständig. Deswegen sind wir auch fündig, es zu entlasten und zu unterstützen. To Do-Listen erleichtern uns das Memorieren wichtiger Aufgaben, Sanduhren und Timer unterstützen uns darin, Zeitspannen einzuhalten. In vielen Kitas finden sich bebilderte Tagesabläufe, mit Symbolen unterstützte Regeln des Miteinanders.
All diese Maßnahmen erleichtern es, im Alltag an etwas Wichtiges zu denken, Handlungen Schritt für Schritt zu realisieren und letztlich zu lernen, denn es wird altes mit neuem Wissen verbunden.

Die Inhibition
Impulse aller Art zu kontrollieren, gelingt mit Hilfe der Inhibition (INH) (Hemmung). Gleichsam einem inneren Stoppschild veranlasst sie dazu, erst zu denken und dann zu handeln. Gestört wird zielführendes Handeln beispielsweise durch Störreiz von außen. Es fällt schwer, die Aufmerksamkeit auf eine komplexe Aufgabe zu fokussieren, wenn zum Bespiel Baustellenlärm die konzentrierte Ruhe stört. Diesen Störreize (Baustellenlärm) auszublenden und sich davon nicht ablenken lassen, gelingt nicht immer (z.B. Miyake 2000, Diamond 2007).

Kinder sind im Kita- und Krippenalltag häufig in der Situation, dass sie einem spontanen Impuls folgen möchten. Um jedoch bei ihrer aktuellen Tätigkeit bleiben zu können, benötigen sie zumeist noch Unterstützung von außen. Dann kann es gelingen, den Impuls zu hemmen und eine Handlung zu Ende zu bringen. Das muss jedoch geübt werden.
Besonders gefordert – und das gilt nicht nur für das Kindesalter – ist die Inhibition, wenn eine Situation von starken Emotionen dominiert ist.

Ärger, Wut, Angst, aber auch übermäßige Freude lassen daraus resultierendes Verhalten manchmal überschwänglich, wenn nicht sogar unkontrolliert erscheinen. Emotionen inhibieren zu können bedeutet dann auch zum Beispiel Frustration zu ertragen, sich von einer Enttäuschung zu erholen und dann zu einem besonnenen Fortsetzen zu kommen.

Die kognitive Flexibilität
Kognitiv flexibles Verhalten zeigt sich beim Einstellen auf Neues, bei der Umstellung von einer Situation auf die nächste, aber auch beim Wechsel von Perspektiven (z.B. Miyake 2000, Diamond 2007).

Kognitive Flexibilität (FLEX) ist die Fähigkeit, das Handeln an sich verändernde Umweltbedingungen anzupassen. Ist ein Handlungsvorhaben auf Grund einer (unvorhergesehenen) Veränderung nicht mehr zielführend, bedarf es einer raschen Anpassung. Diese erfolgt zunächst auf der Ebene des Denkens, dann auf der Ebene des Handelns.

Kognitive Flexibilität baut auf der Kapazität des Arbeitsgedächtnisses und der Inhibition auf. Es bedarf also eines gewissen Grundsockels an Arbeitsgedächtnisleistung und Inhibition, um eine Anpassungsleistung erbringen zu können.

Die Komplexität der kognitiven Flexibilität wird beim Betrachten des Perspektivenwechsels deutlich. Die Perspektive eines anderen einnehmen zu können erfordert alle drei Komponenten der exekutiven Funktionen und gipfelt gewissermaßen in der kognitiven Flexibilität.
Zunächst muss beim Perspektivwechsel die eigene Sichtweise inhibiert werden. Denn nur dann kann die Sichtweise des anderen durchdacht werden. Es bedeutet also, dass die eigene Sichtweise kurzzeitig beiseitegeschoben wird zugunsten einer anderen. Jedoch setzt dies voraus, dass es mental vorstellbar ist, dass andere Menschen eigene Sichtweisen haben (FLEX!). Bei all dem darf die eigene Sichtweise nicht vergessen werden, dafür sorgt das Arbeitsgedächtnis. Die kognitive Flexibilität beginnt dann, beide Sichtweisen gegeneinander abzuwägen, zu vergleichen und schließlich den Unterschied festzulegen.

Grundsätzlich ist der Erwerb der »Theory of Mind« und des Perspektivwechsels als ein Prozess zu verstehen, der bereits im Kleinstkindalter beginnt, jedoch erst im frühen Grundschulalter abgeschlossen ist. So können Einjährige bereits verstehen, dass ihre Mitmenschen ggf. andere Handlungsabsichten haben wie sie selbst (vgl. Sodian 2011). Zweijährige zeigen bereits die Fähigkeit zur Empathie und in diesem Alter deswegen auch größte Bereitschaft anderen zu helfen (vgl. Sodian et al., 2010). Jedoch gilt für beide Fälle, dass dies vermutlich nicht bewusst gesteuert von statten geht. Erst mit ca. 4 Jahren können Kinder ihr eigenes Wissen den Vermutungen anderer gegenüberstellen und somit zum Beispiel nachvollziehen, dass es zu Fehlhandlungen kommen kann auf Grund mangelnder Information (Zum Beispiel, wenn in der Kita besprochen wird, dass am nächsten Tag jeder sein Kuscheltier mitbringen darf. Wird dies auch jenes Kind machen, welches diese Abmachung nicht kennt, weil es krank und nicht da war?). Erst mit sechs Jahren können Kinder nachvollziehen, wie sie selbst zu ihrem Wissen kommen und dass sie dieses beispielsweise erwerben und erweitern können durch eigenes Schlussfolgern. (vgl. Marinovic & Pauen 2012, S. 37).


2. Bedeutung der exekutiven Funktionen für die Entwicklung des Lernens des Kindes

Die Bedeutung der exekutiven Funktionen ist eine lebenslange und weitreichende. Viele Aspekte des Lebens werden davon in Abhängigkeit gesehen, zum Beispiel Gesundheit, Bildung und Lernen, persönliche Erfüllung – generell Erfolg im Leben. Sehr umfassend zeigt dies eine bekannte Studie von Moffit und Kolleg/innen (2011): Kinder, die im Alter von vier Jahren bereits gut ausgebildete exekutive Funktionen hatten, zeigen sich im Erwachsenenalter als gesünder, hatten einen Schulabschluss vorzuweisen, führten glücklichere Beziehungen und hatten insgesamt einen höheren Lebensstandard (vgl. Moffit et al. 2011).

Eng damit im Zusammenhang wird die Fähigkeit gesehen, direkte Bedürfnisse aufzuschieben. Bereits in den 1960iger Jahren erkannte der Psychiater Walter Mischel bei 4,5-Jährigen, dass die Fähigkeit des direkten Bedürfnisaufschubes zugunsten einer größer zu erwartenden Belohnung Auswirkungen auf den Erfolg im Leben hat. Er entdeckte nämlich, dass Kinder, die warten können, dies mit einer höheren Stresskompetenz tun. Das bedeutet, diese Kinder verfügten bereits über zielführende Strategien mit einer unangenehmen Situation umzugehen und trotz aller Widrigkeiten durchzuhalten, denn sie möchten ein Ziel erreichen, nämlich die Belohnung erhalten. Bedeutsam dabei ist, dass die Kinder sich dieses Ziel selbst gesetzt hatten, also als intrinsisch motiviert angesehen werden. Auch hier zeigt die Forschung: Kinder, die warten konnten, zeigten sich im Jugend- und Erwachsenenalter als gesünder, sozial kompetenter und in der Schule erfolgreicher (vgl. Mischel et al. 2011).

Lesen, Schreiben, Sprachverstehen, Vokabeln lernen, Mathematik oder Naturwissenschaften sind Bereiche des akademischen Lernens, die vielmals in direkter Verbindung mit exekutiven Funktionen zitiert werden (z.B. Blair et al. 2008, Valdez et al. 2008, Mazzocco and Kover 2007, Clair-Thompson u. Gathercole 2006).

Sorgsames Arbeiten, gewissenhaftes und verlässliches Erledigen aufgetragener Aufgaben sind unter vielen anderen Faktoren, die zum indirekten Lernerfolg beitragen. Diese Eigenschaften bilden sich, je nach lebensweltlichen Bedingungen, früh aus und stehen im Zusammenhang mit gut ausgebildeten exekutiven Funktionen (Rimm-Kaufmann et al. 2009).

Später in der Schule zeigt sich dies an einer engagierten Haltung der Schüler/innen. Sie beginnen früher mit den Hausaufgaben, erledigen diese zügiger (und zielorientierter), vermeiden Fehlzeiten und legen ein insgesamt verantwortungsvolleres Arbeitsverhalten an den Tag (vgl. Duckworth, Seligmann 2005).

Kinder mit guten exekutiven Funktionen kommen auch in sozialen Kontexten besser zurecht. Warum ist das so?

Kinder, die abwarten können, bis sie beim Spielen an der Reihe sind, die Rücksicht nehmen auf andere, die etwas langsamer sind oder auch gerne mithelfen bei alltäglichen Arbeiten, zeigen dadurch ein positives Sozialverhalten, wirken sozialkompetent. Diese Kinder werden gerne als Spielpartner gewählt, weil sie auch noch weiter mitspielen, wenn es mal nicht nach ihren Vorstellungen geht, die aber trotzdem bei der nächsten Gelegenheit Ideen einbringen, die allen Spaß machen. Gute exekutive Funktionen sind auch hier entscheidend.

Studien belegen, dass Vierjährige, die gut inhibiert sind, sich sozial kompetenter verhalten (Rhoades et al., 2009). Die frühe Förderung der exekutiven Funktionen ist durch ihre lebenslange Bedeutung gesichert. Viele der Befunde knüpfen an das Kitaalter an, sind jedoch für den Krippenbereich gleichermaßen von Bedeutung, besonders vor dem Hintergrund der stetig wachsenden Anzahl an Kindern, die in Krippen betreut werden.

Der Montessori-PädagogikMontessori-Pädagogik|||||Montessoripädagogik wurde von Maria Montessori ab 1907 als pädagogisches Bildungskonzept vom Kleinkind bis zum jungen Heranwachsenden entwickelt. Leitspruch der Pädagogik ist "Hilf mir es selbst zu tun" und arbeitet mit offenem Unterricht und freien Verfügungsphasen, in dem der Lehrende dazu angehalten ist die Lernprozesse angemessen anzuregen.  ist die Unterstützung der Förderung der frühen Selbstregulation inhärent und bietet zahlreiche Beispiele für das Zusammenwirken beider Anliegen: Förderung der exekutiven Funktionen und Montessori Pädagogik.


3. Entwicklung der exekutiven Funktionen in den ersten drei Lebensjahren

Die ersten drei Lebensjahre sind eine ganz besondere Zeit der Entwicklung im Gehirn. Rein physiologisch betrachtet kommt ein Kind mit 23 % des Volumens eines Erwachsenen zur Welt und besitzt bereits 70% des Gehirnvolumens im Alter von drei Jahren (Thelen 1984 nach Oerter u. Montada 2002, S. 151). Das scheint auch sinnvoll, denkt man an die vielen Lerninhalte, welche die Kinder in den ersten drei Jahren bewältigen, wie Sprache, Bewegungen (u.a. Gehen), und Wissen erwerben.

Überblick: Entwicklung der exekutiven Funktionen
Wird zunächst die allgemeine Entwicklung über die ersten drei Lebensjahrzehnte betrachtet, dann kann festgestellt werden, dass sich der Bereich des Stirnhirns/Präfrontaler Kortex (PFC) über eine sehr lange Zeitspanne hinweg entwickelt. Das zeigen verschiedene Studien auf Verhaltens- (z.B. Diamond 2002) und physiologischer Ebene (Gogtay et al. 2004).

Was genau heißt »lange«? In der Zwischenzeit kann man davon ausgehen, dass sich Fähigkeiten schon von Geburt an entwickeln (u.a. Hendry et al. 2016) und dass dieser Entwicklungsprozess im jungen Erwachsenenalter endet (Diamond 2002). In dieser Entwicklungszeit durchlaufen die exekutiven Funktionen Phasen mit großem Wachstum, Phasen, in denen sie umstrukturiert werden und Phasen, in denen ein konstantes Wachstum vor sich geht.

Hier wird ein kurzer Überblick der allgemeinen Entwicklung zur Einordnung der Entwicklung im Bereich der unter Dreijährigen gegeben.
Eine rasante Zeit für die exekutiven Funktionen in Punkto Entwicklung lässt sich im Kindergartenalter verzeichnen (u.a. Carlson 2005). Das wird häufig auch auf der Verhaltensebene und im »Wesen« der Kinder spürbar, wenn diese Schritt für Schritt »reifere« Züge annehmen. Hier werden z.B. im Bereich des Arbeitsgedächtnisses spürbare Entwicklungen sichtbar, wie dass Kinder sich immer mehr Dinge gleichzeitig merken können. Im Bereich der Inhibition ist sichtbar, dass ein Belohnungsaufschub, wie im Marshmallow-Test beschrieben (Mischel et al. 1989), immer besser und länger möglich wird. So sieht man auf der Verhaltensebene, dass Kinder sich in Streitsituationen immer mehr auf eine Vermittlung einlassen können. Im Bereich der kognitiven Flexibilität können Kinder zunehmend Empathie und Perspektivenübernahme zeigen (vgl. Diamond 2002).

Ein verlangsamtes Wachstum scheint in der Grundschulzeit vor sich zu gehen. Hier wird z.B. eine Vergrößerung der Inhalte im Arbeitsgedächtnis sichtbar, also die Zahl der zu merkenden Dinge steigt an. Sowie z.B. die Antwortschnelligkeit zunimmt (z.B. Diamond 2002). Im Bereich der Inhibition ist nach wie vor die Fokussierung der Aufmerksamkeit ein Thema (ebd.). Dies wird wichtig für das Ausblenden von verschiedenen Ablenkungen während der Hausaufgaben, der Anweisungen einer Lehrkraft oder beim Lösen von kniffligen Puzzlen, Denksportaufgaben usw.. Gern üben sich die GrundschülerInnen schon in kreativen Gedankenexperimenten (»Was wäre wenn…«) und nutzen dazu ihre immer besser werdenden Fähigkeiten im Bereich der kognitiven Flexibilität.

In der Jugendzeit scheint alles etwas anders…Gerade wenn die veränderte Lage der Hormone die Jugendlichen vor grundlegende Änderungen stellen. Hiervon ist auch das Gehirn und auch die exekutiven Funktionen betroffen. Diese strukturieren sich im großen Stil um und befinden sich damit im Ausnahmezustand (Boyer 2006, Romer 2010). Gerade diese Zeit ist wiederum eine wichtige Entwicklungszeit der exekutiven Funktionen, in denen sich die Jugendlichen auch essentiellen Fragen zur eigenen Rollenreflexion stellen und sich selbst und andere reflektieren und hinterfragen.

Wie zu Beginn des Abschnittes schon bemerkt verläuft die Entwicklung zeitlich ausgedehnt bis zum Alter von Mitte bzw. Ende zwanzig. Auch nach dieser Entwicklungszeit ist es zeitlebens möglich, die exekutiven Funktionen »auf Trab« zu halten, also diese zu trainieren und zu fördern (z.B. Sternberg 2008). Auch dies ist wichtig, da auch im Erwachsenenleben Änderungen und neue Herausforderungen anstehen, wie z.B. ein neuer Job, eine neue Rolle (Eltern werden), ein Umzug usw..

Entwicklung bei den unter Dreijährigen – ein Überblick
Regulatorische Prozesse können bereits von Anfang an bei Kindern beobachtet werden. Sie schützen sich vor Übererregung, indem sie die Augen schließen, den Blick abwenden oder an ihrem Schnuller oder an ihrer Hand saugen. Von frühester Kindheit an spielen sich nach und nach Routinen (z.B. Tag-Nacht-Rhythmus) ein und können oft mit Hilfe von Bezugspersonen erlernt und befolgt werden (Feldman 2009).

Ein Bereich der Regulation betrifft die der Emotionen. Eigene Emotionen werden im Zusammenspiel mit den Bezugspersonen erfahren, erlebt und im Normalfall gemeinsam reguliert. Dies geschieht in ganz kleinschrittigen Interaktionen (Bernier et al. 2010). Die erwachsene Bezugsperson bietet in der Regel viele Hilfen (sogenanntes Scaffolding) an, indem sie die Gesichtsausdrücke mimisch oder verbal aufgreift oder spiegelt und regulieren hilft (ebd.). Oft geschieht dies auch im frühesten Kindesalter schon über verschiedene Kanäle der Interaktion (Gestik, Mimik, Intonation, sprachlicher Inhalt).

Im Zusammenspiel mit der Bezugsperson wird Aufmerksamkeit gelenkt – oft gegenseitig… und führt zu vertieften und immer länger andauernden »Gesprächen« z.B. über ein Mobile, ein Buch, ein Puzzle. Im Übergang zum Kindergartenalter vollzieht sich in den regulatorischen Prozessen ein charakteristischer Wandel. Diese werden zunehmend zielgerichteter und vom Kind besser selbstständig beherrschbar als in der Zeit zuvor (vgl. Hendry et al. 2016).

ENTWICKLUNG DER EXEKUTIVEN FUNKTIONEN IN EINZELBEREICHEN

Arbeitsgedächtnis
Angenommen wird, dass sich Menschen bereits von Geburt an eine begrenzte Anzahl an Informationen kurzzeitig speichern können. So können ein bis zwei Informationen über eine kurze Zeitspanne von Geburt an im Arbeitsgedächtnis vorhanden sein (Diamond 2002). Dies ist eine wichtige Fähigkeit, um sich neues Wissen anzueignen (z.B. Muster in der Sprache zu erkennen). Eine Manipulation von Informationen ist eine komplexere Leistung des Arbeitsgedächtnisses. Diese entwickelt sich im Verlauf der ersten drei Jahre ebenfalls. Sichtbar ist sie z.B. daran, dass Kinder Veränderungen in der Umwelt nachvollziehen können (z.B. ein Kuscheltier wird in einem anderen Versteck untergebracht) (Diamond u. Doar 1989).

Inhibition
Inhibition ist in verschiedenen Facetten im Kleinstkindalter zu beobachten. Im Bereich der Aufmerksamkeit macht das Kleinstkind einen Wandel durch. Die Aufmerksamkeit der Kinder ist vom ersten Lebenstag an selektiv und in dieser Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auszurichten und aufrecht zu erhalten, machen die Kinder bereits im ersten Lebensjahr enorme Fortschritte (Hendry 2016, S. 4).

Dennoch ist das Aufmerksamkeitssystem noch mehr als in zunehmendem Alter von einem anderen Aufmerksamkeitssystem in Besitz genommen. Dieses wird orientierende oder auch haftende/verhaftete Aufmerksamkeit genannt. Der Name beschreibt dabei seine Funktionsweise gut. Die Aufmerksamkeit wird von neuen Reizen »eingefangen« und »haftet« an Reizen (Geräusche, neue Ereignisse). Auch Erwachsene verfügen über dieses Aufmerksamkeitssystem (hier »orientierende« Aufmerksamkeit genannt). Es wird z.B. bei Sirenengeheule aktiv. Hier orientieren wir uns schnell auf den neuen Reiz, schätzen die Lage ein und bewerten die Situation (muss gehandelt werden?).

Beide Aufmerksamkeitssysteme (orientierendes und zielkorrigiertes) arbeiten so bei Erwachsenen zusammen. Bei Kleinstkindern gibt es mehrere wichtige Entwicklungsphasen, in denen sich die zielkorrigierte Aufmerksamkeit weiterentwickelt: Einer der wichtigen Entwicklungsschübe findet beim Übergang zum dritten Lebensjahr statt. Hier werden Kinder zunehmend fähig, ihre Aufmerksamkeit aktiv und zielkorrigiert zu lenken. Dies bleibt jedoch noch im Kindergartenalter und z.T. im Schulalter eine Entwicklungsaufgabe (sich nicht durch den Sitznachbarn ablenken zu lassen, wenn die Lehrkraft gerade die Hausaufgaben verkündet).

So kann man im Kleinstkindalter beobachten, dass sich Kinder in ihrer Aufmerksamkeit auch vom eigentlichen Ziel ablenken lassen und dieses vergessen.

Leoni (14 Monate) hat am anderen Ende des Raumes einen roten Ball entdeckt. Sie ist noch etwas unsicher auf den Beinen unterwegs. Dennoch ist ihr Ziel klar: Mit dem Ball zu spielen. So erhebt sie sich vom Boden und steuert in den Raum… plötzlich jedoch wird sie von einem anderen Kind, das zum Sofa rennt, umgeworfen. Plumps sitzt sie auf dem Boden… der Handlungsplan (Ball holen) ist vergessen.

Die pädagogische Fachkraft Frau Eberhardt sieht mit Raphael ein Bilderbuch an. Leider sind heute einige KollegInnen krank und die Türe zum Ankunfts-/Garderobenbereich muss geöffnet bleiben, damit sie diesen im Blick hat und ankommende Kinder und Eltern in Empfang nehmen kann. Raphael hat sich das Buch zum Bauernhof rausgesucht. Beide sehen sich die Kühe an und vor allem der Traktor interessiert Raphael. Jedoch hebt er immer wieder den Kopf und sieht zum Garderobenbereich hinüber. Als Sophie im Ankunftsbereich lacht, ist seine Aufmerksamkeit völlig im aktuellen Geschehen verhaftet und weg vom Traktor.

Inhibition im Sinne eines Anhaltens von (automatischem oder impulsivem) Verhalten ist ebenfalls bereits früh zu sehen und essentiell für Kleinstkinder. In Alltagssituationen wird sie sichtbar, wenn eine Bezugsperson von einem sich an eine Steckdose annäherndem Kleinkind energisch ein Einhalten verlangt. Oft kann ein Einhalten tatsächlich noch nicht oder nur eine sehr kurze Zeitspanne befolgt werden, da das Einhalten je nach Alter eine große Anstrengung der sich in der Entwicklung befindlichen Fähigkeit zur Inhibition verlangt. Im Verlauf der ersten drei Lebensjahre tut sich auch hier viel.

An einer Studie lässt sich diese Entwicklung veranschaulichen: So wurden Eltern und ihre Kleinstkinder in der häuslichen Umgebung besucht. Der Versuchsaufbau war folgendermaßen: Die ForscherInnen brachten einen attraktiven, neuen Gegenstand mit in die Wohnung. Sie stellten ihn ab und wiesen die Bezugspersonen dazu an, ihrem Kind zu sagen, dass sie diesen Gegenstand nicht berühren sollten. Dies sollten sie eine Minute lang durchhalten. Bereits Kinder im Alter von acht Monaten waren in 40 % der Fälle dazu in der Lage der Anweisung Folge zu leisten, 78% der Kinder im Alter von durchschnittlich 22 Monaten gelang diese Inhibitionsleistung und mit ungefähr 33 Monaten 90% (Kochanska et al. 1998).

Kognitive Flexibilität
Die Fähigkeit zur kognitiven Flexibilität baut laut Ansicht einiger Entwicklungsexperten (Garon et al. 2008, Diamond 2016) auf Arbeitsgedächtnis und Inhibition auf. So scheint sie sich mit einer Verzögerung zu entwickeln. Dennoch sind schon erste Anzeichen im ersten Lebensjahr zu beobachten.

Stellt man Babys vor die Aufgabe, einen Gegenstand (z.B. ein Duplostein) aus einem Gefäß zu holen, so zeigen sie hier bereits die Fähigkeit umzudenken. Die automatische Reaktion, das Greifen auf direktem Weg, bringt keinen Erfolg. Diese wird inhibiert zu Gunsten neuer Versuche an den Stein zu kommen.

Kleinstkinder zeigen mit wenigen Monaten bereits flexibles Handeln, indem statt auf direktem Weg zu greifen unterschiedliche Strategien zur Problemlösung zeigen. Sie greifen über den Umweg der Öffnung (Diamond 1990). Kognitive Flexibilität zeigen kleine Kinder in beliebten Tätigkeiten, wie dem Sortieren und Bilden von Kategorien. So lieben Kinder es, Gegenstände nach Eigenschaften zu sortieren. Karten werden lange Zeit nach Farben sortiert, irgendwann nach Formen. Autos werden nach Größe, dann nach Farbe sortiert. Warum ist dies eine Leistung der kognitiven Flexibilität?

Kognitive Flexibilität ist insofern gefragt, als dass ein und derselbe Gegenstand unter unterschiedlichen Gesichtspunkten betrachtet wird. Ein blauer Lastwagen bleibt immer gleich, aber in der einen Sortierregel wird die Aufmerksamkeit des Kindes auf die blaue Farbe gelegt. Geht es aber um Größen, wird die Aufmerksamkeit auf diese Eigenschaft im Vergleich zu den anderen Fahrzeugen gelegt und die Eigenschaft »blau« ausgeblendet. Es findet also ein Wahrnehmungswechsel statt (zusammenfassend Garon et al. 2008).

Die Fähigkeit zur kognitiven Flexibilität zeigt sich ebenfalls im »als-ob« Spiel. Wenn ein Bauklotz mit einem »Brummm«« zum fahrenden Auto wird, oder aus Sand ein Kuchen, der gebacken wird. Kinder schaffen es in diesen Momenten, sich von der Realität zu lösen (dem Bauklotz oder Sand). Sie stellen sich andere Dinge aus ihrer Gedankenwelt vor. Dass diese Fähigkeit manchmal noch an ihre Grenzen stößt, lässt sich gut an den »fails« beobachten. Wenn ein Kind beispielsweise tatsächlich den Sand wie einen Kuchen in den Mund nimmt. (Flavell 1986).

Auch im Krippenalltag gibt es Situationen, die von den Kindern kognitive Flexibilität verlangt, z.B. wenn die Lieblingserzieherin krank ist oder ein Wechsel vom Singkreis zum Frühstücken vollzogen wird… Die Kinder müssen sich dann flexibel auf die neuen Anforderungen an ihr Verhalten einstellen.


4. Schnittstelle exekutive Funktion und Montessori-Pädagogik

Der Ansatz der Montessori-Pädagogik und das Konstrukt der exekutiven Funktionen haben gemeinsames Gedankengut und Parallelen. Im Folgenden werden Tätigkeiten aus dem Alltag des Kindes hinsichtlich ihres Zusammenwirkens mit den exekutiven Funktionen beleuchtet.
Im Kontext der internationalen Montessori-Pädagogik gelten diese Tätigkeiten als Vorbereitung für die Übungen des täglichen Lebens der 3-6-Jährigen. Blumen gießen, eine Banane schneiden und Tisch decken sind Tätigkeiten, die im ganz »normalen« Alltag einer Familie oder einer Kippe wiederholt vorkommen. Das Kind sieht seine Eltern und seine Erzieher/innen diese Tätigkeit verrichten, es ist interessiert daran und möchte dies auch können.

Ziel der Montessori-Pädagogik ist es einen Rahmen für das Kind zu schaffen am Leben seines Sozialisationsumfeldes aktiv teilzuhaben. Seine Grundbedürfnisse nach Teilhabe, Tätigkeit und Autonomie werden dadurch befriedigt und Selbstwirksamkeitserlebnisse geschaffen. Neben dieser psychologischen Facette soll nun der Zusammenhang zu den exekutiven Funktionen hergestellt werden. Die folgenden Beispiele werden beleuchtet mit der Fragestellung:
  • In welchen Aspekten muss das Kind sich hier selbstregulieren?
  • Und wie wird zugleich die kindliche Selbstregulationsfähigkeit dadurch gestärkt?


Blumen gießen
Interessiert beobachtet das 2-Jährige Krippenkind seine Erzieherin beim Blumengießen. Es signalisiert, dass es auch gießen möchte. Die Erzieherin stellt ein kleines Gießkännchen bereit und befüllt es mit nur so viel Wasser, wie die zu gießende Blume benötigt.

Im Allgemeinen brauchen neuartige oder präzise Bewegungssteuerungen die Beteiligung der exekutiven Funktionen. Bei dieser Alltagshandlung ist es das vorsichtige Handeln des Kindes, das zunächst einmal durch den Umgang mit der gefüllten Gießkanne gefordert ist (INH). Langsam gehend steuert das Kind die Blume an: es reguliert seine Vorfreude und schafft es langsam/achtsam/behutsam zu gehen (ohne Wasser zu verschütten) – dies ist sowohl eine emotionale als auch und körperlich/koordinative Inhibitionsleistung!

An der Blume angekommen bedarf es dann einer ruhigen Handführung und den »richtig« dosierten Krafteinsatz. Die Handführung muss zielgerichtet und zu gleich ruhig sein, das Schütten gleichmäßig. Das Wasser soll gleichmäßig bei der Blume ankommen und vermieden werden, dass der Vorgang mit zu viel Schwung vonstatten geht. Schüttet das Kind Wasser neben die Blume, merkt und weiß es, dass dies so nicht sein soll. Es wird das Nass wieder wegwischen, den »Fehler beheben«.
En passant lernt es dabei Strategien im Umgang mit Frustration (INH). Es muss gar nicht übermäßig aufgeregt reagieren, denn es lernt von Anbeginn: Geht etwas schief, kann es behoben werden, danach geht es weiter. Es ist selbstwirksam und erkennt den Zusammenhang zwischen Fehlern und Korrekturmöglichkeiten. Das der Montessori Pädagogik inhärente Prinzip der Fehlerkontrolle liefert einen wichtigen Beitrag zur frühzeitigen Entwicklung von Strategien. Ohne dass es eine erwachsene Bezugsperson fragen muss, kann es selbstständig nach einer Handlungsalternative suchen, wird daher also zu eigenem Problemlösen angeregt (AG).

Banane schneiden
Sitzen Erwachsene am Tisch und schneiden Obst oder Gemüse für das Essen und hantieren dabei mit interessanten Objekten wie Scheidebrett, Messer und Schälchen, ist das Kind fasziniert und möchte mithelfen. Es möchte auch schneiden können. Gerade eine Banane zu schneiden bietet sich wunderbar an, denn sie gibt den adäquaten Widerstand, den das Kind mit einem kleinen Messerchen gut bewältigen kann, ohne dabei Gefahr zu laufen sich zu verletzten. Gewöhnlich hat das kleine Kind den komplexen und mehrschrittigen Vorgang des »Banane Schneidens« zuhause oder in der Krippe bereits häufig beobachten können. Ehe es selbst schneidet, zeigt die Krippenfachkraft nochmals, wie es mit dem Messerchen auf dem Brett die Banane schneidet. Jetzt sind die Inhibition und das Arbeitsgedächtnis des Kindes gefordert. Es beobachtet aufmerksam (INH), memoriert die Arbeitsschritte (AG)). Während des aufmerksamen Beobachtens richtet es den Fokus auf das Geschehen. Dabei hilft ihm ein vorbereiteter Arbeitsplatz oder ein mit Bedacht gewählter, der frei von Störreizen ist: Rückzug in die Küche, wo sich weniger Kindern währenddessen aufhalten und ggfs. noch die Türe geschlossen werden kann. Fokussierung schafft eine Arbeitsunterlage und zusätzlich die tätigen Hände. Beides signalisiert dem Kind: Bleibe hier mit deiner Aufmerksamkeit.

Nun wird eine weitere Banane geschält, die Schale zur Seite gelegt und das Kind schneidet selbst. Jetzt ruft es die einzelnen Schritte aus seinem Arbeitsgedächtnis ab (AG). Es dosiert seinen Krafteinsatz, koordiniert den Einsatz des Messerchens und die Schnittgröße der Bananenstücke. Diese Teilschritte erfordern ein hohes Maß an Konzentration und Handlungskontrolle (INH). Auch dann, wenn das Schneiden beendet und die Banane in den gewünschten Stücken ist: Das Kind muss sich inhibieren, es muss den Vorgang des Schneidens beenden (anstelle zum Beispiel die bereits geschnittenen Bananenstücke noch weiter zu zerkleinern oder die leckeren Stücke direkt zu vernaschen). Davon »loszukommen« erleichtert es ihm, wenn es nun in das Saubermachen des Arbeitsplatzes eingebunden wird. Die Bananenschale in den dafür vorgesehenen Müllbehälter werfen, das Brettchen an der Spüle abwaschen etc.. Auch danach sind die exekutiven Funktionen gefordert, insbesondere die kognitive Flexibilität, wenn das Kind von dieser Tätigkeit und deren spezifischen Anforderungen in die nächste wechselt und sein Verhalten der nächsten Tätigkeit anpasst.

Einen weiteren Aspekt, der in der Montessori-Pädagogik ebenso wichtig ist, veranschaulicht die tägliche Situation des Tisch Deckens: die soziale Dimension des Handelns. Eine vorgedruckte Unterlage unterstützt die Arbeitsorganisation des Kindes. Es kann dadurch leicht(er) zuordnen, welches Material an welchen Platz gehört (AG). Sind am Ende die Positionen von Teller, Besteck und Glas nicht korrekt und ist das gesamt Bild nicht ordentlich, kann das Kind eigenständig die Korrektur vornehmen (FLEX). Neben der visuell strukturierenden Hilfe, die sein Arbeitsgedächtnis entlastet und ggf. bei der Korrektur ein flexibles, ebenfalls von außen gestütztes, Verhalten unterstützt (dem sogenannten Scaffolding), erlebt das Kind sich darüber hinaus im sozialen Kontext als Beitragendes.

Es nähert sich dadurch einem wichtigen Meilenstein in seiner kognitiven Entwicklung an, dem Perspektivenwechsel (FLEX). Zu einem gelingenden Ganzen beitragen zu können und anderen eine Freude machen sind Erlebnisse, die das Kind dahin führen, dass es später, im Kindergarten- und Grundschulalter gedanklich zwischen eigener Perspektive und der der anderen wechseln und sich in andere hineinversetzen kann. Gut entwickelte exekutive Funktionen sind eine wichtige Voraussetzung dafür.

Weitere Anregungen für die Integration alltäglicher Aktivitäten sind u.a. zu finden bei:
  • Montanaro, S. (2014): Das Kind verstehen
  • Lillard, P.P; Lillard Jessen, L. (2012): Montessori von Anfang an
  • Davies, S. (2020): Montessori für Eltern - Wie Kleinkinder achtsam und selbstständig aufwachsen


Fazit

In den Beispielen zu den Tätigkeiten für die späteren Übungen des täglichen Lebens sind einige Elemente enthalten, die sich in der Forschung zu exekutiven Funktionen als Prinzipien der Förderung abgezeichnet haben:
  • …Wiederholung ist, wie so o", der Schlüssel zum Erfolg: dann können aus Überwachungen der Bewegung (z.B. beim Schütten von Wasser) Automatismen werden und man ist bereit für etwas Neues.
  • …immer einen Schritt voran: exekutive Funktionen brauchen immer ein bisschen Herausforderung um sich zu verbessern.
  • …Übung der Teilfähigkeiten von Arbeitsgedächtnis, Inhibition und kognitiver Flexibilität im Alltag und in soziale Alltagstätigkeiten eingebunden sind wichtig (keine isolierten Trainingsstunden), damit sich diese Fähigkeiten gut auf weitere Situationen übertragen lassen.
  • …es braucht keine teuren Materialien zur Förderung.
  • …No stress please! - Stress vermeiden und positive Gefühle fördern (z.B. durch eigene Erfolgserlebnisse beim Tun) sind für exekutive Funktionen nochmals bedeutsamer als fürs Lernen im Allgemeinen. Stress blockiert die exekutiven Funktionen.
  • …eine eigene Fehlerkontrolle schafft Selbstwirksamkeit und Kreativität bei eigenen Lösungsversuchen. (vgl. Arnsten 2009, Diamond u. Lee 2011)
 
Was Montessori durch ihre genauen Beobachtungen der Kinder und ihrer Entwicklung in ihrem Ansatz entwickelt hat, stimmt auch mit wissenschaftlichen »Beobachtungen« überein. Die Förderung der exekutiven Funktionen von Beginn an hat, aufgrund der hohen Relevanz in verschiedenen Lebensbereichen und über die Lebensspanne hinweg, seinen Sinn. Dazu kann der Schatz an professionellem Handlungswissen und ein gutes pädagogisches Konzept gewinnbringend mit wissenschaftlichen Erkenntnissen verknüpft werden.



LITERATURHINWEISE

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Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
 DAS KIND 2020/Heft 66-67, S. 83-98




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