Exekutive Funktionen in der Montessori-Pädagogik

Inhaltsverzeichnis

  1. 2. Bedeutung der exekutiven Funktionen für die Entwicklung des Lernens des Kindes
  2. 3. Entwicklung der exekutiven Funktionen in den ersten drei Lebensjahren
  3. 4. Schnittstelle exekutive Funktion und Montessori-Pädagogik
  4. Fazit
  5. Literatur

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4. Schnittstelle exekutive Funktion und Montessori-PädagogikMontessori-Pädagogik|||||Montessoripädagogik wurde von Maria Montessori ab 1907 als pädagogisches Bildungskonzept vom Kleinkind bis zum jungen Heranwachsenden entwickelt. Leitspruch der Pädagogik ist "Hilf mir es selbst zu tun" und arbeitet mit offenem Unterricht und freien Verfügungsphasen, in dem der Lehrende dazu angehalten ist die Lernprozesse angemessen anzuregen. 

Der Ansatz der Montessori-Pädagogik und das Konstrukt der exekutiven Funktionen haben gemeinsames Gedankengut und Parallelen. Im Folgenden werden Tätigkeiten aus dem Alltag des Kindes hinsichtlich ihres Zusammenwirkens mit den exekutiven Funktionen beleuchtet.
Im Kontext der internationalen Montessori-Pädagogik gelten diese Tätigkeiten als Vorbereitung für die Übungen des täglichen Lebens der 3-6-Jährigen. Blumen gießen, eine Banane schneiden und Tisch decken sind Tätigkeiten, die im ganz »normalen« Alltag einer Familie oder einer Kippe wiederholt vorkommen. Das Kind sieht seine Eltern und seine Erzieher/innen diese Tätigkeit verrichten, es ist interessiert daran und möchte dies auch können.

Ziel der Montessori-Pädagogik ist es einen Rahmen für das Kind zu schaffen am Leben seines Sozialisationsumfeldes aktiv teilzuhaben. Seine Grundbedürfnisse nach Teilhabe, Tätigkeit und Autonomie werden dadurch befriedigt und Selbstwirksamkeitserlebnisse geschaffen. Neben dieser psychologischen Facette soll nun der Zusammenhang zu den exekutiven Funktionen hergestellt werden. Die folgenden Beispiele werden beleuchtet mit der Fragestellung:
  • In welchen Aspekten muss das Kind sich hier selbstregulieren?
  • Und wie wird zugleich die kindliche Selbstregulationsfähigkeit dadurch gestärkt?


Blumen gießen
Interessiert beobachtet das 2-Jährige Krippenkind seine Erzieherin beim Blumengießen. Es signalisiert, dass es auch gießen möchte. Die Erzieherin stellt ein kleines Gießkännchen bereit und befüllt es mit nur so viel Wasser, wie die zu gießende Blume benötigt.

Im Allgemeinen brauchen neuartige oder präzise Bewegungssteuerungen die Beteiligung der exekutiven Funktionen. Bei dieser Alltagshandlung ist es das vorsichtige Handeln des Kindes, das zunächst einmal durch den Umgang mit der gefüllten Gießkanne gefordert ist (INH). Langsam gehend steuert das Kind die Blume an: es reguliert seine Vorfreude und schafft es langsam/achtsam/behutsam zu gehen (ohne Wasser zu verschütten) – dies ist sowohl eine emotionale als auch und körperlich/koordinative Inhibitionsleistung!

An der Blume angekommen bedarf es dann einer ruhigen Handführung und den »richtig« dosierten Krafteinsatz. Die Handführung muss zielgerichtet und zu gleich ruhig sein, das Schütten gleichmäßig. Das Wasser soll gleichmäßig bei der Blume ankommen und vermieden werden, dass der Vorgang mit zu viel Schwung vonstatten geht. Schüttet das Kind Wasser neben die Blume, merkt und weiß es, dass dies so nicht sein soll. Es wird das Nass wieder wegwischen, den »Fehler beheben«.
En passant lernt es dabei Strategien im Umgang mit Frustration (INH). Es muss gar nicht übermäßig aufgeregt reagieren, denn es lernt von Anbeginn: Geht etwas schief, kann es behoben werden, danach geht es weiter. Es ist selbstwirksam und erkennt den Zusammenhang zwischen Fehlern und Korrekturmöglichkeiten. Das der Montessori Pädagogik inhärente Prinzip der Fehlerkontrolle liefert einen wichtigen Beitrag zur frühzeitigen Entwicklung von Strategien. Ohne dass es eine erwachsene Bezugsperson fragen muss, kann es selbstständig nach einer Handlungsalternative suchen, wird daher also zu eigenem Problemlösen angeregt (AG).

Banane schneiden
Sitzen Erwachsene am Tisch und schneiden Obst oder Gemüse für das Essen und hantieren dabei mit interessanten Objekten wie Scheidebrett, Messer und Schälchen, ist das Kind fasziniert und möchte mithelfen. Es möchte auch schneiden können. Gerade eine Banane zu schneiden bietet sich wunderbar an, denn sie gibt den adäquaten Widerstand, den das Kind mit einem kleinen Messerchen gut bewältigen kann, ohne dabei Gefahr zu laufen sich zu verletzten. Gewöhnlich hat das kleine Kind den komplexen und mehrschrittigen Vorgang des »Banane Schneidens« zuhause oder in der Krippe bereits häufig beobachten können. Ehe es selbst schneidet, zeigt die Krippenfachkraft nochmals, wie es mit dem Messerchen auf dem Brett die Banane schneidet. Jetzt sind die Inhibition und das Arbeitsgedächtnis des Kindes gefordert. Es beobachtet aufmerksam (INH), memoriert die Arbeitsschritte (AG)). Während des aufmerksamen Beobachtens richtet es den Fokus auf das Geschehen. Dabei hilft ihm ein vorbereiteter Arbeitsplatz oder ein mit Bedacht gewählter, der frei von Störreizen ist: Rückzug in die Küche, wo sich weniger Kindern währenddessen aufhalten und ggfs. noch die Türe geschlossen werden kann. Fokussierung schafft eine Arbeitsunterlage und zusätzlich die tätigen Hände. Beides signalisiert dem Kind: Bleibe hier mit deiner Aufmerksamkeit.

Nun wird eine weitere Banane geschält, die Schale zur Seite gelegt und das Kind schneidet selbst. Jetzt ruft es die einzelnen Schritte aus seinem Arbeitsgedächtnis ab (AG). Es dosiert seinen Krafteinsatz, koordiniert den Einsatz des Messerchens und die Schnittgröße der Bananenstücke. Diese Teilschritte erfordern ein hohes Maß an Konzentration und Handlungskontrolle (INH). Auch dann, wenn das Schneiden beendet und die Banane in den gewünschten Stücken ist: Das Kind muss sich inhibieren, es muss den Vorgang des Schneidens beenden (anstelle zum Beispiel die bereits geschnittenen Bananenstücke noch weiter zu zerkleinern oder die leckeren Stücke direkt zu vernaschen). Davon »loszukommen« erleichtert es ihm, wenn es nun in das Saubermachen des Arbeitsplatzes eingebunden wird. Die Bananenschale in den dafür vorgesehenen Müllbehälter werfen, das Brettchen an der Spüle abwaschen etc.. Auch danach sind die exekutiven Funktionen gefordert, insbesondere die kognitive Flexibilität, wenn das Kind von dieser Tätigkeit und deren spezifischen Anforderungen in die nächste wechselt und sein Verhalten der nächsten Tätigkeit anpasst.

Einen weiteren Aspekt, der in der Montessori-Pädagogik ebenso wichtig ist, veranschaulicht die tägliche Situation des Tisch Deckens: die soziale Dimension des Handelns. Eine vorgedruckte Unterlage unterstützt die Arbeitsorganisation des Kindes. Es kann dadurch leicht(er) zuordnen, welches Material an welchen Platz gehört (AG). Sind am Ende die Positionen von Teller, Besteck und Glas nicht korrekt und ist das gesamt Bild nicht ordentlich, kann das Kind eigenständig die Korrektur vornehmen (FLEX). Neben der visuell strukturierenden Hilfe, die sein Arbeitsgedächtnis entlastet und ggf. bei der Korrektur ein flexibles, ebenfalls von außen gestütztes, Verhalten unterstützt (dem sogenannten Scaffolding), erlebt das Kind sich darüber hinaus im sozialen Kontext als Beitragendes.

Es nähert sich dadurch einem wichtigen Meilenstein in seiner kognitiven Entwicklung an, dem Perspektivenwechsel (FLEX). Zu einem gelingenden Ganzen beitragen zu können und anderen eine Freude machen sind Erlebnisse, die das Kind dahin führen, dass es später, im Kindergarten- und Grundschulalter gedanklich zwischen eigener Perspektive und der der anderen wechseln und sich in andere hineinversetzen kann. Gut entwickelte exekutive Funktionen sind eine wichtige Voraussetzung dafür.

Weitere Anregungen für die Integration alltäglicher Aktivitäten sind u.a. zu finden bei:
  • Montanaro, S. (2014): Das Kind verstehen
  • Lillard, P.P; Lillard Jessen, L. (2012): Montessori von Anfang an
  • Davies, S. (2020): Montessori für Eltern - Wie Kleinkinder achtsam und selbstständig aufwachsen


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