Erfahrungen und erste politische Fragen

Überlegungen zur Bedeutung der frühen Kindheit für die Bildung eines politischen Denkens

Inhaltsverzeichnis

  1. Politisches Denken in Früher Kindheit - ein herausforderndes Thema
  2. Partizipation als gemeinsame Gestaltung einer demokratischen Lebensform
  3. Partizipation als geteilte Erfahrung von Lebenssituationen
  4. Lebenssituationen der Kindheit in der Erinnerung
  5. Ausblickende Schlussfolgerungen
  6. Literaturverzeichnis

Gesamten Beitrag zeigen


Der folgende Beitrag ist die überarbeitete Fassung eines Vortrages, den der Autor beim Online-Fachtag "Bedeutung der frühen Kindheit für die Bildung eines demokratischen Verständnisses" gehalten hat. Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit der Stiftung Adam von Trott, der Stadt Göttingen, der Georg-August-Universität Göttingen sowie der Regionalen Transferstelle SüdOst des nifbe konzipiert und im Frühjahr 2021 durchgeführt. Der Vortrag entstand aus Vorüberlegungen und Impulsen mit den Studierenden der TH Köln Janina Becker, Marie Haasken, Leonard Rapp und Monika Stupin.




Politisches Denken in früher Kindheit - ein herausforderndes Thema

Das Thema dieser Tagung, „Die Bedeutung der frühen Kindheit für die Bildung eines politischen Bewusstseins“ fordert mich heraus. Es ist daran nichts Selbstverständliches. Was, wird man sich geläufig fragen, hat die Erfahrung kleiner Kinder mit einem politischen Verständnis zu tun? Können Kinder im Alter von, sagen wir zumindest, drei bis sieben Jahren politische Prozesse begreifen oder politische Fragen artikulieren? (vgl. Conell, Moll und Ramsey in Fried und Büttner 2004, S. 141-182) Oder lernen Kinder nicht erst allmählich ein politisches Verständnis, indem sie z.B. zur Demokratie erzogen werden?

Als Erwachsene und als Heranwachsende befassen wir uns im Alltag vielfach, mal mehr, mal weniger informiert oder reflektiert, mit politischen Fragen und Diskussionen. Gleichzeitig haben wir alle eine eigene Kindheitsgeschichte oder auch eine Vorgeschichte unserer Familie, die eigene politische Haltungen, Denk- und Handlungsweisen mitbestimmt haben könnte. Man denke an Kindheiten im dritten Reich oder zweiten Weltkrieg, Kindheiten mit Flucht- und Migrationserfahrungen, Kindheiten im Verlauf politischer Systemwechsel, wie dem der DDR/BRD oder der osteuropäischen Staaten, etc.

Von dem amerikanischen Philosophen und Pädagogen John Dewey stammt der häufig zitierte Satz „Die Demokratie ist mehr als eine Regierungsform; sie ist in erster Linie eine Form des Zusammenlebens, der gemeinsam und miteinander geteilten Erfahrung“ (Dewey 1964, S. 121). In diesem Zitat taucht das Wort Erfahrung auf. Erfahrung meint für Dewey mehr als Erkennen oder Bewusstsein. Erfahrung bringt zum Ausdruck, dass die Welt und das, was einen bestimmt, zunächst unmittelbar erfahren werden, oft ohne, dass darüber nachgedacht wird. Wenn eine Irritation auftritt, wenn etwas Unerwartetes oder Irritierendes einbricht in den Alltag, so Dewey, entsteht ein Befragen dieser eigenen Welt – eine Art Reflexion oder in unserem Fall ein politisches Fragen (vgl. Jörke 2007, 88 f.).

Deweys Satz kann man zweifach lesen: Einmal in der Weise, dass „Demokratie im Kleinen entwickelt wird“ und zwar über die Interaktion von Menschen, die Demokratie als eine soziale, eben demokratische Lebensform erfahren und zur Gewohnheit werden lassen. Sie orientieren sich dabei notwendig an gemeinsamen Werten, wie z.B. der Achtung von Minderheiten, der Anerkennung von Menschen gleich welcher Hautfarbe, Religion, Kultur, dem Anspruch, dass jede Perspektive Gehör hat, etc. Zum anderen könnte man Deweys Zitat im Sinne einer geteilten Erfahrung von ganz unterschiedlichen Lebenssituationen von Menschen lesen, über die sie miteinander in Interaktion treten; das heißt der Auseinandersetzung mit ihrer jeweiligen persönlichen wie sozio-kulturellen Geschichte.

In meinem Vortrag möchte ich mich mit Erfahrungen im Sinne geteilter demokratischer Lebensformen und im Sinne geteilter Erfahrungen von Lebenssituationen in der frühen Kindheit befassen. Damit geht es zum einen darum, sich Konzepte anzuschauen, in denen es um Partizipation und Demokratie geht, zum anderen um die Frage, wie Kinder Politisches erfahren.

Nun ist es nicht einfach, Erfahrungen demokratischer Lebensformen oder geteilter Lebenssituationen gerade mit der frühen Kindheit zu verknüpfen. Zum einen bleiben Beobachtungen darauf beschränkt, sich Kindern in ihrer jetzigen Situation anzunähern. Wie kann hier eine politische Dimension aufgespürt werden? Zum anderen lassen Erzählungen über Erinnerungen durch Erwachsene zwar zu, Verknüpfungen zwischen Erfahrungen aus der Kindheit und einem späteren politischen Nachdenken zu erfragen. Doch dieser Umgang mit eigenen Erinnerungen oder den Erzählungen von anderen ist, denken wir an die frühe Kindheit, begrenzt: Nicht, dass wir uns gar keiner eigenen Erfahrungen in der frühen Kindheit erinnern könnten, dass sicherlich – wenn auch weniger als in späteren Lebensphasen. Aber lassen sich diese Erfahrungen als politische beschreiben, sprich gab es solche, in denen sich uns als Kind schon unsere historische, nicht nur ganz persönliche Situation vergegenwärtigte?

Die Fragen werden sich in diesem Vortrag nicht beantworten lassen, aber Anhaltspunkte sollen gesucht werden. Deshalb geht es im Folgenden nicht nur um die Kinder, mit denen Fachkräfte im pädagogischen Alltag zu tun haben, sondern auch um die Kindheit, die Menschen einmal hatten und an die sie sich erinnern.

Die Frage, die mich beschäftigt ist: Wie entsteht eigentlich so etwas wie ein politisches Fragen und Erleben oder auch eine politische Handlungsfähigkeit?

Ich gehe dabei in folgenden Schritten vor:
  1. Partizipation als gemeinsame Gestaltung einer demokratischen Lebensform: Wo zeigen sich Konzepte in der frühkindlichen Bildung, die eine Erfahrung oder Ausbildung einer Gewohnheit von Partizipation und Demokratie realisieren wollen?
  2. Partizipation als geteilte Erfahrung von Lebenssituationen: Wie macht der klassische Situationsansatz die kindliche Erfahrung ihrer Lebenssituation zum Thema?
  3. Lebenssituationen der Kindheit in der Erinnerung: Wo könnten sich solche Erfahrungen in Erzählungen von Menschen über ihre Kindheit äußern?
  4. Ausblickende Schlussfolgerungen: Welche Anknüpfungspunkte könnten sich daraus für einen pädagogischen Alltag mit Kindern ergeben?



Partizipation als gemeinsame Gestaltung einer demokratischen Lebensform

Frühpädagogische Konzepte

Demokratie ist eine Grundlage des SGB VIII, in dem es heißt, dass das Ziel der Kinder- und Jugendhilfe die „Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ sei (SGB VIII, § 1,1, vgl. Richter et al. 2017, S. 18). Dieses „zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ klingt im ersten Moment wie etwas Zukünftiges. Mit diesem „zu“ könnte es um den erwachsenen und demokratiefähigen Bürger gehen, zu dem das Kind werden soll, nicht um die Partizipation des kleinen Kindes, das ja gesetzlich noch nicht mündig ist.

In der Pädagogik der frühen Kindheit ist Demokratie dagegen ein Thema, in dem es seit langem nicht nur um den späteren Erwachsenen, sondern um das Kind in seiner jetzigen Lebenssituation geht. Partizipation wird hier z.B. so verstanden, dass „Entscheidungen, die das eigene Leben und das Leben der Gemeinschaft betreffen, geteilt und gemeinsam Lösungen für Probleme (dieses Zusammenlebens) gesucht werden“ (Hansen et al. 2011, S. 19): U.a. zwei klassische Argumentationen waren für diesen Ansatz von besonderer Bedeutung.

Der polnische Arzt und Pädagoge Janusz Korczak sagte schon 1918, dass Kinder „mit den Pflichten des Menschen von morgen“ belastet würden, ohne ihnen „die Rechte von heute zuzugestehen“ (vgl. Korczak 8.Aufl. 1987, S. 57). Korczak kritisierte, wie Erwachsene Kinder in ihrer Erfahrungswelt ständig an ihren Maßstäben messen und sich Kindern moralisch überlegen präsentieren, obwohl die „Erwachsenen die moralischen Ansprüche, die sie an die Kinder richten, in ihrem eigenen Leben nur unvollkommen oder gar nicht verwirklichen“ (Liebel und Markowska-Manista 2018, o.S.). Darum ist für ihn von zentraler Bedeutung, dass Kinder gleiche moralische Rechte auf Zuwendung, Achtung und Mitbestimmung in ihrem Lebensalltag gewinnen, wie Erwachsene.

Der französische Pädagoge Celestin Freinet sucht in den 1920er Jahren danach, „Kindern das Wort zu geben“. Dieser Satz lässt sich so lesen, dass die erwachsene Deutungsmacht gegenüber Kindern reduziert werden soll: „Deutungsmacht üben Erwachsene dann aus, wenn sie die eigenen Erklärungen, Bewertungen, Wertvorstellungen und Interpretationen über diejenigen der Kinder stellen, wenn sie selbstverständlich die eigene Sichtweise für die richtigere, bessere und wahre halten, wenn sie den Kindern ihre Sicht der Dinge aufdrücken“ (vgl. Henneberg et al. 2004, S. 31). Der freie Ausdruck dessen, was Kinder bewegt und empfinden, was sie lachen und weinen lässt und was sie in Worte und andere Ausdrucksformen zu fassen versuchen, bildet den zentralen Gedanken in Freinets Partizipationsansatz (vgl. Freinet, Elise und Hans Jörg 1991, S. 27; Henneberg et al. 2008, S. 102; vgl. Vogt 2018, o.S.). Wie können Kinder zu ihrer Sprache kommen?

Die Einführung in Demokratiebildung und Partizipation von Rüdiger Hansen, Raingard Knauer und Benedikt Sturzenhecker (2011), die sich mit mehreren empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden.en Forschungen verknüpft (Sturzenhecker et al. 2010; Bartosch und Knauer 2014; Richter et al. 2017), baut auf diesen Grundgedanken auf (vgl. u.a. Richter et al. 2017, S. 15). Anknüpfend an Dewey wird Demokratie hier als Erfahrung gemeinsamen Lebens, sprich als eine zum Alltag werdende Lebensform verstanden. Demokratie soll demnach nicht nur vermittelt, sondern mit Kindern gelebt werden (Richter et al. 2017, S. 16). Das bedeutet zunächst, dass Kindern die Fähigkeit zur Partizipation zugesprochen (Richter et al. 2017, S. 124–152) und konkrete demokratische Strukturen in Kindertageseinrichtungen etabliert werden.

Unterschieden werden in dem auch als „Kinderstube der Demokratie“ bezeichneten Ansatz repräsentative, offene und projektorientierte Formen der Beteiligung. In repräsentativen Formen, wie einem Kinderparlament, entscheiden Delegierte stellvertretend für alle Kinder. Offene Formen sind z.B. Kinderkonferenzen, in denen sich alle Kinder einer Gruppe treffen oder Kinderversammlungen einer ganzen Einrichtung. Projektorientierte Formen beziehen sich auf eine Gruppe, die sich einem bestimmten Projekt besonders widmet, z.B. der Gestaltung des Außengeländes (vgl. Hansen et al. 2011, S. 60–68). Zu den jeweiligen Gremien gehören Rechte, so Mitbestimmungsrechte oder Rechte zur Entwicklung von Regeln und zum Umgang mit ihnen. Die Gremien haben Verfahren, z.B. wie bei Dissens zu verfahren ist oder wie Beiträge von Kindern oder Äußerungen eigener Betroffenheit anerkannt werden (Richter et al. 2017, 98 ff.). Eine Grundlage für diese Demokratiebildung sucht der Ansatz in der Ausarbeitung einer Kita-Verfassung, mit der den Kindern die damit verbundenen Rechte verbindlich zugesprochen werden sollen, sodass die Umsetzung nicht der willkürlichen Entscheidungsmacht der Erwachsenen unterstellt ist (Hansen et al. 2011, 150 ff.).

Klingt all dies doch sehr formell, so gehen die beteiligten Wissenschaftler*innen und Pädagog*innen in besonderer Weise der Frage nach, wie Demokratie und Partizipation nicht allein durch solche Gremien stattfindet, sondern eine grundlegende partizipative „dialogische Grundhaltung“ (Hansen et al. 2011, S. 247; vgl. Richter et al. 2017, S. 171–174) und Interaktionsform mit Kindern darstellt. So arbeiten sie Formen heraus, wie ein bewusstes Zuhören, eine sensible Moderation, das Absehen von typischen Suggestivfragen und stattdessen eine öffnende „Kunst des Fragens“ sowie die Offenheit für auch im ersten Moment abstrus erscheinende Antworten von Kindern (Hansen et al. 2011, S. 249–262). Die partizipative Interaktion beginne nicht erst in der Kinderkonferenz, sondern z.B. schon im Moment des Wickelns eines Babys auf dem Wickeltisch: Der Erwachsene reagiert auf die Signale des Säuglings, leitet jeden seiner Handlungsschritte ein und wartet die Reaktion des Säuglings ab. Er entwickelt für diesen Ansatz bereits hier eine partizipative Beziehung, in der das Kind aktiv sein und mitgestalten kann. Ähnlich ist es bei einer anderen Alltagssituation: Eine Erzieherin hat den Eindruck, dass ein einjähriges Kind aus dem Sandkasten möchte. Aber es nimmt das Mädchen nicht einfach heraus, sondern wartet seine Signale ab, fragt, was es tun möchte und sucht einen ruhigen, nonverbalen Dialog mit ihm (Hansen et al. 2011, 74 f.).

Der Fokus einer Demokratieerziehung wie in diesem Ansatz liegt in der gemeinsamen Gestaltung des konkreten, alltäglichen Lebens der Kinder. Anhand einer Vielzahl von Beispielen wird nachgezeichnet, wie Regeln, Räume, Alltagssituationen (z.B. Essen, Körperpflege, Rausgehen, Aufräume, Konflikte im Alltag) als geteilte Lebensform gemeinsam betrachtet und „demokratisch“ entschieden werden. Diese Partizipation kann auch über die Kita hinausgehen, dann nämlich, wenn eine Zusammenarbeit mit Kindern bei Planungen der Kommune entsteht, indem Kinder mit den Fachkräften zusammen in der Kommune sichtbar werden (z.B. wenn es um die Planung von „Spielräumen“ auf der Straße oder auf Spielplätzen geht, vgl. Hansen et al. 2011, S. 231–245).
Ich nenne diesen Ansatz zunächst einen strukturellen Ansatz. Im Mittelpunkt stehen die Gestaltung und Erfahrung einer demokratischen und partizipativen Lebensform. Das heißt es geht darum, wie Demokratie zu einer Gewohnheit und zu einer ganz selbstverständlichen Struktur der Erfahrung werden kann, das eigene Leben demokratisch und partizipativ zu gestalten.  



Partizipation als geteilte Erfahrung von Lebenssituationen

Das Politische des Situationsansatzes

Nun haben Demokratie und Partizipation auch eine inhaltliche Seite, die mit der Lebenssituation von Kindern über die Kita hinaus zu tun hat. Damit ist gemeint, dass es in Demokratie um etwas geht, wie z.B. Gewalt oder Gewaltlosigkeit, Unterdrückung oder Freiheit, soziale Ungleichheit oder Gleichheit, das Verhältnis von Menschen diverser Religionen, Kulturen, geschlechtlicher Orientierungen, um Ausgrenzung oder Diskriminierung, Exklusion oder Inklusion oder um Umweltzerstörung oder ein verantwortliches Verhältnis zur Natur. All das sind beispielhafte Themen und Konflikte, die das Leben von Kindern unmittelbar betreffen.

Ein exemplarisches Konzept bildet hier der in Kitas seit langem bekannte Situationsansatz. Als er nämlich Anfang der siebziger Jahre entstand, hatte dieser Ansatz einen politisch-aufklärerischen Anspruch. Denjenigen, die diesen Ansatz entwickelten, ging es darum, Kinder in ihrer Lebenssituation ernst zu nehmen und Kitas nicht als Schonräume zu verstehen. Gesehen wurde, wie viele gesellschaftliche und politische Konflikte unmittelbar in den Alltag von Kitas eingreifen.

Ein passendes Beispiel ist die Geschichte einer Gartenhütte, von der Hedi Colberg-Schrader und Marianne Krug erzählen (Colberg-Schrader et al. 1991, S. 26–44). In dem Beispiel erhält eine Kita eine Hütte für den Garten, wie das öfters in Städten und Gemeinden passiert. Die Sparkasse hat sie gespendet. Die Kinder spielen mit großer Lust in der Hütte, doch nach einigen Tagen werden immer mehr Kinder krank, sie klagen über Kopfschmerzen oder Mattigkeit. Eltern und Fachkräfte rätseln, bis der Verdacht auf die Hütte fällt. Wie werden solche unerwartet auftretenden Probleme in Kitas häufig gelöst? Oft, so lässt sich behaupten, wird der Schaden von den Erwachsenen für die Kinder geregelt, sprich zwischen Eltern, Kitaleitung, Spender und Kommune wird eine Lösung gesucht. Der Situationsansatz dagegen hat sich zu seiner Entstehungszeit das Ziel gesetzt, Kinder in ihrem jetzigen Leben „autonomautonom|||||Autonomes Handeln beinhaltet den Zustand der Selbstständigkeit, Unabhängigkeit Selbstbestimmung, Selbstverwaltung oder Entscheidungsfreiheit.er“ und handlungsfähiger zu machen (vgl. Zimmer 1973, 12; 28). Das heißt, dass Kinder die Chance haben sollen, zu verstehen was mit ihnen passiert. Sie sollen an der Lösung von Ereignissen, die sie unmittelbar betreffen, partizipativ beteiligt werden. Die Kinder in der Erzählung Colberg-Schraders und Krugs waren nämlich, das ist die Einsicht an dieser beispielhaften Geschichte, ohnehin längst mit dem Thema Hütte befasst. Sie machten phantasievolle Rollenspiele rund um das Thema „Gift“. Die Erziehenden entwickelten deshalb eine partizipative Pädagogik, sie klärten die Kinder offen, ganz im Sinne eins klassischen Verständnisses von Bildung als kritische Aufklärung, über die Situation auf. Sie überlegten mit den Kindern, was mit der Hütte passieren soll, stellten den Kindern Sach- und Bilderbücher zu Umwelt und Umweltverschmutzung zur Verfügung oder setzten mit ihnen einen Brief an den Bürgermeister auf, weil die Kinder die Hütte vermissten.

In einem so verstandenen Situationsansatz wird somit die geteilte Erfahrung einer Lebenssituation über die Kita hinaus bedeutsam, denn die Hütte stellt in Anknüpfung an den brasilianischen Pädagogen Paolo Freire eine Schlüsselsituation dar: Sie steht beispielhaft für die Lebenssituation von Kindern (vgl. Bambach und Gerstacker 1987, 154 ff.; 161). In diesem Fall zeigt die Schlüsselsituation, wie das aktuelle Leben von Kindern, wie auch ihre Zukunft, immer mehr von Umweltzerstörung betroffen sind. Der Situationsansatz hat also von seiner Entstehung her einen explizit politischen und inhaltlichen Anspruch. Es geht nicht um irgendwelche Situationen, sondern um das, was die Lebenssituation von Kindern „fremdbestimmt“, so schreibt Jürgen Zimmer Anfang der 1970er Jahre (vgl. 1973, S. 28). Bestimmt sind Kinder in ihrer alltäglichen Erfahrung demnach immer von gesellschaftlich, technisch, ökonomisch und politisch bestimmten Prozessen, wie z.B. von Umweltzerstörung, vom Herausdrängen von Kindern aus den öffentlichen Räumen, den Straßen in der Großstadt, oder, wie aktuell in Veröffentlichungen des Berliner Instituts für den Situationsansatz thematisiert, von Armut (vgl. ex. Koné 2019).

Fasst man zusammen, so benennen die exemplarischen frühpädagogischen Ansätze zwei Ansprüche:
  • Erstens bringen sie den Anspruch zum Ausdruck, dass in Kindertageseinrichtungen Demokratie als eine Lebensform mit Kindern praktiziert wird, einmal weil Kinder ein Recht auf Mitbestimmung und moralische Gleichstellung mit Erwachsenen zugesprochen wird, zum anderen weil diese Lebensform die Ausbildung eines zur Gewohnheit werdenden partizipativen Alltags und damit Demokratiebildung bedeutet.
  • Zweitens benennen sie den Anspruch, Kindern an der Beschreibung und Bewertung ihrer eigenen Lebenssituation zu beteiligen, um sie handlungsfähiger werden zu lassen. Kinder werden in ihrer Erfahrung gesellschaftlich und politisch bestimmter Entwicklungen ernst genommen, auch wenn sie diese in ihren Hintergründen zunächst nicht verstehen.

Geht man nun aber dem nach, was insbesondere der Situationsansatz thematisiert, so stellt sich nicht nur die Frage, was Kinder von ihrer Lebenssituation erfahren, sondern auch wie sie es erfahren.



Lebenssituationen der Kindheit in der Erinnerung

Erzählungen von Menschen über ihre Kindheitserfahrungen

Mit dieser Frage möchte ich mich im dritten Teil meines Vortrags befassen: In welcher Weise lässt sich ein Zugang dazu finden, wie Kinder politische oder historisch bestimmte Situationen erfahren?
Hierfür soll im Folgenden über die typischen Kita-Konzepte hinausgegangen und ein ganz anderer Zugang gesucht werden, nämlich durch Erinnerungen an die eigene Kindheit (vgl. Stieve 2019).
Anknüpfen möchte ich hier an eine Bildungstheorie, die der Erziehungswissenschaftler Hans-Christoph Koller entwickelt hat. Die Erfahrung der eigenen politisch bestimmten Lebenssituation lässt sich nämlich grundlegend als Bildungsprozess verstehen, denn Bildung hat immer eine politische Dimension. Für Koller meint Bildung nicht irgendeine selbsttätige Aneignung von Selbst- und Weltbildern, sondern die Veränderung eines Menschen aufgrund von Krisenerfahrungen. Bildung beschreibe eine Veränderung des Selbst- und Weltverhältnisses von Menschen, das sich dann vollziehen könne, „wenn Menschen mit neuen Problemlagen in ihrem Leben konfrontiert werden, für deren Bewältigung die Figuren ihres bisherigen Welt- und Selbstverhältnisses nicht mehr ausreichen“ (Koller 2012, 15 f.; vgl. Kokemohr 2007).

Kindheitserfahrungen ihrer Lebenssituation im Sinne politisch relevanter Bildungsprozesse könnten, so der Gedanke im Folgenden, mit solchen Krisen zu tun haben. Koller geht davon aus (vgl. im Folgenden Koller 2012, 17 f.),
  • dass es immer schon Strukturen gibt, in denen wir leben, und die unsere Gewohnheiten ausmachen, wie Wahrnehmungs- und Handlungsweisen, die Kinder als völlig selbstverständliche ihrer Lebensumgebung übernehmen;
  • dass Anlässe auftreten, in denen Menschen, für uns hier Kinder, eine überraschende Erfahrung machen, eine Erwartung z.B. plötzlich nicht bestätigt wird oder etwas Fremdes alle bisherigen Gewohnheiten in ein anderes Licht rückt;
  • dass schließlich in diesen Momenten etwas in Frage gestellt werden und Neues entstehen kann. Das Bisherige z.B. wird neu wahrgenommen, in einer bisher nicht möglichen Weise betrachtet. Es bilden sich am Rande dessen, was bisher selbstverständlich schien, alternative Wahrnehmungs- und Handlungsweisen.

Was könnten diese Bildungsgedanken mit früher Kindheit zu tun haben? Anhand mehrerer Erzählungen möchte ich dieser Frage nachgehen.

Die Übernahme einer alltäglichen Lebens-Einstellung (Habitus)

Eine erste Geschichte erzählt der Autor Georg Schlewecke (1987) in seinem Buch „Stirb er anständig!“. Dieses Buch handelt über seine Kindheits- und Jugenderlebnisse in der Zeit von 1932 bis 1945 in Göttingen und Hildesheim. Am Anfang fällt ihm die Erinnerung daran schwer: „Erst als ich Papier nahm und Bleistift und dabei in Gedanken lange, lange in der gleichen Zeit verweilte, da wachten ganz allmählich alte Klänge jener Jahre wieder auf, Empfindungen, die mich bewegten, und wie ich kleiner Junge staunte, aufnahm oder nicht verstand“ (Schlewecke 1987, S. 9). Schlewecke beschreibt damit zunächst eine bestimmte Weise des kindlichen Wahrnehmens, dass sich erinnern lässt – ein Empfinden, Staunen, Aufnehmen und – auffällig – Nicht-Verstehen.
In seiner Erzählung versucht er, die seltsamen Worte und Gesprächsfetzen einzufangen, an die er sich noch vor seinem Schuleintritt erinnern kann. So schreibt er, dass von „arbeitslos“ und „stempeln“ geredet wurde, und dass das davon komme, „weil wir den Krieg verloren haben“ (Schlewecke 1987, S. 13). Seine Erfahrung stammt aus dem Jahr 1932, die Zeit, bevor die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland an die Macht kamen. An den Straßen fielen ihm als Junge die roten Fahnen auf. Es waren verschiedene, die der sogenannten „Kommunisten“, und die derjenigen, die „Heil Hitler“ riefen (vgl. Schlewecke 1987, S. 14). Als Hitler mit dem Flugzeug nach Göttingen kommt, gingen sein Vater und seine Mutter zum Kaiser-Wilhelm-Park. Er erinnert sich der Erzählung der Mutter: „Es hat tüchtig geregnet“, wie Hitler „anfing zu reden, da waren alle schon ganz nass und jemand wollte bei der Rede einen Regenschirm über ihn halten. Doch Hitler habe ihn weggeschickt und gesagt: ‚wenn sich die Leute nassregnen lassen, um mich anzuhören, dann will ich es nicht besser haben‘“ (Schlewecke 1987, S. 14). Wie Schlewecke sich erinnert, blieb in der Erfahrung des kleinen Kindes hängen, das sei doch „ein guter Mann“ – der Vater sagte, „wenn der in der Regierung wäre, ginge es uns besser“ (Schlewecke 1987, S. 15). „Dieser Hitler ist im Krieg ein einfacher Soldat gewesen, so wie der Vater“, und als „er Kind war, hatte er es schwer“ (ebd.). Durch diese Verbindungen mit den Erzählungen der Erwachsenen, so erinnert Schleckecke (ebd.), war er „unserer geworden“.

Die Geschichte beschreibt etwas von der Struktur, in der sich eine Art Einstellung in der frühen Kindheit aufbaut. Sie taucht für Schlewecke, wie er schreibt, nur ganz am Rande auf, er hätte viel besser über viele andere Erlebnisse in der Göttinger Zeit seiner Kindheit erzählen können, die Wohnung hinter dem Garten, Vaters Geigenspiel, das Rollerspiel ums Haus – die „Erlebnisse mit Hitlers deutschem Frühling waren ein kleiner Zusatz“ (1987, S. 11). Aber dieser „kleine Zusatz“ macht die Schilderung so eindrücklich. Als Schlewecke die Erinnerung aufschreibt, da „fand ich mich wieder im freudigen Miterleben“ des kleinen Kindes (Schlewecke 1987, S. 9) und gerade in dieser Erinnerung wird ihm „bange“ (ebd.), weil er in der Rückschau weiß, was aus dieser gesellschaftlichen Begeisterung wurde. Die frühe unkritische Übernahme bestimmte seine Kindheit und Jugend und das tiefe Unrecht dieses Regimes und seine eigene Verstrickung kommen ihm erst 1943 als junger Soldat langsam zu Bewusstsein.

Dieses „freudige Miterleben“ von etwas, das der kleine Junge noch gar nicht versteht, könnten wir als eine allmähliche Verinnerlichung einer Lebenssituation bezeichnen, in der sich die Dinge, die täglichen Wege, die Erzählungen, Einstellungen und alltäglichen Tätigkeiten der nahen Bezugspersonen mit dem undurchschauten Politischen ganz selbstverständlich verknüpfen. Man könnte mit dem französischen Soziologen Bourdieu von einer „Habitualisierung“ sprechen, das heißt: Wie wahrgenommen, gedacht, geredet, gefühlt wird, übersetzt sich als soziale Struktur in die Erfahrung des kleinen Kindes, wird zu einem geteilten Habitus, sprich zur eigenen Wahrnehmungsweise (vgl. Bourdieu 1993, S. 97–121; Koller 2012, 23 ff.).

Die Suche nach Anerkennung

Mit einer Szene aus der Biografie „Memoiren einer Tochter aus gutem Hause“ der französischen Schriftstellerin Simone de Beauvoir kann dieser Übernahme einer selbstverständlichen Einstellung noch etwas hinzugefügt werden (Im Folgenden Beauvoir 1960, 39 ff.). De Beauvoir erzählt aus einer anderen Zeit, nämlich von den Tagen, an denen sie als Sechsjährige 1914 die Kriegserklärung zwischen Frankreich und Deutschland erlebte. Sie erzählt, welche Ängste es auslöste, und welche Bilder vom „hässlichen Feind“, den Deutschen, sich auf sie in Frankreich übertrugen. Ein in besonderer Weise erinnerter Moment ereignet sich, als der Vater eingezogen wird, um vor Ort Dienst zu leisten, und sie ihn in seiner Dienststelle mit der Mutter besucht: „Der Ernst seiner Züge machte großen Eindruck auf mich. Ich musste mich seiner würdig erweisen“, schreibt de Beauvoir. So begann sie in einer ganz eigenen Weise als Kind den „Krieg“ gegen die Deutschen umzusetzen: Sie zerstörte eine Zelluloidpuppe, auf der „Made in Germany“ stand, die ihrer Schwester gehörte. Nur mit Mühe konnten die Erwachsenen sie daran hindern, silberne Messerbänkchen mit der gleichen Aufschrift aus dem Fenster zu werfen. Sie schrieb „Hoch Frankreich“ an die Zimmerwände. Bedeutung gewann die Reaktion: „Die Erwachsenen“, so schreibt sie, „belohnten meine extreme Fügsamkeit […] mit amüsiertem Stolz […].“ Als Kind genoss sie dieses Lächeln und das Lob der Erwachsenen wie das eines Publikums bei einer Theateraufführung.

In der Szene von De Beauvoir kommt zunächst zum Ausdruck, wie ein Kind die Zuneigung der Erwachsenen sucht. Es begehrt nach deren Zuneigung und übernimmt geradezu übertrieben ihre Einstellungen, um als Person anerkannt zu werden. Es muss sich in gewisser Weise, so behauptet die amerikanische Philosophin Judith Butler, anpassen, um überhaupt eine Person, ein Subjekt in den Augen der anderen werden zu können (vgl. Butler 2001, 18 ff.; Koller 2012, 59 ff.).

Nun könnte man bei beiden Geschichten denken, dass die frühe Erfahrung von Kindern allein durch eine alltägliche Erfahrungsstruktur bestimmt ist – das heißt dadurch, zu verinnerlichen, was den grundlegenden „Habitus“ ihrer sozialen Umgebung bestimmt. In beiden Erzählungen wird sich aber auch daran erinnert, dass etwas „nicht verstanden wurde“, dass Kinder „staunen“, „beeindruckt sind“, oder auch irritiert. Die Kinder beschäftigt, was sie erleben, vielleicht bleibt es auch deshalb in der Erinnerung.

Um dieses Staunen und Irritiert-Sein geht es in zwei weiteren Szenen, die wiederum ganz andere zeitliche und sozio-kulturelle Hintergründe haben. Jetzt stehen aber weniger die Strukturen, die übernommen werden, sondern Anlässe im Vordergrund, in denen Kinder irritiert werden.

Die Erfahrung einer enttäuschten Erwartung

Die nächste Erzählung ereignete sich vor ca. 17 Jahren, es ist die Erinnerung einer Studentin aus einem Seminar. Wieder geht es um die Zeit vor Schuleintritt (vgl. im Folgenden unveröffentlichtes Skript). Die Studentin schreibt, dass ihre Familie mit einer kurdischen Familie befreundet war, die sich im Kirchenasyl der evangelischen, ländlichen Dorfgemeinde befand. Die kurdische Familie lebte in einem umfunktionierten Kirchenkeller, „der nur mit dem Nötigsten ausgestattet, aber in meinem Empfinden mehr als gemütlich war“. Sie hat „sehr schöne Erinnerungen“ an die Zeit mit dieser Familie, wie sie schreibt. Dass die Familie das Gelände der Kirche nicht verlassen durfte, „tauchte wenn überhaupt nur als Kenntnis im Augenwinkel auf“. Währenddessen wünschte sie sich zum Schuleintritt einen ganz bestimmten feinen Rucksack, den sie unbedingt haben wollte. Doch einen Tag vor der Einschulung, übergab ihr auch die kurdische Familie bei einem Besuch „mit Freude einen Rucksack, den sie für mich besorgt hatten“ – ein Geschenk: „Er zeigte Gebrauchsspuren, hatte eine Farbe, die so gar nicht meinen Geschmack traf und war nicht der, den ich haben wollte“. Sie teilte ihre Entrüstung allen Beteiligten mit. Die Reaktion, so erzählt sie, fiel „unerwartet“ aus: Der Vater wurde wütend „und das war er wirklich nicht oft“. Er sagte, dass die Familie doch alles getan hätte, diesen Rucksack zu besorgen. Sie empfindet noch heute ihr Schockiert-Sein über die Reaktion der anderen, und den „Ärger, das Gefühl im Unrecht zu sein und Scham“. Für sie, so schreibt die Studentin, gab es ein „Vorher und ein Nachher“ dieser Erfahrung. In der Erinnerung meint sie zu vernehmen, dass hier auf eine „unbestimmbare Art“ eine politische Dimension Einlass erhielt. Sie bekommt zwar ihren Wunsch-Rucksack, aber das Ereignis bleibt ihr in Erinnerung.

In dieser Szene wird besonders ein überraschender, „schockierender“ Moment erwähnt. Der begehrte neue Rucksack hat zunächst etwas ganz Normales. Es erscheint in vielen Familien als selbstverständlich, dass sich ein Kind einen neuen Schulranzen aussuchen darf – deshalb tut das Kind nichts Verbotenes. Das ist, könnte man mit dem Pädagogen Günter Buck deuten, eine Vorerwartung, sein Vorverständnis (Buck 1981, 88; 91; vgl. Koller 2012, 75 ff.). Nun aber macht sie eine Erfahrung, die nicht bestätigt, was sie gewohnt ist, sondern ganz unbegreiflich in Frage stellt. Der Anlass, etwas politisch Bestimmtes zu erfahren, besteht hier darin, mit etwas konfrontiert zu werden, das den eigenen Erfahrungshorizont verändert. Es kommt zwar alles wieder ins Lot, wie man so schön sagt, aber die Unruhe, die diese Erfahrung bewirkte, bleibt in der Erinnerung bestehen.

Die Erfahrung des Fremden

Eine letzte Erinnerung hier stammt aus einem Vortrag der nigerianisch-us-amerikanischen Schriftstellerin, Chimamanda Adichie (im Folgenden Adichie 2009, o.S.). In diesem Vortrag erinnert sie sich, wie „beeinflussbar und schutzlos wir angesichts einer Geschichte sind, besonders als Kinder“. Mit dieser „einen Geschichte“ meint sie, welche erzählten Bilder von Menschen sie in ihrer Wahrnehmung von anderen und sich als Kind bestimmten. So erinnert sich Adichie, wie die amerikanischen und britischen Bücher, die sie als Kind las, häufig nur weiße Charaktere und deren Erlebnisse zur Identifikation anboten, obwohl diese gar nichts mit ihrer Wirklichkeit in Nigeria zutun hatten – eine für sie als Kind kaum wahrnehmbare alltägliche Stigmatisierung. „Nun das änderte sich, als ich afrikanische Bücher entdeckte. (…) Sie waren nicht so einfach zu finden, wie ausländische Bücher“. In ihrem Alltag vollzogen sich wiederum ganz selbstverständliche und als solche wenig wahrgenommene Stigmatisierungen innerhalb der nigerianischen Gesellschaft. So hatte ihre Familie einen Hausdiener namens Fide, was normal erschien in einer nigerianischen Familie der Mittelkasse. Das Einzige, was ihre Mutter ihr oft über Fide erzählte, bestand darin, dass seine Familie „sehr arm“ sei. Die Mutter schickte ihr Süßkartoffeln, Reis und alte Kleider. Wenn sie ihr Essen nicht aufaß, sagte die Mutter: „Iss dein Essen auf! Ist dir nicht klar, dass Menschen wie die Familie von Fide nichts haben“. Chimamanda Adichies ganzes Bild der Familie ihres Hausdieners war durch diese eine, vielfach wiederholte Geschichte von Armut, Angewiesenheit und Hilflosigkeit bestimmt. Als sie aber einmal Fide besuchte, geschah etwas Auffälliges: Fides Mutter zeigte ihr „einen wunderschön geflochtenen Korb aus gefärbtem Bast, den sein Bruder gemacht hatte“ – und die Erinnerung an diesen Moment prägt sich Chimamanda Adichie ein: „ich war überrascht“ – „es wäre mir wirklich nicht eingefallen, dass jemand aus seiner Familie irgendetwas herstellen könnte“. Die Erinnerung verbindet Adichie mit einem späteren Erlebnis während ihres Studiums in den USA. Eine Mitstudentin, mit der sie zusammenwohnte, konnte sie nur in einer Art gönnerhaftem Mitleid als Vertreterin eines armen, hilflos erscheinenden Afrika wahrnehmen, die Mitstudentin kannte nur diese „einzige verhängnisvolle Geschichte“, die keine Beziehung gleichberechtigter Menschen zuließ (vgl. ebd.).

Auch die Erinnerung Chimamanda Adichies könnte etwas über Erfahrungen in der Kindheit aussagen: Zum einen wiederholt sich in dieser Erzählung, dass es ein ganz selbstverständliches und scheinbar unhinterfragtes Leben gibt, in dem ein Kind aufwächst. Doch zugleich tauchen Anlässe auf, wo diese Selbstverständlichkeit ins Wanken gerät. Es wird etwas Fremdes in diesem Eigenen erfahren, das sich der bisherigen, normal erscheinenden Einordnung entzieht, wie der Philosoph Bernhard Waldenfels schreibt (1997, S. 20; vgl. Koller 2012, S. 80). Es wird etwas Neues entdeckt: Diese Menschen sind ja nicht nur arm, sie haben einen Reichtum, sie sind mit einem deutschen Unwort nicht nur „bildungsfern“, sondern überraschend und irritierend anders. Dieses Fremde beunruhigt das Kind und erhebt geradezu einen Anspruch, andere und sich anders zu sehen, anders wahrzunehmen (vgl. Koller 2012, S. 84) – die Erfahrung prägt sich Adiche ein.


Zusammenfassung der Erzählungen

Die Beispiele lassen keine abschließende Antwort zu, wie sich Erfahrungen politisch bestimmter Lebenssituation von Kindern ausdrücken. Wohl aber zeigt sich, dass die Betroffenheit von politisch bestimmten Handlungs- und Denkweisen in der Erinnerung an die Kindheit immer wieder Bedeutung gewinnt. Die Behauptung, dass Kinder keine „politischen Erfahrungen“ machen, hat vielleicht weniger mit ihrer eigenen Lebenswirklichkeit zu tun, als damit, dass in der Pädagogik der frühen Kindheit häufig noch ein psychologisches Bild des Kindes und damit verbunden ein bürgerliches Ideal sorgloser Kindheit hervorgehoben wird, mit dem Kinder scheinbar vorrangig nach inneren Gesetzmäßigkeiten aufwachsen. Die Beispiele dagegen erzählen Geschichten darüber, wie die Umgebung zur Bildung eines eigenen politischen Empfindens beitragen kann. Ihre Erfahrung kann z.B. dazu führen, autoritative Denkweisen zu verfestigen, die Zugehörigkeit oder die Abwertung anderer Klassen oder soziokultureller Kontexte zu verinnerlichen. Sie kann zugleich aus überraschenden Anlässen in der frühen Kindheit heraus stereotype Gewohnheiten irritieren und z.B. Diskriminierungen und Ausgrenzungen hinterfragen. In der Sprache von Koller leben wir immer schon in Strukturen – mit Adichie könnte man sagen, in verinnerlichten, zur geradezu körperlichen Gewohnheit gewordenen Geschichten – die unsere Handlungs- und Wahrnehmungsweisen ganz selbstverständlich durchziehen und Kinder beeinflussen. Gleichzeitig besteht die Erfahrung von Kindern nicht nur aus diesen Strukturen, sondern es zeigen sich Anlässe, die Kinder staunen lassen, schockieren, erschrecken oder überraschen – und die gerade deshalb vielleicht in Erinnerung bleiben. Sie könnten dazu beitragen, neu und anders wahrnehmen und handeln zu können, sprich ein erstes distanzierendes Empfinden gegenüber dem, was das Denken und Handeln bestimmt, zu entwickeln. Diese Zweifel kennzeichnen vielleicht die Möglichkeit des Beginns eines politischen Erlebens und Fragens.



Ausblickende Schlussfolgerungen

Anknüpfungspunkte für die pädagogische Arbeit in Kitas

Was könnten Erfahrungen der frühen Kindheit für die pädagogische Arbeit mit Kindern bedeuten? Ich nehme die Interpretation des Zitats von John Dewey zu Beginn meines Vortrags wieder auf: „Demokratie ist mehr als eine Regierungsform; sie ist in erster Linie eine Form des Zusammenlebens, der gemeinsam und miteinander geteilten Erfahrung“ (Dewey 1964, S. 121). Demokratie könnte heißen, eine demokratische Lebensform zu praktizieren und alltäglich zu erfahren – und zugleich, Möglichkeiten des Teilens von Erfahrungen der eigenen Lebenssituation zu gewinnen, die immer schon politisch bestimmt ist.

Die erinnerten Geschichten spiegeln, wie sehr Kindheit durch die jeweilige konkrete Umgebung und die jeweiligen historischen Denk- und Handlungsweisen mitbestimmt wird. Erfahrungen von Kindern können sich gar nicht außerhalb dieser immer politisch mitbestimmten Lebenswelt abspielen. Die Erinnerungen zeugen von der Übernahme der Strukturen ihrer Lebenswelt durch Kinder, zugleich aber auch von den Irritationen und Widersprüchen, die schon als Kind wahrgenommen werden.

Heute findet ein großer Teil früher Kindheit nicht mehr in der Familie, der Nachbarschaft oder auch der Öffentlichkeit, z.B. auf der Straße, sondern in Kindertageseinrichtungen statt. Gerade darin liegt die besondere Verantwortung von Kitas. Für ihre pädagogische Arbeit könnten die Erzählungen zur Folge haben, dass Kitas als Orte zu denken sind,
  • in denen sich Gewohnheiten ausbilden – des Miteinanderlebens, der Entscheidungsfindung, der Sichtweise auf Menschen mit ihren jeweiligen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen,
  • und in denen Erfahrungen geteilt werden können, die Kinder ausdrücken, vielleicht in Bildern, in Rollenspielen (Gift), in Geschichten, die sie erzählen oder die ihnen erzählt werden.
Es stellt sich die Frage, wie diese Gewohnheiten sein sollen und wie die Themen von Kindern wahrgenommen, aufgenommen, ernst genommen und nicht überdeckt werden können. Hierzu möchte ich mit drei offenen Gedanken den Vortrag abschließen:

  • Erster Gedanke: Kinder lernen in ihrem Alltag, die Gewohnheiten und Einstellungen, die ihre Umgebung bestimmen, zu ihrer Gewohnheit zu machen. Das geschieht in vielen alltäglichen Dialogen und Konflikten – nicht in denen, die sich besonders herausheben, sondern besonders in denen, wo es um die alltäglichsten Dinge geht. Für die Kita könnte sich die Frage stellen: Welche Gewohnheiten, welche alltäglichen Erfahrungen sollen unseren Alltag bestimmen. Hierauf zielte der erste Teil meines Vortrags. Pädagogische Konzepte demokratischer Bildung machen zum Thema, dass es in der Kita Gewohnheit werden kann, einen Alltag als eine partizipative gemeinsame Lebensform zu gestalten. Das bedeutet, die Fragen, Wünsche, Empfindungen, Gedanken von Kindern in ihrer Eigenart und DiversitätDiversität|||||siehe Diversity wahrzunehmen und anzuerkennen, sprich Kindern, mit Freinet gesprochen, das Wort zu geben. Eine solche Lebensform äußert sich vielleicht weniger in besonderen politischen Gremien als in der zum Alltag gewordenen partizipativen Interaktion mit Kindern.
  • Zweiter Gedanke: Mit „Demokratie“ geht es nicht nur um demokratische Umgangsformen, Partizipation, Kinderkonferenz oder dialogische Mitwirkung von Kindern in Alltagssituationen – sondern es geht um Inhalte, um Fragen, mitgeteilte Erfahrungen, Erzählungen, die Kinder im Kontext ihrer ganz verschiedenen und gemeinsamen Lebenssituationen zum Ausdruck bringen. In Kitas kommen Kinder zusammen mit Erfahrungen sozialer Ungleichheit, Erfahrungen von Flucht, Erfahrungen von Ausgrenzung, aktuell Erfahrungen von Corona, etc. – wo „stolpern“ Fachkräfte über Äußerungen der Kinder, die solche Erfahrungen betreffen. Wie wird es möglich, sie wahrzunehmen und wie wird es möglich, ihnen Raum zu geben? In der Vorbereitungsgruppe von Studierenden und mir zu diesem Vortrag überlegten wir, wie lassen sich Erzählungen, Eindrücke von Kindern „in der Schwebe halten“, sprich nicht gleich mit Erklärungen überdecken? Wie lässt sich gemeinsam fragend auf Kinder antworten, wenn sie eine Geschichte erzählen?
  • Dritter Gedanke: Es könnte sich lohnen, sich der politischen Dimension des Situationsansatzes zu erinnern. Kinder zeigen in Schlüsselsituationen, dass sie von politischen oder gesellschaftlichen Entwicklungen betroffen sind – z.B. aktuell in der Corona-Pandemie. Die Idee des Situationsansatzes ist, solche Schlüsselsituationen für eine offene Projektplanung zum Anlass zu nehmen. Schlüsselsituationen sind solche, die beispielhaft für die Lebenssituation von Kindern in einer Kita stehen. Sie sind gerade nicht irgendwelche beliebigen Themen, sondern Ereignisse, die für die Kinder von Belang sind.

Demokratie, so könnte man abschließend mit den schwedischen und englischen Pädagog*innen, Gunilla Dahlberg, Peter Moss und Mathias Urban fassen, beinhaltet sicher die Idee, auf möglichst vernünftige, rationale Weise einen Konsens darüber zu finden, wie man miteinander leben will (vgl. Dahlberg und Moss 2008). Mit Demokratie verbindet sich aber noch mehr der Versuch, das, was die eigene Erfahrung bestimmt, immer wieder neu zu begreifen, sprich offen zu werden dafür, neue, bisher fremde, andere Blickwinkel und Handlungsmöglichkeiten zu gewinnen. Dahlberg und Moss knüpfen an die Reggiopädagogik und die berühmte, häufig etwas romantisierte Metapher der hundert Sprachen der Kinder an – sie wollen damit ausdrücken, dass Kitas demokratische Orte sein können, an denen mit Erfahrungen „experimentiert“, das heißt Wirklichkeit neu wahrgenommen wird, gerade indem die vielen Ideen, Eindrücke, Geschichten, Theorien, die Kinder mit ihren Erfahrungen verknüpfen, ganz unterschiedliche Ausdrucksformen finden können (vgl. Moss und Urban 2010, 28; 30).



Literaturverzeichnis

  • Adichie, Chimamanda (2009): Die Gefahr einer einzigen Geschichte. Vortrag auf der TedGlobal Konferenz 2009. Filmmitschnitt und Vortragsmitschrift. Online verfügbar unter https://www.ted.com/talks/chimamanda_ngozi_adichie_the_danger_of_a_single_story/transcript?language=de, zuletzt geprüft am 21.02.2021.
  • Bambach, Heide; Gerstacker, Ruth (1987): Der Situationsansatz als didaktisches Prinzip: Die Entwicklung didaktischer Einheiten. In: Jürgen Zimmer (Hg.): Curriculumentwicklung im Vorschulbereich. Bd. 1. München: Piper, S. 154–206.
  • Bartosch, Ulrich; Knauer, Raingard u.a. (2014): Schlüsselkompetenzen pädagogischer Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen für Bildung in der Demokratie. Kiel, Eichstätt: Fachhochschule Kiel; Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt.
  • Beauvoir, Simone de (1960): Memoiren einer Tochter aus gutem Hause. Hamburg: Rowohlt.
  • Bourdieu, Pierre (1993): Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt M.: Suhrkamp.
  • Buck, Günter (1981): Hermeneutik und Bildung. Elemente einer verstehenden Bildungslehre. München: Fink.
  • Butler, Judith (2001): Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung. Frankfurt M.: Suhrkamp.
  • Colberg-Schrader, Heidi; Krug, Marianne; Pelzer, Susanne (1991): Soziales Lernen im Kindergarten. Ein Praxisbuch des DJI. München: Kösel.
  • Dahlberg, Gunilla; Moss, Peter (2008): Ethics and politics in early childhood education. London: Routledge Falmer.
  • Dewey, John (1964): Demokratie und Erziehung. Braunschweig: Westermann.
  • Freinet, Elise und Hans Jörg (1991): Erziehung ohne Zwang. Der Weg Célestin Freinets. 4. Aufl. München: DTV.
  • Fried, Lilian; Büttner, Gerhard (2004): Weltwissen von Kindern. Zum Forschungsstand über die Aneignung sozialen Wissens bei Krippen- und Kindergartenkindern. Weinheim, München: Juventa.
  • Hansen, Rüdiger; Knauer, Raingard; Sturzenhecker, Benedikt (2011): Partizipation in Kindertageseinrichtungen. So gelingt Demokratiebildung mit Kindern! Weimar, Berlin: Das Netz.
  • Henneberg, Rosy; Klein, Helke; Klein, Lothar; Vogt, Herbert (2004): Mit Kindern leben, lernen, forschen und arbeiten. Kindzentrierung in der Praxis. Seelze Velber: Kallmeyer.
  • Henneberg, Rosy; Klein, Lothar; Vogt, Herbert (2008): Freinetpädagogik in der Kita. Selbstbestimmtes Lernen im Alltag. Seelze-Velber: Kallmeyer.
  • Jörke, Dirk (2007): John Dewey über Erfahrung, Demokratie und Erziehung. In: Dirk Lange und Gerhard Himmelmann (Hg.): Demokratiebewusstsein. Interdisziplinäre Annäherungen an ein zentrales Thema der Politischen Bildung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 87–100.
  • Kokemohr, Rainer (2007): Bildung als Welt- und Selbstentwurf im Fremden. Annäherungen an eine Bildungsprozesstheorie. In: Hans-Christoph Koller, Winfried Marotzki und Olaf Sanders (Hg.): Bildungsprozesse und Fremdheitserfahrung. Beiträge zu einer Theorie transformatorischer Bildungsprozesse. Bielefeld: Transcript-Verl., S. 13–69.
  • Koller, Hans-Christoph (2012): Bildung anders denken. Einführung in die Theorie transformatorischer Bildungsprozesse. Stuttgart: Kohlhammer.
  • Koné, Gabriele (2019): Armutssensibles Handeln in der Kita. In: Welt des Kindes (1), S. 16–19. Online verfügbar unter https://situationsansatz.de/wp-content/uploads/2019/08/Kon%C3%A92019_Armutssensibles-Handeln-Kita.pdf, zuletzt geprüft am 01.02.2021.
  • Korczak, Janusz (8.Aufl. 1987): Wie man ein Kind lieben soll. Hrsg.v. Elisabeth Heimpel und Hans Roos. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
  • Liebel, Manfred; Markowska-Manista, Urszula (2018): Pädagogik der Achtung. Online verfügbar unter https://www.socialnet.de/lexikon/Paedagogik-der-Achtung, zuletzt geprüft am 01.02.2021.
  • Moss, Peter; Urban, Matthias (2010): Democracy and Experimentation. Two fundamental values for education. Gütersloh. Online verfügbar unter https://core.ac.uk/download/pdf/162629001.pdf, zuletzt geprüft am 27.01.2021.
  • Richter, Elisabeth; Lehmann, Teresa; Sturzenhecker, Benedikt (2017): So machen Kitas Demokratiebildung. Empirische Erkenntnisse zur Umsetzung des Konzepts „Die Kinderstube der Demokratie“. Weinheim, Basel: Beltz Juventa.
  • Schlewecke, Georg (1987): Stirb er anständig! Kindheits- und Jugenderlebnisse mit dem Dritten Reich 1932-1945. Hannover: Lutherisches Verlagshaus.
  • Stieve, Claus (2019): Das Beunruhigende der Dinge. Ein Vorwort. In: Volkmar Mühleis und Jörg Sternagel (Hg.): Die Gegenstände unserer Kindheit. Denkerinnen und Denker über ihr liebstes Objekt. Paderborn: Fink, S. 1–17.
  • Sturzenhecker, Benedikt; Knauer, Raingard; Richter, Elisabeth; Rehmann, Yvonne (2010): Partizipation in der Kita. Evaluation demokratischer Praxis mit Vorschulkindern. Abschlussbericht. Universität Hamburg. Online verfügbar unter http://docplayer.org/28480801-Partizipation-in-der-kita.html, zuletzt geprüft am 25.01.2021.
  • Vogt, Herbert (2018): Freinet-Pädagogik. Online verfügbar unter https://www.socialnet.de/lexikon/Freinet-Paedagogik, zuletzt geprüft am 01.02.2021.
  • Waldenfels, Bernhard (1997): Topographie des Fremden. Frankfurt M.: Suhrkamp.
  • Zimmer, Jürgen (1973): Curriculumentwicklung im Vorschulbereich. Bd. 1. München: Piper.


Verwandte Themen und Schlagworte