Erfahrungen und erste politische Fragen

Überlegungen zur Bedeutung der frühen Kindheit für die Bildung eines politischen Denkens

Inhaltsverzeichnis

  1. Politisches Denken in Früher Kindheit - ein herausforderndes Thema
  2. Partizipation als gemeinsame Gestaltung einer demokratischen Lebensform
  3. Partizipation als geteilte Erfahrung von Lebenssituationen
  4. Lebenssituationen der Kindheit in der Erinnerung
  5. Ausblickende Schlussfolgerungen
  6. Literaturverzeichnis

Gesamten Beitrag zeigen


Politisches Denken in früher Kindheit - ein herausforderndes Thema

Das Thema dieser Tagung, „Die Bedeutung der frühen Kindheit für die Bildung eines politischen Bewusstseins“ fordert mich heraus. Es ist daran nichts Selbstverständliches. Was, wird man sich geläufig fragen, hat die Erfahrung kleiner Kinder mit einem politischen Verständnis zu tun? Können Kinder im Alter von, sagen wir zumindest, drei bis sieben Jahren politische Prozesse begreifen oder politische Fragen artikulieren? (vgl. Conell, Moll und Ramsey in Fried und Büttner 2004, S. 141-182) Oder lernen Kinder nicht erst allmählich ein politisches Verständnis, indem sie z.B. zur Demokratie erzogen werden?

Als Erwachsene und als Heranwachsende befassen wir uns im Alltag vielfach, mal mehr, mal weniger informiert oder reflektiert, mit politischen Fragen und Diskussionen. Gleichzeitig haben wir alle eine eigene Kindheitsgeschichte oder auch eine Vorgeschichte unserer Familie, die eigene politische Haltungen, Denk- und Handlungsweisen mitbestimmt haben könnte. Man denke an Kindheiten im dritten Reich oder zweiten Weltkrieg, Kindheiten mit Flucht- und Migrationserfahrungen, Kindheiten im Verlauf politischer Systemwechsel, wie dem der DDR/BRD oder der osteuropäischen Staaten, etc.

Von dem amerikanischen Philosophen und Pädagogen John Dewey stammt der häufig zitierte Satz „Die Demokratie ist mehr als eine Regierungsform; sie ist in erster Linie eine Form des Zusammenlebens, der gemeinsam und miteinander geteilten Erfahrung“ (Dewey 1964, S. 121). In diesem Zitat taucht das Wort Erfahrung auf. Erfahrung meint für Dewey mehr als Erkennen oder Bewusstsein. Erfahrung bringt zum Ausdruck, dass die Welt und das, was einen bestimmt, zunächst unmittelbar erfahren werden, oft ohne, dass darüber nachgedacht wird. Wenn eine Irritation auftritt, wenn etwas Unerwartetes oder Irritierendes einbricht in den Alltag, so Dewey, entsteht ein Befragen dieser eigenen Welt – eine Art Reflexion oder in unserem Fall ein politisches Fragen (vgl. Jörke 2007, 88 f.).

Deweys Satz kann man zweifach lesen: Einmal in der Weise, dass „Demokratie im Kleinen entwickelt wird“ und zwar über die Interaktion von Menschen, die Demokratie als eine soziale, eben demokratische Lebensform erfahren und zur Gewohnheit werden lassen. Sie orientieren sich dabei notwendig an gemeinsamen Werten, wie z.B. der Achtung von Minderheiten, der Anerkennung von Menschen gleich welcher Hautfarbe, Religion, Kultur, dem Anspruch, dass jede Perspektive Gehör hat, etc. Zum anderen könnte man Deweys Zitat im Sinne einer geteilten Erfahrung von ganz unterschiedlichen Lebenssituationen von Menschen lesen, über die sie miteinander in Interaktion treten; das heißt der Auseinandersetzung mit ihrer jeweiligen persönlichen wie sozio-kulturellen Geschichte.

In meinem Vortrag möchte ich mich mit Erfahrungen im Sinne geteilter demokratischer Lebensformen und im Sinne geteilter Erfahrungen von Lebenssituationen in der frühen Kindheit befassen. Damit geht es zum einen darum, sich Konzepte anzuschauen, in denen es um Partizipation und Demokratie geht, zum anderen um die Frage, wie Kinder Politisches erfahren.

Nun ist es nicht einfach, Erfahrungen demokratischer Lebensformen oder geteilter Lebenssituationen gerade mit der frühen Kindheit zu verknüpfen. Zum einen bleiben Beobachtungen darauf beschränkt, sich Kindern in ihrer jetzigen Situation anzunähern. Wie kann hier eine politische Dimension aufgespürt werden? Zum anderen lassen Erzählungen über Erinnerungen durch Erwachsene zwar zu, Verknüpfungen zwischen Erfahrungen aus der Kindheit und einem späteren politischen Nachdenken zu erfragen. Doch dieser Umgang mit eigenen Erinnerungen oder den Erzählungen von anderen ist, denken wir an die frühe Kindheit, begrenzt: Nicht, dass wir uns gar keiner eigenen Erfahrungen in der frühen Kindheit erinnern könnten, dass sicherlich – wenn auch weniger als in späteren Lebensphasen. Aber lassen sich diese Erfahrungen als politische beschreiben, sprich gab es solche, in denen sich uns als Kind schon unsere historische, nicht nur ganz persönliche Situation vergegenwärtigte?

Die Fragen werden sich in diesem Vortrag nicht beantworten lassen, aber Anhaltspunkte sollen gesucht werden. Deshalb geht es im Folgenden nicht nur um die Kinder, mit denen Fachkräfte im pädagogischen Alltag zu tun haben, sondern auch um die Kindheit, die Menschen einmal hatten und an die sie sich erinnern.

Die Frage, die mich beschäftigt ist: Wie entsteht eigentlich so etwas wie ein politisches Fragen und Erleben oder auch eine politische Handlungsfähigkeit?

Ich gehe dabei in folgenden Schritten vor:
  1. Partizipation als gemeinsame Gestaltung einer demokratischen Lebensform: Wo zeigen sich Konzepte in der frühkindlichen Bildung, die eine Erfahrung oder Ausbildung einer Gewohnheit von Partizipation und Demokratie realisieren wollen?
  2. Partizipation als geteilte Erfahrung von Lebenssituationen: Wie macht der klassische Situationsansatz die kindliche Erfahrung ihrer Lebenssituation zum Thema?
  3. Lebenssituationen der Kindheit in der Erinnerung: Wo könnten sich solche Erfahrungen in Erzählungen von Menschen über ihre Kindheit äußern?
  4. Ausblickende Schlussfolgerungen: Welche Anknüpfungspunkte könnten sich daraus für einen pädagogischen Alltag mit Kindern ergeben?




Verwandte Themen und Schlagworte