Jutta Häuselmann

Eine Kita für Alle

Inklusion und ihre erfolgreiche Umsetzung

Kinder sind die Zukunft unserer Gesellschaft. Deshalb sind wir alle, die die Zukunft unserer Kinder positiv gestalten können, in der Verpflichtung, unserer großen Verantwortung zur Begleitung, Erziehung und Bildung der jungen Menschen in ganz besonderem Maße nach zu kommen. Der Schwerpunkt inklusiver Pädagogik ist, Barrieren in der Kita zu identifizieren und zu überwinden. Dies können räumliche Barrieren sein, aber vor allem auch Bildungsbarrieren.

In der Pädagogik der Vielfalt (vgl. Prengel 2006) werden Begriffe von Normalität und Unterschiedlichkeit in einer Gesellschaft definiert, die von einer grundsätzlich heterogenen Gesellschaftsstruktur ausgehen – von einer Gesellschaft also, in der sich Menschen in vielfacher Hinsicht in ihren Voraussetzungen voneinander unterscheiden. Demnach ist es normal, verschieden zu sein, hinsichtlich des Alters, des Geschlechts, der ethnischen, kulturellen und sozialen Herkunft ebenso wie in Bezug auf die Unterschiedlichkeit der Lernvoraussetzungen, Interessen und Einstellungen (vgl. Prengel 2014).

Inklusion muss demnach die Wertschätzung genau dieser Vielfalt in unserer Gesellschaft verdeutlichen – indem sie die Verschiedenheit der Menschen anerkennt, der Individualität sowie den Bedürfnissen aller Rechnung trägt und eine Einteilung in Gruppen unterlässt. Dementsprechend orientieren sich verantwortungsvolle Bildungsplanungen und Bildungsgestaltungen nicht an den Schwächen der Menschen und bemühen sich auch nicht um eine Intensivierung von Sonderbehandlungen. Anstelle von Defizitorientierungen sind Ressourcen- und Potenzialorientierungen vonnöten.

Die inklusive Haltung
Für eine erfolgreiche Umsetzung von Inklusion sind bestimmte Kompetenzen vonnöten, jede pädagogische Fachkraft muss einigen konkreten Anforderungen gerecht werden (vgl. Weltzien/Albers 2014):

Die forschende Haltung
Um die Vielfalt der Kinder adäquat in den Blick nehmen zu können, benötigt jede Fachkraft ein professionelles Verständnis von Heterogenität (vgl. Robert Bosch Stiftung 2008), theoretisches Wissen zu den Themen Inklusion und Vielfalt sowie, insgesamt, eine forschende Haltung. Damit kann sie professionell auf die Vielfalt einer Gruppe eingehen, indem sie beobachtete Situationen differenziert analysiert und entsprechend handelt sowie die eigenen Vorstellungen und Werte reflektieren und sich somit für neue Erfahrungen öffnen.

Biografische Zugänge
Um sich für neue Perspektiven öffnen zu können, sollten entsprechende eigene Erfahrungen bewusst gemacht werden – mit dem Versuch, diese neu zu interpretieren. Auf diese Weise kann man eigene Erfahrungen neu bewerten, wodurch anders gehandelt werden kann. Eine solche Neubewertung kann sowohl durch Selbst- als auch durch Fremdreflexion gelingen, jedoch nur durch einen offenen und sensiblen Austausch mit seinem Gegenüber.

Fach- und Erfahrungswissen
Die pädagogische Fachkraft sollte die Geschichte eines jeden Kindes und seiner Familie kennen und sich damit auseinandersetzen. Zusätzlich vonnöten ist Fachwissen über frühkindliche Entwicklungsschritte und die unterschiedlichen Entwicklungsprozesse der Kinder. Erkannt werden müssen auch familiäre Risikofaktoren der kindlichen Entwicklung, möglich sind z. B.: ein äußerst niedriges Einkommen der Eltern, deren Erwerbslosigkeit und niedriges Bildungsniveau, ein negatives familiäres Klima oder Gewalterfahrungen. Der Benachteiligung eines Kindes kann durch gezielte Bildungs- und Beziehungsangebote entgegengewirkt werden.

Einstellungen, Orientierungen und Werte

Folgende Grundlagen sind für einen offenen und erfolgreichen Umgang mit kultureller Heterogenität von Bedeutung (vgl. Banks 2009; Mac Naughton 2006):

Inklusion auf mehreren Ebenen umsetzen

Inklusion muss, um erfolgreich zu sein, auf mehreren Ebenen umgesetzt werden (vgl. Albers/Lichtblau 2014), und zwar: innerhalb der Kindergruppe, durch individuelle Förderung, auf Teamebene und in Zusammenarbeit mit den Eltern.

Das Team einer Einrichtung muss permanent bereit sein, sich auf neue Gegebenheiten und auf die Bedürfnisse der Kinder einzustellen. Das heißt also: Nicht die Kinder passen sich der Einrichtung an, sondern die Einrichtung passt sich den Bedürfnissen der Kinder an. Um dies zu gewährleisten, sind die Bereitschaft zur Weiterentwicklung sowie ein hohes Maß an Flexibilität und Offenheit notwendige Voraussetzungen, die ein Team erfüllen muss.

Kein Muss, aber wünschenswert ist die Teamzusammensetzung aus frühpädagogischen und heilpädagogischen Fachkräften. Für die Zusammenarbeit in einem multiprofessionellen Team sind regelmäßige Absprachen, Transparenz und eine strukturierte Aufgabenteilung wichtig. Zusätzlich sollte bei Kindern mit einem hohen pflegerischen Bedarf die Einstellung einer Pflegekraft in Betracht gezogen werden.

Innerhalb der Kindergruppe müssen pädagogische Fachkräfte eine gelingende Interaktion zwischen den Kindern anstoßen, sollte diese nicht automatisch zustande kommen. Dies geschieht z. B. dann nicht, wenn die Kinder auf einem unterschiedlichen Entwicklungsniveau sind. In diesem Fall kann eine Erzieherin/ ein Erzieher z. B. durch bestimmte Impulse eine Verbindung zwischen Gleichaltrigen herstellen.

Die pädagogische Arbeit erfordert nicht nur den Aufbau einer Beziehung zum Kind, sondern auch zu den Eltern. Die Zusammenarbeit mit ihnen sowie deren Unterstützung sind wichtige Bestandteile der inklusiven Arbeit.

Die Unterstützung der Eltern kann auf verschiedene Weise erfolgen: u. a. mit Bildungs- und Informationsangeboten – beispielsweise mit thematischen Elternabenden, um Unsicherheiten bezüglich aktueller Themen zu vermeiden und zu beseitigen; durch regelmäßige Elterngespräche (in Ruhe und ohne Zeitdruck); durch das Schaffen von Gelegenheiten für alle Eltern, sich zu vernetzen, z. B. im Rahmen von Festen, Veranstaltungen oder in einem Eltern-Café.

Um die individuelle Förderung eines Kindes zu ermöglichen, müssen zunächst seine Stärken und Ziele erkannt und formuliert werden. Dafür wird ein „Individueller Entwicklungsplan“ (IEP) zusammen mit den Eltern erstellt. Er verdeutlicht nicht nur den individuellen Förderbedarf des Kindes, sondern auch, welche personellen und materiellen Ressourcen die Einrichtung hierfür benötigt.



Eine Kindertagesstätte muss einige Bedingungen erfüllen, um als inklusive Einrichtung zu gelten (vgl. Seitz/Korff 2008):
  • Sie muss hierfür eine klare Konzeption haben.
  • Die inklusionspädagogischen Kompetenzen müssen verfügbar sein.
  • Ein fester Bestandteil der pädagogischen Arbeit: die Zusammenarbeit mit den Eltern (Kooperation, Begleitung und Beratung), Therapeuten, Frühförderkräften, mit dem Jugendamt, Ärzten und einem Sozialpädiatrischen Zentrum.
  • Zudem erforderlich: eine adäquate Personalstärke, passende Räume, eine geeignete Ausstattung mit Hilfsmitteln und Materialien, heilpädagogische Fachkräfte im Team sowie Fortbildungsmaßnahmen für das pädagogische Personal (vgl. Albers, 2014).


Die inklusive Gestaltung von Übergangen

Übergänge sind, entsprechend den Befunden der Bildungsforschung, zentrale Selektionsschwellen im deutschen Bildungssystem. Hierbei beeinflussen individuelle Merkmale (wie z. B. der soziale, ökonomische und kulturelle Hintergrund eines Kindes) den Prozess und das Ergebnis des Übergangs stark. Die Bewältigung von Übergängen und teilweise auch die Bildungsbiografie eines jeden Kindes sind daran gekoppelt, wie vorherige Übergänge erlebt und bewältigt wurden.

Vor diesem Hintergrund muss also jede frühpädagogische Einrichtung ausloten, welche Ressourcen für die inklusive Gestaltung von Übergängen bereits vorhanden sind und welchen Bedarf es gibt, um Bildungsangebote für den Übergang gut zu verzahnen und Barrieren abzubauen.

Welche Wege und Möglichkeiten sich einem Kind im Zuge seines Transitionsprozesses eröffnen, hängt stark davon ab, welches Bild sich andere von ihm machen und welche Kompetenzen, Interessen und Defizite sie ihm zuschreiben. Dabei verhindern (unbewusste) Vorurteile und (institutionalisierte) Diskriminierungen die Entwicklung von Potenzialen und behindern mögliche (Bildungs-)Wege. Aufgrund defizitärer Zuschreibungen wirken sich zum Beispiel die Merkmale „Migrationshintergrund“ oder „Behinderung“ nachweislich negativ auf die Bildungserfolge eines Kindes aus.

Für eine inklusive Pädagogik bedeutet dies, vorherrschende Vorurteile und Diskriminierungen bewusst zu bearbeiten und zudem mit den Anforderungen und Erwartungen der künftigen Bildungsinstitution konstruktiv umzugehen. Je besser zudem die frühpädagogische Einrichtung mit der künftigen Grundschule eines Kindes verzahnt ist, umso erfolgreicher lässt sich sein Übergangsprozess gestalten.

Für die beteiligten Akteure bedeutet dies, aktiv den Dialog zu suchen und sich aufeinander abzustimmen (vgl. Griebel/Niesel 2011). Bei Kindern mit Entwicklungsgefährdungen muss der Transitionsprozess im Kindergarten möglichst frühzeitig beginnen und in der Schuleingangsphase kontinuierlich fortgesetzt werden. So sieht der Bildungsplan Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren nicht nur als Möglichkeiten der individuellen Förderung von Kindern, sondern auch als Instrumente der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Institutionen. Diese Verfahren haben folgende Ziele:
Da jedes Kind seine eigenen Bedürfnisse und Stärken hat, kann es bei der Umsetzung von Inklusion keine Patentrezepte geben. Deshalb ist es besonders wichtig, eng im (multiprofessionellen) Team und mit den Eltern zusammenzuarbeiten, sich die Unterstützung des Trägers zu sichern und Netzwerke aufzubauen, die Kinder und Eltern bei Bedarf zusätzlich unterstützen können.


Literatur

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
klein&groß, 12-2020

AdmirorFrames 2.0, author/s Vasiljevski & Kekeljevic.

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