Starke Kinder in die Welt entlassen

Gelebte Vielfalt in der KiTa

Die Kita Schatztruhe liegt in einem Gebiet mit hohem Migrationsanteil. Nach anfänglichen Unsicherheiten im Umgang mit Vielfalt ist es dem pädagogischen Personal gelungen, die Vielzahl der Nationalitäten als kulturelle Schatztruhe zu nutzen.

Mit unterschiedlichen Kulturen und materieller Benachteiligung hat das Team der Kita Schatztruhe seit vielen Jahren tagtäglich zu tun. Umringt von Hochhäusern liegt die Einrichtung in Halle-Neustadt, einem Stadtteil mit besonderem Entwicklungsbedarf. Hier leben viele Migrantinnen und Migranten und viele Hartz IV-Beziehende. „127 Kinder sind derzeit in der Kita angemeldet“, erzählt die Leiterin Gabriele Schulze. „Wir haben eine starke Nachfrage von Familien mit Fluchthintergrund, können aber leider nicht jedes Kind gleich aufnehmen, das zu uns kommen möchte“, fügt sie hinzu. In der Kita Schatztruhe sind die Kinder auf drei große altersgemischte Gruppen und eine „Nestchengruppe“ mit 19 Kindern verteilt. Jede Gruppe hat zwei bis drei große Räume zur Verfügung, in denen sich die Kinder in kleinen Gruppen zum Spielen, Bauen, Basteln oder Lesen zusammenfinden. Gearbeitet wird in der Kita nach dem Situationsansatz und nach einem gruppenübergreifenden Konzept. „Unser pädagogisches Ziel ist es, individuell auf jedes Kind einzugehen und aufmerksam zu beobachten, was das Kind gerade jetzt in dieser Situation braucht. Das ist bei so vielen Kindern mit unterschiedlichster Herkunft, Familiensprache, Kultur und mit zum Teil schwierigen sozialen oder ökonomischen Voraussetzungen eine große Herausforderung“, sagt Kitaleiterin Schulze.

Auch wenn sich das Team der Kita Schatztruhe bereits seit einigen Jahren mit zahlreichen Facetten von Vielfalt beschäftigt, mangelte es dem Thema lange an Unterstützung von außen. „Wir haben viel ausprobiert und was nicht funktionierte, haben wir wieder verworfen. Außerhalb des Trägers hatten wir aber kaum Ansprechpartner“, sagt Kitaleiterin Schulze. Einzig der Eigenbetrieb Kindertagesstätten der Stadt Halle als Träger der Kita bestärkte das Team in seiner pädagogischen Arbeit und bei der Entwicklung einer Willkommenskultur, die eine gute Basis für die Projektteilnahme bildete.

Das Projekt WillkommensKITAs hat mit seinen vielfältigen Unterstützungsformaten eine entscheidende Weiterentwicklung ermöglicht: „Unser Blick hat sich im Verlauf des Projektes verändert“, erklärt Kitaleiterin Schulze. So hätten sie und ihr Team über Fortbildungen und Materialien viel über kulturelle Modelle und die unterschiedlichen Erziehungs- und Sozialisationsvorstellungen erfahren. Dadurch konnten sie besser verstehen, welche Rolle beispielsweise die älteren Geschwister in den Familien spielen, die dann häufig die kleineren Kinder in die Kita bringen. Dennoch ist es den pädagogischen Fachkräften sehr wichtig, die Eltern in die Eingewöhnung einzubeziehen. Im individuellen Kontakt mit den Eltern haben sie die beste Möglichkeit, das Vertrauen in die Kita zu stärken. Damit ist wiederum das Vertrauen der Kinder in das pädagogische Fachpersonal gewachsen.

Intensive Prozessbegleitung

Neben der Vermittlung von fachlichem Hintergrundwissen war insbesondere die intensive Unterstützung der Kita durch Prozessbegleiterin und DiversityDiversity|||||Im Deutschen wird der Begriff auch auch als Vielfalt benutzt und meint besonders, dass soziale Vielfalt konstruktiv genutzt wird. Im Diversity Management wird besonders auf eine positive Wertschätzung der individuellen Verschiedenheit eingegangen, um eine produktive Gesamtatmosphäre zu erreichen.-Trainerin Miriam Amin sehr wichtig für das Team. In Rollenspielen erfuhr das pädagogische Fachpersonal am eigenen Leib, was soziale Benachteiligung bedeutet und wie sich Ungleichheit anfühlt. „Immer wieder haben wir uns selbst gespiegelt und uns so über unsere eigenen Werte und auch Vorurteile verständigt“, sagt Kitaleiterin Schulze. Einerseits habe das Kita-Team sehr viel Bestätigung für sein bisheriges Handeln erfahren, andererseits habe es viele neue Impulse und Tipps für die Praxis bekommen. „Durch das Projekt“, resümiert Schulze, „haben wir sehr viel gelernt und an Handlungssicherheit im Umgang mit Vielfalt gewonnen.“

Blick in die KiTa

Die Kita ist schon in die Jahre gekommen, aber lebendig und anregungsvoll gestaltet. Beim Gang durch die Räume erzählt die Leiterin, dass einige der Kinder, die hierhin kommen, die ersten Jahre ihres Lebens fast nur in der Wohnung oder im Kinderwagen verbracht hätten. Entsprechend groß seien ihre motorischen Defizite. Deshalb wurden zu dem bereits bestehenden Bewegungsraum weitere Möglichkeiten in den Gruppenräumen geschaffen. Hier können sich die Kinder nach Herzenslust bewegen, toben, Buden bauen und ihren Körper richtig spüren.

In diesem Zusammenhang ist auch gesunde Ernährung immer wieder ein wichtiges Thema. Die Kinder bekommen in der Kita Schatztruhe für 75 Cent täglich ein abwechslungsreiches Frühstück, Vesper sowie Getränke fast ohne Zucker. Das ist besonders wichtig für die Kinder, die zu Hause viel Süßes oder eher ungesunde und einseitige Mahlzeiten bekommen. Diese Kinder gewöhnen sich erst allmählich an die Konsistenz von dunklem Brot oder den Geschmack verschiedener Obstsorten. Zu einer gesunden Ernährung gehört in der Kita Schatztruhe auch eine entspannte und gemütliche Atmosphäre im Kinderrestaurant. Außerdem nimmt die Kita am Schulmilch- und am Schulobstprogramm teil.

Sprache spielt die zentrale Rolle

Neben der Motorik und der Ernährung spielt in der Einrichtung auch die Sprache eine zentrale Rolle. Schon die Aufnahmegespräche oder der im Rahmen des praxiserprobten kitaeigenen Eingewöhnungsmodells angebotene Familienbesuch einer Erzieherin sind dabei eine kommunikative Herausforderung. Mittlerweile helfen hierbei technische Hilfsmittel wie Übersetzungs-Apps im Smartphone oder die engagierte Mithilfe von anderen Familien aus der Kita oder von Freunden und Bekannten aus dem Umfeld. Die meisten der Kinder mit Migrations- oder Fluchthintergrund kommen in der Regel erst mit drei Jahren in die Kita und sprechen kaum oder gar kein Deutsch. „Wir möchten den Kindern im Alltag an ganz konkreten Situationen die Sprache vermitteln – durch Zeigen, Benennen, korrektives Feedback oder auch das dialogische Lesen.“ Mehrsprachigkeit wird in der Kita Schatztruhe wertgeschätzt. Dafür hat die Einrichtung Materialien wie mehrsprachige Bücher angeschafft und organisiert Veranstaltungen wie mehrsprachige Vorlesetage mit den Eltern verschiedener Nationalitäten.

Alltagsrassismus abbauen

In der Kita Schatztruhe verdichten sich die kulturellen Unterschiede und die Auswirkungen von Benachteiligung und Bildungsferne sowie die entsprechenden Ausgrenzungs- und Verteilungsdebatten. Ein großes Thema, an dem die Einrichtung aktiv arbeitet, ist der Alltagsrassismus. „Rassismus gibt es hier sowohl unter den deutschen Familien als auch denen aus anderen Teilen der Welt. Auch wir Pädagoginnen und Pädagogen sind nicht immer frei von Vorurteilen“, gibt Kitaleiterin Schulze offen zu. „Wichtig ist es, sich diese Vorurteile bewusst zu machen. Wir tauschen uns im geschützten Rahmen darüber aus und hinterfragen sie, zum Beispiel in kollegialen Fallberatungen. Auch dabei unterstützt uns Frau Amin.“ Außerdem möchte sie allen Eltern das Gefühl vermitteln, dass keines der Kinder in irgendeiner Form bevorzugt wird und alle Kinder von der Teilnahme am Projekt WillkommensKITAs profitieren.

Der beste Umgang mit Vielfalt

„So vielfältig wie die Menschen sind auch die Erwartungen und Bedürfnisse der Kinder und Eltern an unsere Kita“, fasst Kitaleiterin Schulze zusammen. Als Schlüssel für den Umgang mit Vielfalt sieht sie die klassischen Sozialkompetenzen und eine Grundhaltung, die sich aus Offenheit, Respekt, emotionaler Zuwendung, Empathie und Wertschätzung speist. Auf dieser Basis gelte es tragfähige Beziehungen aufzubauen, in denen die Rechte der Kinder ernst genommen und ihre Selbstwirksamkeit und Selbstbildung unterstützt werden könnten. Unabdingbar für die Erzieherinnen und Erzieher sei es, sich immer wieder selbst zu hinterfragen und die eigene Arbeit zu reflektieren. Hierbei hat die Kita Schatzruhe mithilfe des Projekts WillkommensKITAs einen großen Schritt nach vorne gemacht.

Auch wenn die ehrgeizigen pädagogischen Ziele der Kita immer wieder durch die knappen (Personal)-Ressourcen gefährdet werden, ist Gabriele Schulze davon überzeugt, dass ihr Kollegium und sie starke Kinder in die Welt entlassen.

Der Beitrag „Starke Kinder in die Welt entlassen“ ist ursprünglich in der Publikation „Wege zur WillkommensKITA“ des Landes Sachsen-Anhalt erschienen. Herausgeberin ist die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung.


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