Kulturelle und religiöse Vielfalt

Eine pädagogische Chance in Kindertageseinrichtungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Kultur und Religion – große Begriffe, die einer differenzierten Betrachtung bedürfen
  2. Früh für kulturelle und religiöse Vielfalt sensibilisieren
  3. Pädagogische Zugänge einer kultur- und religionssensiblen Bildung
  4. Ausblick
  5. LITERATUR

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Pädagogische Zugänge einer kultur- und religionssensiblen Bildung

Die Konzepte einer kultur- und religionssensiblen Bildung basieren auf Überlegungen einer interkulturellen und interreligiösen Pädagogik und entwickeln diese unter Perspektiven einer vorurteilsbewussten Erziehung und Bildung weiter. Häufig wird hier als Ausgangspunkt der „Anti-Bias-Approach“ diskutiert (vgl. Derman-Sparks 2013). Im Horizont der hier diskutierten Perspektiven wird der Ansatz einer religionssensiblen Erziehung und Bildung nun im Kontext kultureller und religiöser PluralitätPluralität|||||Pluralität bezeichnet die Koexistenz von Vielfalt. In der heutigen Gesellschaft bedeutet das, dass es häufig  vielfältige, individuelle  Interessen und Lebensstile, Bildungswege, Familienkonstellationen etc. in der Gesellschaft geben kann. entwickelt und im frühkindlichen Kontext reflektiert.

Zunächst ist dabei festzuhalten, dass religionssensible Bildung und Erziehung eine religionspädagogische Handlungstheorie darstellt, die sich sowohl als Teilgebiet der (Sozial-)Pädagogik als auch als Teilgebiet der Theologie versteht. Der Begriff ‚religionssensible Bildung und Erziehung‘ stammt ursprünglich aus dem Forschungsprojekt ‚Religion in der Jugendhilfe‘ (Lechner & Gabriel 2009) und untersucht in diesem Kontext die Religion und die Religiösitat von Kindern und Jugendlichen. Im Kontext dieser Studie zeigen verschiedene Beispiele, dass die Religion und religiöse Phänomene in der Gesellschaft und in wissenschaftlichen Untersuchungen, wie zum Beispiel der Allgemeinen Pädagogik, neue Beachtung erfahren (Lechner & Gabriel 2009, S. 159-160).

Der religionspädagogische Ansatz der religionssensiblen Bildung und Erziehung wurde auch auf andere Arbeitsbereiche, wie die Elementarpädagogik, übertragen (Weber 2014), da sich eine Verbindung zwischen der Jugendhilfe und dem Bereich der Elementarpädagogik darin zeigt, dass in beiden Bereichen pädagogische Fachkräfte (Erzieherinnen und Erzieher) arbeiten. Im Zentrum gegenwärtiger pädagogischer Ansätze und somit auch der religionssensiblen Bildung steht das Kind, bei dem die Fachkraft durch ihre Beobachtungen die individuelle Entwicklung, die Themen, Interessen und Bedürfnisse im Blick hat. Ziel ist es, kindliche Erfahrungen, Vorstellungen und Kompetenzen wahrzunehmen und gezielt zu fordern. Dazu gilt es eine anregende Umgebung zu schaffen, die selbsttätige Lernprozesse initiiert, auch beziehungsweise besonders im Bereich der kulturellen und religiösen Bildung. Dazu gehört neben der Erziehungspartnerschaft mit den Eltern auch die Vernetzung und Kooperation mit anderen Institutionen im Sozialraum.

Im Horizont kultureller und religiöser Pluralität ist eine kultur- und religionssensible Bildung demnach grundsätzlich aufgefordert, die Vielfalt kultureller und religiöser Hintergrunde, Vorstellungen und Einstellungen wahr- und ernst zu nehmen. Ausgangspunkt kultur- und religionssensibler Bildung ist der Mensch, der beispielsweise in existentiellen Situationen und bei Fragen der Wertorientierung kulturelle und religiöse Orientierungspunkte sucht und wählt. Grundlegend ist die Annahme, dass jeder Mensch eine gewisse Sensibilität für die Themen Kultur und Religion mit sich bringt. Diese kann sich unter anderem in Überzeugungen, Sehnsüchten, Hoffnungen und Fragen ausdrucken. Kinder, Jugendliche und Erwachsene machen kulturelle und religiöse Erfahrungen, entwickeln Haltungen und reflektieren diese individuell und gemeinschaftlich – hier findet sich ein großes Bildungspotential für die konstruktive und sensible Reflexion in Kindertageseinrichtungen.

An dieser Stelle sollen nun sechs Handlungsgrundsätze besprochen werden, die eine Grundlegung für kulturelle und religiöse Handlungskompetenz in der Arbeit in Kindertageseinrichtungen darstellen. Die hier entwickelten Handlungsgrundsatze orientieren sich an denen bei Lechner (vgl. Lechner & Gabriel 2009) und deren Weiterentwicklung bei Weber und basieren auf den elementarpädagogischen Handlungskonzepten (1) infans, (2) Early Excellence und (3) Offener Kindergarten (vgl. Weber 2014).

Erster Handlungsgrundsatz
Sowohl die alltäglichen als auch die existentiellen Erfahrungen und Gefühle der Kinder – ihr Vertrauen und ihre Einsamkeit, ihre Freude und ihre Ängste, ihre Hoffnungen und ihre Sorgen – wahrnehmen, wertschätzen, herausfordern und begleiten sowie die darin vorhandenen vielfaltigen kulturellen und religiösen Spuren identifizieren und versprachlichen. Dies bedeutet, die plurale Lebenswelt der Kinder, ihre Fragen, Themen und Interessen beobachten und in Form von Projektarbeit, Bildungsinseln und Lernwerkstatten Kindern die Möglichkeit geben, ihren Interessen, Fragen und Themen zur Welt und zum Leben mit ihrem Forschergeist selbständig nachzugehen.

Zweiter Handlungsgrundsatz
Die alltägliche pädagogische Arbeit anhand der Normen und Werte der Einrichtung als grundlegende, indirekte Form kultureller und religiöser Bildung begreifen. Auf eine hohe fachliche Qualität und eine gleichberechtigte, vertrauensvolle und ermutigende Beziehung zu den Kindern, Eltern und Kolleginnen achten, ganz besonders in Hinblick auf die sensible Wahrnehmung von Vielfalt und der Reflexion von Vorurteilen.

Dritter Handlungsgrundsatz
Den Sozialraum „Kindergarten“ als Lebens- und Erfahrungsraum wahrnehmen und anregend gestalten – besonders unter Berücksichtigung kultureller und religiöser Pluralität:
  • hinsichtlich der Beziehungsgestaltung (z.B. Rituale)
  • hinsichtlich der Raumgestaltung (z.B. Symbole)
  • als Ort der Begegnung und Gemeinschaft
  • als Treffpunkt von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen, weltanschaulichen und religiösen Kontexten

Vierter Handlungsgrundsatz
Besondere Anlasse im Kindergartenjahr und deren Bildungspotential in die pädagogische Arbeit mit Kindern (und Eltern) einbeziehen:
  • Biographische Stationen und Anlässe
  • Jahreszyklus mit den Festen
  • Feste und besondere Ereignisse in der Einrichtung

Fünfter Handlungsgrundsatz
Die Einrichtung mit geeigneten kommunalen, sozialen, kulturellen und religiösen Institutionen des Umfeldes vernetzen und deren Ressourcen für die kulturelle und religiöse Bildung nutzbar machen, beispielweise
  • Besuche gesellschaftlich relevanter Orte (Rathaus, Theater, Marktplatz, Museum) und religiöser Orte (Kirche, Moschee, Synagoge)
  • Begegnung mit Personen aus dem gesellschaftlichen (Mitarbeiter der Stadt, Feuerwehr, Pfleg) und religiösen Leben (kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Ordensleute, Imam, Rabbiner)
  • Öffentliche Ereignisse (Gesellschaft, Kirche, Kommune)
  • Angebote im Familienzentrum Den sozialen Nahraum der Einrichtung in seiner Vielfalt erlebbar machen und als selbstverständlichen Teil der Kindertageseinrichtung einbinden.

Sechster Handlungsgrundsatz
Vielfaltssensibilität als eine Dimension sozialberuflicher Kompetenz entdecken, da sie Voraussetzung, Entwicklungsaufgabe und Querschnittsthema zu allen anderen Handlungsgrundsätzen ist. Bereitschaft zur Biographie-Arbeit und Offenheit als Haltung im Handeln zeigen (vgl. Weber 2014, S. 150-155).



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