Welche Werte möchten wir vermitteln?

Über Werte sprechen

Kindern Werte zu vermitteln funktioniert in erster Linie durch Vorbildverhalten, einer positiven Eltern-(bzw. Erzieher)-Kind-Beziehung und durch positive Verstärkung. Um diese „Werteerziehung“ aktiv zu gestalten, empfiehlt sich eine Reflexion im Team wie auch in der Familie, welche Werte selbst erfahren wurden und welche Werte gemeinsam gelebt werden sollen. Lesen Sie hier Tipps für einen Erfahrungsaustausch über Werte mit Eltern und dem Team.


„Hast du den Schoko-Osterhasen von Lino gesehen?“, fragt die Erzieherin den dreijährigen Marcel. Der schaut nur mit großenAugen zurück und schüttelt den Kopf. Dabei sind sein Mund und die Hände schokoverschmiert, so dass unschwer zu erkennen ist, wo die Süßigkeit seines besten Freundes gelandet ist. Auch auf Nachfragen mag er nicht zugeben, dass er der Versuchung nicht widerstehen konnte. Als die Erzieherin Marcels Mama beim Abholen amüsiert von dem Vorfall erzählt, ist diese entsetzt. „Wir versuchen doch alles, um unseren Kindern beizubringen, wie wichtig Ehrlichkeit ist. Das ist uns total wichtig, dass sie dazu stehen wenn sie etwas gemacht haben, was nicht in Ordnung war. Wir wollen, dass die Kinder mit Werten aufwachsen. Sprechen Sie im Kindergarten auch über sowas?“

Traditionelle Werte stehen wieder hoch im Kurs

Tatsächlich haben Werte wieder Konjunktur in der Gesellschaft. Das kommt auch in der Kita an. Neben dem Wunsch nach Leistung und Frühförderung, die Kinder fit machen sollten für den Wettbewerb im späteren globalen Erwerbsleben und der für viele Eltern lange im Vordergrund stand, wünschen sich viele Familien heute wieder, dass ihre Kinder traditionelle Werte wie Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Vertrauen erfahren und verinnerlichen. Man spricht auch von „inneren Werten“, die helfen sollen, den eigenen Standpunkt und Weg in der Welt zu finden.

Wichtig zu wissen: Werte sind keine absoluten Kategorien, sondern unterliegen dem Wandel. Sie werden von gesellschaftlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen ebenso beeinflusst wie von der individuellen Ausrichtung und Lebensrealität jedes Einzelnen.

Ein Beispiel: In einer katholischen Kindertagesstätte gehören christliche Werte wie Nächstenliebe und Ehrlichkeit zum Alltag. Vermittelt werden sie in biblischen Geschichten, die von den Erzieherinnen vorgelesen und gespielt werden, ebenso wie beim Besuch der Kirche oder bei den Festen und Feiern, die gemeinsam mit den Familien begangen werden. Doch die zehn Gebote gelten längst nicht für alle als Wertemaßstab, nach dem sich leben lässt. So haben viele Familien keinen Bezug zur Religion und finden ihre Orientierung und Werte anderweitig. Kreativität, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein gehören beispielsweise zu den Werten, die vielen Menschen für das eigene Leben und die Erziehung ihrer Kinder wichtig sind.

Werte wandeln sich

Wie stark Werte dem Wandel unterworfen sind, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Pünktlichkeit, Fleiß, Gehorsam, Höflichkeit und Bescheidenheit waren Werte, die Mitte des vergangenen Jahrhunderts noch als allgemein akzeptiert und gültig angesehen wurden. Frauen hatten weniger Rechte und sollten sich dem Mann unterordnen. Kinder galten als gut erzogen, wenn sie bei Tisch schwiegen und nur dann etwas sagten, wenn sie von einem Erwachsenen angesprochen wurden. Auch wenn einige dieser Werte wie Höflichkeit im Umgang miteinander, Pünktlichkeit oder Fleiß noch heute hilfreich sein können, gelten viele andere als nicht mehr aktuell (vgl. Leger 2018).

Von selbstbezogenen zu sozialen Werten
Befragungen über den Zeitraum der letzten 30 Jahre darüber, welche Werte Eltern in ihrer Erziehung für wichtig halten, ergeben ein spannendes Bild. Sie zeigen, dass sich die Werte innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeiträume verändern. So standen in den 80er Jahren selbstbezogene Werte wie Selbstvertrauen und Selbstständigkeit an oberster Stelle für viele Mütter und Väter. Vielen Eltern war es wichtig, dass sich Kinder durchsetzen konnten und zu starken Persönlichkeiten wurden. Etwa seit Mitte der 90er Jahre wurden diese Vorstellungen dann von sozialen Werten wie Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Hilfsbereitschaft auf weiter hinten liegende Rangplätze in der Beliebtheitsskala verdrängt (siehe Tabelle oben, AWO Bezirksverband Braunschweig e. V. 2012).

Welche Werte weitergegeben werden, ist also immer vom Zeitpunkt, der individuellen Biografie und selbstverständlich auch von dem kulturellen Hintergrund der Familien abhängig. Wichtig ist, sich über die Werte klar zu werden, die Eltern wichtig sind.

Wie werden Werte vermittelt?

Um zu verstehen, wie Kindern Werte vermittelt werden, hilft der Blick darauf, wie Erziehung funktioniert.

1. Kinder lernen in besonderem Maße durch das Modell-Lernen, also durch das, was sie bei den Erwachsenen in ihrer Familie oder in ihrem direkten Umfeld sehen. Eltern, die sich entsprechend ihren eigenen Wertvorstellungen verhalten und selbst ehrlich, zuverlässig und hilfsbereit handeln, geben also durch die Vorbildfunktion diese Werte weiter. Auf der anderen Seite bringt es wenig, Kindern Ehrlichkeitzu predigen, wenn Eltern gleichzeitig ihre Freunde und Partner belügen, hinter deren Rücken schlecht über sie sprechen oder an der Supermarktkasse zu viel herausgegebenes Geld einstecken.

2. Ein zweiter wichtiger Faktor ist die Eltern-Kind-Beziehung. Je besser die Beziehung zwischen Eltern und Kind, desto eher nehmen Kinder das an, was die Eltern ihnen vermitteln wollen.

3. An dritter Stelle der Wirkpyramide stehen förderliche Erziehungsmethoden. So lernen Kinder erwiesenermaßen besser durch positive Verstärkung als durch Bestrafung. Eltern, die Ehrlichkeit vermitteln wollen, tun also gut daran das ehrliche Verhalten zu belohnen. Weniger erfolgreich ist es, unerwünschtes Verhalten mit Strafe zu sanktionieren.

Mit Eltern über Werte sprechen

Wenn Kitas mit Eltern über Werte sprechen, profitieren davon alle Beteiligten. Denn die Auseinandersetzung mit den eigenen Werten führt auch immer dazu, dass sich Menschen bewusst werden, wie unterschiedlich Wertevorstellungen sein können und dass ihre eigenen Werte keine absoluten Wahrheiten bilden. In diesem Sinn kann die Werte-Diskussion zu mehr Toleranz und Verständnis und letztlich zu einem entspannten Umgang miteinander führen.

Welche Werte wichtig sind und wie sie im Alltag gelebt werden, das kann auch das Miteinander im Team und zwischen Kindern und Erzieherinnen positiv beeinflussen. Es geht dabei um Bereiche wie den Umgang mit sich und anderen, miteinander reden und streiten oder den Umgang mit Menschen, die anders sind.
Als Vorbereitung für eine Diskussion mit den Eltern sollte sich das Team zunächst intern mit der Frage beschäftigen „Welche Werte sind mir persönlich wichtig?“ und „Welche Werte möchte ich in der Arbeit mit den Kindern aktiv vermitteln?“
Zwar werden sich je nach Ausrichtung der Einrichtung (z. B. Träger, pädagogisches Konzept, Standort auf dem Land oder in der Großstadt) oft Erzieherinnen mit relativ ähnlichen Wertevorstellungen in den Teams finden. Selbstverständlich ist dies aber nicht. Zweitens verlangt eine Auseinandersetzung mit den Eltern zunächst Klarheit von den Erzieherinnen.


Eigene Werte reflektieren
Übung im Kita-Team
Eine spielerische Übung, den eigenen Werten auf die Spur zu kommen, lässt sich während der Teamsitzung durchführen, eignet sich aber auch für die Arbeit mit den Eltern. Da Werte immer mit der eigenen Vergangenheit zu tun haben, werden die Kolleginnen eingeladen, an ihre eigene Kindheit zurückzudenken.

Auf ausgeschnittene „Luftballons“ aus farbiger Pappe schreibt jede, was sie in ihrer Kindheit geprägt hat und ihr Kraft gegeben hat. Anschließend werden die Ballons auf ein Plakat geklebt und gemeinsam besprochen. Jede Kollegin erläutert kurz, welchen Hintergrund ihr persönlicher Ballon hat. Diskutieren Sie auch Fragen wie:
  • Mit welchen Werten wurde ich in Schule und Freundeskreis konfrontiert?
  • Wie haben sich meine Werte verändert?
  • Welche Werte sind mir in der pädagogischen Arbeit wichtig?
Anschließend können Sie Grundsätze für den Umgang im Team aufstellen und verschriftlichen. Ein Grundverständnis über Werte ebenso wie die Toleranz anderen gegenüber stellt eine wichtige Voraussetzung dar, diese auch im Alltag zu vermitteln.


Elternabend zum Thema Werte

Welche Werte sind mir wichtig?
Ideal um mit Eltern ins Gespräch zu kommen, ist der Elternabend. Das ist zu beachten: Werte sind individuell – ein Elternabend zum Thema hat daher auf keinen Fall das Ziel, zu zeigen, was „richtig“ oder „falsch“ ist. Vielmehr kann er den Eltern helfen sich klar zu werden, welche Werte ihnen selbst wichtig sind und welche sie in ihren Familien vermitteln.

Um das herauszufinden, kann ein Arbeitsblatt helfen, in die jeder Teilnehmer einträgt:
  • Welcher Wert ist mir besonders wichtig?
  • Warum ist das so? Welche Lebenserfahrung hat dazu geführt?
  • Wie haben sich meine Eltern zu diesem Wert verhalten?
  • Woran erkennt mein Kind, dass mir dieser Wert wichtig ist?
Wenn das Arbeitsblatt als Tabelle angelegt wird, können auch mehrere Werte eingetragen werden!

Über Werte ins Gespräch kommen
Eine weitere Möglichkeit, mit Eltern über Werte ins Gespräch zu kommen, ist das praktische Beispiel. In Form einer Anekdote („Neulich hat sich in unserer Kita-Gruppe folgende Situation zugetragen ...“), als Filmsequenz (pädagogisches Material nutzen) oder als Rollenspiel kann eine beispielhafte Situation präsentiert werden. Anschließend wird die Situation diskutiert und ausgewertet.
Erklären Sie nach diesem Einstieg anhand praktischer Situationen, wie Sie in Ihrer Einrichtung mit dem Thema Werte umgehen. Vielleicht haben Sie sich schon in einem Projekt mit der Fragestellung beschäftigt und mit den Kindern formuliert, welche Werte Sie für einen guten Umgang untereinander haben und praktizieren. Dann können Sie diese Regeln vorstellen.

Aber Achtung: Es geht nicht darum, den Eltern zu sagen, was richtig und falsch ist! Wichtiger sind das gegenseitige Kennenlernen und die Auseinandersetzung mit der Frage, was unsere Werte sind.

Sicherlich gehört dazu auch der Hinweis auf die unterschiedlichen kognitiven Fähigkeiten von Kindern entsprechend ihres Alters. Kleine Kinder lügen nicht bewusst, sie erzählen Geschichten aus ihrer Fantasiewelt. Marcel hat nicht gestohlen, er hat sich einfach genommen, was er gern haben wollte. Kinder hauen andere nicht aus Bosheit, sondern weil sie, wenn sie noch sehr jung sind, nicht wissen können, was Mitgefühl ist. Durch ein „Nein“ können Eltern und Erzieherinnen Kinder daran hindern, anderen weh zu tun. Mitgefühl, Hilfsbereitschaft und Empathie und andere Werte lernt es jedoch nur durch unser praktisches Beispiel. Diese Botschaft zu vermitteln, stellt das wichtigste Ziel dar, wenn Kitas mit Eltern über Werte sprechen.

kug20180711 Münnich

Literatur

  • Leger, Elke: Warum macht man das nicht? Kindern Werte vermitteln. Herder 2018 Link: www.kizz.de/erziehung/familienalltag/kindern-werte-vermittelnwarum-macht-man-das-nicht (Stand 05/2018)
  • Arbeiterwohlfahrt (AWO) Bezirksverband Braunschweig e. V.: Was im Leben wirklich zählt – Wie Eltern glaubwürdig Kindern Werte vermitteln können. 2012 Link: www.awo-bs.de/fileadmin/downloads/ZEF/Fachartikelbibliothek/2012_Was_im_Leben_wirklich_zaehlt.pdf (Stand 05/2018)

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus klein & groß 07-08/2018, S.  6 - 11


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