Besonderheiten ländlicher Regionen (Stadt/ Land)

Inhaltsverzeichnis

  1. Das Aufwachsen in unterschiedlichen Regionen
  2. Unterschiede in wirtschaftlichen Faktoren
  3. Unterschiede in Betreuungs-, Freizeit- und Bildungsangeboten
  4. Unterschiede in familialen Lebensformen
  5. Unterschiede im kindlichen Aktionsraum in der Stadt und auf dem Land
  6. Unterschiede in Wohngegebenheiten von Kindern auf dem Land und in der Stadt

Gesamten Beitrag zeigen

 

Das Aufwachsen in unterschiedlichen Regionen

Aussagen über die Bedingungen des Aufwachsens von Mädchen und Jungen in ihren jeweiligen Regionen zu treffen, bedarf mehr als einer simplen Dichotomie von dem Stadtleben und dem Landleben. So akzentuieren die Autoren/-innen Alt, Blanke und Joos, dass vielmehr das wirtschaftliche und soziale Klima der Regionen ausschlaggebend seien, als die Urbanität als solche (vgl. Alt/ Blanke/ Joos 2005: 133).
 
Gebiete pauschal in Stadt oder Land zu unterteilen und damit über ihre
Lebensbedingungen zu urteilen, scheitert bereits daran, dass die Wirtschaftskraft, die geographische Lage sowie die kulturellen Eigenarten als bedeutende Faktoren für die jeweilige Region gelten und bereits hier deutliche Unterschiede zwischen den ländlichen Gebieten zu verzeichnen sind (vgl. Lange 1996a: 78). Zudem wurde in der vergangenen Diskussion (und zum Teil auch heute noch) ein verfälschtes Bild, ein Idealbild vom Stadt- bzw. Landleben konstruiert und somit die realen  Lebensbedingungen von Mädchen und Jungen auf dem Land mit ihren Konsequenzen vernachlässigt.
Immer wieder wurden Einzelaspekte, wie „(…) der Zusammenhang von Leben und Arbeiten, die Vollständigkeit der Familien, die  Mehrgenerationenfamilien in einem Lebens- und Arbeitsbereich, die unmittelbare Einsichtigkeit von Arbeitsvollzügen, die sozialen Beziehungsnetze der Nachbarschaft und Dorfgemeinschaft sowie ein ungebrochenes Verhältnis zur Natur“ (Karsten/ Thunemeyer
1995: 142) unreflektiert hervorgehoben. Karsten und Thunemeyer gehen von einer veränderten Lebensbedingung von Landkindern aus, da diese besonders durch den auferlegten Schulwechsel (meist nach der Grundschule) in die nächstgelegene Stadt einen ständigen Wechsel vom Land-Stadt-Leben vollziehen (vgl. Karsten/ Thunemeyer 1995:142f.).
Darüber hinaus stellt die Einordnung in ‚das Dorf‘ bereits eine Heraus-
forderung dar, welches in der Idealvorstellung ein homogenes Sozialgebilde mit festen Strukturen abbildet. Dörfliche Gemeinschaften verfügen jedoch mittlerweile in verschiedenen Ausprägungen über Aspekte der Heterogenität sowie ansatzweise über kulturelle Vielfalt (vgl. Lange 1996a: 79). Das klassische Dorfleben wurde  insbesondere vor 1945 durch die Landwirtschaft und somit durch spezifische Arbeits- und Lebensorganisationen bestimmt.

Die Höfe existierten meist autonomautonom|||||Autonomes Handeln beinhaltet den Zustand der Selbstständigkeit, Unabhängigkeit Selbstbestimmung, Selbstverwaltung oder Entscheidungsfreiheit., was durch die dort lebende Personenanzahl möglich wurde. Die Arbeit wurde geschlechtsspezifisch aufgeteilt, Frauen kümmerten sich um den Haushalt, die Männer führten die Außenarbeiten (Land- und Vieharbeit) durch.
Die Expansion der Technisierung der Arbeitsvollzüge in den unmittelbaren Bereichen der Arbeitsorganisation (bspw. in der Viehhaltung, in der Getreidewirtschaft u.v.m) (vgl. Karsten/ Thunemeyer 1995: 144f.),
führte dazu, dass sich der landwirtschaftliche Betrieb völlig neu entwickelte. Der Trend ging von der Mehrgenerationenfamilie zur Kleinfamilie. Viele Landwirte gaben ihren Betrieb auf oder sie führen ihn mittlerweile als Nebenerwerbsquelle. Das Bild vom Landleben wird, so kann festgehalten werden, zwar noch immer durch die klassische Landwirtschaft geprägt, jedoch steht diese zunehmend im Hintergrund. Die altbewährten Strukturen vor allem in kleineren Dörfern lösen sich zunehmend auf, was sich auch durch die Konstellation der Dorfbewohner/-innen zeigt. So leben neben den alteingesessenen Bürger/-innen immer mehr Neubürger/-innen, die aufgrund der geringen Lebenserhaltungskosten und Mieten immer häufiger auf dem Land sesshaft werden (vgl. Rauschenbach/ Wehland 1989: 116). Herrenknecht fasst die Entwicklungen des Dorfes in folgendem Zitat zusammen: „Das Dorf der 90er Jahre befindet sich in einer neuen Phase realer Vergesellschaftung, der nicht mehr allein mit dem Terminus Verstädterung erfasst werden kann, sondern verschiedene Entwicklungstendenzen nebeneinander produzier. Da gibt es den Hang zur ‚Verkleinstädterung’ der Dörfer durch den Bau von Marktplätzen und Fußgängerzonen, den Trend zur ‚Vervorstädterung’ der Dörfer durch ihren Umbau zu Wohn- und Schlafdörfern, aber auch den Gegentrend zur ‚Verdörflichung’ der Dörfer durch Neuansiedlung von Handwerk und Gewerbe in der Dorfmitte, oder den Versuch der ‚Verländlichung’ der Dörfer durch rustikale Baurestaurierungen und ökologische Begründungsmaßnahmen“ (Herrenknecht 1989: 14).

Die Folge dieser Entwicklungen, insbesondere des Zuziehens von Neubürger/-innen, ist die Auflösung traditioneller Strukturen. Gemeinsame Traditionen, Werte und Normen verflüchtigen sich und werden nicht mehr im Gemeinschaftsverband gelebt. Zudem werden die Dörfer den Modernisierungsprozessen unterworfen, welches weiterhin zur Auflösung klassischer Strukturen führt (vgl. Lange 1996b: 1). Die Ausführungen zeigen, dass eine Einteilung in das Landleben bzw. das Dorf so nicht mehr zeitgemäß und sinnvoll ist. Verschiedene Entwicklungen haben darüber hinaus gezeigt, dass zunehmend mehr Angleichungen stattfinden. So heben bspw. Alt, Blanke und Joos in ihren Untersuchungen hervor, dass die Versorgung von 5- bis 6- jährigen Mädchen und Jungen entgegen den gängigen Ergebnissen nicht vom Zusammenhang der Urbanität abhängig ist: „Defizite in der Versorgung in den Kreisen waren vor allem in ländlichen Regionen und in der Großstadt zu verzeichnen. Hier hat eine Angleichung stattgefunden“ (Alt/ Blanke/ Joos 2005: 133.) Es ist demzufolge von einer Vielfalt struktureller Bedingungen für das Aufwachsen in ländlichen Räumen auszugehen (vgl. Lange 1996a: 79; Lange 1996b: 17ff.).
Ebenso verhält es sich mit den Vorstellungen von der Großstadt. Die eindimensionale Betrachtung der Großstadt als für alle dort lebenden Menschen inhaltsgleich gültigen Raum zu betrachten, konstruiert ebenfalls ein unrealistisches und plastisches Bild.
Muchow pointiert in diesem Zusammenhang die Sicht des Kindes, welches die Großstadt als eine Teilmenge eines Großen erfährt. Oftmals erlebt es seine Lebenswelt wie ‚auf dem Dorf‘ und verweilt in diesem Teilbereich (vgl. Muchow 1998: 147). Um die Unterschiede in den Bedingungen des Aufwachsens von Mädchen und Jungen auf dem Land und in der Stadt darstellen zu können, muss der Blick auf die Lebensräume von Kindern mit geringer Verdichtung und mit starker Verdichtung gerichtet werden. So unterscheiden Hurrelmann und Andresen in der World Vision Studie (2007) zwischen Ballungsraum, sonstige größere Stadt, Stadtumland, Verdichtungszonen und sonstiger ländlicher Raum (vgl. Hurrelmann/ Andresen 2007).
 
Diese ‚Mischformen‘ von Lebensräumen gilt es aufgrund der oben beschriebenen Schwächen einer Dichotomie bei folgenden Diskussionen der Besonderheiten auf dem Lande und in der Stadt stets mitzudenken.



Verwandte Themen und Schlagworte