Kinderläden und antiautoritäre Erziehung

Modelle einer Gegengesellschaft und veränderten Erziehungskultur

Inhaltsverzeichnis

  1. Vom Gleichschritt zum aufrechten Gang
  2. Keine eigene wissenschaftsmethodisch überzeugende Theorie
  3. Anfänge und Entwicklung in Westdeutschland
  4. Anfänge und Entwicklung in Ostdeutschland
  5. Antiautoritäre Sexualerziehung/-aufklärung
  6. Selbsterziehung der Erwachsenen - Vom Kinderladen zum Elternladen
  7. Anpassung an den Mainstream?
  8. Wegweisende Impulse gesetzt
  9. Neueste wissenschaftliche Studien
  10. Anmerkungen
  11. Literatur

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Neueste wissenschaftliche Studien

Gegenwärtig besteht ein auffallend hohes Interesse an der Kinderladenbewegung bzw. antiautoritären Erziehung, wie die vielen Veröffentlichungen insbesondere seit dem 40. Jahrestag der „68er“ belegen. In diesem Zusammenhang sind die mikro-und makrosoziologischen Studien von Bedeutung, die im Rahmen der NachwuchsforscherInnengruppe am Institut für Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Wohlfahrtswissenschaften der TU Dresden, unter der wissenschaftlichen Leitung von Karin Bock, entstanden sind (vgl. Bock/Schäfer 2010, S. 149 ff.). Das Forschungsinteresse der Promotionsprojekte lautet: „Die Kinderladenbewegung: Biographische Auswirkungen und gesellschaftspolitische Einflüsse institutioneller Erziehungsarrangements“ (ebd., S. 149), das bedeutet, dass „sich die biographischen Auswirkungen des Kinderladens in den einzelnen Lebensgeschichten rekonstruieren lassen“ (Göddertz 2016, S. 7).

Nina Göddertz analysiert in ihrer Dissertation anhand von sieben Familien, das „Phänomen ‚Kinderladen‘ in den jeweiligen Biographieverläufen..., um zu erkennen, inwieweit die verschiedenen Generationen der Bewegung - also Eltern und Kinder – vom Kinderladen langfristig biographisch beeinflusst worden sind“ (ebd., S. 7 f). Beispielsweise hat Gerrit den Kinderladen den er besuchte in „‚schöne[r] Erinnerung‘. Dennoch bezweifelt er, dass ihn dieser entscheidend prägt[e]. Seine Schwester Greta... ist davon überzeugt, dass der Kinderladen gut für sie war, da sie früh lernt[e] Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen selbst zu treffen“ (ebd., S. 198), davon sie ihr gesamtes Leben“ (ebd., S. 214) profitierte.

Miriam Mauritz geht in ihrer wissenschaftlichen Untersuchung mit dem Titel „Das Private wird politisch. Biographische Emanzipationsprozesse in Mütter-Töchter-Beziehungen der Kinderladenbewegung“ u.a. der Frage nach, inwieweit die Zeit um 1968 das Private der Kinderladengründerinnen politisierte, ihre Erziehungsvorstellungen beeinflusste und welche Auswirkungen sich hieraus auf die Töchtergeneration, also die Kinderladenkinder, ergaben. Zum Beispiel hat die Promovendin eruiert, dass die „befragte Töchtergeneration sich an die sexuelle Aufklärung im Kinderladen, wenn überhaupt nur bruchstückhaft“ erinnert. Einige der Kinderladenaktivistinnen betonen, dass sie selbst „wenig aufgeklärt waren und somit ein gemeinsamer Aufklärungsprozess der Kinder und Eltern stattfand“ (Mauritz 2016, S. 225). Den Kinderladen als Emanzipationsort für Mütter und Töchter betreffend stellt Mauritz fest, dass einige Töchter „den Emanzipationsbestrebungen ihrer Mütter eher ablehnend gegenüber [stehen; M. B.]. Insbesondere wenn es um die Gestaltung von Familie geht, entwerfen die Töchter im Gegensatz dazu nachfolgend einen eher konservativen Lebensentwurf“ (ebd., S. 222).

Die Promovendin Franziska Schäfer interviewte für ihrer Studie ehemalige Kinderladenkinder und geht der Frage nach, inwieweit der Besuch der antiautoritären Einrichtung sich auf den weiteren Lebensweg der Kinderladenkinder auswirkte. Dazu ein Beispiel: Sven, geb. 1970, führt seine heutige soziale Einstellung auf seine Kinderladenzeit zurück, die „seines Erachtens nicht zu dem herrschenden Leistungsprinzip der Gesellschaft [passt; M. B.], mit dem umzugehen Sven schwer fällt. Es widerstrebt ihm, seine ‚Ellenbogen‘ einsetzen zu müssen, so dass er sich dieses regelrecht ‚antrainieren‘ musste, um in seinem beruflichen Umfeld als Freiberufler bestehen zu können. Sven ist der Meinung, dass eine Erziehung auch auf den ‚Konkurrenzkampf‘ im alltäglichen Leben vorbereiten sollte. Da er in einem Kinderladen war, fehlen ihm Handlungsoptionen dafür... Sven bedauert, dass er mit seiner erfahrenen Erziehung (im Kinderladen und Elternhaus) nicht genügend Ressourcen für einen adäquaten Umgang mit den Prinzipien einer Leistungsgesellschaft hat aufbauen können, er wurde nicht genügend auf seine aktuelle Tätigkeit vorbereitet“ (Schäfer 2015, S. 329).
 
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Vier Einwände gegen die autoritäre Erziehung von der seinerzeit hochgeachteten österreichischen Psychologin und Professorin für Psychologie an der Universität Graz (Quelle: Ida-Seele-Archiv)



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