Weiterentwicklung von Regelgruppen

„Ich bin in der Sonnengruppe“, erklärt ein Kind seiner Oma, als die zum ersten Mal die Kita betritt. Spielen, lernen und erleben Kinder ihre Kindergartenzeit in einer festen Gruppe bzw. hauptsächlich einem Gruppenraum, so spricht man von einem Konzept mit Regelgruppen. In diesem Interview mit Kita-Leitung Nadia Quast wird das Konzept mit Regelgruppen betrachtet.

Ein Interview von klein&groß mit Nadia Quast


  • Frau Quast, Sie arbeiten momentan in einer Kita mit Regelgruppen. Können Sie kurz die Rahmendaten Ihrer Kita beschreiben und wie genau das Arbeiten in einer Regelgruppe bei Ihnen aussieht?

Die katholische Kindertagesstätte „Unterm Regenbogen“ ist eine dreigruppige Einrichtung und liegt am Stadtrand von Wiesloch. In der Einrichtung werden 55 Kinder betreut: in der Krippengruppe 10 Kinder im Alter von 1–3 Jahren, in der Ganztagsgruppe 20 Kinder im Alter von 3 Jahren bis Schuleintritt und in einer weiteren Gruppe im Betreuungsmodell „Verlängerte Öffnungszeit“ 25 Kinder ab 3 Jahren bis Schuleintritt. Die Kinder erleben ihren kompletten Tagesablauf nach der Bringzeit am Morgen in „ihrer Gruppe“, d. h. alle Spielbereiche sind in den jeweiligen Gruppenräumen angesiedelt, darüber hinaus werden immer wiederkehrende Rituale abgehalten zum Beispiel der tägliche Sitzkreis. Pädagogische Angebote ergänzen die tägliche Arbeit in den jeweiligen Gruppen und der Flur und Turnbereich kann zum freien Spiel genutzt werden.

  • Sind Sie zufrieden mit dieser Form des Arbeitens in Regelgruppen? Entspricht es den Bedürfnissen der Kinder und der Erzieher?

Jedes Modell zeigt für sich Vor- und Nachteile auf, daher fällt es schwer, pauschal eine feste Stellungnahme zu beziehen. Wichtig ist, genau zu beobachten und abzuwägen:
  • Welche Rahmenbedingungen gibt es vor Ort?
  • Wie ist der geschichtliche Werdegang der Kita verlaufen und wie kann dies beurteilt werden?
  • Welche individuellen Stärken und Schwächen bringt das pädagogische Personal mit?
  • Welche Wünsche und vor allem Bedürfnisse haben die Kinder und die Familien?
Eine Regelgruppe bringt den Vorteil, dass Erzieherinnen ihren eigenen überschaubaren Bereich besitzen. Sie sind für die geforderten Bildungsbereiche des Orientierungsplans und/oder der Bildungspläne verantwortlich, d. h. sie können sich in allen Bereichen einbringen und ausprobieren und können die entsprechenden Inhalte mit den Kindern erarbeiten und ihnen näherbringen. Beobachtungen und Dokumentationen der Kinder können sofort und im direkten Weg mit den jeweiligen Gruppenkollegen ausgetauscht und verwertet werden und weitergeführt mit den Eltern zeitnah kommuniziert werden. Kinder haben mit einer Regelgruppe einen „geschützten“ Rahmen, sie erleben Verlässlichkeit durch eine enge Bindungsarbeit mit ihren jeweiligen Erzieherinnen.

Doch jene genannten Stärken der Regelgruppen können jedoch auch umgekehrt werden. Denn sollte ressourcenorientiert im Rahmen des pädagogischen Personals gearbeitet werden, zeigen einzelne Mitarbeiterinnen Schwerpunktstärken auf und haben bestimmte Talente, bei denen es schade ist, wenn nicht alle Kinder der Kita davon profitieren können. Dies ist zum Beispiel eher in der Offenen Arbeit der Fall, wenn eine pädagogische Fachkraft ihre Stärke gemäß der Arbeit in einem Funktionsraum komplett entfalten kann. Des Weiteren sind Kinder von klein auf neugierig und offen, das heißt sie möchten die Welt entdecken und demnach ist der erste Schritt, die komplette Kita zu entdecken.

Die Kinder bekommen eine hohe Selbstbestimmung zugeteilt, sie erhalten das Vertrauen und die Unterstützung dass sie sich durch die flexiblen Bedingungen selbst „bilden“ können. Diese Offenheit kann genutzt werden, um durch das Spiel in anderen Räumen in Kombination mit anderem Spielmaterial, Spielpartnern und Erzieherinnen neue Bildungsimpulse zu initiieren und demnach entsprechend voranzutreiben.

  • Auf was sollte man generell achten, wenn man sinnvolle Arbeit in Regelgruppen gestalten möchte?

Die größte Herausforderung stellt die Raumgestaltung eines Gruppenraums einer Regelgruppe dar. Denn mit der Raumgestaltung oder der allgemeinen Gestaltung des Tagesablaufs müssen die geforderten Bildungsziele der einzelnen Länder umgesetzt werden d. h. die Erzieherinnen sind gefordert, sich ein sinnvolles Gruppenkonzept zu überlegen und dies entsprechend umzusetzen. Häufig findet sich hier „der Knackpunkt“. Um alle geforderten Bereiche abzudecken, muss mit sogenannten Funktionsecken in den Gruppenräumen gearbeitet werden. Das bedeutet, dass ein Raum immer aktuell gestaltet sein muss, um den Bedürfnissen aller Kinder und auch den Entwicklungsständen gerecht zu werden. Ebenfalls müssen hinsichtlich dessen bestimmte Empfehlungen eingehalten werden d. h. es sollte zum Beispiel keine Leseecke neben einer Bau- und Konstruktionsecke platziert werden, da das etwas lautere Spiel der Bauecke das ruhige Verweilen in einer Leseecke negativ beeinflussen kann.

Des Weiteren müssen alle Kinder über den Tag die Chance bekommen, in den verschiedenen Funktionsecken spielen zu dürfen. Das ist jedoch aufgrund des begrenzten Platzes nicht immer möglich, da zum Beispiel in einer Rollenspielecke nur begrenztes Platzkontingent verfügbar ist. Zu Teilen bedeutet dies, dass Kinder nicht mit der vollen Verweildauer einen Weg zur freien Entfaltung finden, da nach einer gewissen Weile gewechselt werden muss.

Nicht zu vergessen ist, dass die Erzieherinnen in der Gruppe selbst sogenannte „Alleskönner“ sein müssen. Sie müssen unabhängig zu ihren eigenen persönlichen Fähigkeiten alles Geforderte umsetzen und sich stetig in allen Bereichen fortbilden.

  • In Ihrer Rolle als Kita-Leitung: Wie merken Sie, ob das Konzept weiterentwickelt werden muss und in welche Richtung es gehen kann?

In einer Kindertagesstätte darf die Auseinandersetzung mit der pädagogischen und konzeptionellen Arbeit niemals still stehen. Es ist von großer Bedeutung, verschiedene Entwicklungen zu beobachten und diesen Raum zur Bearbeitung zu geben. Es ist fortlaufender und immer wiederkehrender Prozess. Denn durch bildungspolitische, gesellschaftliche und individuelle Veränderungen werden immer wieder neue Impulse von außen in die Kindertagesstätte hineingetragen. Dies lässt sich relativ simple an einem Beispiel erklären: setzt sich ein Team aus pädagogischen Fachkräften neu zusammen, treffen viele neue und unterschiedliche Sichtweisen für die „Arbeit am Kind“ aufeinander. Ebenfalls verändern sich Bedürfnislagen und Sichtweisen mit jedem neuen Kind (und dessen Familie), das in der Kita aufgenommen wird. Aus diesen Umständen muss sich ein Team immer wieder mit folgenden Fragestellungen auseinandersetzen:
  • Ist das allgegenwärtige Konzept noch zeitgemäß?
  • Was bieten unsere Räumlichkeiten?
  • Welche Öffnung kann angestrebt werden, die der Situation vor Ort am besten gerecht wird?

Hier haben u. a. die Größe der Einrichtung, die baulichen Gegebenheiten, die Bezugsgruppen mit Alter und Selbstständigkeit, die individuellen Einstellungen der Teammitglieder und die Einstellung des Trägers und der Eltern ihren Einfluss. Durch die Antworten kann dann ein Weg geebnet werden.

  • Wie könnte ein konzeptioneller Weg erweitert werden?

Möchte weder mit „festen Regelgruppen“ noch mit dem Offenen Konzept gearbeitet werden, eignet sich der Weg der Teiloffenen Arbeit. Dies bedeutet die Arbeit der Regelgruppen wird beibehalten und durch Funktionsräume und diverse Angebote bereichert. Regelgruppen offen zu gestalten bedeutet z. B.:
  • Der Flurbereich wird als weiterer Spiel/Funktionsbereich mit bestimmten Materialien ausgestaltet und immer wieder verändert. Eine gewisse Anzahl von Kindern kann diesen frei zum Spiel nutzen und darüber hinaus werden Aktionswochen und Workshops angeboten, die die Kinder besuchen können. Eine Erzieherin ist anwesend, um z. B. Arbeiten an der Werkbank anzubieten, an der Kinder auch einen Werkbankführerschein erwerben können. Die Bereitstellung einer großen Leseecke, bei der besondere Bücher angeboten und vorgelesen werden (zum Beispielausgeliehene Bücher der ansässigen Stadtbücherei) oder die Gestaltung einer Kreativecke für einen speziellen Workshop können einige Möglichkeiten und Beispiele sein.
  • Der Turnraum wird geöffnet, sodass die Kinder in Kleingruppen ihrem Bewegungsimpuls nachkommen können.
  • Die einzelnen Gruppen arbeiten eng zusammen und erarbeiten ein „gruppenübergreifendes“ Konzept mit Schwerpunkten und bieten dies den Kindern an, d. h. in einer Gruppe wird eine Funktionsecke aufgelöst und dafür „breiter und größer“ ausgestattet und umgekehrt. Eine Gruppe besitzt z. B. den großen „Konstruktions- und Baubereich“ und die andere Gruppe dafür den großen „Rollenspielbereich“. Darüber hinaus wird den Kindern positiv vermittelt, dass sie sich ebenfalls jederzeit in den anderen Gruppen besuchen dürfen.
  • Im Bereich der Krippe wird für die Kinder ab 2 Jahren ein „Vorkindergarten“-Projekt mit wöchentlichen Aktionstagen eingerichtet, d. h. die Kinder dürfen zusammen mit den Erzieherinnen den Kindergartengartenbereich besuchen, laden Kindergartenkinder zum Spiel in die Krippe ein, frühstücken zusammen und/oder halten gemeinsame Turntage ab.
  • Randzeiten können genutzt werden, um mit einem wöchentlich abwechselnden Rhythmus, den jeweils anderen Gruppenraum nutzen zu können, um den Kindern einen neuen Spielimpuls zu setzen und mit den anderen Kindern gemeinsam in ein Spiel zu finden.

Alle diese Beispiele zeigen auf, dass es relativ einfach ist, „offener“ zu werden und dass das selbstgesteuerte Spiel willkommen ist. Es bedeutet aber auch, dass Erzieherinnen Raum bekommen müssen, sich damit in Gesprächen auseinander setzen und ihre Einstellung im Hinblick auf eine solche Öffnung überdenken zu können.

  • Wie unterstützen Sie als Leitung den Weg der teilweisen Öffnung?

Die Hauptaufgabe der Leitung ist die Entwicklung maßgeblich zu fördern, entsprechend zu steuern und dies letztendlich auch gegenüber der Öffentlichkeit und den Eltern zu kommunizieren. Hier eignen sich Entwicklungsgespräche, Elternabende und eine einmal jährlich durchgeführte Elternumfrage. Gerade die Elternumfrage bietet verschiedene Möglichkeiten, Meinungsbilder zu überprüfen, neue Impulse zu erhalten und mit einem qualitativen Instrument, die tägliche pädagogische Arbeit zu überprüfen, zu sichern und demnach weiter zu entwickeln. Um den Weg gemeinsam mit dem Team zu gehen und eventuelle Ängste abzubauen, helfen einige wichtige Kniffe, wie z. B.:

  • In den Gruppen werden Magnetwände angebracht, auf denen für jedes Kind ein Magnet mit seinem Bild ist. Verlässt es den Raum, z. B. zum Spiel im Flur, sagt es den Erzieherinnen Bescheid und hängt den Magneten an den jeweils markierten Bereich.
  • In Kinderkonferenzen wird mit den Kindern regelmäßig über die Möglichkeiten der Besuche in anderen Gruppen und den neu ausgestalteten Bereichen gesprochen und auch die notwendigen Regeln erarbeitet.
  • Es wird fest geregelt, welche Gruppe oder welche Erzieherin für das freie Spiel im Flur und Turnraum Verantwortung übernimmt.
  • Erzieherinnen führen ein Beobachtungsbuch für die „Besuchskinder“ der anderen Gruppen, in dem sie verschiedene Beobachtungen skizzieren können. In Teamsitzungen werden diese Beobachtungen weitergegeben, um den gruppenübergreifenden Austausch zu gewährleisten.
  • In regelmäßigen Abständen überprüfen die Erzieherinnen die Raumgestaltung und initiieren gemeinsam mit den Kindern und ihren Kollegeninnen neue „Highlights“.

Vielen Dank für das informative Interview! (Gesprächsführung: Sibylle Münnich, Redaktion klein&groß)

(Übernahme mit freundlicher Genehmigung aus klein&groß 10-2016, S. 12-15)


Tipps zum Weiterlesen:


Über Offenes Arbeiten und Arbeiten in Regelgruppen

Offene Arbeit - ein inklusives und partizipatives Konzept

Offener Kindergarten als kindzentrierter Pädagogischer Ansatz


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