Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung

- Ein inklusives Praxiskonzept für die KiTa -

Inhaltsverzeichnis

  1. Inklusion in der Praxis: Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung
  2. Herabwürdigungen und Diskriminierung (1) als Lernbehinderung
  3. Soziale Identitäten und normierende Botschaften
  4. Verantwortung der Bildungseinrichtungen
  5. Herausforderungen an pädagogische Fachkräfte
  6. Schlussfolgerungen
  7. Anmerkungen
  8. Literatur
  9. Anhang 1: Das Konzept in Kürze und Hintergrund KINDERWELTEN
  10. Anhang 2: Achtung Pseudovielfalt: Der touristische Ansatz
  11. Anhang 3: Achtung Pseudogleichheit: Der farbenblinde Ansatz

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Inklusion in der Praxis: Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung


Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung ist ein frühpädagogischer Ansatz, eine Adaption des „Anti-Bias-Approach“ (= Ansatz gegen Einseitigkeiten und Diskriminierung) von Louise Derman-Sparks, der in den 1980er Jahren in den USA entwickelt wurde, für Kinder ab zwei Jahren. In Deutschland wurde er seit 2000 als Praxiskonzept für Kindertageseinrichtungen erprobt und verbreitet und als „Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung“ übersetzt, bei der es darum geht, sich der Ursachen und Wirkungen von Vorurteilen und Diskriminierung in Kindertagesein-richtungen bewusst zu werden und pädagogische Praxis gezielt zu verändern. Gemeint sind Vorurteile und Abwertungen aller Art, die an den unterschiedlichen Merkmalen von Menschen festgemacht werden: an Hautfarbe, Herkunft, Sprache wie auch Religion, Geschlecht, sozialer Schicht, sexueller Orientierung, Alter, Behinderung.

Die bildungs- und gesellschaftspolitische Relevanz und Brisanz des Ansatzes liegt in der Verknüpfung des Rechts auf Bildung mit dem Recht auf Schutz vor Diskriminierung. Damit hat Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung eine klare Wertorientierung: Unterschiede sind gut, diskriminierende Vorstellungen und Handlungsweisen sind es nicht. Respekt für die Vielfalt findet eine Grenze, wo unfaire Äußerungen und Handlungen im Spiel sind. Interventionen sind gefordert, mit denen man sich deutlich gegen Abwertung und Ausgrenzung ausspricht.

Kindliche Ein- und Ausschlusspraxen
Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass sich Kinder auch aus Vorurteilen und Einseitigkeiten ihr Bild von der Welt konstruieren: Kinder nehmen früh Unterschiede zwischen Menschen wahr und unterscheiden vertraute von unvertrauten Personen. Etwa im dritten Lebensjahr zeigen sie Unbehagen gegenüber äußeren Merkmalen und Besonderheiten von Menschen. Und sie verweisen auf solche Merkmale bei Aushandlungen um Spielpartner und Spielideen: Sie wollen nicht neben bestimmten Kindern sitzen, sie nicht an der Hand halten oder schließen sie von ihrem Spiel aus, weil sie dick sind, „komisch reden“, „komisch aussehen“, ein Junge/ ein Mädchen sind usw. Kinder bauen die Bezugnahme auf äußere Merkmale in die Durchsetzung ihrer Spielinteressen ein. Sie übernehmen dabei nicht 1:1, was Erwachsene sagen, sondern experimentieren mit einem Argumentationsmuster, das Vorurteile kennzeichnet: Ein Merkmal wird bewertet, für die ganze Person genommen und „begründet“ ihre Sonderbehandlung oder ihren Ausschluss.
Die Auswirkungen solcher Ein- und Ausschlusspraxen unterscheiden sich je nachdem, welcher sozialen Gruppe ein Kind angehört. Für Kinder aus diskriminierten oder benachteiligten Fami-lien können abwertende Urteile über ihre soziale Gruppe zu Beschädigungen ihres Selbstbildes führen, die ihre Lernbereitschaft ernsthaft gefährden.