Der Kindergarten im nationalsozialistischen Deutschland

Inhaltsverzeichnis

  1. Gleichschaltung der öffentlichen Kleinkindererziehung
  2. Körperliche und charakterliche Erziehung
  3. Wehrerziehung und Erziehung in Rollenbildern
  4. Erziehung zur Führerliebe
  5. Die Erziehung zum Rassegedanken
  6. Zusammenfassung
  7. Literatur

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Erziehung zur "Führerliebe"


Um dem NS-System die Loyalität zu sichern, war die frühzeitige Förderung einer starken emotionalen Bindung an den lieben "Onkel Führer" notwendig. Der Grundsatz des NS-Staates "Autorität des Führers nach unten und Verantwortlichkeit des Geführten nach oben" (zit. n. Berger 2015b, S. 54) galt auch für den Kindergarten, indem das Autoritätsgefühl geweckt wurde und jedes einzelne Kind lernte sich übergeordneten Personen zu beugen. Die außergewöhnliche Zuneigung zu Adolf Hitler knüpfte an die Liebe zu den Eltern an, die sich aufopfernd und selbstlos um die Familie kümmern, genauso wie sich der Führer um das gesamte deutsche Volk sorgt. In Gesprächen sollte den Kindern immer wieder die Bedeutung des Führers für das deutsche Volk erklärt und sein rastloser Einsatz für die deutsche Heimat gerühmt werden. Ebenso war es Pflicht, den für die Nazis wichtigen Jahres- und Feiertagen zu gedenken, beispielsweise dem 9. November (Gedenktag an den am 9. November 1923 gescheiterten Hitlerputsch in München), dem 30. Januar (Tag der „Machtergreifung) oder des Führers Geburtstags (20. April).

novemberFeier zum 9. November (Quelle: Ida-Seele-Archiv)
Wie man Hitlers Geburtstag im Kindergarten feierte, dokumentiert folgende Beschreibung:

„Auf dem festlich gedeckten Tisch... stand eines der schönen Bilder, die den Führer im Kreise von Kindern zeigen. Still, fast andächtig gestimmt, saßen alle Kinder davor und hörten in schlichten und für sie verständlichen Worten vom Führer, von dem großen Geschenk des deutschen Volkes, zu dem sie auch beigetragen hatten, und von dem gewaltigen Zeitgeschehen, das alle deutschen Menschen in diesen Tagen erleben (gemeint ist das Kriegsgeschehen; M. B.). Zur Erinnerung an diese große Zeit und den von den Kindern so geliebten Führer erhielt jedes Kind ein Führerbild, das zu Hause, dort wo das Kind seine Spielecke hat, einen würdigen Platz finden soll. ‚Meins kommt über mein Bett, dann sehe ich den Führer gleich, wenn ich aufwache!‘ riefen viele“ (zit. n. Berger 1986, S. 51 f).

Foto 3Das Führerbild war allgegenwärtig (Quelle: Schulmuseum Lohr/Main)

Politisch stark gefärbte Kindergedichte sowie gebetsähnliche Sprüche unterstützten den Identifikationsprozess mit dem „geliebten Führer“. Sie dienten dazu, die Kinder unbeschwert an die übermächtige Vaterfigur heranzuführen. Hierüber eine Auswahl von Beispielen:

"Kindergebet
Herr Gott, gib unserm Führer Kraft,
Der Arbeit, Brot und Frieden schafft.
Gib unserm Volk reinen Willen,
Das, was er fordert, zu erfüllen.
Denn Du hast ihn ja selbst gesandt
Zur Rettung dem bedrückten Land" (zit. n. ebd., S. 55).
"Heil Hitler!
Heil Hitler Dir,
Du bist der beste Freund von mir.
Heil Hitler, Du hast es vollbracht,
das deutsche Volk ist nun erwacht.
Du hast es lange schon erwartet,
daß die Hakenkreuzfahne flattert
in den Straßen viel,
Hitler, Du bist jetzt am Ziel.
Erst ist Dir schlecht gegangen,
jetzt aber sind die Roten nun gefangen.
Nun endlich haben sie's eingesehen,
und lassen Dich nun wohl auch gehen.
Komm lieber Hitler
und gib uns wieder,
uns armen Leut,
wieder ein bißchen Geld.
Wir haben Dich doch schon immer gewählt,
und uns auch mächtig gefreut,
daß Du ans Ziel gekommen bist.
Heil Hitler Dir!
Du bist und bleibst der beste Freund von mir" (zit. n. ebd., S. 56).

Eindringlich wurde dem kleinen Kind aufgezeigt, welche Verhaltensweisen der Führer sich wünscht, welche ihn erfreuen, welche er ablehnt und welche ihn betrüben:

"Wer nicht weint, wenn es schmerzt,
Erfreut den Führer.
Wer mutig ist und beherzt,
den liebt der Führer.
Wer andere angibt und Schlechtes sagt,
Betrübt den Führer.
Wer gute Kameradschaft hält,
Den liebt der Führer" (zit. n. ebd., S. 57).

Die emotionale Bindung an den Führer erfolgte ferner über die an exponierter Stelle fest platzierte "Hitlerecke", versehen mit einem geschmückten Fotoporträt des Diktators. Hier versammelten sich die Kinder zu allerlei Anlässen und Festivitäten. Der „Jahreszeitentisch“ sorgte für die Allgegenwart des Führers, der moralischen Instanz, die von der Kindergärtnerin für ihre pädagogische Arbeit genutzt wurde.