Der Kindergarten im nationalsozialistischen Deutschland

Inhaltsverzeichnis

  1. Gleichschaltung der öffentlichen Kleinkindererziehung
  2. Körperliche und charakterliche Erziehung
  3. Wehrerziehung und Erziehung in Rollenbildern
  4. Erziehung zur Führerliebe
  5. Die Erziehung zum Rassegedanken
  6. Zusammenfassung
  7. Literatur

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Wehrerziehung und Erziehung in Rollenbildern


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Erich Hilgenfeldt, Hauptamtsleiter der NSV , zu Besuch in einem NSV-Kindergarten, (Quelle: Ida-Seele-Archiv)
Bereits während der Zeit des Deutschen Kaiserreiches (1871-1918) - insbesondere in der Zeit des Ersten Weltkrieges – gab es eine gezielte Erziehung zum Militärischen innerhalb der öffentlichen Kleinkinderziehung (vgl. Nationalismus und Militarismus im Kindergarten). Unter Hitlers Herrschaft bekam die Militarisierung der Kindergartenkinder jedoch eine vollkommen neue und noch nie dagewesene Qualität. Bereits vom „ersten Hitlerjahr“ an, wurden die Kinder zu Wettkämpfen, zum Marschieren, zum Exerzieren, zum Simulieren von Luftangriffen, zum Darstellen von Kriegshandlungen etc. animiert. Wie die militärische Infiltrierung der Kinder von statten ging, verdeutlicht nachstehender Praxisbericht aus der Fachzeitschrift „Kindergarten“:

"Unsere Kinder erleben den Krieg
Rasch hat die Tante mit ihnen die Uniform gearbeitet. Dann geht's hinaus auf den 'Kasernenhof' zum Exerzieren. In Rolf erkennt man jetzt schon die Führernatur. Er schreitet als Hauptmann die Front ab... Jetzt spielen sie nicht mehr Soldaten, jetzt sind sie Soldaten. Im Zimmer bauen indessen einige Jungen mit ihrer Tante Artilleriestellung. Bausteine werden im Halbkreis zu einem Wall aufgeschichtet... In der Stellung laden die Soldaten die einfach gestalteten Kanonen mit Papierkugeln. Ein Dorf unweit der Stellung wird beschossen. Einzelne Häuser sind bereits zusammengefallen. Auf einem anderen Tisch entsteht ein Flugzeugplatz. In großen Hallen warten einige Faltflugzeuge auf den Start. Soldaten kommen aus der Kaserne, um die Flugzeuge zum Feindflug startbereit zu machen... Die Beschäftigungen sind gut und schön, einmal weil sie wenig Material beanspruchen, und dann in der Hauptsache, weil sie dem Kinde das große Erleben, den Krieg an der Front und in der Heimat veranschaulichen" (zit. n. Berger 2015b, S. 68).

soldatenspielSoldatenspiel im Seminarkindergarten der Stadt München, Quelle: Ida-Seele-ArchivGerade die Kindergärtnerin, als erste außerhäusliche Erzieherin, war verpflichtet, den geschlechtsspezifischen Grundstein zur Wehrerziehung zu legen, weil in jedem Kinde, ob Junge oder Mädchen, "ein starkes Interesse für alles, was lebt und sich bewegt" liegt. Jeder Junge freut sich, "wenn ein Flieger in Sicht ist, und selbst welch noch so kleines Mädchen guckt ihm nicht nach? Dieses Interesse in richtige Bahnen zu lenken, ist Sache der Jugenderzieherin. Gilt es doch, den Knaben vorzubereiten, damit er später zum wehrhaften Manne wird und das Mädchen zur Frau, die bereitwillig und mutig der Gefahr ins Auge sieht und die ganze Kraft einsetzt, um Not und Tod abwenden zu helfen... Um auf das Kind hier in richtiger Art einwirken zu können, muß sich die Jugenderzieherin vor allen Dingen selbst einmal mit all diesen Dingen befassen. Sie muß Sachkenntnis besitzen und genau wissen, wie der Wehr- und Luftschutzgedanke in kindlicher Form an das Kind herangebracht werden kann, um sein Interesse wachzuhalten und das Kind in die Anforderungen der Luftwaffe und des Luftschutzes langsam hineinwachsen zu lassen. Gedicht, Spiel, Märchen und Bild sind dem Wehr- und Fluggedanken nutzbar zu machen. Einfache Motive können durch Stäbchenlegen, malendes Zeichnen und Plastillin gestaltet werden. Der Flug der Vögel und Wolken, der Flugsamen und Insekten (Schmetterlinge, Käfer, Spinnen) läßt die Sehnsucht des Fliegens aufklingen, während z. B. Ameise und Mutter Henne den Gedanken, den Willen und das Ethos des Schützens wecken... Es ist Pflicht jeder... Kindergärtnerin, sich zu den vom NSLB für die... Kindergärtnerinnen organisierten Kursen des Reichsluftschutzbundes zu melden. Der Luftschutz ist kein Spielort ängstlicher Gemüter. Er ist eine Lebensaufgabe für unser Volk" (zit. n. ebd., S. 64 f).

Die Kinder wurden angehalten, durch kleine Opfergaben zum Sieg des Vaterlandes beitragen, wenn sie beispielsweise im Kindergarten ihre bescheidene Mahlzeit, ohne zu murren, zu sich nahmen, oder indem sie recht folgsam und fügsam waren und dadurch den Erwachsenen, die schon genug Sorgen hatten, nicht unnötig zur Last fielen:

"Es zeigen sich immer wieder Gelegenheiten, sei es im Spiel, bei der Arbeit oder beim Frühstück, wie wir ihnen sagen können, daß auch sie, die kleinsten, nicht zu klein sind, um zum Sieg beizutragen" (zit. n. ebd., S. 69).

Auch die militärische Erziehung der Kinder war streng geschlechtsspezifisch ausgerichtet:

"Der kleine Junge wird ja einmal ein deutscher Soldat werden, das kleine Mädchen eine deutsche Mutter... Wie liebevoll sorgt das kleine Gretchen für ihre Puppenkinder daheim. Das kleine Hänschen schleicht sich indessen mit einem Stein an den Spatz heran, der vor der Haustür sitzt, um ihn zu töten. Hier der zukünftige Vaterlandsverteidiger, dort die liebevolle zukünftige Hausfrau“ (Benzig 1941, S. 40).

Diese Fixierung auf Geschlechtsrollen führte dazu, dass die Kindergartenkinder entsprechendes Spielmaterial zugewiesen bekamen. Während die Jungen technisches und militärisches Spielzeug, sowie die vielfältigsten Werkzeuge zur Verfügung standen, begnügten sich die Mädchen mit Spielgegenständen aus dem Bereich Haushalt, Mutter und Kind.