Zur Geschichte des Kindergartens in Österreich
Brief an Friedrich Fröbel zum 175. Geburtstag des Kindergartens
Mein lieber Herr Fröbel,
als Sie 1840 in Blankenburg den Kindergarten stifteten, haben Sie eine Institution ins Leben gerufen, die heute weltweit verbreitet ist. Leider verschwindet ihre schöne Titulierung immer mehr und wird im deutschsprachigen Raum von dem nüchternen Begriff Kindertagesstätte (Kita) ersetzt. Dabei sollte ihre Wortschöpfung genau das ausdrücken, was Ziel, Sinn und Zweck des Kindergartens ist, nämlich dass "hier die edelsten Gewächse, Menschen, Kinder... in Übereinstimmung mit sich, mit Gott und der Natur erzogen... werden" (Fröbel o. J., S. 8). Als wichtigste Aufgabe der Kindergärtnerin (heute sprechen wir von Erzieherin oder Kindheits- und Elementarpädagogin) sahen Sie es an, über die Pflege des kindlichen Spiels und verbunden mit Ihren Spielgaben und Beschäftigungsmitteln, das gesunde Wachstum des Kindes zu fördern - gleichsam einer Pflanze in einem Garten, die unter der "Sorgfalt erfahrener einsichtiger Gärtner im Einklang mit der Natur" (ebd.) gepflegt wird. Schon am 28. Jänner 1831 hatte sich das "K. K. Landesgubernium für Tirol und Voralberg" für einen verstärkten Ausbauvon "Kinderwart-Anstalten" eingesetzt, wie nachstehendes Dokument belegt.

Ihr Kindergarten erfuhr nicht nur hohe Anerkennung, sondern auch massivste Ablehnung. So wurde er am 23. August 1851 im Königreich Preußen verboten und als „Teil des sozialistischen Systems, das auf Heranbildung der Jugend zum Atheismus berechnet ist " (vgl. Berger 2015, S. 15 ff.) desavouiert. Das Verbot hatte zur Folge, dass sich ihre Idee auch äußerst langsam im Kaiserreich Österreich verbreiten konnte.
In der einschlägigen Fachliteratur wird allgemein 1863 als Gründungsjahr (?) des ersten Kindergartens genannt, der in der Wiener Landstraße von Georg Hendel ins Leben gerufen wurde. Weitere Kindergärten folgten u.a.:
1864 (auch 1862 genannt) in Prag, Direktor Josef Heinrich (siehe nachstehendes Dokument),
1863 in Reichenberg (heute Liberec), Johann Freiherr von Liebig (siehe nachstehendes Dokument),
1864 in Reichenberg (heute Liberec), Alwine Lammert (siehe nachstehendes Dokument),
1866 in Bielitz-Biala, Heinrich Otto,
1866 in Graz, Elisabeth Kopper, einer Schülerin von August Köhler in Gotha,
1866 in Reichenberg (heute Liberec), Herr Wessel,
1868 in Wien, Hermine Schuh und Dirktor Stein,
1869 in Graz, Fräulein Barthel, die ihre Ausbildung bei der Fröbelepigonin Angelika Hartmann in Köthen absolviert hatte,
1870 in Triest, Vittore Castinglioni (vgl. Fischer 1911, S. 324; Gary 2003, S. 53 ff.).

Pfarrer Matthias (a. O. auch Matthäus) Hörfarter, der mit Bertha von Marenholtz-Bülow (eine Ihrer Epigoninen schlechthin!), in Verbindung stand, hatte bereits seit 1860 in Kufstein die Errichtung von sog. Kleinkinderbewahranstalten angeregt. Der Geistliche hatte mit Begeisterung Ihr Werk "Die Menschenerziehung" gelesen und kam zu dem Entschluss, dass eine eigene Förderung der Kleinkinder nach Ihrer Pädagogik notwendig sei. Er nahm mutig "den Kampf mit den Vorurteilen [auf], die durch das preußische Verbot der Kindergärten auch in Österreich Platz gegriffen hatten" (Schwarz 1938, S. 182) auf. Schließlich gründete er 1869 in Kufstein den ersten Kindergarten Tirols, dem drei Jahre später ein Kindergärtnerinnenseminar folgte.
Bedingt durch das Engagement von Agnes Klerr sowie Henriette Auegg, die für ihr karitatives Engagement mit dem Elisabeth Orden, dem einzigen Damenverdienstorden Österrich-Ungarns, augezeichnet wurde, entwickelte sich Graz zu einer Hochburg Ihrer Kindergartenidee. Den genannten Frauen gelang es, "mit Hilfe der deutschen Fachkräfte in kurzer Zeit die Fröbel-Sache in Graz auf ungeahnte Höhe zu bringen. Einige Jahre später wird von 7, dann von 9 und 11 Kindergärten berichtet, in denen bereits das Entgelt nach dem Einkommen der Eltern abgestuft wurde. Eine umfangreiche Vereinsbibliothek und gute Vorträge, sowie vierteljährliche fachliche Versammlungen sorgten für Weiterbildung der Kindergärtnerinnen und Anregung der Vereinsmitglieder. Für das materielle Wohl der Angestellten wurden eine Unterstützungskasse, der Agnes-Klerr-Fond und später das Asyl für Erzieherinnen... errichtet. Die Kinderpflegerinnenschule bot gründliche, den Forderungen der Pflege und Erziehung gesunder und kranker Säuglinge und Kleinkinder gut angepaßte Ausbildung. Hermine (richtig: Henriette; M. B.) Auegg, als Schriftstellerin, homöopathische Ärztin, Vorstandsmitglied der Krippen- und des deutschen Schulvereins unterrichtete im Kindergärtnerinnenseminar und wirkte unermüdlich für die Fröbelsache" (Schwarz 1938, S. 181).
Der 1868 gegründete ''Verein für Kindergärten in Graz" teilte in seinem 31. Jahresbericht mit, dass die neun ihm unterstehenden Kindergärten zwischen 14 und 189 Zöglinge betreuten, "im ganzen 1041, von denen nur 137 die 'Besuchsgebühr' von 2 fl. bezahlten. Sommerferien wurden, wie früher, nicht gegeben; doch erhalten die Kindergärtnerinnen 4-6 Wochen Ferien. Der Gesundheitszustand der Kinder war günstig... Die Zahl der angestellten Kindergärtnerinnen war 17; außerdem waren 3 staatlich geprüfte thätig. Von den 11 Hospitantinnen bildeten sich 9 durch 10monatlichen Besuch für die häusliche Erziehung aus... Die Gesamteinnahmen betrugen 10 546, 18 fl.; darunter Unterstützungen von der Stadt Graz 2860 fl., vom Landes-Ausschuss 400 fl., von der Steiermärkischen Sparkasse 600 fl., der Kronprinzessin-Witwe Erzherzogin Stephanie 30 fl., Mitglieder-Beiträge 562, 50 fl.... Der Verein zählt 19 Ehren-, 196 ordentliche Mitglieder (Jahresbeitrag 2-5 fl.) und 98 ausserordentliche Mitglieder (1 fl. Beitrag). - Der Vorstand besteht aus Herren und Damen, Vorsteherin ist Fräulein Henriette Auegg" (Kindergarten, Bewahr-Anstalt und Elementarklasse 1900, S. 72 f).

Ihre Idee des Kindergarten, lieber Herr Fröbel, fand neben Graz aber auch in Wien ein weiteres wichtiges Zentrum. Dort gab es ja schon länger eine Reihe von Bewahranstalten für Kinder aus Arbeiterkreisen, die vordergründig, wie der Name schon sagt, der Bewahrung und nicht der Förderung und Erziehung der Kinder dienten. Oberlehrer Georg Ernst lernte 1869 in Berlin auf der "Allgemeine Lehrerversammlung" Ihre Pädagogik näher kennen und war von ihr sofort begeistert. Er gründete mit Unterstützung des Landtagsabgeordneten Ferdinand Schrank im Januar 1870 in der Wiener Kommunalvolksschule in der Lerchenfeldstraße einen Kindergarten. Kurz vor dessen Eröffnung konstituierte sich ein Verein, bestehend aus 42 Mitgliedern. Mitte der 1920er Jahre wurden die vom Wiener Kindergartenverein unterhaltenen Einrichtungen von der Stadt Wien übernommen, „wodurch die Zahl der städtischen Kindergärten besonders vergrößert wurde“ (Goldbaum 1926, S. 133). Im Zuge der Reformbestrebungen des Kindergartenwesens, wurden in den Kindergärten der Stadt Wien, „viele Kindergartenzimmer... mit Montessoribehelfen ausgestattet, die nicht bloß zu einer Betätigung der Sinne anregen, sondern auch die Selbständigkeit fördern helfen“ (ebd., S. 134).
In diesem Brief an Sie, lieber Herr Fröbel, ist es mir aus Platzgründen natürlich nicht möglich, das gesamte Kindergartenwesen im ganzen früheren österreichischen Kaiserreich darzustellen. Doch am Beispiel von Siebenbürgen möchte ich exemplarisch aufzeigen, wie deutsche Kindergärten in den Kronländern Ihre Idee des Kindergartens pflegten und somit auch weit in das Kaiserreich hineinwirkten. Zum Beispiel hatte Friedericke Schiel, Tochter eines Kronstädter Stadtpfarrerstochter, nachdem sie das Gothaer Kindergärtnerinnenseminar von 1873-1874 absolvierte hatte, sogleich ihre Schwester und Cousine zur Ausbildung nach Gotha geschickt. Dies war der Anfang einer erfreulichen Entwicklung Ihrer Kindergartenidee in Siebenbürgen (vgl. Mieskes 1986, S. 83 ff.). In Kronstadt wurde 1879 der erste Kindergarten Siebenbürgens ins Leben gerufen, dem 1884 ein Seminar zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen angeschlossen wurde:
„Dessen Direktor Karl Thomas hatte in seinen Studienjahren in Berlin Ida Seele, die Lieblingsschülerin Fröbels, in ihrem Kindergarten kennengelernt... Diese Frau hatte auf Karl Thomas in ihrem Umgang mit Kindern einen tiefen Eindruck gemacht. Er sagte von ihr: ‚Ihr Name ist die Verkörperung ihres Wesens.‘ In seinen Anstalten versuchte er dieser Erinnerung getreu zu arbeiten.“ (Schwarz 1938, S. 183).



Eine Erneuerung der Kindergartenpädagogik war auch dringend erforderlich, wie folgender Rückblick der bekannten Sozialwissenschaftlerin Maria Dorothea Simon (*1918) bescheinigt: "Mit vier Jahren wurde ich in den Kindergarten geschickt. Man saß in Bankreihen wie in der Schule. 'Hände auf den Tisch und stumm wie ein Fisch!' lautete die Begrüßung durch die Kindergärtnerin. Mein Humor wurde dort nicht geschätzt. Als sich einmal eine Pfütze am Fußboden befand, setzte eine Großinquisition ein, um den Missetäter ausfindig zu machen. Ich sagte zu einem anderen Kind: 'Das hat sicher die Frau Leiterin selbst gemacht'. Mehr hatte ich nicht gebraucht! Die derart Beschuldigte, zu der sich meine Bemerkung herumgesprochen hatte, drohte mich in den Rattenkeller zu sperren. Die Androhung wurde nach langem Bitten und Betteln nicht umgesetzt, aber die Angst davor genügte, um mir den Zwischenfall im Gedächtnis einzuprägen" (Simon 2002, S. 22).


Schörls Idee der immobilen Raumteile wurde in Österreich schließlich von der Architektin Grete Schütte-Lihotzky aufgegriffen. Letztgenannte hatte das Raumteilverfahren Anfang der 1950er Jahre für den neuerbauten „Friedrich Wilhelm Fröbel Kindergarten" (XX. Stadtbezirk, Kapaunplatz), der zum Vorbild für weiter Kindergartenbauten avancierte, auf eine architektonisch innovative Weise umgesetzt. Die einzelnen Gruppenräume (Spielzimmer) wurden mit drei festen und niedrig gehaltenen „Beschäftigungsnischen" (Ruhe-, Hauswirtschafts- und Lesenischen) ausgestattet, „in denen sich auch einzelne Kinder absondern können, denn auch diese Kleinen haben zeitweise ungestörte Konzentration nötig" (Stadtbauamt der Stadt Wien 1952, S. 14). Eine originäre Idee (Oder, Herr Fröbel?), die allerdings nur auf Österreich beschränkt blieb.

Ende der 1960er/Anfang der 1970er-Jahre kam dann noch einmal richtig Bewegung in die "Kindergartenlandschaft" und ich stelle mir gerne vor, wie Sie, lieber Herr Fröbel, in diese Debatten eingegriffen hätten. Der vorschulischen Einrichtung wurde nämlich vorgeworfen, sie würde zu wenig professionell arbeiten und zu sehr auf die kognitive Förderung der Kinder setzen. Der 1975 erschienene Rahmenplan "Bildung und Erziehung im Kindergarten" bemängelte so auch die Überbetonung des kognitiven Bildungsbereiches. Sozial-emotionales Lernen, die Förderung kooperativer Verhaltensformen und sozialer Kompetenzen rückten in den Vordergrund und Spielen und Lernen wurden gleichberechtigt in den Kindergartenalltag integriert. Die leitende Idee des Rahmenplans war der "mündige Mensch, der autonom und mit kritischem Bewußtsein zur persönlichen Verantwortung für die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben befähigt und bereit ist" (Niederle/Michelic/Lenzeder 1975, o. S.). Die dem Plan zugrundeliegenden elf Bildungs- und Erziehungsbereiche gliederten sich in: Emotionale Erziehung, Sozialverhalten, Sexualerziehung, Wertverhalten, Religiös-christliche Erziehung, Kreativität, Denkförderung, Sprachbildung, Bewegungserziehung, Lern- und Leistungsverhalten und Umweltbewältigung“ (ebd., S. 16 ff.).
Da sich die Lebensbedingungen der Kinder rasch veränderten, genügte der Rahmenplan “Bildung und Erziehung im Kindergarten“ bald auch nicht mehr. Viele neue pädagogische Konzepte entstanden, wobei sich der so genannte "Situationsansatz" in den meisten Regelkindergärten Österreichs durchsetzte. Ich fasse Ihnen hier kurz seine Hauptmerkmale zusammen:
- der Bezug zur Lebenssituation der Kinder,
- das Lernen in Erfahrungszusammenhängen und in altersgemischten Gruppen,
- die Mitwirkung der Eltern an der pädagogischen Arbeit sowie
- eine enge Verbindung von Kindergarten und Gemeinwesen.
In den 1980er Jahren kam es in Österreich erstmals auch zu einer verstärkt wissenschaftlich fundierten Darstellung von spezifischen Methoden für den Kindergarten. Die Bildungsarbeit in den Kindergärten wurde maßgebend durch den neuen fachdidaktischen Ansatz, der in den Fachbüchern "Methoden des Kindergartens 1", "Methoden des Kindergartens 2", "Methoden des Kindergartens 3" seinen Niederschlag fand, bestimmt.
Im neuen Jahrtausend geriet der Kindergarten in Österreich zusammen mit dem in Deutschland durch die "PISA-StudiePISA-Studie||||| In der PISA- Studie der OECD werden alle drei Jahre seit 2000 in den Mitgliedsstaaten der OECD die alltags- und berufsrelevanten Fähigkeiten von 15- Jährigen durch Testfragen gemessen. Die mittelmäßigen bis schlechten Ergebnisse 2001 in Deutschland führten dazu, dass vielfach von einem PISA-Schock geredet wurde. " ins Kreuzfeuer der Kritik. Die schlechten Ergebnisse dieser Bildungsstudie führten zu einem bi-nationalen Bildungsschock und vehement wurden vom Kindergarten nun die Vermittlung neuer (!?) "Schlüsselqualifikationen" wie beispielsweise dem frühkindlichen Fremdsprachenerwerb oder mathematischer, naturwissenschaftlicher und technischer Bildung gefordert. Dadurch angeregt entwickelte das "Charlotte Bühler-Institut" in Wien den "Transaktionsansatz". Im Vordergrund steht dabei nicht ausschließlich das Erreichen von bestimmten "Schlüsselqualifikationen", sondern der Blick richtet sich verstärkt auf die Qualität der transaktionalen Lernprozesse, d.h. auf die wechselseitige Beeinflussung der Entwicklungsprozesse von Kindern und ihrer kulturellen sowie sozialen Umwelt innerhalb und außerhalb des Kindergartens. Der "Transaktionsansatz" dient dazu, die Kindergartenpraxis durchschaubarer zu gestalten, indem die Erziehungs- und Bildungsarbeit aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wird, wobei nachstehenden Prozessen eine zentrale Bedeutung zukommt:
"Aus psychologischer Sicht werden die transaktionalen Prozesse im Kindergarten transparent gemacht. Weiters gilt es festzustellen, welche Lern- und Entwicklungsprozesse im Bildungsgeschehen ermöglicht werden.
Aus der Sicht der Qualitätsforschung erfolgt eine Analyse der strukturellen Rahmenbedingungen im Kindergarten.
Aus pädagogischer Sicht werden das neue Bild vom Kind, die Funktionen und Aufgaben des Kindergartens, das erweiterte Bildungsverständnis sowie das Rollenverständnis der Kindergartenpädagogik dargestellt.
Aus didaktisch-methodischer Sicht wird die Planung und Reflexion der pädagogischen Arbeit näher beleuchtet" (Hartmann/Stoll/Chisté/Hajszan 2000, S. 74).
Lieber Herr Fröbel, mit dem neuen Jahrtausend kamen auch die Bildungspläne in Mode und der Kindergarten wurde zunehmend als erste Bildungseinrichtung anerkannt. In Österreich gibt es so einen Bundesländer übergreifenden BildungsRahmenPlan für elementare Bildungseinrichtungen, mit einem zusätzlichen Modul für das letzte Jahr in elementaren Bildungseinrichtungen, ferner einen Bildungsplan für Wiener Kindergärten, einen BildungsRahmenPlan Umsetzung Land Salzburg und Leitlinien zum Bildungsauftrag des Kindergartens für Kinder im letzten Jahr vor dem Schuleintritt für Kärnten, einen Bildungsplan für Kindergärten in Niederösterreich mit einer zusätzlichen Broschüre zur Entwicklungsbegleitung im letzten Kindergartenjahr, einen Bildungs- und Erziehungsplan für Vorarlberg. Außerdem wurde von der Arbeitsgemeinschaft "St. Nikolaus-Kindertagesheimstiftung" in der Erzdiözese Wien und der Caritas für Kinder und Jugendliche der Diözese Linz der "Religionspädagogische BildungsRahmenPlan" entwickelt. Alle Pläne beruhen auf freiwilliger Mitwirkung der erzieherisch verantwortlichen Personen.
Zu ihrer Zeit, mein lieber Herr Fröbel, plädierten Sie dafür, dass Kinder nur für ein paar Stunden im Kindergarten verbringen sollten. Er war ja gedacht als Anschauungsstätte für die Mütter (und natürlich auch Väter oder Gouvernanten), wie man mit den Kindern richtig spielt, sie über das Spiel, gebildet und gefördert werden können. Das ist heutzutage ganz anders. So gut wie alle österreichischen Kinder besuchten ab dem dritten Lebensjahr einen Kindergarten und immer mehr Ganztagsangebote werden etabliert, bereits schon für Kinder weit unter drei Jahren.
Heute ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf das beherrschende Thema und immer mehr Mütter möchten oder müssen schon frühzeitig wieder arbeiten gehen. Politik und Wirtschaft unterstreichen dabei auch gerne die volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten. Manchmal scheint es mir, dass dabei die Belange der Kinder etwas aus den Augen verloren gehen.
Schade, dass Sie, lieber Herr Fröbel zu dieser jüngsten Entwicklung nicht mehr Stellung nehmen können. Ich weiß allerdings, dass Sie schon sehr früh die Mutterliebe entbehren mussten und später immer wieder hervorgehoben haben, wie wichtig die Mutter für die Entwicklung des Kindes in seelischer, kognitiver und körperlicher Hinsicht ist. Die Zukunft wird zeigen, ob es der richtige Weg war, Kinder zunehmend früher und länger in einer (idealer-, aber noch längst nicht realerweise qualitativ ausgezeichneten) Kita unterzubringen. Sicher wissen wir zum 200. Geburtstag des Kindergartens mehr!
Fest steht, mein lieber Herr Fröbel, dass Ihre „Stiftung“ ein wichtiger und notwendiger „Teil der gesellschaftlichen und kommunalen Strukturen in Österreich (ist; M. B.). Das weltweite soziale ‚Ungleichgewicht‘ wirkt sich auch auf den Kindergartenalltag und dessen Gestaltung aus. Ein multikulturelles und multireligiöses Zusammenleben ist vielerorts alltäglich geworden“ (Greil 2015, S. 14). Ich bin mir sicher, dass zumindest diese Entwicklung Ihre volle Unterstützung findet!
Ich verbleibe mit freundlichen und hochachtungsvollen Grüßen
Ihr
Manfred Berger
Literaturverzeichnis
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- „Gelobt sei alles, was hart macht!“ Das Kindergartenwesen im nationalsozialistischen Deutschland am Beispiel der Fachzeitschrift „Kindergarten“, Saarbrücken 2015
- Burtscher, I.: Der Kindergarten – Ein Ort zeitgemässer Bildung?! Ein Beitrag zur ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden. von ElementarpädagogInnen, Innsbruck 2002 (Dissertation)
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- Simon, M. D.: Selbstdarstellung, Wien 2002 (unveröffentl. Manuskript)
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- Zuletzt bearbeitet am: Montag, 13. Dezember 2021 09:07 by Karsten Herrmann