Kinderschutz in der KiTa

Zwischen gesetzlichem Auftrag und der Praxis

Inhaltsverzeichnis

  1. Vom Bauchgefühl zur Sicherheit
  2. Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung
  3. Elterngespräche und Thematisierung im Team
  4. Kinderschutz im Kita-Alltag

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Co-Autor: Hans Leitner

 

Kitaalltag: Nach dem Mittagsschlaf werden die Kleinsten gewickelt. Auf dem Wickeltisch liegt ein Säugling. Beim Wickeln stellt die Erzieherin deutliche Rötungen im Windelbereich des Jungen fest. Sie ist beunruhigt, sie kennt die Familie und vor allem das Kind. Es ist immer etwas schmuddelig, oft nicht witterungsgemäss gekleidet, hat oft auch kein Frühstück dabei. Über den Tag hin verstärkt sich das schlechte Gefühl der Erzieherin. Mit Kolleginnen spricht die Erzieherin über ihr Gefühl nicht, weil sie dafür eigentlich keine Zeit hat und nicht als Schwarzmalerin dastehen will. Beim Abholen spricht sie die Eltern auf den roten Po an, trifft bei ihnen auf offene Ohren, Verständnis und das Versprechen, sich zu kümmern. Sie ist beruhigt. Die Rötungen verschwinden im Laufe der Woche fast gänzlich.

Nach dem Wochenende ist der Po des Jungen aber erneut massiv gerötet und noch dazu blutig. Der Knoten im Bauch der Erzieherin schnürt sich immer mehr zu, sie macht sich große Sorgen um den Jungen, sie ist aufgeregt und spürt Angst. Sexueller Missbrauch ist das Erste, was ihr durch den Kopf schießt. Weil die Kita-Leitung nicht erreichbar ist, informiert sie, ohne noch einmal Kontakt mit den Eltern aufzunehmen, direkt das Jugendamt über eine akute Kindeswohlgefährdung. Das Jugendamt veranlasst umgehend eine ärztliche Inaugenscheinnahme und muss sich mit den aufgebrachten Eltern auseinandersetzen. Die ärztliche Diagnose lautet: Pilzerkrankung.

Ist das qualifizierte Kinderschutzarbeit in Kindertagesstätten? Nein. Nicht erst mit der Einführung des Bundeskinderschutzgesetzes im Jahre 2012 und der damit verbundenen Präzisierung des Kinderschutzauftrages ist die Sicherung des Kindeswohls bzw. der Kinderschutz ein elementares Thema in der Kindertagesbetreuung. Formalrechtlich besteht ohne jede andere rechtliche Bindung mit Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes der der Bundesrepublik Deutschland ein sogenannter »Wächterauftrag« der staatlichen Gemeinschaft über das Wohl jedes Kindes. Die Mitarbeiterinnen in Kindertageseinrichtungen stehen im direkten Kontakt zu den Kindern, erleben sie täglich über viele Stunden, kennen die Eltern und haben Einblick in das soziale Umfeld der Familien.

Die Beantwortung der Fragen, wie es einem Kind geht, was es braucht, welche Förderung, Hilfe und Unterstützung es durch die Erzieherinnen in der Kita bekommen kann, gehört unabhängig von der Erfüllung gesetzlicher Aufträge zum Kitaalltag dazu. In Tür-und-Angel-Gesprächen beim Bringen oder beim Abholen werden zwischen Eltern und Erzieherinnen Informationen und Erlebnisse, Erfreuliches und Sorgen ausgetauscht. Auch in Entwicklungsgesprächen wird von den Fachkräften der Kita regelmäßig über die Entwicklung des Kindes berichtet und es werden, wenn nötig, konkrete Angebote zur Unterstützung für Kinder und Eltern gemacht.

Dennoch ist Kinderschutz für Erzieherinnen auch mit Überforderung, Unkenntnis und Unsicherheit verbunden, wie das Fallbeispiel zeigt. Werden Fragen des Kinderschutzes in Teams thematisiert, löst das oft Abwehr bei den Fachkräften aus: »Dafür haben wir keine Zeit und zu wenig Personal« oder »Kindeswohlgefährdung gibt es in unserer Einrichtung nicht«. Das beschriebene Beispiel verdeutlicht, dass Kinderschutz ein emotionales Thema ist, welches unterschiedliche Gefühle bei Fachkräften und Eltern hervorrufen kann. Ohnmacht und Schock, Trauer und Wut, Mitgefühl und Anteilnahme sind nur einige. Auch wenn in akuten Fällen bzw. bei Gefahr im Verzug immer Eile geboten ist, ist ein reflektiertes Innehalten, ein Austausch mit den Kolleginnen nicht nur für die eigene Handlungssicherheit, sondern auch für die persönliche emotionale Entlastung wichtig. Wie lässt sich der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung im Kitaalltag umsetzen, damit er nicht als Überforderungen wahrgenommen, sondern als regulärer Bestandteil gelingender pädagogischer Arbeit verstanden und praktiziert wird?

 


 

Vom Bauchgefühl zur Sicherheit

Schmutzige Kleidung, ein blauer Fleck oder das fehlende Frühstücksbrot können erste Zeichen von Vernachlässigung der Gewalt sein, wie sie auch die Erzieherin im Fallbeispiel über einen längeren Zeitraum wahrgenommen hatte. Die pädagogischen Fachkräfte in der Kita wissen doch, was Kinder brauchen: altersangemessene Ernährung, ausreichende Ruhe- und Schlafmöglichkeiten, angemessene Körperpflege, der Witterung entsprechende Kleidung, einen verlässlichen Gefahrenschutz, sichere Betreuung und Aufsicht, Gewährleistung einer gesundheitlichen Grundversorgung, Spielanregungen bzw. -möglichkeiten, eine sachgemäße Behandlung von Entwicklungsauffälligkeiten sowie unbedingt stabile Bezugspersonen, die sich dem Kind emotional zuwenden. Erzieherinnen sehen sehr gut im täglichen Kontakt mit den Kindern, ob diese Bedürfnisse erfüllt sind oder wenn sich etwas verändert.

Wo aber genau beginnt Kindeswohlgefährdung? Sind die schmuddelige Anmutung eines Kindes oder das Wissen, dass Mutter oder Vater es nur selten vermögen, ihr Kind witterungsgerecht anzuziehen schon »gewichtige Anhaltspunkte « für eine Kindeswohlgefährdung? Wie kommen Erzieherinnen von einem »komischen Bauchgefühl«, das geprägt ist von eigenen Normen, Wertvorstellungen und Haltungen, zu einer auf eindeutigen Beobachtungen und Sachinformationen beruhenden Gefährdungseinschätzung?

Formen der Kindeswohlgefährdung, wie Vernachlässigung und körperlicher Gewalt, aber auch sexuelle Gewalt und sexueller Missbrauch sowie psychische Gewalt und seelische Misshandlung sind vielseitig und bedürfen eines großen Maßes an Sensibilität, um sie zu erkennen und zu bewerten. Auch eine hohe fachübergreifende diagnostische Kompetenz und zum Teil auch spezifisches Fachwissen. Einerseits müssen Erzieherinnen diese diagnostischen Kompetenzen durch Fortbildungen erhalten. Andererseits müssen sie aber auch die Möglichkeit bekommen, ihre Sorgen um ein Kind verbindlich im Team besprechen zu können.

Ein Klima, welches Kinderschutz in der Kita von vornherein wegen Überforderung zurückweist oder tabuisiert, lähmt die Erzieherinnen, macht sie blind für dieses Thema oder zu »Einzelkämpferinnen«. Deshalb ist es wichtig, Kinderschutz als gesetzlichen Auftrag als ein wirkliches Querschnittsthema in der Arbeit der Kita zu verstehen. Ein erster Schritt kann die Benennung einer Ansprechpartnerin für Kinderschutz bzw. einer kitainternen Fachkraft für Kinderschutz sein, die als Multiplikatorin das Thema Kinderschutz für die Kolleginnen präsent hält, regelmäßig neuen Input gibt und ein offenes Ohr für die Kolleginnen in einem konkreten Einzelfall hat. Die als Multiplikatorinnen fungierenden Erzieherinnen oder Leiterinnen treffen sich regelmäßig zu praxisbegleitenden Fortbildungen, die z.B. durch die Träger der Einrichtungen (Freie Träger, Stadtverwaltungen), die Kitafachberaterinnen der Jugendämter oder durch die Einrichtungen selbst organisiert werden. Sie befassen sich mit den Themen oder Fällen, die sie aus ihren Einrichtungen mitbringen: z.B. wie man Risiko- und Gefährdungssituationen erkennt und beurteilt, ein Kinderschutzverfahren durchführt, welche gesetzlichen Grundlagen des Datenschutzes dabei zu beachten sind und wie Gespräche in diesem Kontext zu führen sind.

 


 

Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung

Was mache ich wie und wann im Kinderschutzfall? Mit wem berate ich mich? Was darf ich wem erzählen? Wie helfe ich dem Kind und den Eltern und was mache ich, wenn die Hilfe nicht ausreicht bzw. die Eltern diese nicht annehmen wollen oder wenn die Eltern nicht in der Lage sind, angebotene Hilfen umzusetzen? Das sind Fragen, die sich Fachkräfte stellen, wenn ein Kind gefährdet sein könnte.

 

Kindeswohlgefährdung

Als Kindeswohlgefährdung gilt gemäß Bundesgerichtshof »eine gegenwärtige in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt«. Gemäß dieser Definition müssen drei Kriterien gleichzeitig erfüllt sein, damit von einer Kindeswohlgefährdung auszugehen ist:

  1. Die Gefährdung des Kindes muss gegenwärtig gegeben sein.
  2. Die gegenwärtige oder zukünftige Schädigung muss erheblich sein.
  3. Die Schädigung muss sich mit ziemlicher Sicherheit vorhersehen lassen, sofern sie noch nicht eingetreten ist.

 

 Gesetzliche Grundlage für das Handeln von Fachkräften der Jugendhilfe im Kinderschutzfall oder bei entsprechenden Verdachtsfällen ist der § 8a Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII). Fachkräfte aus Einrichtungen und von Trägern der Kinder- und Jugendhilfe haben gemäß Abs. 4 einen aus dem Grundgesetz abgeleiteten Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung. Entsprechend dieses Auftrages haben auch Mitarbeiterinnen in Kindertageseinrichtungen eine Gefährdungseinschätzung unter Hinzuziehung »einer insoweit erfahrenen beratenden Fachkraft« und unter Einbeziehung der Erziehungsberechtigten und des Kindes vorzunehmen.

Sie bieten den Eltern notwendige und geeignete Hilfe an und wirken darauf hin, diese zu nutzen. Dabei geht es nicht um Hilfen über ihre Aufgabe als Erzieherinnen hinaus, vielmehr darum, den Eltern das Wissen einer Fachkraft zur Verfügung zu stellen, etwa auf die Notwendigkeit von Klarheit und Ritualen zu verweisen oder auf Freizeit- oder Unterstützungsangebote in der Kommune zu verweisen. Sollte die Gefährdung für das Kind so nicht abgewendet werden können, weil die Eltern nicht bereit oder in der Lage sind oder die Möglichkeiten der Kita nicht ausreichen, um die Gefahr für das betreffende Kind abzuwenden, sind die Fachkräfte der Kita verpflichtet, das Jugendamt zu informieren.


Damit die Mitarbeiterinnen in Kindertagesstätte im Kinderschutzfall kompetent und sicher handeln können, besteht zwischen den örtlich zuständigen Jugendämtern und den Trägern der Kindertageseinrichtungen eine gesetzlich vorgeschriebene schriftliche Vereinbarung über die Regelungen zum Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung. Ein qualifiziertes Kinderschutzverfahren der Kindertageseinrichtungen sollte Anlage einer solchen Vereinbarung sein.

 


§ 8a SGB VIII – Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung
(4) In Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten, die Leistungen nach diesem Buch erbringen, ist sicherzustellen, dass ...
4. deren Fachkräfte bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für die Gefährdung eines von ihnen betreuten Kindes oder Jugendlichen eine Gefährdungseinschätzung vornehmen,
5. bei der Gefährdungseinschätzung eine insoweit erfahrene Fachkraft beratend hinzugezogen wird sowie
6. die Erziehungsberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche in die Gefährdungseinschätzung einbezogen werden, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder Jugendlichen nicht infrage gestellt wird.
In die Vereinbarung ist neben den Kriterien für die Qualifikation der beratend hinzuzuziehenden insoweit erfahrenen Fachkraft insbesondere die Verpflichtung aufzunehmen, dass die Fachkräfte der Träger bei den Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, wenn sie diese für erforderlich halten, und das Jugendamt informieren, falls die Gefährdung nicht anders abgewendet werden kann.

 

 

 Träger von Einrichtungen u.a. haben gemäß § 8b Abs. 2 SGB VIII gegenüber dem überörtlichen Träger der Jugendhilfe, also dem Landesjugendamt, Anspruch auf Beratung bei der Entwicklung und Anwendung fachlicher Handlungsleitlinien zur Sicherung des Kindeswohls und zum Schutz vor Gewalt. Träger bzw. Einrichtungen müssen bei der Erarbeitung solcher Verfahren nachfolgende gesetzlich bestimmten Schritte, aber auch einrichtungs- und trägerspezifische Besonderheiten (Größe, Leitungsstruktur, Aufgabenverteilung) beachten:

  • Erhält eine Mitarbeiterin einer Kindertagesstätte Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung, informiert diese in der Regel umgehend die Kitaleitung. Die Hinweise sind zu dokumentieren.
  • Die Kita-Leitung beruft zur Abschätzung des Gefährdungsrisikos unverzüglich eine Fallberatung ein und sorgt ggf. und eigenverantwortlich für die Information und Einbeziehung »einer insoweit erfahrenen Fachkraft«.
  • An der Fallberatung sollten in der Regel teilnehmen: die Kita-Leitung, ggf. die Ansprechpartnerin für den Kinderschutz, die Bezugserzieherin des Kindes sowie die Erzieherinnen, die Kenntnis von der Gefährdung haben. Auch eine insoweit erfahrene Fachkraft ist gem. § 8a Abs. 4 SGB VIII hinzuziehen. Im Ergebnis wird ein Protokoll der Fallberatung (Dokumentationsbogen Kinderschutz) niedergeschrieben, in dem u.a. dokumentiert wird, welche Anzeichen einer Kindeswohlgefährdung mit welcher Häufigkeit aufgetreten sind und welche weiteren Maßnahmen nach dem Prinzip »Wer macht was bis wann?« vereinbart wurden.
  • Liegt eine Gefährdung des Kindes vor, wird festgelegt, wer in welchem Zeitraum was tut, so z.B. Gespräche mit Eltern führt bzw. notwendige Hilfsangebote unterbreitet. Hierzu wird ein verbindlicher Schutzplan erstellt, der konkrete Maßnahmen nach dem Muster »Wer macht was bis wann?« enthält. Diese Maßnahmen werden innerhalb der festgelegten Frist durch die Leitung oder eine andere verantwortliche Mitarbeiterin der Einrichtung kontrolliert. Werden die Hilfsangebote durch Kinder bzw. Eltern nicht angenommen oder sind diese dazu nicht in der Lage oder stellt sich heraus, dass diese nur bedingt wirksam werden, meldet die Kita-Leitung ihren Verdacht dem Jugendamt.
  • Bei akuter Gefährdung ist das Jugendamt bzw. der Kindernotdienst sofort zu informieren oder die Polizei zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr im Zuge von Amtshilfe um Unterstützung zu bitten. Bei gravierender und andauernder Kindeswohlgefährdung kann die Kitaleitung das Familiengericht auch direkt anrufen. Das Jugendamt sollte davon aber unmittelbar in Kenntnis gesetzt werden.

 

Die meisten Träger haben zusammen mit den Jugendämtern Verfahren für den Fall entwickelt, dass ein Kind geschützt werden muss. Diese werden formal durch die Träger an die Kindertageseinrichtungen weitergegeben. Dennoch sind sie oft den Fachkräften in der Kita nicht bekannt. Die Umsetzung solcher Verfahren im Praxisalltag gelingt bisher nur unzureichend.


Viele Fachkräfte würden ein qualifiziertes Kinderschutzverfahren unterstützen. Sie können sich dadurch rückversichern und Entscheidungen legitimieren. Außerdem können sie so ihr Handeln transparent dokumentieren und es für Außenstehende (Eltern, Ämter, Gerichte) nachvollziehbar machen. Ein solches Verfahren würde auch die Kooperation und den fachlichen Austausch mit anderen Fachkräften unterstützen und den Erzieherinnen mehr Sicherheit für das eigene Handeln geben.


In unserem Musterfall mit dem Säugling mit dem wunden Po hätte ein internes Verfahren die Erzieherin unterstützt und ihr ein Handeln entlang eines klar strukturierten Ablaufes ermöglicht. Der erste Schritt wäre hier ein Gespräch mit der Kitaleitung unter Hinzuziehung der Ansprechpartnerin für Kinderschutz gewesen. Die Anzeichen für eine Gefährdung hätten im kollegialen Austausch oder unter Einbeziehung einer insoweit erfahrenen Fachkraft besprochen werden und erst dann über weiterführende Maßnahmen entschieden werden können. Hier muss immer geprüft werden, ob die internen Maßnahmen der Kita für die Abwendung der Gefährdung ausreichen und ob die Eltern bereit oder in der Lage sind, angebotene Hilfe anzunehmen. Erst wenn einer der drei genannten Faktoren nicht erfüllt ist, muss das Jugendamt eingeschaltet werden.

 


 

Elterngespräche und Thematisierung im Team


Wie spreche ich mit meinen Kolleginnen und meiner Kitaleitung über meine Vermutungen? Wie teile ich den Eltern meine Bedenken mit, ohne sie als Partner zu verlieren?


Erzieherinnen befürchten manchmal, dass sie mit ihrem Verdacht kein Gehör im Kollegium bekommen, als Moralapostel oder diejenige hingestellt zu werden, die mit dem Jugendamt kollaboriert. Anonyme Meldungen beim Jugendamt bzw. anonyme Beratungsanfragen sind eine Folge. Es kommt auch vor, dass bedenkliche Beobachtungen nicht hinterfragt werden.


Ein frühes Gespräch mit der Kitaleitung, einer Kollegin und/oder den Eltern möglichst vor einem vermeintlichen Kinderschutzfall dient dazu, die Beobachtungen auf Grundlage von Fakten sachlich darzustellen und der eigenen Sorge um das Kind Ausdruck zu verleihen. Die Haltung dabei sollte von der Bitte bestimmt sein: »Helfen Sie mir, meine Sorge loszuwerden?«


Viele Kitas haben in ihren Kinderschutzverfahren die Gespräche mit der Kitaleitung, den fachlichen Austausch mit einer Kollegin sowie das gesetzlich bestimmte Gespräche mit den Eltern strukturell verankert. Im Kitaalltag müssen dafür neben den regulären Arbeitsabläufen und jenseits des Gruppengeschehens Rückzugsmöglichkeiten gefunden werden. Gerade Elterngespräche brauchen dringend ausreichend Zeit. Ein gemeinsam vereinbarter Termin, an dem die Erzieherin aus dem Gruppengeschehen herausgelöst wird und die Eltern ohne Zeitdruck in einer angemessenen Atmosphäre teilnehmen können, ist Basis für ein gelingendes Gespräch. Zugleich muss das Gespräch gut vorbereitet sein. Nicht nur das Ziel muss klar formuliert sein, sondern auch das Setting muss stimmen und ein Einstieg in das Gespräch überlegt sein. Checklisten und die kollegiale Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft können die Erzieherinnen in ihrer inhaltlichen und emotionalen Vorbereitung auf diese Begegnungen unterstützen. Beobachtungen können vorab strukturiert zusammengetragen und dokumentiert werden und helfen so, den Gesprächsfaden und das Gesprächsziel im Auge zu behalten.


Gelingende Gespräche zum Thema Kinderschutz sind immer auch eine Frage der Haltung. Es sollte dabei deutlich gemacht werden, worum sich die Fachkräfte Sorgen machen und welches Ziel sie zur Lösung der Probleme verfolgen: Dass sie sich um das Kind sorgen und es nicht darum geht, Schuld zu suchen oder zuzuweisen.
In unserem Musterfall könnte die Erzieherin das Gespräch mit den Eltern vielleicht wie folgt beginnen: »Ich habe bei Ihrem Kind wiederholt massive Rötungen im Wickelbereich festgestellt und mache mir deshalb Sorgen um die Gesundheit und das Wohl Ihres Kindes. Ich würde gerne wissen, ob Sie dies auch beobachtet haben und mit Ihnen eine Lösung finden, wie wir gemeinsam dafür sorgen können, dass es Ihrem Kind besser geht.«

 


 

Kinderschutz im Kita-Alltag

Folgende Faktoren beeinflussen das Handeln von Erzieherinnen beim Kinderschutz positiv:


Engagement:

  • Kinderschutz wird in der Kita als Querschnittsthema verstanden, ist personell verankert (z.B. durch eine Ansprechpartnerin Kinderschutz) und Teil des Leitbildes und des Konzeptes der Einrichtung.
  • Kinderschutzrelevante Themen werden offen kommuniziert.
  • Es herrscht ein offenes Klima, in dem heikle Themen angesprochen und besprochen werden können.

In vielen Kindertagesstätten gehören diese Punkte zu einem Qualitätsmerkmal. Das Leitbild der Einrichtung ist öffentlich zugänglich und wird gegenüber den Eltern z.B. bei der Aufnahme eines Kindes angesprochen. Die Ansprechpartnerinnen für Kinderschutz sind beispielsweise in Aushängen zur Vorstellung des Kitateams konkret benannt und somit auch für die Eltern zu identifizieren.

 

Qualität und Qualifizierung:

  • Qualität der Arbeit und Qualifizierung der Mitarbeiterinnen wird als gemeinsame Aufgabe von Leitung und Mitarbeiterinnen verstanden.
  • Die Kita verfügt über ein qualifiziertes internes Kinderschutzverfahren.
  • In Vereinbarungen mit dem öffentlichen Träger der Jugendhilfe ist der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung geregelt. Die Vereinbarungen mit den Jugendämtern sind allen Mitarbeiterinnen bekannt und werden regelmäßig (alle zwei Jahre) gemeinsam ausgewertet und fortgeschrieben.
  • Die Einrichtung bzw. der Träger der Einrichtung sorgen für die kinderschutzrelevante Qualifizierung der Ansprechpartnerin Kinderschutz im Rahmen eines Personalentwicklungs- und Fortbildungskonzeptes.

Die Vereinbarungen und Verfahren zum Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung sind aufgrund der gesetzlichen Neuregelungen zum Bundeskinderschutzgesetz von den zuständigen Jugendämtern und Trägern überarbeiten worden. In vielen Vereinbarungen ist der Praxistransfer vom Träger zu Leitung hin zu den Mitarbeiterinnen der Einrichtungen verbindlich geregelt, die Form (Belehrung oder Fortbildung) ist dabei offen. Auch gibt es Qualifizierungsangebote für Erzieherinnen zum Thema Kinderschutz. In diesen Fortbildungen können sie sich die gesetzlichen Grundlagen, Verfahrensregeln, ein eigenes Rollen- und Auftragsverständnis, diagnostische Kompetenzen sowie methodisches Handwerkszeug aneignen.

 

Information:

  • Alle Mitarbeiterinnen kennen das Kinderschutzverfahren der Einrichtung. (Sie wurden darüber informiert und wissen, wo sie das Verfahren und weiterführende Informationen einsehen und erhalten können.)
  • Eine Kita-Netzwerkkarte Kinderschutz ist für alle Mitarbeiterinnen zugänglich und wird durch eine zuvor benannte Mitarbeiterin oder die Leitung selbst aktuell gehalten (Übersicht über Ansprechpartnern zur Fachberatung oder zur Vermittlung oder Einleitung von Hilfe- und Schutzmaßnahmen wie der Erziehungs- und Familienberatungsstelle, der Sonderpädagogische Beratungsstelle, der Kitafachberaterin im Jugendamt, dem Allgemeinen Sozialen Dienst im Jugendamt, dem Kinder- und Jugendnotdienst, der Rettungsstelle, dem Gesundheitsamt, Kinderärzten, Polizei/ Kontaktbereichsbeamten, den Amts- bzw. Familiengerichten).

In vielen Kindertageseinrichtungen sind die Verfahren zum Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung nicht nur für die Erzieherinnen, sondern auch für die Eltern einsehbar. Die entsprechenden Ordner sollten für die Erzieherinnen und Eltern immer zugänglich aufbewahrt werden. Diese Transparenz unterstützt den Umgang mit dem Thema Kinderschutz.


Für regelmäßige Qualitätskontrolle sollten auch die Kontakte zu Kooperationspartnerinnen in festen Abständen auf ihre Aktualität überprüft werden. Je nachdem, wie die Zusammenarbeit zwischen ihnen und den Netzwerkakteurinnen ist, kümmert sich um die Pflege dieser Daten die Kita selbst oder sie ist in ein funktionierendes Informations- und Kooperationsnetzwerk (regionale Netzwerke Frühe Hilfen oder Kinderschutz) eingebunden und wird über Kontaktänderungen informiert.

 


Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit haben wir im Text nur die weibliche Personalform verwendet.

 

Checkliste-Kindeswohlgefährdung
Die Checkliste-KWG kann von Fachkräften aus Kindertagesstätten über die Fachstelle Kinderschutz im Land Brandenburg und die Geschäftsstelle des Bündnis Kinderschutz MV c/o Start gGmbH kostenfrei angefordert werden.


Kontakt:
Fachstelle Kinderschutz im Land Brandenburg
c/o Start gGmbH
Fontanestraße 71 • 16761 Hennigsdorf
Tel.: 03302/860 95 77
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! • www.fachstelle-kinderschutz.de
www.kischu-stadt.de

 

 

Erstveröffentlichung in: Betrifft Kinder, 03 /2015, S. 6 - 11. Übernahme mit freundlicher Genehmigung vom verlag das netz

 



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